Was tun in Zeiten der Schwäche?
Beim folgenden Beitrag handelt es sich um den Auftakt zu einer Debatte um die Frage der Organisation innerhalb des sozialrevolutionären Milieus und darüber hinaus. Die hier präsentierten Auffassungen geben keinen Standpunkt wieder, der von der Communaut-Redaktion und den in ihr vertretenen Gruppen und Einzelpersonen insgesamt geteilt wird, sondern sollen strategische Kontroversen abbilden und damit nachvollziehbar machen und weitere Diskussionen anregen.
In den letzten Jahren wurden auf Initiative der Zeitschrift Kosmoprolet einige Versuche unternommen, den losen Austausch innerhalb des Milieus, aus dem auch dieser Blog hervorgegangen ist, zu intensivieren. Erklärtes Ziel war es, die verstreuten Gruppen und Einzelpersonen, die sich einer antiautoritär kommunistischen Strömung zugehörig fühlen, zusammenzubringen und eine kontinuierlichere Zusammenarbeit anzustoßen. Dafür haben wir in überregionalen Treffen begonnen, uns in größerem Kreis über grundlegende Fragen und aktuelle Entwicklungen zu verständigen. Diese Treffen hatten den positiven Effekt, sich kennenzulernen und Bande zu knüpfen. Sie behielten jedoch die relativ lose und informelle Form bei und haben bis heute keinen kontinuierlichen Charakter angenommen. Die vom Kosmoprolet vorgeschlagene sozialrevolutionäre „Polbildung“1 innerhalb der Krisenproteste und darüber hinaus ist nicht zu stande gekommen. Hier und da gab es lokale Initiativen, die jedoch ebenso wenig Strahlkraft über den eigenen Kreis hinaus entwickeln konnten. Ein erster überregionaler Versuch, stärker in der Öffentlichkeit zu wirken, war der Blog Solidarisch gegen Corona, der unter dem Eindruck der Corona-Krise zunächst eine ansehnliche Aktivität entfaltete. Schon bald wurde aber deutlich, dass das Projekt so schnell gehen würde, wie es gekommen war, da es wie andere Initiativen vor ihm nicht auf konsolidierten Strukturen aufbauen konnte.
Das Blogprojekt Communaut ist nun der jüngste in der Reihe von Versuchen, das Milieu stärker zusammenzubringen. Nicht als Schnellschuss aufgesetzt, sondern in einem fast einjährigen Prozess entwickelt, in dem sich eine feste Redaktion mit Mitgliedern aus acht Städten zusammengeschlossen hat, verspricht er eine stabilere Grundlage zu haben. Die Möglichkeit, auf dem Blog öffentliche Debatten zu führen, halten wir für einen guten Ausgangspunkt, um die politische Verständigung innerhalb und über das Milieu hinaus auf eine kontinuierlichere Basis zu stellen.
Trotz dieser erfreulichen Entwicklung haben wir zunehmend den Eindruck gewonnen, dass in unseren Kreisen eine große Ratlosigkeit bezüglich einer langfristigen politischen Perspektive herrscht, die die Aktivitäten der einzelnen Gruppen und Initiativen auf ein Ziel hin orientieren könnte. Die verschiedenen Beteiligten sind dadurch immer wieder auf spontane, isolierte Aktionen zurückgeworfen, die sich nicht zu einem überzeugenden Ganzen zusammenfügen und daher nicht die gewünschte politische Wirkung entfalten können. Auf die strategischen Fragen, welche Rolle man als Kommunist:in in sozialen Kämpfen und politischen Auseinandersetzungen spielen sollte, welche Vermittlungsschritte zwischen unserem Endziel einer kommunistischen Gesellschaft und den gegenwärtigen Kämpfen nötig sind und in welchem Verhältnis die theoretische Auseinandersetzung in kleinen Theoriezirkeln zum politischen Geschehen steht, hat unser Milieu bei Lichte betrachtet wenig zu sagen. Mit dieser Einschätzung, so scheint es, stehen wir nicht ganz allein – bereits 2015 war im Editorial des Kosmoprolet #4 zu lesen: „Die Debatten der Linken sind überhaupt etwas weniger weltabgewandt-gespenstisch als vor der Krise. Aber es klemmt weiter vor allem bei dem, was traditionell Praxis heißt. […] Es fehlt ein Plan, der mehr ist als eine bloße Absichtserklärung.“
Mit diesem Text möchten wir die neue Möglichkeit des Blogs gleich nutzen, um eine grundlegende Debatte über Fragen der politischen Strategie und Organisation anzuregen. Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist die angesprochene Planlosigkeit, deren Ursache unseres Erachtens vor allem im Fehlen einer strategischen Perspektive zu suchen ist. Um diese Lücke zu füllen, möchten wir im Folgenden einige revolutionstheoretische Grundannahmen, die in unserem Milieu vorherrschen, herausfordern.
Diese begegnen uns häufig und am klarsten formuliert in den Zeitschriften Kosmoprolet und Endnotes, weshalb wir uns in unserer Kritik vor allem den dort vertretenen Analysen zu den Klassenkämpfen und der Rolle der Kommunist:innen in diesen Kämpfen widmen.
Zunächst aber zu den Grundannahmen, die Gegenstand des vorliegenden Textes sind. Felix Klopotek hat in seiner Einleitung in den Rätekommunismus2 vier Prinzipien charakterisiert, die nach unserer Auffassung die Koordinaten des sozialrevolutionären Milieus treffend umreißen. Diese sind: die Zuversicht in die Spontanität der proletarischen Massen, die Gewissheit als revolutionäre Minderheit während Phasen der Ruhe in Theoriezirkeln überwintern zu müssen, die Krise des Kapitalismus als Katalysator für eine kommunistische Massenbewegung und schließlich die Ablehnung von Arbeiterparteien und Gewerkschaften als konterrevolutionärer Institutionen. Anstatt Klassenorganisationen innerhalb des Bestehenden aufzubauen, müsse der „Kampf für die Autonomie der Klasse“ (Klopotek: 18) geführt werden, der insbesondere in der Bildung räteähnlicher Basisstrukturen aufscheinen würde. Nur solche Strukturen wiederum könnten als Basis einer sozialen Revolution dienen.
Unseres Erachtens steht das sozialrevolutionäre Milieu mit diesen Annahmen bewusst oder unbewusst in der rätekommunistischen Tradition. Der Rätekommunismus bildete sich in den 1920er Jahren in doppelter Frontstellung einerseits zur reformistischen und staatsloyalen Sozialdemokratie und andererseits zum Stalinismus heraus. Für das Versagen beider machte er die Organisationsformen der alten Arbeiter:innenbewegung in großen Parteien und Gewerkschaften verantwortlich, die er folgerichtig ganz grundsätzlich ablehnte – paradigmatisch zusammengefasst in Anton Pannekoeks Aussage, dass „im Namen ‚revolutionäre Partei‘“ bereits „ein innerer Widerspruch“3 liege. Die drei Grundprobleme, die mit diesen Organisationen einhergingen – Bürokratie, Führertum und Stellvertreterpolitik –, würden jeden Versuch der Arbeiter:innenklasse, sich selbst zu emanzipieren, verhindern, statt ihn zu fördern. Dagegen trat der Rätekommunismus deshalb für die Selbstorganisation der Klasse ein, die aus spontanen Bewegungen hervorgehen müsse und in denen allein die Klasse die notwendige Selbsttätigkeit ausbilden könne. Vor dem Hintergrund der konterrevolutionären Rolle der sozialdemokratischen Parteien und Gewerkschaften sowie der Entwicklung der leninistischen Parteien zu diktatorischen Apparaten scheint diese Position geschichtlich bestätigt. Der Rätekommunismus bleibt damit seiner Intention nach fest auf dem Boden der Revolution und kann im Gegensatz zu den „offiziellen“ Kommunist:innen und Sozialdemokrat:innen jede Kompromittierung berechtigterweise von sich weisen.
Diese Grundüberzeugungen der rätekommunistischen Tradition sind in ihren allgemeinen Zügen auch heute noch tief in unseren Köpfen verankert und prägen zu großen Teilen unsere Deutung der Geschichte der Arbeiter:innenbewegung. Wir denken nicht nur, dass wir diese Deutung korrigieren müssen, sondern auch, dass die daraus gezogenen Schlüsse uns den Blick auf die notwendigen Aufgaben verstellen, denen wir uns gegenwärtig verschreiben sollten. Dementsprechend halten wir es für ungenügend, uns darauf zu verlassen, dass eine tiefe Krise des Kapitals spontane Massenbewegungen hervorbringt, die von sich aus in der Lage sind, eine Alternative zur herrschenden Ordnung zu entwickeln. Vielmehr sollten Kommunist:innen den Aufbau einer oppositionellen sozialen Basis innerhalb des Bestehenden vorantreiben, wie es die verschiedenen Basis-Initiativen bereits versuchen. Allerdings ist es unseres Erachtens nötig, dass wir darüber hinaus als Orientierungspunkt den Aufbau einer politischen Organisation mit einem Programm brauchen, welche als Klammer für die verschiedenen lokalen und sektoralen Initiativen dienen kann.
1. Die Schranken der Kämpfe
Die bürgerliche Ordnung ist ohne Klassenkämpfe nicht denkbar, da die Bedürfnisse und Interessen der Lohnabhängigen in einem unauflösbaren Gegensatz zum Kapital stehen, das zugleich ihre Existenzgrundlage bildet. Das wesentliche Problem, das sich der Arbeiter:innenklasse stellt, ist es, die Vereinzelung der kapitalistischen Produktionsweise sowie die Vereinnahmung durch andere Klassen zu überwinden und sich politisch autonom als Klasse für sich zu konstituieren. Gemeint ist damit der Aufbau von eigenständigen Organisationen, durch welche die Lohnabhängigen als Klasse handeln und für die Durchsetzung ihrer Interessen kämpfen können, jedoch zugleich auch ein Bewusstsein davon entwickeln, dass ihre Interessen innerhalb der bürgerlichen Ordnung nicht vollständig oder dauerhaft zu realisieren sind. Diesen Grundannahmen folgend haben wir im Über-Uns-Text des Communaut formuliert: „Will sich das Proletariat nicht durch eine populistisch aufgemotzte Sozialdemokratie oder eine ihrer moderneren Kopien einfangen lassen, muss es sich politisch eigenständig organisieren.“ Der wesentliche Unterschied des Rätekommunismus zur vorangehenden marxistischen Orthodoxie, die die Herausbildung einer proletarischen Autonomie immer mit dem Aufbau von Gewerkschaften und Arbeiter:innenparteien verband, ist der, dass die rätekommunistisch verstandene Autonomie in einem Jenseits solcher Organisationen, in den institutionell nicht verfestigten „Bewegungen“ gesucht wird. Daher beginnen auch wir unsere Auseinandersetzung mit einem kurzen Blick auf die sozialen und politischen Bewegungen der letzten Zeit.
Die Bewegungen der letzten Jahre waren zunächst ein Zeichen dafür, dass sich die Arbeiter:innenklasse ein Stück weit aus ihrer Schockstarre gelöst hatte. Nicht nur hat es immer wieder große Massen von Proletarisierten gegen das herrschende System auf die Straße getrieben, sie haben zugleich beeindruckende Kampfmittel und Formen der Solidarität hervorgebracht. Hoffnungsvoll stimmten vor allem die immer wieder aufblitzenden Ansätze von spontaner Selbstorganisation, etwa bei den Platzbesetzungen in Kairo und Paris, den Stadtteilversammlungen in Chile oder den demokratischen Abstimmungsformen über Messenger-Dienste in der Bewegung in Hong Kong. Diese Zeugnisse proletarischer Selbstaktivität belegen nicht nur, dass die lohnabhängige Klasse die Fähigkeit besitzt, über die passiven und fremdbestimmten Formen ihrer Existenz hinauszugehen, sondern auch, dass das Wohlstandsversprechen des Kapitalismus im Zuge der Krisenentwicklung selbst in den kapitalistischen Zentren brüchig geworden ist. Dass diese Kämpfe immer wieder aufflammen, bestätigt zudem die einfache Feststellung, dass die Lohnabhängigen aufgrund ihrer Trennung von den Produktionsmitteln und ihrer Atomisierung im Produktions- und Zirkulationsprozess gezwungen sind sich zusammenzuschließen, um ihre Arbeits- und Lebensbedingungen zu verbessern. Dabei bringen sie spontane und autonome Organisationsformen hervor, die es als Innovationen im Klassenkampf zu reflektieren und weiterzutreiben gilt.
So hoffnungsvoll die Kämpfe und die Selbsttätigkeit der Beteiligten darin auch stimmen mögen, so offensichtlich sind deren Grenzen, wo sie auf reine Spontanität zurückgeworfen sind. Die Bewegungen waren in ihrer Klassenzusammensetzung heterogen. In ihnen kamen häufig proletarische und subproletarische mit kleinbürgerlichen Kräften zusammen. Politisch blieben die Proteste unter der Hegemonie derjenigen Tendenzen, die eine Versöhnung mit dem herrschenden ökonomischen und politischen System durch die Abmilderung der gröbsten „Ungerechtigkeiten“ anstreben. Kritisiert werden die Exzesse der politischen und ökonomischen Eliten, nicht die bürgerliche Ordnung selbst. Ausgetauscht oder erweitert werden soll das herrschende Personal – nicht aber sollen Ausbeutung und Herrschaft überwunden werden. Solange die Proletarisierten kein Bewusstsein über die tatsächlichen ökonomischen und politischen Verhältnisse gewinnen, gegen die sie anrennen, solange werden ihre Hoffnungen enttäuscht, ihre Energie und ihr Mut verpufft oder wird durch die staatsloyalen Kräfte vereinnahmt.
Deutlich wurden diese Schranken der mangelnden politischen und organisatorischen Perspektive zuletzt in der Bewegung der Gilets Jaunes (Gelbwesten) in Frankreich. Trotz der Zähigkeit der Bewegung kam es weder zu einer organisatorischen Verstetigung noch zur Entwicklung proletarischer Autonomie, welche Voraussetzung dafür gewesen wären, dass sich in diesen Auseinandersetzungen ein tatsächlich antagonistischer Charakter und eine langfristige Perspektive hätte entwickeln können. Die Isolation der insbesondere ländlichen Lohnabhängigen und Kleinunternehmer:innen wurde durch die Besetzung der Kreisverkehre nur sehr kurzfristig unterbrochen. Einige Gruppen versuchten zwar, durch lokale und landesweite Versammlungen einen politischen Verständigungsprozess anzustoßen. Diese Versuche blieben jedoch marginal, es gelang dabei nicht, festere Strukturen der Gegenmacht aufzubauen.
Die Beteiligten grenzten sich zwar sehr scharf vom professionellen Politikbetrieb und den institutionalisierten Organisationen ab, sie schafften es jedoch von einigen Krawallen abgesehen nicht, den bürgerlichen Formen von Politik etwas entgegenzusetzen, da der Wunsch nach unmittelbaren demokratischen Formen ohne Inhalt und Ziel blieb. Die Bewegung kam nicht an den Punkt, an dem sie eine Vorstellung davon hätte entwickeln können, in welcher Beziehung ihre durchaus heterogenen Interessen zueinander und zur gesellschaftlichen Ordnung als Ganzer stehen und welche ökonomischen und politischen Veränderungen notwendig wären, um diese Interessen durchzusetzen. Sie blieben vielmehr in der Ideologie vom Kampf zwischen Volk und Elite stecken: „Klassenübergreifend soll der Volksentscheid die Entdemokratisierung aufhalten, die auf die Überheblichkeit einer Elite zurückgeführt wird.“4 In dieser Entgegensetzung von Volk und Elite wird deutlich, dass eine eigenständige Politik, die den Klassengegensatz selbst zum Gegenstand hat, nicht annähernd in Reichweite war.
Die Schwäche der Gelbwestenbewegung steht exemplarisch für die Schranken, an welche die Bewegungen immer wieder stoßen: Formen proletarischer Selbstorganisation bilden sich nur in Ansätzen, und eine proletarische Hegemonie innerhalb dieser heterogenen sozialen Bewegungen entwickelt sich nicht von selbst. Wie sollte sie sich auch herausbilden, wenn die Lohnabhängigen eben keine Klasse für sich, kein politisches Subjekt sind, welches mit einer klaren Zielsetzung innerhalb dieser verworrenen Auseinandersetzungen auftreten könnte? Zu ähnlichen Einschätzungen kommen auch Analysen über die jüngsten Bewegungen im Kosmoprolet und in Endnotes. Letztere etwa charakterisieren in ihrem Text Onward Barbarians die Bewegungen seit 2008 als „Non-movements“, weil sie sich zwar gegen das Bestehende richten, aber kaum eine positive Vorstellung davon haben, wofür sie kämpfen. Es seien in diesem Sinne passive Aufstände und als solche der subjektive Ausdruck der objektiven Unordnung unserer Zeit. Ähnlich war bei den Freundinnen und Freunden der klassenlosen Gesellschaft schon 2012 zu lesen: „Sieht man sich die Kämpfe, Unruhen, ja regelrechten Aufstände der letzten Jahre an, dann entdeckt man Spontaneität, sehr häufig das Fehlen von Parteien und Gewerkschaftsorganisationen, eine starke Bereitschaft zur Gewalt. Man sieht aber auch eine vollständige Ratlosigkeit, wenn es sich darum handelt, über die anvisierte Blockade der Ökonomie hinauszugehen; es fehlt eine praktische Vorstellung von der Überwindung der alten Welt."5 Auch in Hinblick auf die Niederlage der Bewegung in Ägypten konstatierten sie, dass „die Flaute des Reformismus und das Ende des Staatssozialismus keineswegs einem wirklichen Bruch mit den gesellschaftlichen Verhältnissen den Weg gebahnt haben. […] Der Macht, Herrscher zu stürzen, entsprach durchweg eine vollständige Ohnmacht, eine neue gesellschaftliche Ordnung ins Auge zu fassen.“6
Die Erfahrungen der proletarischen Kämpfe der letzten Jahrzehnte sprechen eine deutliche Sprache: Sie zeigten, dass die lohnabhängige Klasse immer wieder erstaunliche Kräfte mobilisieren kann, ohne dadurch auch nur das Geringste zu erreichen. Trotz einer Beteiligung an Protesten, welche die Welt in diesem Ausmaß wohl noch nie gesehen hat und Kampfzyklen, die länger als gewöhnlich andauerten, ist die Herrschaft der Bourgeoisie weniger gefährdet denn je. Es stellt sich nun die Frage, welchen Schluss man aus dieser Einschätzung über die Beschränktheit der Kämpfe zieht. Im gleichen Text des Kosmoprolet heißt es dazu am Ende: Aus der Spontaneität der proletarischen Klasse seien „allein keine Wunder zu erwarten“. Auch der Text Umrisse der Weltcommune grenzt sich von einem „revolutionären Spontaneismus“ ab, dessen Anhänger „auf das Wachstum der Weltarbeiterklasse“ und „die automatische Entfaltung der Kämpfe“ hofften. Wir teilen diese Einsicht in die Begrenztheit der Fähigkeiten der Klasse, spontan die notwendigen Kräfte auszubilden, die für eine Umwälzung der kapitalistischen Verhältnisse nötig wären. Die Frage ist dann aber, was tun, um diese begrenzten Kräfte der Spontaneität zu überwinden? Welche Zutaten braucht es, damit aus Orientierungslosigkeit eine Orientierung wird und die Arbeiter:innenklasse eine politische Autonomie herausbilden kann? Welche Rolle können Kommunist:innen dabei spielen? Wie wir zeigen werden, bleiben der Kosmoprolet und Endnotes eine Antwort auf diese Fragen weitgehend schuldig. Obwohl sie in ihrer Analyse eine autonome Klassenbildung in spontanen Prozessen keineswegs voranschreiten sehen, wird die Frage, wie sich proletarische Autonomie herausbilden kann, nicht als Frage der Organisation thematisiert.
2. Selbstverschuldete Perspektivlosigkeit
Die Rolle, die Kommunist:innen in den gegenwärtigen Kämpfen spielen können, um diese voranzutreiben, fällt im sozialrevolutionären Milieu relativ bescheiden aus. Die Redaktion des Kosmoprolet sieht die Aufgabe der Kommunist:innen darin, „die wenigen Kämpfe entlang der Frontlinie der Klassen [zu] unterstützen und bekannt [zu] machen“7 sowie „in diesen Auseinandersetzungen die lähmenden von den vorwärtsweisenden Momenten zu scheiden, die egoistisch-lokalistisch und ständischen, von denen, die auf Ausweitung und Kommunisierung zielen.“8. Was konkrete Forderungen und Vorstellungen einer anderen Gesellschaft angeht, wurde hier lange eine negative Praxis bevorzugt, die es sich zur Aufgabe machte, die beschränkten Reformforderungen sozialer Bewegungen zu kritisieren und stattdessen durch die „Betonung der Selbsttätigkeit und der Selbstverantwortung den Kommunismus für die Kämpfenden erstmals denkbar [zu] machen.“9 Eine gewisse Distanzierung von der rein negativen Praxis stellte zuletzt der bereits erwähnte Text Umrisse der Weltcommune dar, in dem der Versuch unternommen wird, zumindest in Ansätzen eine Vorstellung davon zu entwickeln, was an die Stelle der bestehenden Ordnung treten soll. Denn „stellt man sich die Revolution nicht als das blaue Wunder vor, als etwas, das die Proletarier im Eifer des Gefechts beinahe aus Versehen machen, spontan und ohne jedes vorab gefasste Ziel, [...] dann scheint eine Verständigung über die Grundzüge der klassenlosen Gesellschaft allemal sinnvoll.“ Und weiter heißt es: „[N]och nie hat eine kontinuierliche Bewegung entschlossen gegen das Bestehende aufbegehrt, ohne wenigstens eine vage Ahnung davon zu haben, was an seine Stelle treten könnte. Die rein negative Kritik des Bestehenden, die manche Linksradikale beschwören, kann es gar nicht geben.“
Unbeantwortet bleibt in diesen Überlegungen die Frage nach der Vermittlung zwischen den Kämpfen auf der einen und dem Ziel einer kommunistischen Gesellschaft auf der anderen Seite: „Zwischen dem Ist-Zustand und der möglichen Commune tut sich ein riesiger Abgrund auf und der hier skizzierte Sprung über diesen Abgrund hat unbestreitbar gewisse abenteuerliche Züge.“ Auch der Hinweis am Ende des Textes, dass die Überwindung des Kapitalismus nur als „eine wilde Bewegung der Besetzungen vorstellbar ist, die sich allem bemächtigt, was für sie von Nutzen ist“, weist keinen Weg über den Abgrund.
Auch Endnotes schaffen es in ihrer Analyse der gegenwärtigen Klassenkämpfe nicht, eine positive Antwort auf dieses Vermittlungsproblem zu liefern. Das Fehlen einer dezidiert sozialistischen Perspektive und eigenständiger proletarischer Organisationen nehmen sie noch nicht einmal als die gegenwärtige Schwäche war, sondern erklären es im bereits genannten Text Onward Barbarians absurderweise zum neuen revolutionären Potenzial. Die Bildung der alten Arbeiter:innenbewegung auf der Grundlage von Massenorganisationen und einer geteilten Identität habe auf einer bestimmten Entwicklungsphase des Kapitalismus basiert und sei insbesondere ein Ausdruck des einstigen Aufstiegs des Industrieproletariats gewesen. Dagegen könne die Arbeiter:innenklasse heute aufgrund ihrer zunehmenden Fragmentierung und Atomisierung solche Formen nicht mehr hervorbringen, sondern ihre Gemeinsamkeiten nur noch in Revolten und ohne positiven Bezug auf jegliches Arbeiter:innenbewusstsein herausbilden. Die „Non-movements“ seien der Ort, an dem die atomisierten Lohnabhängigen durch kollektive Aufstände die Welt als veränderbar erführen und in denen sich ein weniger domestizierter „new type of human“ herausbilde. Zwar räumen Endnotes die Notwendigkeit einer Form von Organisation ein, meinen aber, diese müsse sich organisch und spontan aus der Bewegung heraus bilden und eine „invisible party“ ohne formelle Struktur bleiben. Als Hoffnungsträgerin dient ihnen, in diesem Fall ganz in rätekommunistischer Tradition, die kapitalistische Endkrise: „Da die Nicht-Bewegungen [...] der subjektive Ausdruck der Stagnation des Kapitalismus sind, ist es vielleicht ihre wichtigste Aufgabe, sich dieses latenten Zustands bewusst zu werden und sich auf das mögliche Ende eines Systems vorzubereiten, das sich bereits im chronischen Niedergang befindet.“10
Völlig ungeklärt bleibt in dieser Perspektive, warum die proletarischen Massen ausgerechnet in einem chaotischen, spontanen Prozess ein revolutionäres Bewusstsein und eine Klarheit über ihre politischen Interessen ausbilden sollten, die sie zur Umwälzung der Gesellschaft befähigt. Diese Position bleibt der entscheidenden Frage, unter welchen Bedingungen die Arbeiter:innenklasse revolutionär wird oder konkreter: unter welchen Bedingungen sie das Bewusstsein über die eigenen Interessen als Klasse erlangen kann und Fähigkeiten ausbildet, um die Gesellschaft in ihrem eigenen Sinne umzuwälzen, eine Antwort schuldig. Statt aus der Not eine Tugend zu machen, sollten wir uns die Schwäche, die aus der zunehmenden Atomisierung folgt, erst einmal eingestehen. Deindustrialisierung und die Entstehung neuer Arbeitsformen jenseits der konzentrierten industriellen Sektoren führten zum Niedergang des Betriebs als Kulminationspunkt sozialer Auseinandersetzungen. Das Fehlen dieser kollektiven Orte erschwert die Möglichkeiten, gemeinsame politische Formen und Organisationen des Kampfes zu finden und eine kollektive Identität sowie Klassenbewusstsein auszubilden. Entsprechend fragmentiert und orientierungslos bleiben die spontanen Kämpfe.
Falsche Koordinaten
Nach unserer Auffassung resultiert dieser Mangel aus dem – geschichtlich begründeten – rätekommunistischen Koordinatensystem, in dem Organisationen wie Gewerkschaften und Arbeiter:innenparteien nur eine konterrevolutionäre Rolle in der Arbeiter:innenbewegung spielen könnten. Der von diesen Organisationen gegenüber dem Proletariat vertretene Führungsanspruch hätte sich an ihrer konservativen bis diktatorischen Rolle gegenüber den Bewegungen der Klasse diskreditiert. Revolutionäre Organisationen könnten dagegen nur spontan aus Massenkämpfen entstehen und deshalb bleibe der kommunistischen Minderheit zunächst nichts anderes übrig, als in Theoriezirkeln zu überwintern und eine radikalisierende Kritik in die spontanen Bewegungen zu tragen. Wie wir oben gesehen haben, beläuft sich diese Intervention im Wesentlichen darauf, die Beschränktheit der Kämpfe zum Vorschein zu bringen und sie in Richtung einer radikalen Umwälzung der bestehenden Verhältnisse zu stoßen. Wie aber bereits Robert Schlosser in Richtung der Freundinnen festgehalten hat, nimmt man sich durch diese grundsätzliche Antipolitik die Möglichkeit, mehr zu erreichen „als die Kommentierung von Kämpfen oder die theoretische Analyse. Wer nichts anderes zu bieten hat als ‚den Kommunismus‘, der wird von den sozialen Bewegungen immer getrennt bleiben“.
Diese Herangehensweise wird getragen von einer Krisentheorie, derzufolge die beschränkten Kämpfe der Lohnabhängigen schon von sich aus über das Bestehende hinausweisen, insofern sie – aufgrund einer unlösbaren Verwertungskrise des Kapitals – innerhalb des Kapitalismus nicht mehr befriedet werden könnten. In diesem Sinne schreibt etwa die Gruppe Eiszeit in ihrer Kritik der Gewerkschaften, dass den Lohnabhängigen eigentlich kein anderer Ausweg übrig bliebe, als den „Umsturz der Verhältnisse“ auf die Tagesordnung zu setzen, da die „Forderungen der Kämpfenden“ häufig „im Widerspruch zu den in die Krise geratenen Verwertungsbedingungen des Kapitals“ stünden. Und mit Blick auf die Krisenproteste 2008ff. heißt es im Editorial #3 des Kosmoprolet: Die Lohnabhängigen „stehen vor der Wahl, alles zu schlucken oder alles abzulehnen.“ Die Aufgabe der Kommunist:innen scheint dann darin zu bestehen, diesen Umstand auch ins Bewusstsein der Massen zu heben. Dass Kommunist:innen mit einem eigenen Programm auftreten, das als Sammelpunkt für den Widerstand gegen das Kapital dienen könnte, wird hingegen als Andienung an das Massenbewusstsein abgelehnt.11 Damit bleiben sie in einem äußerlichen Verhältnis zu den vor sich gehenden Bewegungen, die sie immer nur in ihrer Entfaltung oder nach ihrer Niederlage kritisch autopsieren können. Nicht aufgrund eines naiven Krisenoptimismus, sondern infolge der theoretisch bedingten Unfähigkeit, eine politische Vermittlung zwischen den spontanen Kämpfen der Klasse und dem kommunistischen Endziel zu entwickeln, regiert in letzter Instanz doch die Hoffnung auf ein automatisches Anwachsen und eine Radikalisierung der Kämpfe: „Die Entwicklung der Börsenkurse kann eine Situation schaffen helfen, in der die Gegnerschaft zu den Verhältnissen nicht mehr folgenlose Angelegenheit weniger, sondern praktische Tätigkeit vieler ist.“12
Wir denken nicht, dass diese Position auf einem soliden historischen Fundament steht und eine überzeugende strategische Perspektive für unsere Gegenwart eröffnen kann. Im Folgenden werden wir dies entlang von drei Thesen entwickeln:
1.) Die revolutionären Massenbewegungen des frühen 20. Jahrhundert wären ohne die organisatorische Vorarbeit der sozialdemokratischen Parteien überhaupt nicht möglich gewesen. 2.) Arbeiter:innen können nur durch ihre Organisationen als Klasse handeln. Will man den reformistischen und reaktionären Kräften dabei nicht das Feld überlassen, muss man um diese bestehenden Organisationen kämpfen oder eine effektive Alternative zu ihnen entwickeln. 3.) Die Konstituierung der Lohnabhängigen zu einer politisch selbstständigen Klasse ist unweigerlich mit der Partei als Form der politischen Organisation verbunden.
In einem letzten Teil werden wir ausgehend von der zuvor entwickelten Kritik dafür plädieren, die Entwicklung einer politischen Alternative mit den Tageskämpfen der Proletarisierten zu verbinden. Wir brauchen deshalb auch ein Minimalprogramm, das auf innerkapitalistische Reformen zielt, die die defensiven und offensiven Kräfte der Arbeiter:innenklasse vis-á-vis dem Kapital so weit stärken würden, dass sie imstande wäre, das Maximalprogramm der Überwindung von Kapital und bürgerlichem Staat umzusetzen.
Die positive Rolle der Sozialdemokratie
Ein Blick in die Geschichte der Klassenkämpfe führt uns vor Augen, dass die Möglichkeit erfolgreicher proletarischer Revolutionen nie allein auf der Spontaneität unorganisierter Massen beruhte, sondern gerade da aufblitzte, wo auf Grundlage von eigenständigen Klassenorganisationen zumindest ein Teil des Proletariats ein entwickeltes Klassenbewusstsein ausgebildet hatte. Exemplarisch lassen sich hier die revolutionären Bewegungen 1905-1921 in Russland, Ungarn, Deutschland, Italien und weiteren Ländern anführen. Keine dieser Bewegungen wurde durch eine Parteizentrale angeordnet, sondern war das Produkt spontaner Erhebungen der Massen. Dies waren jedoch sozialdemokratische Massen, Arbeiter:innen, deren Bewusstsein der eigenen Macht sich durch das Wirken der organisierten Arbeiter:innenbewegung herausgebildet hatte. Die Vorhut der Rätebewegungen bildeten nicht die unorganisierten Massen sondern seit Jahren organisierte Arbeiter:innen in den sozialdemokratischen Zentren. Die klassenbewussten Mitglieder der Arbeiter-, Soldaten- und Matrosenräte in Petrograd und Moskau, welche die Oktoberrevolution maßgeblich mit vorantrieben, hatten ihr politisches Bewusstsein in der sozialdemokratischen Partei und den Gewerkschaften erworben. Und es war das so einfache wie revolutionäre Programm unter der Parole „Frieden, Land, Brot, Freiheit“, das den Bolschewiki den Zuspruch der Massen und die Mehrheit in den Räten sicherte. Ähnliches lässt sich für die Novemberrevolution in Deutschland feststellen: Es war die aktive Basis der SPD und USPD in den industriellen Zentren, die die Novemberrevolution über ihren zunächst zurückhaltenden republikanischen Charakter hinaustrieb, Rätestrukturen in Städten und Betrieben bildete und die Übertragung der politischen Macht auf die Räte forderte. Ohne den jahrelangen Aufbau der Arbeiter:innenbewegung durch deren Organisationen wäre weder die Novemberrevolution noch die sich radikalisierende Rätebewegung zustande gekommen. Denn auch diese radikaleren Teile der Arbeiter:innenbewegung hatten ihren Ursprung in eben jenen Massenorganisationen – ungeachtet der integrierenden Rolle, die sie gleichzeitig ausüben konnten. Sie waren es, die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weiten Teilen des Proletariats ein wachsendes Klassenbewusstsein und eine rudimentäre marxistische Weltanschauung vermittelten. Dies beinhaltete auch ein Bewusstsein über die kollektive Stärke und die Fähigkeit, als Klasse die Welt ganz anders einzurichten.
Wenn wir aus der Geschichte der frühen Arbeiter:innenbewegung lernen wollen, dann sollten wir nicht nur die Schwächen und Fehler ihrer Organisationen benennen, sondern auch verstehen, dass sie zugleich die subjektiven Bedingungen für die Möglichkeit einer erfolgreichen proletarischen Revolution hergestellt haben. Dieser positive Beitrag wird in der rätekommunistischen Tradition weitgehend verleugnet und das politische Versagen der revolutionären Tendenz in der Sozialdemokratie nicht als ein solches reflektiert, sondern zu etwas Unvermeidlichem verdinglicht, das aus der Form der Massenorganisation selbst resultiere. Es gibt zweifellos eine Tendenz zur bürokratischen Herrschaft in Massenorganisationen. Mit dem Anwachsen der Organisation steigt die Komplexität und der Umfang von Aufgaben und Entscheidungen derart an, dass es unmöglich wird, ohne Arbeitsteilung, Delegation und schließlich einen hauptamtlichen Apparat auszukommen. Dieser droht sich gegenüber der Basis zu verselbstständigen, eigene Interessen auszubilden und gleichzeitig die Basis in eine passive Rolle zu bringen und von sich abhängig zu machen. Anstatt nun aber die existierenden Organisationen aufgrund der Dominanz eben solcher auf Klassenfrieden und bürokratische Verfahrensweisen verpflichteten Kräfte rechts liegen zu lassen, wäre vielmehr zu diskutieren, welche organisatorischen Maßnahmen geeignet wären, um eine solche Entwicklung zu verhindern und darum zu kämpfen, dass sie zu Stützpunkten für eine Emanzipationsbewegung der Lohnabhängigen werden. Aus unserer Sicht bedarf es etwa effektiver Mechanismen der demokratischen Kontrolle von unten, die es der Basis erlauben würde, gegen Entscheidungen der Führung vorzugehen, einer Beschränkung der Gehälter von Hauptamtlichen auf einen durchschnittlichen Lohn sowie Foren für eine freie Diskussion unter den Mitgliedern der Organisation. Damit wäre selbstverständlich nicht verbürgt, in welche Richtung sich diese Organisationen politisch entwickelt. Aber es wäre die Bedingung für einen offenen Richtungskampf und für die Möglichkeit der Lohnabhängigen, vermittels ihrer Organisationen als Klasse zu handeln.
Wir halten diese Diskussion für entscheidend, da auch in der Gegenwart kein Weg an Massenorganisationen der Klasse vorbeiführt, auch nicht für eine Massenbewegung von unten.
Die negative Macht der Arbeiter:innenorganisationen
Obwohl Gewerkschaften in den letzten Jahrzehnten in die Defensive gedrängt wurden und die klassischen Massenparteien der Arbeiter:innenklasse kaum unterscheidbaren catch-all-Parteien Platz gemacht haben, müssen auch Revolutionär:innen, die die Massenorganisation aufgrund der beschriebenen integrativen Tendenzen ablehnen, heute noch mit diesen rechnen. Denn die Arbeiter:innen werden durch die Produktionsverhältnisse nicht nur dazu getrieben, sich zu wehren und sich zu diesem Zweck Formen der Selbstorganisation in den Kämpfen zu schaffen, sondern auch dazu, diese Organisationen auf eine stabile Grundlage zu stellen, um den Kampf für ihre Interessen dauerhaft führen zu können. Deshalb werden Klassenorganisationen wie Gewerkschaften nicht verschwinden und mit dem Aufleben der Klassenkämpfe häufig linke Parteien gestärkt.
Der Gedanke, eine spontane Bewegung könne diese Organisationen einfach umgehen, scheint uns illusionär. Weitaus wahrscheinlicher ist das wieder und wieder bestätigte Szenario, wonach die etablierten Massenorganisationen in einer solchen Situation selbst über bedeutsame radikale Minderheiten innerhalb und außerhalb dieser Organisationen siegen würden. Sei es in Deutschland 1918/19, in Frankreich 1968 oder in Portugal 1974/75 – trotz gewaltiger Massenbewegungen, wilden Streiks und Besetzungen gelang es den etablierten Organisationen, die Oberhand zu behalten und die Bewegung in kontrollierte Bahnen zu lenken. In einem Augenblick des Aufstands sind die mobilisierten Massen zwar zu eigenständigen Aktionen fähig und entwickeln eine Kreativität, die geeignet ist, den engen Rahmen der bürgerlichen Legalität zu sprengen und neue Formen der Klassenmacht zu bilden. Jedoch werden in einer revolutionären Krise auch die existierenden Klassenorganisationen gestärkt, da sie bereits zuvor die kämpfenden Teile der Klasse an sich gebunden haben und als Organisationen in der Lage sind, politische Macht auszuüben.
Das lässt sich in abgeschwächter Form in Phasen des sozialen Aufruhrs beobachten, wenn nach Wochen von Massenprotesten eine linke Partei in die Regierung gehievt wird. Die Hoffnung dagegen, dass die zuvor unorganisierten Massen zur treibenden Kraft der Revolution werden, erscheint zumindest unter der Voraussetzung fragwürdig, dass jene in vorrevolutionären Zeiten noch nicht einmal rudimentäre Formen von Klassenbewusstsein ausgebildet haben. Die mit der Zuversicht in die Spontaneität verbundene Hoffnung, die zur Konterrevolution tendierende Bürokratie ließe sich durch die Massen einfach ausmanövrieren, führt nicht besonders weit. Ihrer Rolle im Klassenkampf und insbesondere in einer revolutionären Situation muss daher Rechnung getragen werden, und Revolutionär:innen täten gut daran, eine Strategie zu entwickeln, die diese Organisationen nicht einfach den staatsloyalen Kräften überlässt. „Die Flucht in die Spontaneität kennzeichnet [dagegen] die tatsächliche oder eingebildete Unfähigkeit, wirkungsvolle Organisationsformen auszubilden und sich ‚realistisch‘ mit bestehenden Organisationen auseinanderzusetzen.“13
Aber es muss natürlich nicht nur mit den integrativen Kräften von Innen, sondern vor allem auch mit den konterrevolutionären Kräften von außen gerechnet werden. So etwa zuletzt in Ägypten, wo nach dem Sturz des Regimes im Zuge des arabischen Frühlings die Muslimbrüder an die Macht gelangten, weil diese im Gegensatz zu den demokratischen Kräften eine organisierte politische Kraft mit sozialer Basis waren. Wenn es am Ende der Umrisse der Weltcommune heißt, dass die Überwindung des Kapitalismus nur als „eine wilde Bewegung der Besetzungen vorstellbar ist, die sich allem bemächtigt, was für sie von Nutzen ist“, wird über das Problem der politischen Alternative und der Konterrevolution einfach hinweggegangen. Dabei zeigt uns die historische Erfahrung revolutionärer Krisen, dass die Herrschenden selten bereits so schwach sind, dass sie nicht um die Macht kämpfen würden. Es scheint also nicht sehr plausibel zu glauben, ein neuer revolutionärer Anlauf der lohnabhängigen Klasse würde sich ohne Widerstand und simultan auf dem gesamten Planeten vollziehen. Vielmehr muss mit dem ungleichzeitigen Vordringen, mit Siegen und Niederlagen innerhalb einer längeren revolutionären Phase gerechnet werden. Es wäre naiv zu glauben, man könnte in einer solchen Situation ohne eigene Massenorganisationen auskommen, die in der Lage wären, die eigenen Kräfte zu koordinieren und als eine alternative politische Autorität zu wirken. Auch eine mögliche zukünftige Kommune müsste zunächst „Regierungsmittel“14 anwenden. Sie benötigte anstelle des bürgerlichen Staates mit seiner Bürokratie, seinen bewaffneten Kräften, seinen Gerichten eine „eigne Gewalt, den Unterdrückern entgegengesetzt und gegen sie organisiert“15. Die Notwendigkeit einer zentralen politischen Entscheidungsgewalt zu leugnen, wird nur verhindern, diesen Umstand angemessen zu theoretisieren und einer möglichen Verselbstständigung dieser Gewalt präventiv entgegenzuwirken.
Das Problem der politischen Autorität
Die Rätekommunist:innen damals und ihre Nachfolger:innen heute befinden sich in einer widersprüchliche Rolle gegenüber den Kämpfen der Arbeiter:innenklasse. Einerseits jenseits der Massenbewegungen und den Klassenorganisationen – damals in Form einer „Elite-Partei“16, heute in kleinen Zirkeln – andererseits auf dem Sprung, sich als „historische Partei im klassenbewussten Proletariat auf[zulösen], … das für seine Selbstaufhebung bereits weltweit kämpft.“17 Dies ist ein erfolgloser Versuch, das Problem der politischen Führung wieder zum Verschwinden zu bringen, welches in der Notwendigkeit der kommunistischen Zirkel zunächst anerkannt wird. Es impliziert eine lineare Vorstellung von der Entwicklung des Klassenkampfes und des Klassenbewusstseins, nach der das Proletariat, nachdem es sich einmal zum „klassenbewussten Proletariat“ gemausert hat, weder inneren Richtungsstreit kennt noch gegensätzlichen politischen Interventionen durch andere Klassen ausgesetzt wäre. Dies gleicht der Auffassung der frühen Rätekommunist:innen, die nicht für den Aufbau einer Massenpartei, sondern für die Bildung von Arbeiter:innenräten als eine Alternative zu diesen Parteien eintraten. Es brauchte danach keine revolutionäre Partei, sondern eine revolutionäre Klasse, die sich die entsprechenden Organe der Klassenmacht jenseits der Partei schaffen müsse – eben die Räte. Das Problem der politischen Autorität wird damit aber keineswegs gelöst, sondern nur verschoben, denn damit ist ja nicht gesagt, wofür die Räte eintreten. Die Mitglieder derselben werden hier wiederum als Masse mit einem homogenen, revolutionären Klassenbewusstsein vorgestellt.
Ein Blick auf die Rätebewegung der Novemberrevolution zeigt hingegen, dass es gerade in den Räten darauf ankam, für die eigene politische Position einzutreten. Delegierte in den Räten waren in der großen Mehrheit aktive Parteimitglieder der SPD, USPD und KPD, die über den weiteren Verlauf der Revolution und die Gestaltung der politischen Strukturen miteinander stritten. Die Hegemonie der Mehrheitssozialdemokratie in den Räten trug schließlich mit dazu bei, dass diese ihre Macht nicht ausbauten, sondern sich den bürgerlichen Organen unterordneten. Rätestrukturen sind also nicht qua ihrer Natur revolutionär, sondern können nur dann eine revolutionäre Wirkung entfalten, wenn sie auch ein revolutionäres Ziel verfolgen, das innerhalb derselben von einer Mehrheit geteilt werden muss. Beim Versuch, dieses Problem zu umgehen, landet Pannekoek bei der vielsagenden Lösung, nach der „das Rätesystem ausschließlich für eine revolutionäre Arbeiterklasse geeignet ist.“18 Womit auch er auf eine lineare und homogenisierende Vorstellung der Klassenbildung zurückgreifen muss.
Partei und Klasse kommen auch in einer revolutionären Krise nicht zuharmonischer Deckung. Die Arbeiter:innenklasse selbst ist nicht nur hinsichtlich ihrer Arbeits- und Lebensverhältnisse, sondern auch hinsichtlich ihrer Anschauungen und Überzeugungen heterogen. Innerhalb der Arbeiter:innenbewegung werden immer unterschiedliche Vorstellungen über die eigenen Interessen und Ziele herrschen, die auch in spontanen Revolten und revolutionären Momenten nicht verschwinden werden. Die Vorstellung, dass sich die Parteien in der kämpfenden Klasse auflösen müssen, führt nicht weiter, weil sie den inneren Richtungskampf überdeckt, der zwischen den verschiedenen Tendenzen innerhalb der Arbeiter:innenbewegung ausgetragen wird und ausgetragen werden muss. Ob nun als formale Partei konstituiert, als Landschaft zersplitterter Zirkel oder nur als eine lose Assoziation: Kommunist:innen bilden aufgrund ihrer politischen Ziele eine von mehreren Strömungen innerhalb dieser Arbeiter:innenbewegung. Wollen sie die Hegemonie erlangen, müssen sie als organisierte Kraft die Mehrheit der Lohnabhängigen für ein kommunistisches Programm gewinnen. Sollte sich eine revolutionäre Bewegung mit Räten oder ähnlichen Machtorganen der Klasse bilden, kommt es darauf an, welches politische Programm – und das bedeutet letztlich: welche Partei – sich in der Arbeiter:innenbewegung und damit in den Räten und schließlich in der Gesellschaft als Ganzer durchsetzt und damit auf die aktive Unterstützung durch die Massen hoffen kann.
Die eingangs gestellte Frage, wie die Arbeiter:innenklasse in einer revolutionären Krise tatsächlich ihre Autonomie als Klasse zur Geltung bringen und an die Stelle der bürgerlichen Ordnung ihre Selbstregierung und damit eine neue politische Autorität setzen kann, ist unweigerlich mit der Partei als Form der politischen Organisation verbunden. Denn nur eine Partei kann in einer revolutionären Krise und der Zuspitzung des Klassenkampfs auf Grundlage ihres Programms die notwendige organisatorische und politische Kohärenz ausbilden, die nötig ist, um an die Stelle der alten Ordnung eine neue Commune-Verfassung zu setzen.
3. Perspektive
Die rätekommunistische Tradition war und ist eine Antwort auf das desaströse Scheitern der sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien. Gegen das selbstdestruktive Klassenbündnis der Sozialdemokrat:innen mit den nationalen, bürgerlichen Kräften und die Partei- und Staatsbürokratie der Sowjetunion erscheint die rätekommunistische Stellungnahme für die freie Selbsttätigkeit der Massen fast schon als ein moralisches Gebot. Während wir die organisierten Kräfte für katastrophale politische Entscheidungen verantwortlich machen können, die uns heute noch wie ein Alptraum verfolgen, lassen sich solche Vorwürfe schwerlich gegen die spontanen Bewegungen der Massen und ihre rätekommunstischen Verteidiger:innen erheben. Und doch sind auch sie überall gescheitert, wo sie aufgetreten sind. So nachvollziehbar und konsequent die Kritik der Parteien durch den Rätekommunismus auch ist – auch er konnte bisher den Widerspruch zwischen Organisation und Spontaneität, zwischen Bürokratie und Demokratie, zwischen Führung und Masse nicht lösen und landete damit in einer Sackgasse. Mit der Ablehnung proletarischer Organisationen löst er den Widerspruch nur zu einer Seite hin auf und kann nur darauf hoffen, dass das notwendige Klassenbewusstsein aus den spontanen Massenbewegungen selbst entsteht. Darin verfällt er einer Mystik der Massen, die dieser Strömung seit jeher anhaftet. Damit vertritt er gegenüber der Klasse einen apolitischen Standpunkt, weil er es nicht vermag, selbst an einem Prozess der Bewusstseinsentwicklung mitzuwirken, der die Klasse in den Stand versetzen würde, eine realistische revolutionäre Perspektive zu entwickeln.
Es wäre aber genau die Aufgabe von Kommunist:innen, die Frage zu beantworten, auf welcher organisatorischen und politischen Grundlage die Klasse der Lohnabhängigen dazu befähigt wird, die politische Macht zu erobern, an die Stelle des bürgerlichen Staates eine demokratische Selbstregierung zu setzen und eine soziale Revolution in Gang zu setzen.
Die Arbeiter:innenklasse wird nur dann zu einer solchen revolutionären Umwälzung fähig sein, wenn große Teile von ihr sich als bewusstes, kollektives Subjekt konstituieren. Soll sich der spontane Unmut über einzelne Missstände oder auch nur ein diffuses Unbehagen an der gegenwärtigen Gesellschaft zu einem sozialistischen Bewusstsein von der Notwendigkeit ihrer Umwälzung fortentwickeln, so bedarf es eigenständiger Klassenorganisationen, die diese Bildungsprozesse auf breiter Front fördern, die Interessen der Klasse vertreten und eine Gegenmacht zu den herrschenden reaktionären Kräften aufbauen. Ohne dass sich in diesen Bildungsprozessen eine Alternative zur gegenwärtigen Ordnung entwickelt und organisatorisch-politisch in den Klassenkämpfen präsent wird, wird das Leiden der Vielen sprachlos bleiben oder sich in ziellosen Ausbrüchen einen Weg suchen, der letztlich in Frustration oder den geordneten Bahnen der herrschenden Politik endet.
Die Angry Workers of the World haben kürzlich die Notwendigkeit einer programmatischen Orientierung gegen Endnotes festgehalten: „Times are getting harder, there is a necessity to develop a more concrete strategy.“19 Ihr Vorschlag besteht in der Etablierung einer kommunistischen Partei und der Entwicklung eines revolutionären Programms, „das in pragmatischer Weise festhält, was die Aneignung der Produktionsmittel bedeutet“20. Dafür müssten Kommunist:innen in den alltäglichen Kämpfen der Lohnabhängigen, am Arbeitsplatz und in den Nachbarschaften, verwurzelt sein.
So wichtig die Unterstützung von und Partizipation in diesen Kämpfen auch mit Sicherheit ist, bleibt die Perspektive beschränkt, da die Angry Workers einem resoluten Maximalismus anhängen. Wie auch die Freundinnen und Freunde lehnen sie es ab, in Form von „Bittstellereien an den Staat“21 irgendwelche politischen Forderungen zu formulieren, die nicht unmittelbar auf die Revolution zielen.
Die Angry Workers haben zwar völlig Recht, wenn sie die weit verbreitete Vorstellung von dem Potenzial reformerischer Forderungen als „Tricks der Übergangsforderungen“22 kritisieren. Diese Perspektive der Übergangsforderungen, die im Trotzkismus ihren Ursprung hat, besteht darin, populäre Forderungen zu formulieren, die zugleich jedoch unter den gegebenen Bedingungen unerfüllbar sind. Gerade in dieser Unerfüllbarkeit läge das Potenzial, die Kämpfe zu radikalisieren und über den Kapitalismus hinauszutreiben. Das Problem dieser Herangehensweise ist, dass überhaupt nicht klar ist, wie aus der Unerfüllbarkeit der Forderungen eine Perspektive für eine sozialistische Gesellschaft erwachsen soll.23
Die Angry Workers entkommen aber mit ihrem antipolitischen Maximalismus dem Problem ebensowenig, dass Kommunist:innen nicht nur eine ökonomische, sondern zugleich eine politische Alternative zum Kapitalismus formulieren und sichtbar machen müssen. Sie sollten nicht nur ein Maximalprogramm formulieren, sondern auch ein Minimalprogramm, das auf innerkapitalistische Reformen zielt. Neben Forderungen, die die ökonomische Konkurrenz innerhalb der Arbeiter:innenklasse abmildern, muss dieses Minimalprogramm vor allem politische Forderungen nach Demokratisierung und Kommunalisierung enthalten, deren Umsetzung es der lohnabhängigen Mehrheit erlauben würde, tatsächlich die politische Macht auszuüben und konterrevolutionäre Bestrebungen zu verhindern.24 Dafür benötigt es allerdings ein organisatorisches Gerüst, in dem das dafür notwendige Bewusstsein und eine alternative Form politischer Autorität heranwachsen kann. Eine solche Partei wäre kein staatsloyaler Wahlverein, sondern müsste in fundamentaler Opposition zu den herrschenden Parteien agieren und würde den parlamentarischen Zirkus – wenn überhaupt – als Bühne nutzen, um die grundsätzliche Kritik an der bürgerlichen Verfasstheit der Gesellschaft hörbar zu machen und mit dem Kampf um konkrete Reformen zu verbinden.
Deshalb plädieren wir dafür, dass revolutionäre Kräfte, denen es um die Herausbildung eines sozialistischen Bewusstseins über den eigenen Zirkel hinaus geht, langfristig daran arbeiten, einen wahrnehmbaren marxistisch-sozialistischen Pol innerhalb der Arbeiter:innenbewegung zu bilden. Dazu müssen sie beginnen, sich auf der Grundlage eines gemeinsamen Programms organisatorisch zu vereinigen. Das politische Sektenwesen, das insbesondere innerhalb der radikalen und marxistischen Linken herrscht, muss überwunden werden zu Gunsten einer strömungsübergreifenden Organisierung, die unter einer gemeinsamen Zielsetzung politische und theoretische Differenzen diskutiert und toleriert. Die Differenzen müssen dabei nicht verschwinden, sondern könnten in Form von Fraktionen sichtbar bleiben.
Erst eine solche organisatorische Vereinigung würde ein politisches Subjekt, ein „Wir“ schaffen, das ernsthaft über Fragen der revolutionären Strategie diskutieren könnte, da es diese auch in die Tat umzusetzen in der Lage wäre. Dabei stünde sicherlich kein atemloser Aktivismus auf der Tagesordnung, sondern zunächst zuvorderst die Verstetigung und Fokussierung der theoretischen Arbeit als Teil eines kontinuierlichen (Selbst-)Aufklärungs- und Forschungsprozesses, der notwendig wäre, um einen Beitrag zur politisch selbständigen Organisation der Lohnarbeiter:innen zu leisten.
Dabei tut jede Diskussion über die Frage einer gelingenden organisatorischen Praxis unter den gegebenen Verhältnissen zweifellos gut daran, die Kritik der antiautoritären kommunistischen Tradition an den vergangenen Organisationsversuchen der Arbeiter:innenparteien in sich aufnehmen. Dabei wäre allerdings produktiver vorzugehen: Bisher bestand die Antwort dieser Tradition auf die Probleme der Organisation – Bürokratie und Verselbständigung des Apparats, Passivität der Mitglieder und mangelnde Demokratie – darin, sich im politischen Jenseits politischer Zirkel zu organisieren. Damit aber wird das eigene Sektenwesen bis in alle Ewigkeit fortgeschrieben. Die alternative Position bestünde darin, zu erarbeiten, wie eine kommunistische Organisation mit all diesen Fallstricken umgehen kann und sich in seiner eigenen Praxis den Problemen der Organisierung aktiv zu stellen. Dafür gibt es viele Fragen zu diskutieren, etwa wie die aktive Beteiligung der Mitglieder und die weitestgehende Autonomie lokaler Strukturen gefördert werden kann, ohne die Bedeutung der gemeinsamen politischen Perspektive zu negieren, oder welche demokratischen Mechanismen notwendig sind, um Tendenzen der Bürokratisierung und Verselbständigung einzelner Interessen entgegenzuwirken.
Es ist klar, dass die Lohnabhängigen nicht auf eine weitere Sekte gewartet haben, die sich als „Generalstab“ der Revolution imaginiert und meint, eine solche durch ihre Agitation herbei- und durchführen zu können. Eine revolutionäre Massenpartei lässt sich nicht einfach voluntaristisch von heute auf morgen aus dem Hut zaubern. Unser Beitrag ist daher auch kein unmittelbarer Praxisvorschlag, sondern zielt darauf, die Notwendigkeit einer solchen Partei zu begründen und als strategischen Horizont unserer gegenwärtigen Praxis zu etablieren. Gleichzeitig ist unsere Perspektive keine Alternative zum kleinteiligen Arbeiten und Agitieren in den Kämpfen der Lohnabhängigen, wo auch immer diese gerade stattfinden mögen. Es ist vielmehr ein Vorschlag, wie Kommunist:innen in diesen Kämpfen sichtbarer ihre Kritik und Visionen formulieren könnten. Was für eine konkrete Praxis aus dieser programmatischen Orientierung zu folgen hätte, differiert je nach Ort und den jeweiligen politischen Verhältnissen und müsste anhand dieser Besonderheiten im Detail diskutiert werden. Auf jeden Fall aber sollten wir den Holzweg verlassen, auf dem inmitten fundamentaler linker Irrelevanz nichts wichtiger erscheint als „die Spaltung der Linken in EtatistInnen und Antiautoritäre zu befördern“25.
- 1. Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft, Thesen zur Krise, 2009.
- 2. Siehe das Einführungsbuch Rätekommunismus von Felix Klopotek, das dieses Jahr in der Theorie.org-Reihe des Schmetterling-Verlags erschienen ist, hier Seite 15ff.
- 3. Anton Pannekoek (1936), Partei und Arbeiterklasse, 501, in: ders.: Arbeiterräte. Texte zur sozialen Revolution, Fernwald 2008.
- 4. Arbeitskreis Gilets Jaunes der Translib, 100 Euro und ein Mars, 2019.
- 5. Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft, Der Existenzialismus als Zerfallsprodukt revolutionärer Theorie, 2012.
- 6. Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft, Die Ordnung herrscht in Kairo, 2015.
- 7. Kosmoprolet #5, Editorial, 2018.
- 8. Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft, 28 Thesen zur Klassengesellschaft, 2007.
- 9. Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft, Reaktionen auf die 28 Thesen zur Klassengesellschaft, 2009.
- 10. Endnotes, Onward Barbarians, 2020 (Übersetzung von uns).
- 11. Siehe These 28 der 28 Thesen zur Klassengesellschaft von den Freundinnen und Freunden der klassenlosen Gesellschaft.
- 12. Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft, Thesen zur Krise, 2009.
- 13. Paul Mattick (1975), Spontaneität und Organisation, S. 44.
- 14. MEW 18: 630.
- 15. MEW 17: 543.
- 16. Henk Canne Meijer, zitiert nach Klopotek, 66.
- 17. Freundinnen und Freunden der klassenlosen Gesellschaft, 28 Thesen zur Klassengesellschaft, 2009.
- 18. Pannekoek, Arbeiterräte/Workers Councils, 1936.
- 19. Angry Workers of the world, Endnotes no.5: A melancholic goodbye, 2020
- 20. Angry Workers of the world, The necessity of a revolutionary working class program, 2020
- 21. Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft, 28 Thesen, 2007
- 22. Angry Workers of the world, The necessity of a revolutionary working class progam, 2020.
- 23. Eine ausführlichere Kritik an der Idee des Übergangsprogramms findet sich in A transition to nowhere.
- 24. Für die weiterführende Diskussion über die Frage des Minimum-Maximum-Programms siehe zum Beispiel Mike Macnair, Transitional to what, Donald Parkinson, The Revolutionary Minimum-Maximum-Program, und Parker McQueeney, Why have a political program.
- 25. Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft, Krisenlösung als Wunschkonzert, 2013.