Woher die Inflation?

28. April 2024

Paul Mattick ist emeritierter Professor für Philosophie an der Adelphi University in New York und hat viele Jahre das International Journal of Political Economy herausgegeben. Heute betreut er die politische Rubrik der New Yorker Kulturzeitschrift Brooklyn Rail. Seine Aufsätze zum marxschen Kapital hat er 2018 als »Theory as Critique« veröffentlicht, auf Deutsch erschien 2013 »Business as Usual. Krise und Scheitern des Kapitalismus« (Edition Nautilus). In seinem neuen Buch »Die Rückkehr der Inflation« geht er der Frage nach, wie wir Inflation als langanhaltende Tendenz in der Ökonomie verstehen können.

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communaut: Es sind zwei Erklärungen für die derzeitige Inflation im Umlauf: Die eine führt sie auf die lockere Geldpolitik der Zentralbanken und übermäßige Staatsausgaben zurück, so vor allem die »Defizitfalken«. Die andere rückt zufällige Ereignisse wie die Pandemie und den Krieg in der Ukraine ins Zentrum. Du hältst keine der beiden Erklärungen für besonders stichhaltig. Warum?

Paul Mattick: Das sind beides sehr alte Antworten, die man bis zum frühen 19. Jahrhundert in England zurückverfolgen kann, wo es bereits eine Auseinandersetzung über die Inflation gab. Die einen erklärten sie damals mit der Quantitätstheorie: Wenn die Geldmenge im Verhältnis zur Menge der Waren zu groß ist, müssen die Preise steigen. Die anderen meinten, dass vorübergehende Faktoren wie bestimmte Handelsbeziehungen oder Kriege die Preise steigen ließen.

Es ist faszinierend, dass diese Diskussion seit rund 150 Jahren anhält, aber theoretisch nicht vom Fleck gekommen ist. Falsch an beiden Vorstellungen ist, dass sie von einem Normalzustand des kapitalistischen Systems ausgehen, in dem sich Angebot und Nachfrage nach Waren in einem Gleichgewicht befinden: Es gibt bestimmte Produktionskapazitäten und bestimmte Konsumbedürfnisse, sie passen sich aneinander an und führen so zu einer stabilen ökonomischen Situation. Aus dieser Sicht besteht der ganze Zweck einer Ökonomie darin, Ressourcen für die Herstellung von Gütern zu nutzen, um menschliche Bedürfnisse zu befriedigen. Gerät sie dann aber doch aus dem Gleichgewicht, was sich in steigenden oder fallenden Preise ausdrückt, muss das an außerökonomischen Ursachen liegen. Die erste Erklärung, die Quantitätstheorie, gibt der Geld- oder Fiskalpolitik der Regierungen die Schuld an der Störung des natürlichen Gleichgewichts: Es wird zu viel oder zu wenig Geld in Umlauf gebracht. Die zweite verweist auf äußere »Schocks«, die die natürliche Tendenz zum Gleichgewicht aus dem Schritt bringen.

Der Gedanke, dass Inflation durch eine zu große Geldmenge verursacht wird, stammt aus dem 16. Jahrhundert, wurde ausführlicher aber erst Mitte des 18. Jahrhunderts von David Hume und anderen formuliert. Und schon damals wurde er von Sir James Stuart widerlegt, später im 19. Jahrhundert dann durch Personen, die erstmals Handels- und Preisstatistiken eingehend untersuchten. Seit dem 18. Jahrhundert, als die Quantitätstheorie vorherrschend wurde, ist jeder Versuch gescheitert, sie empirisch zu beweisen. Sämtliche Studien zeigen, dass es keinen bestimmten Zusammenhang zwischen der umlaufenden Geldmenge und dem Preisniveau gibt. Anders gesagt: Man kann große Geldmengen in Umlauf bringen, ohne die Preise damit in die Höhe zu treiben, und umgekehrt können die Preise steigen, auch wenn die Geldmenge kleiner wird.

Die Quantitätstheorie versteht Geld nicht als ein wesentliches Element des bestehenden Wirtschaftssystems, sondern lediglich als ein Instrument, das den Tauschhandel zwischen den Menschen erleichtert. In Wirklichkeit handelt es sich aber beim Kapitalismus nicht einfach um ein System, in dem Menschen als Besitzer von Gütern miteinander Tausch betreiben, sondern eines, in dem einige Leute für andere arbeiten müssen. Weil der Zugang zu Gütern den Besitz von Geld voraussetzt, müssen sie ihre Arbeitskraft verkaufen, um das Geld zu verdienen, mit dem sie ihr eigenes Produkt zurückkaufen. Geld ist ein Mechanismus, der die Ausbeutung der Arbeit organisiert, nicht den Austausch von Waren unter Gleichen.

Aufgrund der Zentralität des Geldes für die Wirtschaft liefert es auch die einzige Darstellung für die Verteilung der menschlichen Produktivkraft auf die verschiedenen Produktionssparten, denn das System ist eines des Wettbewerbs, in dem jedes Unternehmen versucht, so viel wie möglich von der gesellschaftlichen Produktion und damit vom gesellschaftlichen Mehrprodukt zu erhalten. Geld stellt diese Verteilung der Arbeit aber falsch dar, denn auch bestimmte Güter, die gar kein Arbeitsprodukt sind – etwa das Öl, das in Saudi-Arabien oder Texas im Boden liegt – haben dennoch einen Geldwert, einen Preis. Auf diese Weise können sich die Eigentümer solcher Güter einen Teil des gesellschaftlichen Mehrproduktes aneignen. Geld ist also die Form, in der die Wirtschaftsakteure – vor allem die Kapitalisten – gegeneinander und gegen die Produzenten um die Aneignung des Mehrarbeit kämpfen. Geld ist ein wesentliches Moment der Funktionsweise der kapitalistischen Wirtschaft und nicht etwas Äußerliches, das diese Funktionsweise verzerrt.

Das grundlegende Problem sowohl der Quantitätstheorie als auch der Erklärung der Inflation durch Angebotsschocks besteht darin, dass sie die Dynamiken der kapitalistischen Wirtschaft als Ganzes ignorieren. Die klassische und die neoklassische Theorie begehen den Fehler, Angebot und Nachfrage als ein Verhältnis zwischen Produzenteninnen und Konsumenteninnen zu betrachten. Dass dieses Verhältnis vom Erfordernis der Kapitalisten bestimmt ist, eine gewisse Profitabilität zu erreichen, blenden sie aus. Tatsächlich wird aber das Marktgeschehen wesentlich durch die Notwendigkeit bestimmt, dass die Hersteller ausreichend Profit erzielen, um zu akkumulieren und ihre Unternehmen wachsen zu lassen. Das Angebot wird durch die Möglichkeit bestimmt, mit dem Verkauf von Waren einer bestimmten Art Gewinn zu machen, die Nachfrage nach Konsumgütern wiederum durch die Höhe der Löhne und den Lebensstandard, an den die Menschen gewöhnt sind. Bei Produktionsgütern hängt sie davon ab, welche Vorleistungen ihre Herstellung erfordert. Die Nachfrage hängt also letztlich von der Fähigkeit der Unternehmen ab, ein angemessenes Profitniveau zu erzielen.

Weil sie das nicht versteht, hat die orthodoxe Theorie keinen Schimmer, wie sich das System über die Zeit entwickelt. Zum Beispiel erkennt heute jeder an, dass es weltweit zu wenig Investitionen gibt. Wenn die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich analysiert, was in der Wirtschaft passiert, kommt sie zu dem Befund, das Grundproblem bestehe in mangelnden Investitionen. Aber warum ist das so? Das weiß niemand so genau. Sie sagen, das sei eben die traurige Realität und die Regierung solle eine investitionsfreundliche Politik betreiben. Das bedeutet normalerweise, dass Löhne reguliert und entsprechend niedrig gehalten werden, dass Unternehmen subventioniert oder die Steuern gesenkt werden, denn sie glauben, die Unternehmen investieren nicht, weil die Steuern zu hoch sind.

Ökonominnen ist zwar bewusst, dass es einen Konjunkturzyklus gibt, aber eine allgemein anerkannte Erklärung dafür existiert nicht. Es gibt Schumpeters Theorie, wonach ein bestimmter unternehmerischer Schlag von Menschen, der besonders erfinderisch ist, das normale Funktionieren des Systems stört und Krisensituationen auslöst. Es gibt den Gedanken von Keynes, dass der Konsum und aufgrund von sinkenden Renditen auch die Investitionen an eine Grenze stoßen, was Arbeitslosigkeit zur Folge hat. Aber letztlich wird jeder Abschwung auf seine eigene Weise erklärt: Die große Finanzkrise von 2008 wird auf Überinvestitionen in Immobilien zurückgeführt, danach kam eine Krise aufgrund von COVID; die Krise von 1973 soll durch zu hohe Staatsausgaben oder was auch immer entstanden sein.

Entsprechend wird nun der Inflationsausbruch 2021 durch Angebotsschocks erklärt. Natürlich stimmt es, dass es einen Krieg in der Ukraine gibt. Und es stimmt auch, dass es zum Beispiel einen Halbleiter-Engpass in den USA gab. Die Geschichte ist aber komplizierter als es zunächst scheint: Obwohl beispielsweise keine wirkliche Getreideknappheit entstand, stiegen die Preise dennoch enorm. Warum? Weil die spekulativen Käufe von Weizen-Futures steil anstiegen, als man meinte, dass der Krieg in der Ukraine wahrscheinlich das Angebot unter Druck setzen würde, schließlich sind die Ukraine und Russland die beiden größten Weizenproduzenten. Also haben Spekulanten direkt zu Beginn des Krieges Weizen-Futures aufgekauft. Wie sich dann herausstellte, wurde der Weizen überhaupt nicht knapp, aber einige Investorinnen hatten ihn bereits aufgekauft und waren dadurch in der Lage, den Preis zu erhöhen. Dieser Effekt ist jetzt vorbei; mittlerweile versuchen polnische Landwirte die ukrainischen am Verkauf ihres Weizens zu hindern, weil die Preise zu niedrig sind. In ähnlicher Weise war es den Akteuren im Gas- und Ölgeschäft möglich, die Preise vorübergehend zu erhöhen, weil versucht wurde, den Kauf von russischem Öl zu verhindern oder einzuschränken, und weil die Amerikaner (wie es scheint) die russische Gaspipeline nach Europa gesprengt haben.

Um die sogenannte Große Inflation der 1970er Jahre zu erklären, haben Ökonominnen, die auch dem Scheitern der keynesianischen Politik Rechnung tragen wollten, verschiedene theoretische Objekte wie die natürliche Arbeitslosenquote und den natürlichen Zinssatz erfunden. Ich bezeichne sie als erfundene Objekte, weil es keinerlei Beweis für ihre Existenz gibt. Es ist nicht einmal klar, was sie eigentlich sein sollen. Es handelt sich um rein theoretische Konstrukte, die auf dem ziemlich irrwitzigen Begriffsgebäude der neoklassischen Wirtschaftswissenschaft beruht. Daran interessant ist allerdings, dass dieser ganze begriffliche Apparat nicht erklärt, was unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in den 1950ern passiert ist, als es sehr hohe Inflationsraten gab, die in den Vereinigten Staaten dann schnell auf 1 oder 1,5 Prozent fielen – anderswo blieben sie höher –, während zeitgleich die Arbeitslosigkeit sank. Eigentlich sollten sich diese beiden Größen in entgegengesetzte Richtungen bewegen. Es ist jedoch nicht so rätselhaft, wenn man sich vor Augen hält, dass die 1950er Jahre nach der Weltwirtschaftskrise und dem Zweiten Weltkrieg eine Phase allgemeinen Wohlstands waren, die sich erst in den späteren 1960er Jahren und in der tiefen Rezession von 1973 bis 1975 abschwächte. Diese Rezession war das eigentliche Ende des dreißigjährigen Nachkriegsbooms.

Der Volcker-Schock, der die Inflation der 1970er Jahre beendete, fiel mit der nächsten weltweiten Rezession Anfang der 1980er Jahre zusammen. Wahrscheinlich ist etwas dran an der Vorstellung, dass die Inflationsrate sank, weil die Zinssätze angehoben wurden, aber wie sehr das ins Gewicht fiel, ist schwer zu sagen, denn 1982/83 gab es zugleich eine weltweite Rezession. Was die Erklärungen der Ökonomen aussparen, ist die Art, in der Preisschwankungen und das Funktionieren der verschiedenen Marktsegmente beeinflusst sind durch die grundlegende Entwicklung des Kapitalismus, der in den 1970er Jahren in eine neue Phase der Krisenanfälligkeit eingetreten ist. Die fiskalische Beeinflussung der Geldmenge fiel mit dem Versuch zusammen, mit einer Schwächung des gesamten Systems fertig zu werden, die neuartige Konkurrenzkämpfe zwischen verschiedenen Wirtschaftsakteuren ermöglicht hatte: Die staatliche Bereitschaft, die Geldmenge zu erhöhen, wurde dazu genutzt, durch Preiserhöhungen miteinander zu konkurrieren.

Was hältst du vom Gedanken einer Lohn-Preis-Spirale?

Wie von Keynes bereits vor langer Zeit dargestellt wurde, lassen sich die Löhne senken und Einkommen von der Arbeiterklasse zu den Unternehmern verschieben, indem man die Preise von Verbrauchsgütern erhöht. Wenn die Preise um fünf Prozent steigen, dauert es eine Weile, bis die Lohnabhängigen das wettmachen, anders als wenn man sagt: Wir senken euren Lohn um fünf Prozent. Wenn die Reallöhne so weit sinken, dass die Menschen sich damit nicht mehr abfinden wollen, dann werden sie mehr Geld fordern. In den Vereinigten Staaten zum Beispiel beträgt der Mindestlohn 7 Dollar und 25 Cent, aber davon kann man nicht leben. Jetzt müssen die Arbeitgeberinnen 12 oder in manchen Gegenden sogar 15 Dollar zahlen. Der Lohn muss also steigen, wenn die Preise im Allgemeinen steigen. Aber er wächst immer langsamer als sie: Den Preis für Eier kann man am Montag und dann am Dienstag gleich nochmal erhöhen, für höhere Löhne dagegen müsste man wohl streiken oder nicht zur Arbeit erscheinen. Es gibt also schon eine Spirale. Aber obwohl die Löhne immer langsamer steigen als andere Preise, machen die Kapitalisten sie für die Inflation verantwortlich: Wenn die Arbeiterinnen nicht mehr Geld verlangen würden, müssten wir unsere Preise nicht erhöhen, so die Behauptung.

Zwingt die Konkurrenz nicht die Unternehmen zu Bemühungen, ihre Produkte zu verbilligen, um Marktanteile zu gewinnen?

Das war für den Anfang des Kapitalismus und das 19. Jahrhundert weitestgehend richtig und hatte einen eher deflationären Trend zur Folge. Mit der Zeit fielen die Preise als Ausdruck der steigenden Arbeitsproduktivität, die die Mechanisierung und Organisation des Arbeitsprozesses im Zuge der kapitalistischen Industrialisierung hervorbrachte. Aber seit den 1930er Jahren hat sich das grundlegend verändert.

Preiskriege gibt es immer noch. Wenn zum Beispiel zehn verschiedene Unternehmen Autoteile herstellen, dann konkurrieren sie miteinander, wer sie billiger anbieten kann. Aufgrund von Skaleneffekten sind chinesische Solarmodule heute billiger als die aus anderen Ländern. Ein anderes Beispiel wäre Amazon: Es hat seine Preise anfangs so extrem gesenkt, dass es fünf Jahre lang überhaupt keinen Profit erzielt hat, um auf diese Weise eine Quasi-Monopolstellung im Online-Handel zu erreichen. Aber in den meisten Fällen tun Unternehmen das nicht und können es auch nicht. Einige Unternehmen wie Uber und WeWork, die versucht haben, Amazon zu kopieren, haben überhaupt kein Geld gemacht. WeWork ist dieses Jahr pleitegegangen. In den Vereinigten Staaten machen 16 Prozent der Unternehmen keinen Gewinn. Sie existieren nur, weil sie ständig Kredite in der Hoffnung bekommen, dass sie irgendwann etwas Geld abwerfen. Auch in China sind sogenannte Zombie-Unternehmen derzeit sehr verbreitet. Die chinesischen Zombies werden durch die ständigen Geldinfusionen seitens des staatlichen Bankensystem am Leben gehalten.

Die Anbieterinnen aber, die in der Lage sind, die Preise zu erhöhen, tun das auch. Es gibt zum Beispiel drei oder vier Unternehmen, die die weltweite Lebensmittelversorgung kontrollieren. Auch die Zahl der Automobilhersteller und Ölunternehmen ist überschaubar. Weil alle Öl benötigen, können sich die Ölunternehmen einfach zusammensetzen und über den Preis bestimmen. Aber so etwas passiert in allen Bereichen mit hoher Kapitalkonzentration, die zentral für die Produktion sind, wie Stahl, Schiffsbau und Güterverkehr. Unternehmen haben gelernt, miteinander zu konkurrieren, indem sie die Preise steigern oder zumindest nicht senken. Manchmal wird dies mithilfe des Staates organisiert, wie in der Landwirtschaft. Der Staat subventioniert sie, das Gesamtsystem zahlt also eine Art Steuer, die an die landwirtschaftlichen Erzeuger geht, damit sie überhaupt noch Lebensmittel produzieren, denn deren Preis wäre andernfalls so niedrig, dass sich niemand die Mühe machen würde, sie zu produzieren. Dann würde die Gesellschaft natürlich untergehen.

Wen man den Ölpreis erhöht, steigen zwangsläufig die Transportkosten. Jedes Unternehmen, das Lkw oder Schiffe für den Warentransport einsetzt, muss dann ebenfalls seine Preise erhöhen. Dementsprechend gab es seit den 1940er Jahren weltweit eine allgemeine Tendenz zum Preisauftrieb – das Gegenteil dessen, was im 19. Jahrhundert passiert war, als die Preise tendenziell sanken. Darin besteht eine wirkliche Veränderung des Systems.

Wenn die Preise steigen, sinkt der Wert des Geldes – also das, was man mit einer Währungseinheit kaufen kann. Es muss also mehr Geld zur Verfügung gestellt werden, in Form von staatlich geschaffenem Geld oder von Krediten der Banken, um den Umlauf von Waren zu höheren Preisen zu ermöglichen. Das befestigt die Illusion der Quantitätstheorie, dass die Geldmenge den Anstieg des Preisniveaus verursacht. In Wirklichkeit ist es aber genau umgekehrt.

Was du über die Preisbildung offenbar sagst, scheint mir eine sehr weitreichende Behauptung zu sein. Die Konkurrenz auf dem Markt durch Kosten- und Preissenkungen ist ein zentraler Mechanismus des Kapitalismus, und du behauptest, er sei nicht mehr wirksam. Mit dieser These habe ich ein Problem. Selbst wenn es in einer Branche nur noch eine Handvoll Unternehmen gibt, etwa Airbus und Boeing in der Flugzeugherstellung, konkurrieren sie immer noch um Aufträge und müssen die Kosten senken. Aus der Klassenperspektive betrachtet ist es doch wichtig, dass beide unter dem Druck stehen, ihre Belegschaft auszupressen, sie härter und zu möglichst niedrigen Löhnen arbeiten zu lassen, um den anderen Anbieter auszustechen. Das kann man zum Beispiel im Elektroniksektor sehen. Computer und andere Geräte sind viel billiger geworden, weil die Unternehmen um Marktanteile konkurriert haben. Du scheinst zu behaupten, dass dieser Mechanismus von Wettbewerb, Kostensenkung und Preisbildung nicht mehr gültig ist.

Aber würde das nicht im Grunde bedeuten, dass die Unternehmen selbst entscheiden können, welche Preise sie gerne hätten? Ich denke nicht, dass sie sie einfach willkürlich erhöhen können, eben aufgrund der Konkurrenz. Auch wo Oligopole bestehen, besteht immer Konkurrenz, und das bedeutet, dass Kosten- und Preissenkungen eine sehr gute Marktstrategie sind.

Die Elektronikbranche ist ein interessantes Beispiel. In den 1980er Jahren ist der Preis von Mobiltelefonen dramatisch gesunken. Aber seit dem ersten iPhone von 2007 sind die Preise für Smartphones stetig gestiegen, wobei die beiden meistverkauften Geräte auch die teuersten sind.

Ich sage nicht, dass die Unternehmen ihre Preise nach Belieben festlegen können. Die Ölgesellschaften haben etwa beschlossen, eine Weile keine Bohrungen mehr vorzunehmen und Raffinerien zu schließen, um den Ölpreis hochzuhalten. Aber aufgrund der Konjunkturabschwächung können sie trotzdem nicht 150 Dollar für ein Barrel Öl verlangen – die Käuferinnen könnten das nicht bezahlen, weil sie nicht in der Lage sind, eine solche Preiserhöhung an ihre Kundeninnen weiterzugeben. Die Ölgesellschaften könnten doppelt so viel Öl fördern und den Preis auf 30 Dollar pro Barrel senken. Aber das tun sie nicht, sie fördern weniger Öl. 2019 konnten sie 60 Dollar verlangen, 2020 musste der Preis auf 48 Dollar gesenkt werden, 2022 stieg er wieder auf 120 Dollar, und heute liegt er unter 80 Dollar pro Barrel.

Es ist also nicht so, dass Kapitalisten einfach frei über ihre Preise bestimmen können. Aber man kann auch dadurch miteinander konkurrieren, dass man sie erhöht, nicht nur durch ihre Senkung. Man bekommt das Geld, jemand anders geht leer aus. Der große Vorteil dabei ist, dass man nicht in eine Ausweitung der Produktion investieren muss. Man muss keine zusätzlichen Arbeiterinnen einstellen. Wenn man das Ölangebot verdoppeln würde, würde man weniger Geld verdienen. Also erhöhen sie den Preis um 10 Dollar pro Barrel, anstatt eine neue Quelle anzuzapfen. Und diese Art der Preisgestaltung ist die Basis der letzten fünfzig oder sechzig Jahre von Inflation.

Alle sind sich natürlich einig darüber, dass die Löhne so niedrig wie möglich sein sollten. Wie sich das konkret darstellt, kann von Phase zu Phase sehr unterschiedlich sein. Nach 2008 war es beispielsweise einfach nicht möglich, die Lebensmittelpreise stark anzuheben, wohl aber die Preise für medizinische Versorgung, für Studiengebühren oder für Immobilien. Während des Corona-Lockdowns gab es einen allgemeinen Zusammenbruch der Weltwirtschaft, und um dem zu begegnen, wurden enorme Mengen an Geld in das System gepumpt – größtenteils für Unternehmen, aber auch für Teile der Bevölkerung. Und als dann entschieden wurde, dass die Wirtschaft wieder anlaufen muss, hatten die Leute eine gewisse Menge an Geld, das sie davor nicht ausgeben konnten. Als sie dann wieder bestimmte Sachen kauften, konnten die Hersteller die Preise erhöhen.

Wenn man sich die vorherigen zehn Jahre anschaut, als es angeblich keine Inflation gab, dann sieht man einen unglaublichen Preisanstieg bei Aktien und Anleihen, Gold, Kunst und Immobilien. Die breite Bevölkerung, die Autos, Fernseher und Windeln kauft, hatte damals nicht viel zusätzliches Geld; die Leute, die Aktien und Anleihen, Gold und Kunst kaufen, dagegen schon, und deshalb stiegen die Preise. Es ist zu einfach zu sagen, dass es bis 2021 keine Inflation gab und sie dann plötzlich auf mysteriöse Weise auftauchte. Tatsächlich gab es eine enorme Inflation, nur nicht bei den Gütern des täglichen Bedarfs, sondern bei den Kosten für die Universität, für Medikamente, für Wohnungen, für Aktien, Anleihen und Gold. Zum Teil hängt es davon ab, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt Zugang zu Geld hat und wer gleichzeitig in der Lage ist, die Preise zu erhöhen.

Ein Problem, das ich mit deinem Buch habe, ist die Beziehung zwischen langfristigen Trends und der aktuellen Inflation, denn du hast natürlich recht, dass es in der Nachkriegszeit praktisch immer eine gewisse Inflation gegeben hat. Aber dabei gibt es doch Phasen wie die 1970er, mit extremer Inflation in den meisten entwickelten kapitalistischen Ländern, gefolgt von den 1980er, 1990er und 2000er Jahren mit sehr niedriger Inflation. Welcher Zusammenhang besteht also zwischen den langfristigen Trends und dem jüngsten Anstieg der Inflation? Was ist falsch daran, die Inflation durch spezifische, kontingente Faktoren zu erklären?

Meines Erachtens unterschätzt du, wie gravierend die Unterbrechung der Lieferketten und die vielen anderen Auswirkungen der Pandemie und des Ukraine-Kriegs gewesen sind, wobei mir die Pandemie wesentlich wichtiger zu sein scheint. In deiner Darstellung scheint das nur insofern eine Rolle zu spielen, als die Leute aufgrund der Pandemie eine gewisse Zeit lang mehr Geld ausgeben konnten, sodass die Unternehmen die Preise erhöhen konnten. Auf diese Weise verknüpfst du die aktuelle Inflation mit einem langfristigen Trend, wie dem Rückgang der Rentabilität. Meine ganz persönliche Erfahrung ist eine andere. Als ich mir zum Beispiel letzten Sommer ein Fahrrad kaufen wollte, kam ich mir wie ein DDR-Bürger vor, der auf ein Auto oder eine Wohnung wartet – es hat drei Monate gedauert, bis ich es bekam, und dasselbe Modell hatte zwei Jahre davor deutlich weniger gekostet. Der Händler hat mir erklärt, wie stark sie vom Zusammenbruch der Lieferketten in der Pandemie betroffen sind.

Es stimmt natürlich, dass es zu solchen Unterbrechungen der Lieferketten gekommen ist. Wenn es zu einem allgemeinen Zusammenbruch des Handels kommt, wie während der Pandemie, dann gibt es plötzlich nicht mehr so viele Schiffe, die Hin und Her fahren, und man hat nicht mehr so viele Fahrradteile. Doch ehe man sich versah, gab es zu viele Schiffe, und die Preise für die Schifffahrt fielen im letzten Jahr um 50 Prozent, nachdem sie rasch gestiegen waren. Aufträge für neue Schiffe wurden storniert, weil sie sie nicht mehr benötig wurden. In den USA gibt es jetzt ein Überangebot in den Geschäften. Überall gibt es Rabattaktionen, weil sie so viel Zeug haben, das sie niemandem verkaufen können. Russland wurde daran gehindert, sein Gas nach Deutschland zu verkaufen. Alles, was man tun muss, ist die Pipeline in die Luft zu sprengen. Jetzt verkaufen US-Anbieterinnen ihr Gas an Deutschland und das russische Gas landet irgendwo anders, in Indien oder der Türkei. Aber diese ganz konkrete Situation erklärt keine allgemeinen Trends. Und die allgemeine Tendenz zu einer inflationären Wirtschaft, die wir in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebt haben und die das genaue Gegenteil von dem ist, was im Kapitalismus in der ersten Hälfte seiner Existenz zu beobachten war, deutet darauf hin, dass sich der Kapitalismus seit der Großen Depression grundlegend verändert hat.

Die enorme Vernichtung von Kapitalwerten in der Depression und sogar die physische Zerstörung von Kapitalgütern im Zweiten Weltkrieg ermöglichten nach 1945 einen neuen Aufschwung. Aber er brachte kein ausreichendes Beschäftigungsniveau hervor, bei dem sich die herrschende Klasse sicher sein konnte, dass es nicht erneut zu sozialen Unruhen, wie es sie in den 1930ern weltweit gegeben hatte, kommen würde. Selbst in der Hochkonjunktur der 1950er und frühen 1960er Jahre gab es daher die Tendenz, dass Staatsausgaben – auch durch Kredite finanziert – die kapitalistische Privatwirtschaft flankieren, seien es Unternehmersubventionen oder, das allerdings eher in Europa mehr als in den Vereinigten Staaten, als Sozialleistungen, um die selbst damals noch vorhandenen Tendenzen zur Verarmung abzumildern. Als der Nachkriegsboom in den 1970er Jahren endete, entschied man sich weltweit, das frühere Muster der Depression als eine Art Heilungsmoment, das die Tendenz zu mangelnder Profitabilität überwindet, nicht mehr zuzulassen, sondern die schwächelnde Privatwirtschaft durch ständig steigende Staatsverschuldung und Staatsausgaben zu stützen.

Das Problem dabei ist, dass so zwar Menschen ernährt und Jobs geschaffen werden, es aber nicht die Profitabilität des Systems verbessert. Was wir seit dem Zusammenbruch in den 1970er Jahren bis heute gesehen haben, ist ein Nachlassen von Wachstum und Investitionen. Und das bedeutet, dass jedes einzelne Unternehmen mehr und mehr unter Druck gerät, seinen Cashflow aufrechtzuerhalten, indem es Geld von allen anderen abzieht. Um über niedrigere Preise zu konkurrieren, müssten sie ihre Kosten senken. Und um die Kosten zu senken, müssten sie in gigantischem Umfang investieren. In manchen Branchen geht das. Ihr habt zum Beispiel den Elektroniksektor und insbesondere die Entwicklung von digitalen Geräten erwähnt. Es stimmt, dass sich die Arbeitsproduktivität in der Elektronik- und Computerproduktion rasant entwickelt hat, auch wenn sie jetzt vielleicht eine Art Grenze erreicht hat. Das General-Motors-Werk in Lordstown, damals die modernste Automobilfabrik der Welt, kostete 1970 rund drei Milliarden Dollar. Heute kostet eine kleine Computerchipfabrik 35 Milliarden. Die zur Steigerung der Arbeitsproduktivität erforderlichen Kapitalinvestitionen sind inzwischen so gewaltig, dass sie einfach nicht mehr in großem Maßstab getätigt werden können, vor allem, weil die Renditen inzwischen so niedrig sind.

Darüber klagen die Ökonominnen von morgens bis abends, so zuletzt beim internationalen Treffen der Zentralbanker in Jackson Hole. Weltweit sind die Investitionsraten sehr, sehr niedrig. In den 1980er Jahren gab es einen Produktivitätsschub durch die Entwicklung der Elektronik, und in älteren Branchen wie der Automobilproduktion kam es zu einer gewissen Robotisierung. Und natürlich verbilligte sich die Produktion durch die Verlagerung in Niedriglohngebiete. Aber in Produkten wie Computerchips oder iPhones steckt nicht mehr so viel Arbeit. Das wird jetzt größtenteils von Maschinen erledigt.

Man müsste nicht nur enorme Summen investieren, um die Produktivität anzuheben, man würde am Ende den Wert des existierenden Produktionssystems vernichten. Um eine grüne Wirtschaft zu schaffen, müsste man zum Beispiel alle Produktionsanlagen loswerden, die auf der Nutzung fossiler Brennstoffe beruhen, und das ist fast alles, was es gibt, denn der übrige Energiesektor ist winzig. Das bedeutet, dass man 60 oder 70 Prozent der globalen Kapitalinvestitionen einfach abschreiben würde.

Du hast recht, dass der Rückgang des Preiswettbewerbs der traditionellen Logik des Kapitalismus widerspricht. Ich würde es so ausdrücken: Die bisherige normale Funktionsweise des Kapitalismus kommt zum Stillstand. Das kann lange dauern und wird sicher sehr unangenehm sein, aber wir erleben den Anfang vom Ende dieses Gesellschaftssystems. Es hatte seine Höhepunkte im 19. und in der Mitte des 20. Jahrhunderts, aber es macht keine Fortschritte mehr. Jetzt kämpfen die verschiedenen Unternehmen darum, so viel wie möglich von dem Geld, das vom Bankensystem als Kredit geschaffen wird, unter ihre Kontrolle zu bekommen und die Kosten dieser kreditbasierten Expansion auf andere Unternehmen abzuwälzen.

Der Ukraine-Krieg und die Veränderungen auf den Märkten tragen also alle zur Inflationstendenz bei. Heißt das, dass die Inflation wieder verschwinden wird? Denkst du, dass sich die Lage wieder stabilisiert, oder stehen wir vor einer Phase zweistelliger Inflationsraten in den Industrieländern?

Die Situation hat sich bereits aus verschiedenen Gründen stabilisiert. Fangen wir mit dem Konkreten an. Während der Pandemie hat die Regierung gewisse Summen an die Bevölkerung verteilt. Als die Produktion dann wieder anlief und die Menschen wieder zur Arbeit gehen mussten, haben sie dieses Geld ausgegeben. Die betreffenden Unternehmen konnten so ihre Preise erhöhen, aber jetzt ist dieses Geld weg. Wie viel die Leute für ein Dutzend Eier, ein Auto oder einen Fernseher bezahlen können, stößt jetzt an eine gewisse Grenze. Bestimmte Dinge, die etwas luxuriöser sind, wie neue Autos oder Wohnmobile, werden daher nicht mehr in großen Mengen gekauft. Viele Leute können sich nur noch Gebrauchtwagen leisten. In den Vereinigten Staaten wurden während der Pandemie die College-Schulden zwei Jahre lang gestundet, jetzt müssen sie wieder abbezahlt werden. Die Betroffenen haben daher weniger Geld für Lebensmittel, Medikamente oder die Miete. Aber das führt uns zu einem allgemeineren Problem.

Wir befinden uns in einer Fortsetzung des Abschwungs von 2020, den alle als Corona-Rezession bezeichnen. Es stimmt, dass die Entscheidung getroffen wurde, die Produktion und den Umlauf von Rohstoffen zu stoppen, aber die Wirtschaft brach schon vorher dramatisch ein. Wenn sie nicht vorsätzlich gedrosselt worden wäre, wäre es trotzdem passiert. Und jetzt kehren wir zu dieser Abschwächung zurück, die durch die enormen staatlichen Geldinfusionen unterbrochen wurde. Das Problem lautet schlicht, dass die Profitabilität immer noch sehr niedrig ist und das System nicht expandiert. China zum Beispiel konnte vor zehn Jahren einen Pseudowohlstand erzeugen, indem es eine Immobilienblase schuf – ähnlich wie in Japan 1980 und in USA vor 2007. Es sah so aus, als ob alle reich würden und die Wirtschaft in Schwung käme – alles bestens! Aber in Wirklichkeit haben sie nur Kredite an den Immobiliensektor vergeben.

Und schließlich ist das Ganze in sich zusammengebrochen, und das betrifft nicht nur China. Wenn in China der Bausektor kollabiert, kann Deutschland dort die entsprechenden Maschinen nicht mehr verkaufen und chinesische Geschäftsleute können sich nicht mehr so viele Mercedes-Wagen leisten wie früher. Gleichzeitig schrumpft also auch die deutsche Wirtschaft. Das hat wiederum Auswirkungen auf die Vereinigten Staaten. Das System hat tatsächlich einen globalen Charakter, und das vergessen die Wirtschaftswissenschaftler bei ihren Versuchen, das Geschehen zu analysieren. Für sie gibt es Probleme in China oder in der Eurozone, in den Vereinigten Staaten oder in Argentinien, aber in Wirklichkeit ist es ein einziges System, und dem geht es nicht besonders gut. Wer noch Geld verdienen kann, indem er die Preise erhöht, wird das tun, aber andere werden es nicht können. Der allgemeine wirtschaftliche Niedergang wird sich fortsetzen.

Es stimmt: Wenn man den Zinssatz auf Hypotheken erhöht, werden Hauskäufe schwieriger, aber der Hauptgrund dafür ist, dass die Menschen nicht besonders viel Geld haben und Risikokapitalisten den weltweiten Häuserbestand aufgekauft haben, dessen Preise stark gestiegen sind. Und auch das liegt daran, dass niemand weiß, was er mit seinem Geld tun soll, außer auf Dinge wie den Kauf von Häusern zu spekulieren. Es besteht ja nicht einmal Interesse daran, neue Ölquellen zu bohren.

Generell lässt sich trotz Gewinnmöglichkeiten in diesem oder jenem Sektor ein genereller Verfall der Wirtschaft beobachten. Das bedeutet wiederum, dass Preiserhöhungen an eine Grenze stoßen – die Möglichkeit, den Rückgang der Rentabilität durch Inflation zu kompensieren, ist heute genau so an ihre Grenze gekommen wie 1980, als eine globale Rezession einsetzte. Man konnte die Preise nicht mehr überall so anheben wie 1970, als die Regierungen rund um den Globus Geld in die Wirtschaft pumpten, um sie über Wasser zu halten.

Vorhersagen sind immer ziemlich schwierig, vor allem in Bezug auf die Zukunft, das ist bekannt. Aber es gibt zwei Anhaltspunkte für Vermutungen darüber, wie es mit der Inflation weiter geht. Zum einen befinden wir uns mitten in einer weltweiten Konjunkturabschwächung. Das spricht dafür, dass die Inflationsraten moderat bleiben – sie werden nicht verschwinden, aber sich eher auf dem Niveau der 1980er Jahre als dem der 1970er Jahre bewegen. Aus demselben Grund steckt das System zurzeit in großen Schwierigkeiten, besonders die Banken, und das wird sich noch verschärfen aufgrund der Krise bei den gewerblichen Hypotheken in den Großstädten, die sowohl lokale als auch einige größere Banken sehr hart treffen wird. Das könnte zur Folge haben, dass die Staaten wie bislang die Kreditmenge für das Finanzsystem erhöhen muss, was kurzfristig eine gewisse Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage bedeuten würde, womit sich Preiserhöhungen als Wettbewerbsstrategie fortsetzen könnten. Das ist schwer zu sagen – vielleicht pumpen sie weiterhin Geld in das System, vielleicht kommen sie aber auch zu dem Schluss, wie einige bereits meinen, dass sie nicht unbegrenzt so weitermachen können und den staatlichen Geldfluss einschränken müssen.

Wenn sie das tun, werden wir in eine Phase der offenen Depression eintreten, und das wird generell die Inflation deckeln und vielleicht sogar, wie bereits in China der Fall, in eine Zeit der Deflation münden. Ich denke aber nicht, dass das passieren wird. Vermutlich werden sie die Staatsverschuldung weiter in die Höhe treiben, um noch mehr Geld in das System zu pumpen, denn sie haben wirklich Angst davor, was passieren könnte, wenn sie den Absturz in eine ausgewachsene Depression zulassen. Eine besonders solide Prognose ist das allerdings nicht.

Gibt es nicht auch aktuell ganz unterschiedliche Formen von Inflation? Müssen wir nicht etwa die Türkei oder Argentinien anders betrachten als die Situation in Europa oder den USA?

Das ist ein sehr guter Punkt. In Argentinien beispielsweise gibt es eine dreistellige Inflationsrate, weil dort mehrere Währungssysteme nebeneinander bestehen. Das Geld wird in Dollar geliehen, aber innerhalb des Landes in Peso erwirtschaftet. Der Wert der argentinischen (oder türkischen) Währung wird darin gemessen, wie viele Dollar sie wert ist. Und wenn man viel argentinische Währung druckt, dann hat man im Verhältnis zu der Menge an Dollar, die die Waren wert sind, zu viel geschaffen und wir bekommen diese klassische Art von Inflation. Es ist wie die alte Inflation der 1920er Jahre oder die Inflation des 18. und frühen 19. Jahrhunderts, als eine nationale Währung abgewertet wurde, indem man einfach große Mengen davon im Verhältnis zum Gold druckte, das die eigentliche Geldware war. Die Inflation der Währung des mächtigsten Landes, die für das gesamte System der Wertschöpfung von zentraler Bedeutung ist, unterscheidet sich von der Inflation der weniger bedeutenden nationalen Währungen.

Du sagst, dass die Zentralbanker und Regierungen auf diese Inflation so reagieren, wie es ihrem ideologischen Weltbild entspricht: Sie erhöhen die Zinsen, um die Nachfrage zu dämpfen und so die Preise zu senken. Keynesianer argumentieren dagegen, dass das nur in einer überhitzten Wirtschaft Sinn ergibt – wie zur Zeit des Volcker-Schocks Anfang der 1980erJahre –, heute aber nicht funktioniert. Robert Brenner geht sogar so weit zu argumentieren, dass die Fed und andere Zentralbanken einen anderen Weg einschlagen könnten: Anstatt die Nachfrage zu drosseln, sollten sie das Angebots ausweiten. Er fordert, dass die Regierungen den staatlichen Sektor ausbauen und Güter direkt bereitstellen sollten. Was hältst du von solchen linken Rezepten?

Brenner schlägt einen Schritt in Richtung Staatskapitalismus vor, bei dem die Lohnarbeit aufrechterhalten wird. Aber es gibt keine ernstzunehmende soziale oder politische Kraft, die sich den Ausbau staatlicher Kontrolle über die Wirtschaft wünscht. In der Realität ist der Staat nicht einmal in der Lage, Highways oder Brücken zu bauen. Er kann die öffentliche Gesundheit nicht gewährleisten. Er schafft es nicht, genug Munition für die ukrainische Armee zur Verfügung zu stellen, um die Russen zu bekämpfen. Die Flugsicherheitsbehörde fällt auseinander.

Der Staat ist außerstande, Maßnahmen zu ergreifen, die nicht im Interesse des Privatkapitals liegen. Die Klimakrise, genau wie mangelnde Flugsicherheit, stellt eine Bedrohung für das Kapital dar, allerdings eine Bedrohung für das Kapital im Allgemeinen, nicht für individuelle Kapitalisteninnen, also können sie überhaupt nichts dagegen unternehmen. Ein Staat, der den Interessen der größten Unternehmen – den Öl- und Automobilunternehmen sowie den größten Banken – derart unterworfen ist, wird nicht die Wirtschaft übernehmen, um den Lebensstandard der Bevölkerung zu verbessern oder gar die Erde vor dem Abfackeln zu bewahren. Die Abschaffung der Lohnarbeit zu fordern, scheint mir weniger utopische als solche linkskeynesianischen politischen Forderungen. Es gibt schlicht keine politische Kraft, die auch nur das Geringste an ihnen hätte – nur ein paar alte trotzkistische Professoren, die die Sozialdemokratie noch immer für eine realistische Position halten. Aber das ist sie nicht.