Für eine Assoziation der Maulwürfe

20. März 2022

Dieser Beitrag ist Teil der laufenden Debatte über Organisation und Strategie.

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Die folgenden Überlegungen zum Zerfall der Arbeiterbewegung und der Erosion revolutionärer Theorie sollen dazu beitragen, die Strategiedebatte auf eine etwas solidere Basis zu stellen. Das Wissen darum, warum Bewegung, Organisation und Strategie gemeinsam zerfielen, erschließt erst ein Verständnis für die Gegenwart und ihrer Aufgaben.

Als Karl Marx und Friedrich Engels Mitte des 19. Jahrhunderts das Manifest der Kommunistischen Partei schrieben, schien alles sonnenklar. „Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große, einander direkt gegenüberstehende Klassen“, schrieben die beiden und gaben die Erzählung für die kommenden Generationen vor: Der Untergang der Bourgeoisie und „der Sieg des Proletariats sind gleich unvermeidlich“. Der Plan war klar, der Weg vorgezeichnet: Die Masse der armen Schlucker organisiert sich, um nach einer Geschichte der Klassenkämpfe im letzten Gefecht schließlich den Kommunismus herbeizuführen. Ende gut, alles gut.

Man findet bei Marx und Engels aber auch bereits die Warnung vor dem „gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen“, die mit dem Gemetzel der beiden Weltkriege an Überzeugungskraft gewann. Die orthodoxe Opposition klammerte sich in Folge der Katastrophe von Faschismus und Stalinismus an eine imaginäre Invarianz des Marxismus, marxistische Häretiker begannen indes alles in Frage zu stellen. Es sollten aber noch viele Jahre ins Land ziehen, bis die linke Abkehr von der Arbeiterklasse öffentlich inszeniert wurde. Seine Bestätigung schien dieser Abschied in der Nachkriegszeit im Verschwinden der traditionellen Arbeiterbewegung und des proletarischen Milieus zu finden.

Die Entsorgung proletarischen Potentials wurde in beachtlichen Teilen der modernen Linken zum Allgemeingut. Noch vor kaum zehn Jahren galt man als weltabgewandter Nostalgiker, wenn man den Begriff der Klasse für das Verständnis der Welt und ihrer radikalen Veränderung betonte. Angesichts der sozialen Verheerungen nach dem Finanzcrash von 2008, den enormen Kampfwellen ab 2011 aber auch den Wahlerfolgen rechter Parteien in Arbeiterkreisen hat inzwischen eine politische Gegenbewegung eingesetzt: Mehr und mehr Linke wandten sich der Klasse wieder zu, die Debatten leiden aber an blinden Flecken bis hin zur begriffslosen Entstellung des Ausbeutungs- und Klassenbegriffs zu einer weiteren Achse der Diskriminierung. Eine wichtige Aufgabe der versprengten kommunistischen Zirkel ist es, hier diskursive Aufräumarbeit zu leisten.

Die klassenkämpferischen Teile der Radikalen halten die Arbeiter:innenbewegung gerne in ihren heroischsten Momenten fest, je nach Couleur in der Rätebewegung der 1920er in Deutschland, dem Bürgerkrieg in Spanien ab 1936 oder den Fabrikkämpfen im Italien der 1970er. Sie suchen nach Fehlern, die zur Niederlage in den jeweiligen Zyklen führten und die man künftig geschickt vermeiden will. Die Verächter:innen der Klasse hingegen sprechen diesen Kämpfen gleich alles systemsprengende Potential ab und wollen sie nur noch als Modernisierungsbewegungen des Kapitals selbst verstanden wissen, in ihrer Vorstellung sind die Arbeiter:innen bloß variabler Bestandteil des Kapitals.

Diesen beiden Erzählungen – die je eine Seite der historischen Entwicklung absolut fassen – wird hier eine Zerfallsgeschichte der alten Arbeiterbewegung gegenübergestellt, die in ihren Niederlagen wie in ihren Erfolgen begründet ist, die also als Scheitern von radikaler Strategie und Organisation und zugleich als erfolgreiche Bewegung für ein besseres Leben verstanden werden muss. Das will auf einer einigermaßen schwindelerregenden Flughöhe entwickelt werden, aber es kann helfen, den Blick auf Zusammenhänge zu schärfen und aufzuzeigen: Zwar mag es Aspekte einer verschütteten revolutionären Strategie geben, die man wieder freilegen muss, aber es geht auch ein irreversibler Riss durch die Geschichte, der die Hoffnung auf eine Rückkehr alter Modelle absurd wirken lässt.

Das Subjekt: Integration, Auflösung, Desintegration

Die lange Geschichte, in der sich die alte Arbeiterbewegung in die bürgerliche Gesellschaft gekämpft hat, vollzieht sich institutionell mit dem Übergang eines Staates der Partikularinteressen zu einem Staat des Kapitals, der die soziale Absicherung und politische Anerkennung der Proletarier:innen zu einem seiner Zwecke erhebt. Es ist die Geschichte von Sozialstaat, Gewerkschaften und Sozialdemokratie, in deren Verlauf autonome Selbsthilfeorgane der Arbeiterbewegung, die vormals auch materiell die Solidarität innerhalb der Klasse begünstigt hatten, durch den Staat und parastaatliche Institutionen ersetzt wurden.

Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges wurde diese Eingemeindung durch eine Mischung von Zugeständnissen, ideologischer Mobilisierung und Repression erzielt. Während in Deutschland der Nationalsozialismus die Reste der bereits integrierten Arbeiterbewegung zerschlug, kam es in der Schweiz im Burgfrieden mit wenigen Ausnahmen zur freiwilligen Unterordnung. Als Ursprung der nationalen Integration den Verrat der sozialdemokratischen Parteiführung – demonstriert an der Zustimmung zu den Kriegskrediten am Vorabend des 1. Weltkriegs – zu setzen, übersieht das Wesentliche: Während radikale Tendenzen zerschlagen wurden, erkämpften sich erhebliche Teile der Arbeiterklasse ein besseres Leben sowie die politische Anerkennung im Nationalstaat. Dies legte eine Integration ihrer Institutionen nahe, was man in der Schweiz, die weder Krieg noch Faschismus erlebt hat, idealtypisch beobachten kann. Das wirft aber schwerwiegende Fragen für Organisationen auf, die über die Kampfzyklen hinweg auf Massenbasis und politische Repräsentation abzielen. Wie stellt man sich in der Friedhofsruhe gegen den historischen Kurs, ohne entweder als interne Fraktion oder als ganze Organisation Einfluss zu verlieren?

Bewusstsein und gesellschaftliche Praxis der Arbeiter:innen wollte schließlich, von vorübergehenden Ausnahmen und den radikalen Rändern abgesehen, nicht so recht zu dem passen, was sich Kommunist:innen als Klassenbewusstsein und „Wesen“ der Proletarisierten ausgemalt hatten. Natürlich kann eine Geschichte der Integration der Arbeiterbewegung nicht ohne ihren institutionellen Ausdruck – und damit auch ihrer Führung und deren Debatten – geschrieben werden. Der holländische Rätekommunist Anton Pannekoek hat zu Recht auf das besondere Bewusstsein und Interesse von professionellen Partei- und Gewerkschaftskadern hingewiesen. Bei dieser Bestimmung sollte man aber nicht schlecht voluntaristisch stehen bleiben, ist doch im Verhalten der Klasse wie auch in der gesellschaftlichen – vorrangig ökonomischen – Entwicklung bereits präformiert, welche Positionen in Organisationen dominant werden. So hatten hellsichtige Kritiker der Bolschewiki wie der Rätekommunist Otto Rühle bereits früh erkannt, dass deren zentralistisch-autoritäres Parteimodell dem Kampf gegen den Zarismus und den unterentwickelten Verhältnissen in Russland angemessen war. Ebenso müsste man bezüglich Sozialdemokratie zumindest fragen, ob deren Konzeption und Ausrichtung an Parlament und Gewerkschaften nicht objektivfür die Aufgabe konfiguriert waren, die Arbeiterklasse im aufsteigenden Kapitalismus erst noch national zu integrieren.

Jene vorerst noch prekäre Eingliederung vollendete sich im Goldenen Zeitalter nach dem Zweiten Weltkrieg. Die europäische Hochkonjunktur eröffnete den Arbeiter:innen eine Perspektive von steigendem Lebensniveau und sozialer Absicherung. Die enormen Profitraten ermöglichten eine rasche Akkumulation, bei der zugleich für die Proletarier:innen immer mehr im Geldbeutel landete. Sie konnten vom armen Schlucker zum respektablen Bürger mit Auto, Kühlschrank und Waschmaschine aufsteigen. Der Staat des Kapitals schien sich ganz von den Klassen zu emanzipieren, da die Verwaltung des nationalen Standorts nebst der Beteiligung der alten Arbeiterorganisationen auch den Ausbau der sozialen Sicherung der Proletarier:innen beinhaltete, die Repression konnte in den Hintergrund treten. Die Reste des proletarischen Bewusstseins wurden von der Gesinnung des Konsumenten und Bürgers verdrängt, die proletarischen Gemeinschaften lösten sich in die kapitalistische Massengesellschaft auf. Die Sozialdemokratie transformierte sich endgültig in eine Volkspartei, die mit der politischen Konkurrenz um die Gunst verschiedener Wählersegmente wetteifert. Diese historische Periode ist zentral, wenn man heute über die „relevanten Organisationen der Klasse“ sprechen will, wie sie im Text Was tun in Zeiten der Schwäche? (ab hier: Schwäche-Text) auftauchen.

Auch wenn das Arbeitermilieu nie homogen war, so bot es einst dennoch der Identität mit seinen Bildungsinstitutionen, Sportvereinen, Gesangsgruppen und Kneipen einen praktischen Bezugspunkt, war sie doch so etwas wie eine eigene Gesellschaft in der Gesellschaft. Hier konnte die Sozialdemokratie historisch gedeihen. Nicht nur das Milieu ist verschwunden, die Integration seines institutionellen Ausdrucks hat längst die politisch-organisatorische Klammer über die Kampfzyklen und die Fragmentierung der Klasse zerstört. Weder Milieu noch Partei werden in alter Form wiederkehren. Ihre historische Aufgabe hat die Sozialdemokratie erfüllt, indem sie zur Staatspartie wurde und das Milieu überflüssig machte, das sie hervorgebracht hatte. Will man aber die alte Parteiform nicht einfach unscharf mit Verbindlichkeit, interner Demokratie oder Fraktionserlaubnis identifizieren, landet man schnell bei strategischen Fragen: etwa wie das Verhältnis zu Gewerkschaften, zu den demokratischen Institutionen oder zu Bündnispartner:innen aussehen soll. Die Beantwortung dieser Fragen schlägt sich aber organisatorisch nieder. Sie müssen in Bezug auf die heutigen Verhältnisse geführt werden, die kaum mehr etwas mit dem gemein haben, was unsere revolutionären Ahnen vorfanden.

Je nach Perspektive und Land bestand die relativ stabile Konstellation des goldenen Zeitalters bis zur sozialen Bewegung um das berühmte Jahre 1968, bis zur wirtschaftlichen Verwerfung ab 1973 oder bis zu den politischen Angriffen ab den 1980er und 1990er. In den Einschnitten der folgenden Jahrzehnte hatten die Gewerkschaften und die sozialdemokratischen Parteien einen massiven Mitgliederrückgang zu beklagen. Sie konnten ihre an die Konjunktur gebundenen Versprechen eines besseren Lebens im Kapitalismus nicht mehr aufrechterhalten. Die sogenannte Wählerbindung wurde von unten aufgekündigt und Soziolog:innen entdeckten die kulturelle Frage als politische Determinante. Während die politische Landschaft diffus wurde, entwickelte sich der Kurs der Welt beängstigend: Ressourcenknappheit und Klimaerwärmung bilden den stofflichen Hintergrund, vor dem sich der Notstand des Kapitals entfaltet. Das ist der höchst fragile Zustand, in dem wir die Debatte führen und der nach 2008 und in der Pandemie nochmals brüchiger und dynamischer geworden ist. Kein Wunder, dass wir uns wenigstens theoretische Gewissheiten erhoffen. Die mögen sich in Bezug auf die historischen Debatten erzielen lassen, über die Gegenwart können wir damit aber wenig in Erfahrung bringen.

Sollten die Bedingungen zurückkehren, die den Ausgangspunkt der Arbeiterbewegung in Europa bildeten und die proletarischen Assoziationen hervorbrachten – Hungerlohn, Unsicherheit, Drecksjobs, politische Exklusion –, werden sie dennoch etwas ganz Verschiedenes sein: Die digitale Unterordnung und Abwertung der Arbeit, die systematische Spaltung der Klasse in hochgradig integrierte Kerne und physisch ausgeschlossene Ränder, die ausgeklügelten globalen und nationalen Integrations- und Repressionsapparate, die politische Zergliederung des entfalteten Weltmarktes sind nur ein paar der gigantischen Veränderungen, die unserer Welt schroff von jener der 2. und 3. Internationale trennen. Die Bewegung selbst wird in den deutschsprachigen Ländern – schon mangels Fabriken – nicht in der alten Form wiederkehren können. Was das aber für Strategie und Organisation bedeutet, muss erst systematisch untersucht werden. Das wird sich indes – und das ist vermutlich die Krux unserer Debatte – erst wirklich deutlich zeigen, wenn der bewegte Widerstand selbst klar konturierte Praxen und Formen ausgebildet hat: Die richtungsweisende Massenstreikdebatte gegen Ende des 19. Jahrhunderts entbrannte, weil die Massen diese Kampfform international immer wieder hervorbrachten.

Das heißt nicht, dass man keine Strategiedebatte führen kann, aber solange wir im Dunkeln stochern, sollten wir uns nicht auf eine zu bestimmte Form festlegen. Wir sollten auch nicht vorschnell die Organisierung um die Theoriearbeit aufgeben, deren Einfluss wir zwar nicht exakt messen können, die aber Not tut wie selten. Der Begriff „Partei“ hat vor diesem Hintergrund einen Missklang, zumal er erst noch etwas Grobes ganz Unbestimmtes bezeichnet. Das Unwissen sollte man nicht wettmachen wollen, indem man sich an überlieferte Formen klammert, sondern indem wir die Theoriearbeit verbindlicher organisieren. Das trifft beide Ausleger der Debatte: Felix Klopotek, der sich in anheimelnder Retrospektive ausmalt, alle würden in Kämpfen plötzlich das Richtige tun. Das ist weder historisch belastbar, noch würde es die Gegenwart fassen, wenn es denn korrekt wäre. In selbstsicherer Positionierung findet man aber auch die Autor:innen des Schwäche-Textes, die den Erfolg der Sozialdemokratie vor allem aus deren Form erklären und sodann wiederholen wollen. Stattdessen muss man die wechselseitige Hervorbringung – und darum auch den gemeinsamen Untergang – von Bewegung und Organisationen fassen, wie es im Schwäche-Text zwar manches Mal in der detailreichen Diskussion von Sozialdemokratie und Bolschewiki aufscheint, dann aber mit Blick auf eine mögliche heutige Bewegung und Organisation wieder kassiert wird.

Die Theorie: Bewegung, Stillstand, Dogmatismus

Die kommunistischen Überbleibsel stehen vor dem Scherbenhaufen der alten Arbeiterbewegung und des einstigen proletarischen Milieus. Deren Integration und Zerfall hat auch die revolutionäre Theorie beschädigt, die ohne beständige Reflexion auf die kämpferische Praxis der Klasse nicht existieren kann. Dass unser sozialrevolutionäres Milieu aus verstreuten Zirkeln besteht, die vor allem Theoriearbeit betreiben, hat seinen Grund nicht nur in dessen Schwäche, sondern auch in den Mängeln der – auch überlieferten – Analyse: Ein Verständnis der Krisenentwicklung, der Klassenzusammensetzung oder der politischen Verschiebungen müssten das Fundament einer strategischen Diskussion und organisatorischer Anstrengungen bilden, die in Kampfzyklen erst wirklich praktisch relevant werden könnten.

Diese Vermittlung hat sich in der Geschichte revolutionärer Bewegung immer wieder als schwierig erwiesen, auch als diese noch die Welt veränderte und so eine Feedbackschleife erzeugte. Hier soll bloß ein Umriss der Zerfallsbedingungen der Theorie und eines Arbeitsprogramms entwickelt werden. Dabei tun sich erstmal zwangsläufig viele Fragen auf. Es ist kein trefflicher Vorwurf, wenn man einfordert, kritische Fragen müssten eine Gefolgschaft von Vorschlägen mitbringen, wie das im Schwäche-Text auftaucht. Zum einen mögen gewisse Fragen schlicht noch nicht zu entscheiden sein. Zum anderen können die Fragen und deren Diskussion auch zur besseren Fundierung einer Position verhelfen, die sich vorschnell auf festem Grund glaubt.

Die Selbstkritik der kommunistischen Bewegung hatte schon in den 1920er Jahren mit bekannten Exponenten aufzuwarten: Karl Korsch und Georg Lukács legten mit ihren Arbeiten eine Kritik am starren offiziellen Marxismus vor. Vor allem der Rätekommunist Korsch forderte, die Theorie selbst in ihrer Geschichtlichkeit zu begreifen, die hinter der reellen gesellschaftlichen Entwicklung zurückgeblieben und zum Dogma erstarrt war. Es dauerte nochmals rund ein Jahrzehnt, bis in Frankfurt der orthodoxe Marxismus abgelöst und durch die Forschung nach den Gründen der Integration und der permanenten Niederlage ersetzt wurde. Die frühe Kritische Theorie von Theodor Adorno, Max Horkheimer und Herbert Marcuse ist als Theorie der Niederlage wichtig geworden, die von Schülern wie Hans-Jürgen Krahl in den bewegten Jahren um 1968 erst wieder auf ein Klassenfundament gestellt werden wollte. In seinen Rekonstruktionsversuchen kämpft Krahl aber bereits mit Problemen, die sich nochmals verschärft haben: Trotz der sozialen Bewegung fehlte es schon an deutlichen Umrissen einer antagonistischen proletarischen Bewegung. Die falschen Konsequenzen daraus zogen einige Erben von Adorno: Stefan Breuer erklärte 1976, dass „der Anspruch der marxschen Kapitalismusanalyse, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters zu sein, nur dann zu bewahren [sei], wenn der Marxismus sich von der Revolutionstheorie löste“. Es war das theoretische Gegenstück zum Zerfall der sozialen Bewegung, die in den K-Gruppen zum Dogmatismus zurückfand.

Breuer steht für die Abkehr von der Theorie der Revolution, die meist wenig reflektiert vollzogen wurde. Während der Traditionsbestand der Kommunist:innen den notwendigen Sieg der proletarischen Revolution noch aus den Texten von Marx und Engels herauslesen wollte, wurde nun von einigen das schlichte Gegenteil versucht: Die Unmöglichkeit der Revolution sollte aus den Schriften von Marx und Freud abgeleitet werden. Auch wenn sich die in den späten 1980ern entstehende Wertkritik in programmatischen Artikeln von diesem hermetischen Bild abgrenzte, bot ihre Strömung perspektivisch nie mehr: Am Bruch wurde rein formell an der Behauptung festgehalten, dass der Krisenprozess mit dem Konstitutionsprozess revolutionärer Subjektivität identisch sei. Was heute schließlich unter dem Label „Neue Marx Lektüre“ fungiert, hat – nach einer Phase der Debatten über das Verhältnis von Klassenkampf und Kritik der Politischen Ökonomie in den 1970ern – als Marxauslegung umgesetzt, was Breuer gefordert hatte: Die strikte Trennung von Kapitalismus- oder genauer: Kapitaltheorie und der Theorie der Revolution. In diesem Zerfallsprozess ist das theoretische Band durchgerissen.

Auf der weniger originellen Seite, jener der Traditionsmarxist:innen, wird bis heute an alten Mustern und Prinzipien festgehalten: Amadeo Bordigas linkskommunistische Variante der «historischen Invarianz des Marxismus» seit dem Kommunistischen Manifest ist nur ein besonders auffälliger Ausdruck der Mumifizierung der Theorie. Nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus, des Stalinismus und dem Verschwinden der alten Bewegung, suchen kommunistische Trachtenvereine die Lösungen für die Fragen der Menschheit immer noch in den Klassikern bis Anfang des 20. Jahrhunderts, worüber auch deren notdürftige Modernisierung nicht hinwegtäuschen kann. In der beflissenen Auseinandersetzung mit der russischen Revolution zeigt sich zwar, welcher politischen Strömung man angehört: Zwischen der Ersetzung der Fabrikräte durch Kommissare und dem XX. Parteitag der KPdSU liegen Ereignisse, die ganze Strömungen konstituiert haben. Aber es fehlt die Einsicht, dass die Analyse und Programmatik auf einem gesellschaftlichen Fundament ruhen, das der Vergangenheit angehört: Statt der Proletarisierung von Bauern, werden heute Proletarisierte ausgespuckt, die kein Subsistenzperspektive mehr haben. Statt des Zarismus stehen ausgeklügelte demokratische Integrationsmechanismen gegen die Emanzipation. Statt die Modernisierung in 10-Jahresplänen zu antizipieren, werden wir eine umfassende Klimakatastrophe abwehren müssen, während verwüstete Weltregionen Unmengen an Ressourcen benötigen.

Der Bolschewismus war der damaligen Situation angemessen, die Situation aber wohl nicht einem kommunistischen Projekt. So blieb die Revolution um ihr Ziel betrogen, die Theorie der Bolschewiki wandelte sich zusehends zur Legitimationsideologie eines staatlichen Molochs. Umstritten ist die Rolle der höher entwickelten Länder, in denen die Revolution ausblieb. In Linkskommunistischen Kreisen sagt man zwar, Hermann Gorter habe als Vertreter der „Linksradikalen“ in Deutschland gegen Lenin recht behalten, als er die Orientierung an Bauern, Gewerkschaften und Parlament kritisierte. Heute müssten die Positionen aber ganz anders begründet werden. Wenn es im Schwäche-Text um „relevante Organisationen der Klasse“ geht, muss man nachfragen: Welche denn? Genannt wurden bislang keine, erst die konkrete Bestimmung würde aber eine sinnvolle Debatte ermöglichen. Dasselbe gilt aber auch für das Subjekt der Revolution beziehungsweise das Objekt der Partei: das Proletariat.

Denn auch das potenzielle revolutionäre Subjekt, das wahlweise automatisch alles richtig macht oder aber in der Partei organisiert werden muss, ist kaum wiederzuerkennen. So scheint in der Abwendung Linker vom historischen Großsubjekt «Proletariat» ein Moment der reellen Entwicklung auf – wie das bei Ideologie üblich ist. Schon die objektive Bestimmung wird hierzulande durch die historischen Veränderungen tangiert: Wenngleich die Gesellschaft weiterhin aus Ausbeutern und Ausgebeuteten besteht und alljährlich die zunehmende Ungleichverteilung des Reichtums moniert wird, prägt doch eine unübersichtliche Vielzahl an Klassenlagen und Fragmentierungen das Bild. Die Zersplitterung nach Fach, Einkommen, Geschlecht, Erwerbsstatus und Nationalität kann zwar theoretisch und – ausschließlich – in der Perspektive der Überwindung gekittet werden, aber die Fragmentierung untergräbt die Artikulation eines gemeinsamen Interesses gründlich, gerade wenn die Brosamen kleiner werden, aber die nationalen Kernbelegschaften auf Privilegien hoffen können. Während sich Linke an homogeneren Kleingruppen auszurichten begannen, bleibt in revolutionärer Perspektive viel zu klären.

Die Klasse verschwindet nicht nur als Milieu, sondern auch als Begriff aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein, so dass sie nur noch in Ausnahmesituationen oder Randgebieten eine wahrnehmbare Rolle spielt. Stattdessen nimmt nicht nur die Verdrängung des Klassenantagonismus durch die parlamentarische Verteilungspolitik und schließlich die Eingemeindung ins Kollektiv des nationalen Standorts überhand, sondern auch die Kämpfe innerhalb der Klasse. Eine Frage für eine verbindliche Organisation wäre also: Wen spricht man mit welchen Mitteln an? Das geht bis hin zu Fragen der Technik und Ästhetik. Wichtiger aber: Eine verbindliche Vereinigung müsste die Rückwärtsbewegung des Weltmarktes, die supranationalen Institutionen und die nationale Formierung ernst nehmen und sich von Anfang an auch organisatorisch international aufstellen. Das erzwingt schon die drohende Klimakatastrophe mit ihren absehbaren gesellschaftlichen Folgen.

Zugleich haben wir es mit einer latenten Klemme des Kapitals zu tun, die zwar momentan aufgrund massiver staatlicher Eingriffe gemindert wird, die aber nur in einem großen Entwertungsknall – Ausradierung aufgeblähter Kapitalwerte, Konkurs wichtiger Banken und Konzerne – und den darauffolgenden sozialen Verheerungen zu lösen sein wird. Die historische jüngste „Zusammenfassung und gewaltsame Ausgleichung“ (Marx) der Widersprüche lässt wenig Gutes erahnen: Nach 2008 hatte sich die Krise vom US-amerikanischen Immobilienmarkt zum globalen Desaster ausgebreitet und in verschiedene Phänomene übersetzt: So auch in die soziale Verwüstung in Griechenland, die militärisch Eskalation in der Ukraine und den Aufstieg der rechten Gruselfiguren rund um den Globus. Vor diesem Hintergrund hatten aber auch die Streik- und Protestbewegungen erst mal massiv zugenommen. Vor Corona war wiederum eine Welle von Kämpfen zu beobachten, während sich das Wirtschaftswachstum verlangsamte. In der Pandemie selbst eskalierten schließlich rund um den Globus immer wieder proletarische Kämpfe.

Augenscheinlich war daran erstmal, dass mit einigen Ausnahmen nicht die (Arbeiter-)Räte ein Comeback feierten, sondern in den Kämpfen vor allem Platzbesetzungen mit Vollversammlungen zu beobachten waren. Dies muss als Ausdruck einer veränderten Konstellation der Klasse – zuerst fällt etwa die starke Fragmentierung und die teilweise physische Trennung von den Produktionsmitteln auf – gewertet werden, die sich auf der „programmatischen“ Ebene in einer gewissen Ratlosigkeit niederschlug: Statt einer Aneignung der Produktionsmittel erhofften sich viele sowas wie eine „echte Demokratie“ oder ähnlich nebulöse Dinge. Dem lässt sich zwar als Arbeitsthese nach wie vor mit dem Konzept der Räte antworten, da wir keine anderen Formen aus Kämpfen kennen, die näher an die Gegenwart heranreichen. Aber man muss zur Kenntnis nehmen, dass sich offensichtlich in den jüngsten Kämpfen an der Klassenfront naturwüchsig andere Mittel der Verständigung und des Kampfes durchgesetzt haben. Es bleibt abzuwarten, in welchen Formen sich eine eskalierende und verallgemeinernde Bewegung Ausdruck verschaffen könnte, die notwendig die Ausgeschlossenen und die Produktion umfassen muss, wenn es mit der sozialen Revolution etwas werden soll.

Bezüglich der internationalen – sowie der defensiven lokalen – Kämpfe bliebe erstmal zu verstehen, was da passiert. In der Untersuchung gilt es, zwei Sackgassen zu vermeiden: Zum einen die Beurteilung nach überlieferten Schemata, auf dass alles Neue immer nur als Abweichung vom richtigen Pfad verstanden werden kann – Theorie ohne Erfahrung ist Dogmatismus. Zum anderen die Aufnahme eines jeden neuen Trends als der fantastische Ersatz für die als überholt verworfenen Formen der Selbstorganisation – Erfahrung ohne Theorie ist begriffslos. Die Debatten um den Massenstreik bei den Syndikalist:innen oder in der deutschen Sozialdemokratie Anfang des 20. Jahrhunderts beruhten auf konkreten Erfahrungen mit Massenstreiks. Und auch der Fokus auf die Arbeiterräte entwickelte sich, weil sich mit den revolutionären Unruhen um 1905 in Russland immer wieder als naturwüchsig Form durchsetzten. Wenn man heute über Streik und Riot, aber auch Vollversammlung und Platzbesetzungen diskutiert, muss man sich auf sehr unterschiedliche Ereignisse und Bewegungen stützen, aus denen sich Folgerungen, Strategien – aber eben auch adäquate organisatorische Formen – ableiten ließen. Während die objektiven Bedingungen nach einem radikalen Bruch schreien, bleibt die Frage nach dem Subjekt wohl erst mal vor allem negativ zu beantworten: Weder wird die alte Bewegung wiederkehren, noch kann der proletarische Agent der Veränderung in völlige Heterogenität zerfallen sein.

Vielleicht bleibt in aller Bescheidenheit erstmal nur festzuhalten, dass wir die theoretische Arbeit systematischer betreiben sollten. Wir sollten uns darüber verständigen, welche organisatorischen Formen für verbindliche theoretische und aufklärende Praxis adäquat sind. Dafür wären erstmal ein paar Fragen zu formulieren: Wo artikuliert sich in Kämpfen – möglicherweise implizit – ein Bedürfnis, mit dem ganzen alten Dreck Schluss zu machen? Also klassisch gesprochen die Eigentumsfrage zu stellen? Wo könnte sich eine Perspektive mit der Klassenfrage verbinden und verallgemeinern? Wo kollidieren Bewegungen und Kämpfe mit den Anforderungen des Kapitals? Wo treten sie also objektiv in Konflikt mit dem Bestehenden und lassen sich nicht einfach integrieren? Und, für uns wohl zentral: Wie müssen wir uns assoziieren, um die Arbeit des Maulwurfs gezielt verrichten zu können?