Zweierlei Inflation
Woher rührt die jüngste Inflation? Was besagt sie über den heutigen Kapitalismus, wie verhält sie sich zu seiner eigentümlichen Entwicklung im 20. Jahrhundert? Paul Matticks Versuch, mit seinem Buch Die Rückkehr der Inflation das Gestrüpp zu lichten, wurde auf Communaut von Robert Schlosser grundsätzlich kritisiert. Auf einige der Einwände antwortet Mattick nun.
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Ich bin Robert Schlosser dankbar dafür, dass er sich die Mühe gemacht aufzuschreiben, worin er meinem Buch Die Rückkehr der Inflation zustimmt und worin nicht. Könnte man die Reaktionen auf ein Buch bekommen, bevor man es geschrieben hat – es würde sicher dazu beitragen, dass ein besseres entsteht. Aber auch so ist es hilfreich, weil man erkennt, an welchen Stellen man sich vielleicht geirrt hat oder klarer hätte ausdrücken können.
Schlosser sieht Mängel in beiden Hauptaspekten des Buchs – dem Versuch, die inflationäre Tendenz im globalen Kapitalismus seit dem Zweiten Weltkrieg zu erklären, und der Analyse der »Besonderheiten der aktuellen Entwicklungen seit der Corona-Krise, als die Preise zunächst stark in die Höhe gingen«, wie er schreibt. (In diesem Zusammenhang wundert er sich über den Titel des Buches: Warum von einer »Rückkehr« der Inflation sprechen, wenn sie doch eine langfristige Tendenz darstellt? Das sehe ich genauso – der Titel stammt vom Verlag, der so Leser zu gewinnen hoffte, die sich für das aktuelle Geschehen interessieren.)
Was Schlosser an meiner Erklärung der Inflation nach der Corona-Pandemie »erstaunlich« findet, ist, »dass Kosten demnach für die Preiskalkulation scheinbar gar keine Rolle spielen«, schließlich seien sie »deren Grundlage; Preise steigen im Allgemeinen in Abhängigkeit von den Kosten«. Seine Behauptung, sie würden »von den bürgerlichen Berechnungen der Inflation nicht berücksichtigt«, trifft nicht zu; die entsprechenden Statistiken schätzen die Veränderungen der Herstellerpreise, der Kosten für Unternehmen und der Verbraucherpreise, und die hauptsächliche Erklärung, die Unternehmerinnen wie Ökonomen für die Inflation ins Feld führen, lautet »Kostensteigerungen«. Wie ich im Buch und auch im Vorwort zur deutschen Ausgabe allerdings bemerke, sind die Kosten des einen der Preis des anderen. Der Preis von Autos mag steigen, weil die Kosten von Stahl steigen, aber beides sind Preissteigerungen. Das klassische Beispiel dafür ist der Ölpreis, der für das Gros der Unternehmen Kosten darstellt, die durch die weiteren Verästelungen hindurch weitergegeben werden. Unternehmer klagen auch ständig über die Arbeitskosten, obwohl die Löhne historisch gesehen meistens steigen, um mit den Preisen von Verbrauchsgütern Schritt zu halten. Kurz gesagt: »Kosten« zum Treiber der »Preise« zu erklären, ist zirkulär. Die Frage lautet vielmehr, warum die Preise in der Wirtschaft insgesamt steigen (oder sinken).
Was also hat die Preise nach 2021 in die Höhe getrieben? Schlosser erwähnt strapazierte Lieferketten, Einfuhrzölle und die Sanktionen gegen Russland nach seinem Einmarsch in der Ukraine. Der erste und der dritte Punkt werden von Ökonomen und Wirtschaftsjournalisten am häufigsten angeführt, und dass all das in meiner Analyse »keine Rolle« spiele, wie Schlosser moniert, trifft keineswegs zu. Vielmehr verweise auch ich auf die offenkundige Tatsache, dass nach dem Ende der Lockdowns »die Ausgaben zu einem Zeitpunkt steil anstiegen, als das Angebot recht begrenzt und die Lieferketten überlastet waren«, und gehe darauf im deutschen Vorwort nochmals ein. Welche Auswirkungen der Ukraine-Krieg auf die weltweite Preisentwicklung hatte, scheint mir fraglich, aber in gewissem Maß mag es sie natürlich gegeben haben. Die Rolle von Einfuhrzöllen habe ich nicht berücksichtigt, weil ich keine Daten darüber kenne, wie sie zu den Preissteigerungen nach der Corona-Pandemie beigetragen hätten; der Gedanke ist aber interessant, und die Zahlen, auf die Schlosser seine These stützt, würde ich gerne kennen. Was die Reallöhne in Deutschland betrifft, die er als inflationär wirkende Kosten anführt, gilt es festzuhalten, dass sie von einem Tiefstand nach dem Zweiten Weltkrieg von 1950 bis 2005 klar gestiegen sind, von 1992 bis 2024 allerdings nur um 0,28 Prozent. Am stärksten wuchsen sie 1992 mit 6 Prozent, 2022 fielen sie um 5,4 Prozent.
Schlosser geht auch nicht auf meine Feststellung ein, dass der Fokus von Inflationsberechnungen auf die Verbraucherpreise außer acht lässt, wie sich in der Phase der »niedrigen Inflation« sowohl finanzielle Vermögenstitel als auch Bildung und Gesundheitsversorgung enorm verteuert haben. Dennoch stimmt es, dass die Erschöpfung der staatlichen Mittel zur Konjunkturstützung und die allgemeine Stagnation der Weltwirtschaft den möglichen Preissteigerungen bei vielen Gütern Grenzen setzen, auch wenn sich die Zentralbanker weiterhin unsicher sind, ob die Inflation auf die gewünschte Marke von zwei Prozent gesenkt werden kann. Dabei muss man sich vor Augen führen, dass eine »schleichende Inflation« von zwei Prozent in den späten 1950er Jahren als ein bedrohliches wirtschaftliches Problem galt!
Damit sind wir bei der allgemeinen Inflationstendenz, die das eigentliche Thema des Buches ist. Schlosser hat völlig Recht, dass eine inflationäre Entwicklung während des Nachkriegsbooms bis zur Mitte der 1970er Jahre zu erwarten war. Auch wenn ich erwähne, dass Preise in Boomphasen generell steigen, hätte ich diesen Aspekt für den historischen Verlauf seit den 1940er Jahren sicherlich stärker betonen sollen. Mich interessierte aber eher der Befund, dass die Regierungen eine mögliche Rückkehr der Massenarbeitslosigkeit auch damals derart beunruhigte, dass sie selbst bei kleineren Konjunkturabschwüngen ihre Ausgaben hochfuhren und die Kreditvergabe förderten, wie etwa in Amerika nach dem Ende des Koreakrieges zu beobachten. Die Staatsausgaben gingen zwar unmittelbar nach 1945 rapide zurück, stiegen danach aber wieder so schnell, dass sich die Verschuldung von Staaten heute in derselben Größenordnung wie ihr BIP bewegt.
Darüber sind Schlosser und ich uns offenbar einig: »Auf diesen Aspekt der Entwicklung weist Mattick richtig hin«, schreibt er. Allerdings macht er eine meines Erachtens falsche Trennung zwischen der Preissetzungsmacht der einzelnen Unternehmen und den Staatseingriffen; die Preise von Agrarerzeugnissen zum Beispiel werden durch Subventionen gestützt, und für die Preise von Öl wie auch Stahl und anderen grundlegenden Inputs gilt dies noch stärker. Wenn neue Autos zunehmend unerschwinglich werden, dann ist dies eindeutig den Einfuhrzöllen geschuldet, die Staaten erheben, damit das einheimische Kapital profitträchtige Preise verlangen kann – eine der von Schlosser erwähnten Inflationsursachen.
Schließlich weist Schlosser zurecht darauf hin, dass ich fast nichts über die Rolle von Wechselkursen für die Preisbestimmung sage. Eine umfassendere Auseinandersetzung mit dem Wert des Geldes und der Inflation müsste diese Frage tatsächlich stärker berücksichtigen; ich habe sie ausgespart, um mich auf das weltweite Phänomen der Inflation seit 1945 und bestimmte Episoden starker Preisanstiege in den »fortgeschrittenen« kapitalistischen Ländern zu konzentrieren, die mit diesem Mechanismus wenig zu tun haben. Schlosser irrt sich, wenn er meint, der Wert des Geldes hänge von der Leistung einer Nationalökonomie in der weltweiten Konkurrenz ab, letztlich also von ihrer Arbeitsproduktivität (diese Ansicht schreibt er auch mir zu, aber das ist ein Missverständnis): »Je erfolgreicher eine Nationalökonomie für den Weltmarkt produziert, desto stärker die Nachfrage nach der entsprechenden Währung und desto höher ihr relativer Wert verglichen mit anderen Währungen«, heißt es in seiner Kritik. Träfe dies zu, dann müssten der Yen und der Renminbi mehr »wert« sein als der Dollar. Aber das Gegenteil ist der Fall; in der heutigen stark auf den Finanzsektor orientierten Ökonomie wird der Wechselkurs einer Währung vor allem vom Zinssatz im betreffenden Land bestimmt, also neben den Investitionsmöglichkeiten in verschiedenen Sektoren auch von der Politik der Zentralbank.
Abgesehen von diesem Mechanismus verwechselt Schlosser die relativen Werte von Währungen mit dem Wert von Geld als Träger einer privaten Verfügungsmacht über die gesellschaftliche Arbeit. Während die Unternehmen versuchen, ihre Profitabilität durch Preiserhöhungen aufrechtzuerhalten, verlieren die Währungen der beherrschenden Nationalökonomien – neben dem Dollar der Euro, der Schweizer Franken und der Renminbi – an Kaufkraft, sodass die Gewinne der auf höhere Preise setzenden Unternehmen nur zeitweilig sind. Entscheidend ist, was Schlosser am Ende seiner Rezension schreibt: »Das Auf und Ab der Warenpreise, die schwankenden Inflationsraten, sind ein weiterer Beleg für die Unbeherrschbarkeit allgemeiner Warenproduktion – sowohl durch Unternehmen als auch durch Regierungen und Notenbanken.« Es ist klar, dass wir uns über viele Fragen einig sind; ganz besonders aber über diese.