Auwei, Auwei, die Linkspartei

20. Februar 2025

Die Lage ist so finster, dass selbst Linksradikalen, die noch nie an einer Wahlurne Halt gemacht haben, die unerwartete Wiederauferstehung der Linkspartei ein Fünkchen Trost spendet: Immerhin ist sie die einzige im Bundestag vertretene Partei, die nicht ins Horn der Rassisten und Migrationsfeinde tutet. Hat sie darüber hinaus etwas anzubieten, das die soziale Emanzipation fördern könnte? In einem Vortrag, den er wenige Tage vor den Wahlen in Hamburg gehalten hat, kommt Robert Schlosser zu einem klaren Befund. 

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Von den Parteien, die bei den jetzigen Wahlen eine Chance haben, in den Bundestag einzuziehen, versteht sich nur eine als sozialistisch. Die Linkspartei will einen demokratischen Sozialismus. Bevor ich hinterfrage, was der angestrebte demokratische Sozialismus noch mit dem Ziel sozialer Emanzipation zu tun hat, also mit dem Ziel einer klassenlosen Gesellschaft, möchte ich betonen, dass eine Partei, die ein solches Endziel proklamierte, aus meiner Sicht keinerlei Chance hätte, in den nächsten Bundestag gewählt zu werden, was für mich wiederum kein Grund ist, sich von diesem Ziel zu verabschieden.

Wahl der Linken bedeutet Wahl einer demokratischen Partei, die die bestehende parlamentarische Republik insbesondere durch einen Ausbau des „Sozialstaates“ stärken will, der der kapitalistischen Ökonomie umweltverträgliches Wachstum und Stabilität bescheren soll. Und selbst mit diesem vermeintlich ganz realistischen, zeitgemäßen Programm muss sie zittern, ob sie den Einzug in den Bundestag schafft. Gelingt es ihr, dann wird es fast ausschließlich der Partei selbst etwas bringen. Sie wird Gelder erhalten, ihre Abgeordneten bekommen ihre Diäten. Die Abgeordneten können an Parlamentsdebatten und Ausschüssen teilnehmen, Anfragen stellen und die anderen Parteien kritisieren; die Partei wird in den Medien berücksichtigt. Darüber hinaus kann mit der Staatsknete die Rosa-Luxemburg-Stiftung am Leben erhalten werden, wodurch auch noch andere Linke etwas von einem Wahlerfolg hätten.

Viele meinen, durch Wahl der Linken dem Erstarken konservativ-reaktionärer Kräfte etwas Wirksames entgegensetzen zu können. Aus Anlass des Endes der Ampel-Regierung erklärte die Parteispitze:

„Der Kampf um die Plätze links der Mitte ist eröffnet - und das ist gut so. Wir sind bereit für Neuwahlen. Die Linke wird das Feld von hinten aufrollen und frischen linken Wind ins Land bringen. Wir werden beweisen, dass wir mit unserer neuen Einigkeit Wahlen gewinnen können. Wenn das ganze Land nach rechts rückt, gibt es viel Platz für Die Linke. Diese Chance werden wir nutzen.“

Dass es viel Platz für die Linkspartei gibt, wenn das ganze Land nach rechts rückt, halte ich für ein Gerücht. Der Platz für die linke Partei dürfte gerade mal für den Wiedereinzug ins Parlament reichen. Wer tatsächlich ein Feld von hinten aufrollt, der sollte von den letzten Plätzen doch ziemlich weit nach vorne kommen. Die Rechtsentwicklung, die ein internationales Phänomen ist, schafft aus sich heraus keinen Platz für eine linke Partei in Deutschland. Wer das meint, hat nicht verstanden, was vor sich geht. Durch Bundestagswahlen lässt sich diese Entwicklung nicht brechen. So wenig, wie das Erstarken der Rechten ein Ergebnis von Wahlen war. Wahlen spiegeln immer nur gesellschaftliche Entwicklungen wider.

Wie realistisch ist die „andere Wirtschaftspolitik“?

In seiner Bewerbungsrede für den Parteivorsitz sagte Jan von Aken:

„Ich möchte, dass meine Linke eine klassenkämpferische Linke ist, die die Rechte der sozial Benachteiligten beinhart und stur verteidigt. Das ist unser historischer und unser heutiger Auftrag. Aber ich will auch, dass meine Linke eine freiheitliche Linke ist. Eine Partei des Friedens, der Menschenrechte und der Demokratie. Eine Partei, die das Recht auf Differenz genauso entschlossen verteidigt. Woher wir kommen, wen wir lieben, was wir essen, wie wir reden, ist völlig egal. Ich möchte eine Klassenpolitik auf der Höhe der Zeit. Darauf kommt es an, das ist meine Linke.“

Lassen wir beiseite, dass es angesichts der heutigen desaströsen Nahrungsmittelproduktion keineswegs egal ist, was wir essen: Was die Linkspartei unter einer „Klassenpolitik auf der Höhe der Zeit“ versteht, hat mit Klassenpolitik nur noch sehr wenig zu tun. Der in den Produktionsverhältnissen verankerte Klassengegensatz zwischen der Masse der Lohnarbeiter:innen und den Besitzer:innen von Kapital spielt in ihrer Programmatik keine Rolle. Es ist nur noch die Rede vom Gegensatz von Arm und Reich, von ungenügenden Rechten der soziale Benachteiligten. Die sind jedoch ein Produkt der Klassenverhältnisse, nicht der Grund der Spaltung der Gesellschaft in Klassen. Dass die Reichen immer reicher werden, resultiert nach wie vor in erster Linie aus dem Umstand, dass die Arbeitskraft zur Ware geworden ist und dass Lohnarbeiter:innen unbezahlte Mehrarbeit leisten. Daran kann auch eine sozial gerechte Steuerpolitik zur Umverteilung nichts ändern.

Die merkwürdige Klassenpolitik der Linken drückt sich sowohl in ihrem Grundsatzprogramm als auch im aktuellen Wahlprogramm aus. „Beinhart und stur“ will sie die „Rechte der sozial Benachteiligten“ verteidigen, sie will die „ungerechte Wirtschaftsordnung“ durch eine „andere Wirtschaftspolitik“ gerechter machen, womöglich gar Milliardäre durch hohe Besteuerung abschaffen und sie dann wohl zu Millionären herunterstufen. Im Wahlprogramm heißt es:

„Wir wollen das Land gerechter machen. Wir verteidigen die Demokratie und wollen mehr Mitbestimmung. Aber wir sagen auch: Unsere Demokratie muss besser funktionieren, vor allem für die, die keine teuren Lobbyorganisationen haben. Deshalb brauchen wir eine andere Wirtschaftspolitik, damit verantwortungsvoll gearbeitet, produziert und investiert wird, und damit das, was wir gemeinsam erarbeiten, auch fair verteilt wird. Politik, die einige wenige immer reicher macht, zeugt – entgegen aller Beteuerungen – nicht von Wirtschaftskompetenz, sondern ist schlicht Lobbyismus im Sinne der Superreichen. Wir wollen hohe Einkommen stärker besteuern und niedrige entlasten. Und große private Kapitalvermögen müssen endlich gerecht besteuert werden. Wir alle sind ‚systemrelevant‘ – nur Milliardäre sind es nicht. Niemand von uns wird jemals Milliardär, aber wir alle sind irgendwann im Leben auf Unterstützung angewiesen.“

Damit „verantwortungsvoll gearbeitet, produziert und investiert wird“, reicht offenbar eine andere Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Die „Wirtschaftskompetenz“ der Linkspartei drückt sich nicht in radikaler Kritik der bestehenden Eigentumsverhältnisse und der ökonomischen Gesetze aus, die die Marktwirtschaft beherrschen. Sondern darin, dass sie die Politik dafür verantwortlich macht, dass die Reichen immer reicher werden. Sie hat daher für alle sozialen Probleme eine politische Reformlösung parat. Demnach geht Sozialismus auch auf der Grundlage von Privateigentum und allgemeiner Warenproduktion.

Ein politisches Heilmittel gegen die Inflation?

Im Wahlprogramm der Linken heißt es:

„Unter Olaf Scholz sind Lebensmittel über 30 Prozent teurer geworden, Haushaltsenergie um etwa 50 Prozent. Die offiziellen Inflationszahlen verdecken, dass die Inflation für die mit weniger Geld viel höher liegt als für die mit viel Geld. Es ist eine Inflation der Ungleichheit, die wir erleben. Doch das lässt sich ändern: Preise sind nicht naturgegeben. Wir wollen Preise – wo nötig –regulieren und begrenzen, damit die Konzerne ihre Profite nicht beliebig erhöhen können. Das gilt nicht nur für die Miete, sondern auch für Energie und Lebensmittel. Niemand soll am Ende des Monats Angst vor dem Einkauf haben. Willkürliche Preiserhöhungen darf es bei grundlegenden Bedürfnissen nicht geben. Wir schlagen eine Preisaufsicht und soziale Tarife für den Grundverbrauch bei Strom und Gas vor, um uns künftig vor Preistreiberei zu schützen. Auf Grundnahrungsmittel soll die Mehrwertsteuer entfallen, was alle Menschen schnell und unkompliziert entlastet.“

Die „Wirtschaftskompetenz“ der linken Partei drückt sich darin aus, dass sie meint, die Konzerne würden ihre Profite durch willkürliche Preiserhöhungen beliebig erhöhen. Das ist alles, was sie zur Erklärung von Inflation in einer kapitalistischen Ökonomie anzubieten hat. Wer sich einmal mit der Preiskalkulation moderner Unternehmen beschäftigt hat, der weiß, dass die Berechnung der Kosten ihre Grundlage bildet. Dazu kommt ein kalkulierter Gewinnaufschlag, der sich an Gegebenheiten des Marktes orientiert, also an der eigenen Marktmacht und den üblichen Renditen.

Mit Willkür hat das alles sehr wenig zu tun, und je willkürlicher Preise angehoben werden, desto schneller kommt die Rückmeldung unverkäuflicher, weil zu teurer Waren. Im Verlauf jedes Akkumulationszyklus des Kapitals führen überhöhte Preise zu Umsatzrückgang und in dessen Folge zum Rückgang der Profite. Warum es darüber hinaus seit dem Zweiten Weltkrieg zu einer permanenten Inflation gekommen ist, soll und kann hier nicht weiter erörtert werden.1 Es ist eine recht komplizierte theoretische Frage, die aus meiner Sicht nicht geklärt ist. Auch sie mit Willkür erklären zu wollen, zeugt jedenfalls von „Wirtschaftsinkompetenz“.

Was bei dieser angeblich beliebigen Erhöhung der Profite durch willkürliche Erhöhung der Preise vollständig außen vor bleibt, ist die ebenfalls nicht beliebige Erhöhung der Profite durch Senkung der Kosten. Das bekommen speziell die beschäftigten Lohnarbeiter:innen zu spüren: durch niedrigere Löhne und Abbau von Lohnarbeitsplätzen.

Die ökonomischen Gesetze einer Marktwirtschaft, die die Preise regulieren, sind zwar keine Naturgesetze, aber sie wirken über längere Zeiträume nachhaltig. In allgemeiner Warenproduktion gibt es auf Dauer keine stabilen Preise. Inflationäre und deflationäre Prozesse wechseln sich ab im Verlauf der Akkumulationszyklen von Kapital. Was die Linkspartei als Lösung zu bieten hat, ist eine politische Willkür der Preisregulation, die die angeblich ökonomische Willkür brechen soll. Auf ganz kurze Sicht mag das funktionieren, auf längere Sicht würde es aber die Kapitalakkumulation empfindlich stören. Dann dürften die Ergebnisse von Parlamentswahlen diese politische Willkür beenden.

Was im Wahlprogramm der Linken kritisiert wird, ist aber im Grunde auch nur die „Inflation der Ungleichheit“, nicht die Inflation selbst als ein Produkt allgemeiner Warenproduktion. Als solche ist sie ebenso wie für die Lohnarbeiter:innen auch ein Problem für das Kapital, weil sie den Fortgang der Kapitalakkumulation bedroht. Für die Lohnarbeiter:innen besteht das einzige wirksame Mittel gegen die sogenannte ungleiche Inflation im Kapitalismus, die sich speziell in der Senkung des Reallohnes ausdrückt, in ihrem Lohnkampf, nicht in der Regulation von Preisen durch eine Regierung.

Der Sonderfall Mieten

Im Wahlprogramm der Linken heißt es: „Bezahlbares Wohnen ist die zentrale soziale Frage unserer Zeit.“ Stünde da, dass die Mieten ein großes soziales Problem vor allem in den Großstädten und Ballungsräumen entwickelter oder sich entwickelnder Länder sind, dann wäre daran nichts falsch. Für die Mehrheit der Menschen in ländlichen Regionen überall auf der Welt sind nicht fehlende Mietwohnungen und zu hohe Mieten das große soziale Problem. Es ist eher die Zerstörung traditioneller Produktions- und Lebensweisen und die ungleiche Entwicklung. Für sie besteht das Problem dann eher in fehlenden Lohnarbeitsplätzen und niedrigen Löhnen, weshalb sie sich in die Großstädte und Ballungsräume aufmachen, was wiederum dazu beiträgt, dass dort die Mieten steigen.

In Deutschland soll laut der Linken ein Mietpreisdeckel gegen „willkürliche Preiserhöhungen“ helfen. Ausgangspunkt für dieses Reformprojekt ist folgende im Wahlprogramm formulierte fundamentale Erkenntnis: „Wohnungen sind keine Ware.“ Doch genau das sind sie, ganz zweifellos. Wären sie das nicht, hätten sie gar keinen Preis, auf den man einen Deckel legen könnte. Man kann Wohnungen kaufen und man kann sie vermieten. So viel „Wirtschaftskompetenz“ sollte schon sein. Wollte man verhindern, dass Wohnungen eine Ware sind, dann erforderte das „despotische Eingriffe“ in die Eigentumsverhältnisse, wie sie das Manifest der Kommunistischen Partei von 1848 verlangte. Zuallererst müsste das Privateigentum an Grund und Boden abgeschafft und Wohnraum kommunales oder genossenschaftliches Eigentum werden.

So wie Wohnungen zu Waren geworden sind, ist es auch der Grund und Boden. Damit wären wir wieder bei den Kosten der Preiskalkulation. Mittlerweile sind gerade die enorm gestiegenen Bodenpreise in Großstädten und Ballungszentren ein starker Preistreiber beim Wohnungsbau. In Städten wie München macht der Bodenpreis inzwischen bis zu 70 Prozent der Baukosten aus. Soweit die neu errichteten Wohnungen eine Kapitalanlage darstellen, müssen die Mieten gestiegenen Baukosten mindestens wieder einbringen. Die wachsenden Baukosten treiben ihrerseits also die Mieten in die Höhe.

Wollte man unter solchen Voraussetzungen steigende Mieten verhindern, dann müsste neben dem Mietpreisdeckel mindestens auch ein Deckel auf die Bodenpreise gelegt werden. In einem Beitrag des Bayrischen Rundfunks heißt es:

„Zu Beginn der 1960er-Jahre geschah mit deutschen Bodenpreisen etwas durchaus Interessantes: Sie schossen in die Höhe. Der Grund: Die Nazis hatten die Grundstückspreise im Jahr 1936 fixiert, also eine Art Preisdeckel für Boden eingeführt. Die sogenannte ‚Preisstoppverordnung‘ sorgte dafür, dass viele Grundstücke nach dem Krieg für absolute Mindestpreise verkauft wurden – und dann sofort in die Höhe schossen, als die Preisstoppverordnung 1960 aufgehoben wurde.“

Mit dem Bundesbaugesetz von 1960 wurde ein freier Grundstücksmarkt zugelassen. Im Wahlprogramm der Linken liest man:

„Explodierende Mieten sind kein Naturgesetz: Bezahlbare Wohnungen, Sicherheit vor Mieterhöhungen, genossenschaftlicher Wohnungsbau sind sinnvoll, gerecht und auch erreichbar. Auch der Ausverkauf von öffentlichem Grund und Boden ist eine bewusste politische Entscheidung – er könnte morgen gestoppt werden.“

Erst hieß es, dass Preise allgemein nicht naturgegeben seien; nun erklärt man, dass explodierende Mieten kein Naturgesetz seien. Beides ist aber Produkt bestimmter ökonomischer Verhältnisse und der Gesetzmäßigkeiten, die sich daraus in der Marktwirtschaft ergeben. Jedenfalls sind die gerade in letzter Zeit dramatisch gestiegenen Mieten kein einmaliges Ereignis der besonderen Politik einer besonderen Regierung, und sie beruhen nicht zuletzt auf noch stärker gestiegenen Bodenpreisen, die heute wesentlich die Baukosten bestimmen. Ein Mietpreisdeckel ohne Baupreisdeckel, also – unter sonst gleichbleibenden Bedingungen des freien Marktes – bei weiter steigenden Bodenpreisen, würde den Bau von Mietwohnungen durch Privateigentümer weitgehend zum Erliegen bringen.

Der Berliner Mieterverein fragt: „Ist der Boden überhaupt etwas, mit dem man Handel treiben kann?“ Ja, das geht zweifellos, wenn die Rahmenbedingungen entsprechend sind und der Grund und Boden Privateigentum wird. Der Mieterverein fährt dann aber immerhin fort:

„Anders als sonstige Handelsware wie Seife, Schuhe oder Computer wurde der Boden von niemandem hergestellt. Der Boden ist nicht vermehrbar und lässt sich nicht bewegen. Die technischen Voraussetzungen für eine Bebauung – Straßen, Kanalisation, Versorgungsleitungen – schafft die Kommune. Alles was den Wert des Bodens ausmacht, wird von der Allgemeinheit bezahlt. Dennoch wird der Boden nicht als Gemeingut behandelt und das Eigentumsrecht nicht angetastet. ‚Ein Teil der Gesellschaft verlangt hier von dem andern einen Tribut für das Recht, die Erde bewohnen zu dürfen‘, beklagte schon Karl Marx.“

Das kommt der Wirklichkeit schon sehr nahe. Auch das Programm der Linken lässt jedoch das Privateigentum an Grund und Boden unangetastet und geht der heute angeblich „zentralen sozialen Frage“ nach bezahlbarem Wohnen nicht auf den Grund. Daher wird auch nur der „Ausverkauf von öffentlichem Grund und Boden“ beklagt, den man morgen schon stoppen könne. Nur stoppen? Die Lösung der „Wohnungsfrage“ setzt mindestens die Beseitigung des Privateigentums an Grund und Boden, die entschädigungslose Enteignung des großen Grundbesitzes voraus. Von der Regierung einer bürgerlichen Republik, die das Privateigentum grundsätzlich schützt, sollte man das nicht erwarten.

Sicherlich: Der Ausverkauf von öffentlichem Grund und Boden war genau so eine bewusste politische Entscheidung wie das Baugesetz von 1960. Alle Rahmenbedingungen für kapitalistische Marktwirtschaft werden durch „bewusste politische Entscheidung“ gesetzt. Aber in diesen bewussten politischen Entscheidungen drückt sich eben eine „Wirtschaftskompetenz“ aus, die der  kapitalistischen Logik folgt. Die Logik des Ausverkaufs von öffentlichem Grund und Boden ist dem Privateigentum verpflichtet und bestand darin, einerseits den klammen Kommunen Geld in die Kassen zu spülen und andererseits dem Geldkapital weitere Anlagemöglichkeiten für profitable Verwertung zu verschaffen. Eine solche Logik wird sich über kurz oder lang immer durchsetzen in einer „privatwirtschaftlichen“ Ökonomie. Auch die Linkspartei würde sich dem beugen, trüge sie Regierungsverantwortung. Wo sie in Bundesländern an Regierungen beteiligt war, hat sie stets Mitverantwortung für die Interessen des Privateigentums getragen.

Sozialismus und Eigentumsfrage

Weder am Wahl- noch am Grundsatzprogramm der Linken ist irgendetwas „sozialistisch“. So kann es nicht verwundern, dass Jan van Aken anlässlich seiner Wahl in die Parteiführung Folgendes zum Besten gab:

„Wir Linke müssen einen Weg nach vorn aufzeigen. Das müssen ganz konkrete Visionen sein, wo die Menschen sofort sehen: Das ist eine gute Idee und das verbessert meine Situation sofort. So wie in Berlin der Mietendeckel. Damit hatten viele Menschen über Nacht plötzlich eine niedrigere Miete. Hunderttausende andere konnten sich sicher sein, dass ihnen nicht bald die nächste Mieterhöhung ins Haus flattert. Das ist unsere Art, Sozialismus zu sagen.“

Weder ein Mietpreisdeckel noch ein Bodenpreisdeckel sind jedoch Ausdruck von Sozialismus – andernfalls wäre auch die Deckelung des Bodenpreises durch die Nazis sozialistisch gewesen. Diese Art, in der van Aken Sozialismus sagt, entspricht ganz dem Grundsatzprogramm der Linken. Dort wird weder das Privateigentum an Produktionsmitteln noch das damit verbundene System der Lohnarbeit grundsätzlich in Frage gestellt. Im Abschnitt über den Sozialismus des 21. Jahrhunderts heißt zwar der historische Auftrag zunächst in Anlehnung an das Manifest der Kommunistischen Partei: „Eine entscheidende Frage gesellschaftlicher Veränderung ist und bleibt die Eigentumsfrage.“ Dann geht es aber „auf der Höhe der Zeit“ so weiter:

„DIE LINKE kämpft für die Veränderung der Eigentumsverhältnisse. Wir wollen eine radikale Erneuerung der Demokratie, die sich auch auf wirtschaftliche Entscheidungen erstreckt und sämtliche Eigentumsformen emanzipatorischen, sozialen und ökologischen Maßstäben unterwirft.“

Von einer Veränderung der Eigentumsverhältnisse bleibt in Wirklichkeit nichts übrig, sämtliche heute bestehenden Eigentumsformen in der allgemeinen Warenproduktion bleiben erhalten:

„In einer solidarischen Wirtschaftsordnung, wie DIE LINKE sie anstrebt, haben verschiedene Eigentumsformen Platz: staatliche und kommunale, gesellschaftliche, private und genossenschaftliche Formen des Eigentums.“

Alle diese Eigentumsformen haben wir aber heute schon. Da braucht dann auch nichts verändert werden. Was an Veränderung angestrebt wird, ist die Unterwerfung „sämtlicher Eigentumsformen“ unter „emanzipatorische, soziale und ökologische Maßstäbe“, also linke Politik.  Dafür sorgen sollen parlamentarische Mehrheiten und Regierungsmacht.

Aber wie vertragen sich insbesondere „emanzipatorische Maßstäbe“ mit dem Privateigentum an Produktionsmitteln? In Paragraph 611a des BGB über den Arbeitsvertrag wird die Lohnarbeit wie folgt gekennzeichnet: „Durch den Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet.“ Und dieses Weisungsrecht liegt laut dem Gesetz selbstverständlich beim Arbeitgeber.

Marx sah in diesem Kommando über fremde Arbeitskraft zu Recht die Grundlage moderner Ausbeutung und damit der Spaltung der Gesellschaft in Klassen, also auch in Arm und Reich. Radikaler Antikapitalismus stellt die Lohnarbeit in Frage, will das Weisungsrecht des Arbeitgebers beseitigen und damit zugleich die „weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit“. Dies kann nicht gelingen durch mehr Demokratie auf Basis der bestehenden Eigentumsverhältnisse, sondern nur durch Beseitigung des Privateigentums an Produktionsmitteln, das eben dieses Weisungsrecht im Gepäck hat, weil kapitalistische Privatproduktion nur so funktionieren kann.

„Demokratisch“ können die modernen Arbeitsverhältnisse nur werden bei Gemeineigentum an Produktions- und Reproduktionsmitteln in Selbstverwaltung. Sofern die Bewegung der Lohnarbeiter:innen selbst im Lauf ihrer Geschichte entsprechende Formen entwickelt hat, waren es Kooperativfabriken und Konsumgenossenschaften.

Woran es der heutigen Linken vor allem mangelt, das ist Übereinstimmung in solch elementaren Fragen der Gesellschaftskritik und entsprechender Ziele sozialer Emanzipation, nicht zuletzt in Abgrenzung zu staatssozialistischer Theorie und Praxis, wie sie nach wie vor auch in der Linkspartei zuhause sind. Mit ökonomischer Befreiung vom System der Lohnarbeit hat die demokratische Steuerung der Wirtschaftsentwicklung, wie sie das Parteiprogramm der Linken verlangt, nichts zu tun, wohl aber eignet sich ein solches Bestreben für das Regierungsprogramm einer politischen Partei, die die kapitalistische Ökonomie krisenfrei und sozial gestalten möchte. Die angeblich antikapitalistischen Zielsetzungen wurden auf dem Programm-Parteitag mit über 90 Prozent abgesegnet und durchgewinkt.

Linke Utopie „auf der Höhe der Zeit“?

Im Wahlprogramm der Linken heißt es: „Reichtum für uns alle heißt auch, dass wir unsere Liebsten sehen können, sooft wir wollen. Darum möchten wir mehr Busse und Bahnen zu möglichst niedrigen Preisen.“

Solche Formulierungen sind typisch für das Programm der Partei. Sie formuliert weitreichende Wünsche nach Reichtum für alle, Solidarität, Frieden etc. – und die sollen dann durch irgendeine „kühne“ Reform verwirklicht werden, sei es ein Mietpreisdeckel oder hier erschwingliches Bus- und Bahnfahren. Nicht einmal zum Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr kann sich der Sozialismus der Linkspartei durchringen!

Dass wir „unsere Liebsten sehen können, sooft wir es wollen“, ist ein sehr frommer Wunsch. In vielen Jahren Lohnarbeit, meist in Industriebetrieben, habe ich auch während der Arbeit oft den Wunsch gehabt, meine Liebste zu sehen. Das scheiterte dann nicht an fehlendem günstigen Nahverkehr, sondern eben daran, dass ich „weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit“ leisten musste.

Gibt es einen „historischen Auftrag“ für Linke? Wenn ja, welchen?

Jan van Aken spricht von einem historischen und einem aktuellen Auftrag. Sofern es überhaupt einen historischen Auftrag gibt, den uns die Bewegung der Lohnarbeiter:innen hinterlassen hat, lautet er aus meiner Sicht anders als von van Aken formuliert. Er besteht nicht in der „beinharten“ Verteidigung der Rechte der „sozial Benachteiligten“. Vielmehr hat sich jede politische Bewegung dem Zweck der ökonomischen Befreiung unterzuordnen. Der historische Auftrag, wenn man es so nennen will, verlangt die ökonomische Befreiung und benennt auch Formen, die sie annehmen kann.

„Die ökonomische Emanzipation der Arbeiterklasse“ sei „der große Endzweck, dem jede politische Bewegung, als Mittel, unterzuordnen ist“, hieß es in den Statuten der Internationalen Arbeiter-Assoziation (IAA), also der Ersten Internationale . Selbst das von Marx scharf kritisierte Gothaer Programm der 1875 neu gegründeten Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands formulierte das mehr oder weniger klar:

„Die Befreiung der Arbeit erfordert die Verwandlung der Arbeitsmittel in Gemeingut der Gesellschaft und die genossenschaftliche Regelung der Gesamtarbeit mit gemeinnütziger Verwendung und gerechter Verteilung des Arbeitsertrages. Die Befreiung der Arbeit muß das Werk der Arbeiterklasse sein, der gegenüber alle anderen Klassen nur eine reaktionäre Masse bilden. (…) Die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands fordert, um die Lösung der sozialen Frage anzubahnen, die Errichtung von sozialistischen Produktivgenossenschaften mit Staatshilfe unter der demokratischen Kontrolle des arbeitenden Volkes. Die Produktivgenossenschaften sind für Industrie und Ackerbau in solchem Umfange ins Leben zu rufen, daß aus ihnen die sozialistische Organisation der Gesamtarbeit entsteht.“

Ohne ein solches Gerede von den anderen Klassen, die als eine „reaktionäre Masse“ den Lohnarbeiter:innen gegenüberstünden, und vor allem ohne die verlangte Staatshilfe hatte Marx in seiner Schrift über die Pariser Kommune einige Jahre zuvor bereits Ähnliches zur „genossenschaftlichen Regelung der Gesamtarbeit“ ausgeführt. Darin spricht er von der „freien und assoziierten Arbeit“ in Form der genossenschaftlichen Produktion und vom möglichen Kommunismus in Gestalt der Gesamtheit der Genossenschaften, die die Produktion nach einem gemeinsamen Plan organisieren.

Was er dazu nicht anruft, ist die „Staatshilfe“. Ein Umfang von Genossenschaften, der die Ökonomie insgesamt prägen würde, kann überhaupt nur durch eine entsprechend breite Aneignungsbewegung der Lohnarbeiter:innen erfolgen. Und nur durch eine solche bewusste Aneignungsbewegung könnte die genossenschaftliche Produktionsweise auch funktionieren. Nicht aber durch „Staatshilfe“. Eine Gesamtheit an Genossenschaften, die die Produktion nach einem gemeinsamen Plan regelt, wäre aber in jedem Fall etwas ganz anderes als der gescheiterte reale Staatssozialismus.

Das Ziel der ökonomischen Befreiung von Kapitalabhängigkeit in Lohnarbeit wurde formuliert und gewann wachsende Zustimmung in einer Zeit der sich ausbreitenden Lohnarbeit und sich allmählich entwickelnder Klassenkämpfe. Wir leben in keiner Zeit heftiger Klassenkämpfe, in der Lohnarbeiter:innen etwa in nennenswerter Zahl Betriebe besetzen, mit dem Ziel, die Produktion in eigener Regie weiterzuführen. Wir leben nicht einmal in Zeiten, in denen Lohnarbeiter:innen in nennenswerter Zahl in hartnäckigen Streiks eine Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen im Kapitalismus erkämpfen oder in großen Demonstrationen für soziale Reformen streiten. Wir leben in keiner Zeit anschwellender spontaner Kämpfe mit zunehmender  politischer, sozialrevolutionärer Organisierung von Lohnarbeiter:innen.

Am Fehlen einer politischen Organisation der Klasse der Lohnarbeiter:innen lässt sich weder durch Gründung einer Partei noch durch die Politik einer existierenden Partei etwas ändern. Nötig dafür wäre, dass die Verhältnisse sich ändern, vor allem die ökonomischen Widersprüche sich zuspitzen und soziale Auseinandersetzungen erzeugen, aus denen sich Klassenkämpfe entwickeln. Nur unter diesen Voraussetzungen kann eine sozialistische oder kommunistische Programmatik überhaupt Wirksamkeit entfalten und nur in diesem Zusammenhang wird sich finden, welche Form oder Formen die politische Organisation der Klasse annehmen kann.

Eine politische Partei nach dem Vorbild der heutigen Parteien einschließlich der Linken kommt dafür meines Erachtens nicht in Frage. Wenn Linke meinen, sozialistische oder kommunistische Bewegung bräuchte unbedingt eine parlamentarische Vertretung, dann kann man über das Für und Wider streiten. Wenn dann allerdings im Interesse von Wahlerfolgen jeder Sozialismus oder Kommunismus programmatisch bis zur Unkenntlichkeit „zeitgemäß“ entstellt wird, nur um eine einmal als Wahlverein gegründete Partei mit Staatsknete am Leben zu erhalten, dann sollten wenigstens überzeugte Kommunist:innen ihren Widerspruch anmelden.

Auch dem Wahl- und dem Grundsatzprogramm der Linken ist das Verlangen nach „Kontrolle sozialer Produktion durch soziale Ein- und Vorsicht“ anzumerken, wie das Ziel in der Inauguraladresse der IAA durch Marx formuliert wurde. In der Partei herrscht aber offenbar die Meinung vor, man könne das auf dem Boden der kapitalistischen Produktionsweise, also unter Beibehaltung des Privateigentums in allgemeiner Warenproduktion durchsetzen – durch eine Fülle von Einzelreformen, durch die richtige Politik einer Regierung. Alle Versuche und Anläufe, das zu bewerkstelligen, sind geschichtlich genau so gescheitert wie der Staatssozialismus. Trotz aller bisherigen Sozialreformen produziert die kapitalistische Produktionsweise regelmäßig ihre großen Weltwirtschaftskrisen, nimmt die Spaltung zwischen Arm und Reich immer wieder Fahrt auf usw. Die Linkspartei ist keineswegs „auf der Höhe der Zeit“.

Die zentrale soziale Frage unserer Zeit ist nicht die nach bezahlbarem Wohnraum, sondern vielmehr nach wie vor die Frage nach der „Kontrolle sozialer Produktion durch soziale Ein- und Vorsicht“. Diese Frage stellt sich, seit es die kapitalistische Produktionsweise gibt – heute schärfer denn je, weil wir es nicht nur mit wachsendem Gegensatz von Arm und Reich zu tun haben, sondern inzwischen mit der Bedrohung der Lebensgrundlagen für Menschen auf diesem Planeten. Diese Frage stellt sich in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens und bei jeder neuen Entwicklung, wie etwa aktuell beim Einsatz künstlicher Intelligenz, der Ausbeutung weiterer Rohstoffe wie seltener Erden etc..

Das Programm der Linkspartei zur Lösung dieser Frage lautet kurz zusammengefasst: Preise runter, Löhne rauf, mehr Demokratie und Mitbestimmung für Lohnarbeiter:innen, denen es in ihrer Masse selbst an sozialer Ein- und Vorsicht und an Klassenbewusstsein mangelt. Das ist ihre Art, Sozialismus zu sagen.