Leserbrief: Was hieße denn Radikalisierung der Enteignungskampagne?
Liebe GenossInnen,
gerne habe ich euren schönen Text „Kommt kein Schiff“ zur Kampagne „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ (DWE) gelesen. Allerdings habe ich dazu auch einen kurzen kritischen Kommentar.
Wie meines Erachtens öfter in euren Texten fällt der praktische Teil – also das, was aus der theoretischen Kritik folgt – relativ kurz und unbestimmt aus.
Ihr schreibt: Der Kampf „müsste jetzt erst richtig losgehen, und zwar zuallererst durch eine Radikalisierung der Kampfformen und eine Verallgemeinerung der Kritik, die sich nicht auf einzelne Immobilienkonzerne beschränkt, sondern die Eigentumsverhältnisse als ganze in Angriff nimmt.“ Meine Frage dazu lautet, welche Kampfformen konkret gemeint sind. Besetzungen? Und wäre das eine genauso massentaugliche Praxis wie die bürgerlich-reformerische DWE-Kampagne?
Um einem Missverständnis vorzubeugen: Ich meine nicht, dass das Elend postautonomer Kampagnenpolitik nicht kritisiert werden müsste. Die Frage, die ich mir nur eher stelle, ist: Was gilt es für kommunistische Gruppen stattdessen zu tun, solange die „Enteignung aller Häuser“ (und damit letztlich ein revolutionärer Bruch) nicht in Sicht ist?
Konkreter wäre meine Frage, warum ihr als kommunistische Gruppe nicht innerhalb von DWE solch eine Rolle eingenommen habt, eine „Radikalisierung der Kampfformen und eine Verallgemeinerung der Kritik“ auf die Eigentumsverhältnisse insgesamt voranzutreiben. Ich meine das als ehrliche, nicht als polemische Frage. Warum habt ihr euch dagegen entschieden, beziehungsweise für welche politische Praxis stattdessen?
Wäre die erfolgreichste linke Kampagne jüngerer Zeit nicht eine gute Gelegenheit gewesen, um für eine allgemeinere, radikalere Kritik am Kapitalismus zu werben? (Offen und nicht „entristisch“). Und zwar – leicht polemisch gesagt – im „Handgemenge der Kampagne“ anstatt auf einem linken Szene-Blog, den nur überzeugte KommunistInnen zur Kenntnis nehmen?
So kritikabel die postautonome Politik auch ist, so sehr scheint sogar der reformistische Gramsci-Poulantzas-Flügel der Interventionistischen Linken zumindest theoretisch vom revolutionären Bruch zu sprechen. Davon zu sprechen ist aber bekanntlich viel leichter, als eine reale revolutionäre Praxis zu entwickeln. Letztlich scheint mir die Frage zu sein, welche antagonistische, verallgemeinerbare Praxis unter überhaupt nicht revolutionären Bedingungen und bei einem Ausbleiben von radikalem Massenprotest überhaupt möglich ist.
Ich habe darauf natürlich keine Antwort und war sehr lange chronisch krank, auch eher nur dem theoretischen Rätekommunismus verbunden. Ich möchte auch keine Antwort. Trotzdem bin ich froh, wieder ein bisschen an kommunistischen Debatten teilhaben zu können. Und hoffe, dieser kurze, eher konkretistische Kommentar ist trotzdem interessant.
Mit lieben und solidarischen Grüßen,
David Ernesto García Doell
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