»Eine Bewegungssituation gab es nicht.«
Als im letzten Jahr die Lebensmittel- und Energiepreise historische Niveaus erreichten, durfte man begründet spekulieren, dass spätestens zur kalten Jahreszeit eine Welle von Preis-Protesten losbrechen könnte. Die (radikale) Linke jedoch schien und scheint weiterhin weitgehend paralysiert. Auch die gewerkschaftlich getragenen Proteste blieben gewohnt handzahm und schwach. Auf der Suche nach Praxisansätzen, die in dieser traurigen Lage partei- und gewerkschaftsunabhängig auf die Selbstorganisation der Lohnabhängigen als Mittel im Kampf gegen die Preiserhöhungen setzen, stießen wir auf die Basisgruppe Antifaschismus, die im Bremer Bündnis gegen Preiserhöhungen aktiv ist. Im Spätsommer 2022 berichtete die BA bereits in einem Interview mit der Plattform Radikale Linke aus Wien von der ersten Phase ihrer Organisationsbemühungen. Einen keineswegs ‚heißen Herbst‘ und Großteil des Winters später schien es uns an der Zeit, sie nach einer Zwischenbilanz zu fragen.
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Im Spätsommer 2022 waren eure Aktionsformen und Strukturen noch im Auf- und Ausbau begriffen. Wie haben sich die Dinge seitdem entwickelt?
Über ein halbes Jahr ist seitdem vergangen und wir blicken auf eine für uns sehr intensive und herausfordernde Zeit zurück, in der wir viel gelernt haben, die uns so manches Mal aber auch unsere eigenen Grenzen hat spüren lassen. Gemeinsam als Bündnis gegen Preiserhöhungen haben wir in Bremen in dieser Zeit sechs Regionalgruppen gegründet, insgesamt sieben Kundgebungen und Demos durchgeführt und „nebenbei“ eine kaum zu überblickende Menge an Veranstaltungen, Treffen und Infoständen organisiert. Es wurden wortwörtlich tausende Flyer und Plakate verteilt und verklebt, per social media und bürgerliche Presse eine große Öffentlichkeit erreicht und ungezählte Gespräche geführt. Wir blicken auf eine stürmische Zeit mit überfüllten und manchmal auch chaotischen Treffen zurück, auf so manchen Streit, aber auch auf viele gemeinsame Erfolgserlebnisse. Wir haben uns in dieser Zeit bundesweit vernetzt, waren im Austausch und vernetzt mit Gruppen und Bündnissen in bis zu 23 Städten. Wir haben uns gegenseitig über den Stand unserer Aktivitäten informiert, sie versucht strategisch einzuschätzen, haben Layoutmaterialien und Infrastruktur bundesweit miteinander geteilt und uns mit gemeinsamen Treffen und Veranstaltungen kennengelernt. Heute sind im Bremer Bündnis gegen Preiserhöhungen bis zu 100 Personen organisiert und vernetzt.
Damals habt ihr die „Wette“ formuliert, „dass wir im Herbst dann stark und verankert genug sind, als dass uns sowohl die Parteien, großen Gewerkschaften und Verbände mit ihren Showveranstaltungen auf dem Marktplatz nicht mehr einmachen können, als auch, dass wir bereits vor den Rechten die Straße haben.“ Ist die Wette aufgegangen? Und würdet ihr euren Praxisansatz als erfolgreich bewerten?
Wir haben darauf gewettet, dass, ähnlich wie die bundesweiten Proteste gegen die Einführung von Hartz IV 2004, es zu spontanen und massenhaften Protesten kommen würde. Für diese Proteste wollten wir ein Angebot schaffen. Nicht rechts oder konstruktiv auf Staat und Kapital gerichtet, sondern emanzipatorisch und antikapitalistisch. Wir wollten mit möglichst vielen anderen zusammen Formen und Strukturen antiautoritärer Selbstorganisation und Selbstermächtigung versuchen zu entwickeln und dabei in der Form möglichst offen, zugänglich und ansprechend sein. Die Wette haben wir verloren. Für unsere Inhalte und Formen haben wir zwar einen Zuspruch wie noch nie erlebt. Spontane massenhafte Proteste, gar eine Bewegungssituation gab und gibt es (bisher?) in Bremen aber nicht und wir haben auch nicht aus anderen Städten davon gehört. Trotzdem würden wir unseren Praxisansatz als erfolgreich bewerten. Es ist uns mit vielen anderen zusammen gelungen innerhalb kurzer Zeit einen Bremen-weiten Organisierungs- und Praxisansatz zu spannen, der antikapitalistische Inhalte mit ansprechenden Formen verbunden hat. Wir haben miteinander als Bündnis politische Netzwerke geschaffen und ein Maß an gegenseitiger Vertrauensarbeit geleistet, wie wir es in den 15 Jahren unserer Gruppenexistenz nicht kannten und kennen. Auch ohne die gefühlte kollektive Depression der Pandemiezeit wäre dies bereits ein Erfolg gewesen. Hier lassen sich die Bedeutung und die Folgen für die radikale Linke in Bremen in der kommenden Zukunft nur erahnen. Wir können bereits jetzt schon sagen, dass wir uns darauf freuen. Auch wenn wir die Wette vorerst verloren haben, mit der Methode des Bremer Bündnis gegen Preiserhöhungen haben wir miteinander ein Werkzeug entwickelt, von dem wir glauben, dass es, hätte es eine Bewegungssituation gegeben, die richtige, geeignete Antwort gewesen wäre. Dieses Wissen und diese Erfahrung nehmen wir mit für die kommenden Kämpfe.
Ihr hattet im erwähnten Interview auch die Sozialstruktur der Stadtteile angesprochen, in denen ihr eure Aktionen gestartet habt. In der Folge haben sich auch Preise-runter-Strukturen in weiteren Stadtteilen gebildet. Welchen Unterschied machen die jeweiligen Sozialstrukturen der Stadtteile?
Die unterschiedliche soziale Zusammensetzung, die unterschiedlichen Klassenstrukturen der Stadtteile machen einen enormen Unterschied für die politische Arbeit dort aus. Bereits 2016 hatten wir in unseren Thesen zu sozialen Kämpfen geschrieben: „Überhaupt lernen wir erst in den Kämpfen, wie kapitalistische Vergesellschaftung gegenwärtig konkret funktioniert und wie die systemimmanenten Widersprüche konkret verlaufen, indem wir uns damit auseinandersetzen, wie diese Kämpfe geführt werden und wo sie auftreten.“ In dem Sinne haben wir in den letzten Monaten enorm dazu lernen können und wir stehen mit Sicherheit immer noch erst am Anfang. Selbstverständlich sind Stadtteile keine homogenen sozialen Gebilde und eine dauerhafte Bindung an einen Stadtteil gibt es immer seltener. Die Häufigkeit wie oft Menschen umziehen, also ihren Stadtteil wechseln, ist seit Jahren, abhängig davon wie arm Personen sind, konstant hoch. Trotzdem aber gibt es deutlich erkennbare Unterschiedlichkeiten der jeweiligen Stadtteile. Als Bündnis war für uns immer eine der ersten Fragen, welche informellen Strukturen es in den jeweiligen Stadtteilen gibt. Wo gibt es Nachbarschaftscafés? In welchem Waschsalon lohnt es sich Plakate aufzuhängen? Welche Strukturen, ob Sportverein oder Teestube, gibt es dort? Welche Sprachen werden im Stadtteil gesprochen, was für andere politische Akteur*innen, ob in religiöser oder offen politischer Form gibt es dort bereits? Welche Erfahrung mit politischen oder anderen sozialen Konflikten gibt es dort? Unserer Erfahrung nach ist es dabei nicht klug, sich, vielleicht moralisch begründet, vor allem und zuerst an die Menschen zu richten, die am meisten und besonders betroffen sind. Stattdessen macht es Sinn, gezielt die Milieus zu suchen, die sowohl subjektiv etwas zu verlieren haben als auch schon biografisch Erfahrung mit sozialen Kämpfen haben, ob bei der Arbeit, in der Nachbarschaft oder sonst wo.
Der aktuellen Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung lässt sich entnehmen, dass vor allem Frauen und insbesondere Mütter die gegenwärtigen Belastungen spüren. Hat sich eine solche Geschlechterdifferenz auch in eurer Praxis in irgendeiner Form widergespiegelt?
Es gab Ansätze zu versuchen, im Bündnis dem Rechnung zu tragen. Mit dem Titel „Feministisch gegen die Preiserhöhungen kämpfen“ gab es eine Zeit lang einen entsprechenden Selbstorganisierungsansatz im Bündnis und auch im diesjährigen Aufruf zur Demo am 8. März des Bremer Feministischer-Streik-Bündnisses findet sich dies wieder. Darüber hinaus bisher leider nicht.
Uns kam zu Ohren, dass ihr euch aus berufener linksradikaler Ecke auch den Vorwurf gefallen lassen musstet, ihr würdet mit der Preise-runter-Kampagne eine reformistisch-sozialdemokratische Politik verfolgen. Was würdet ihr dem entgegnen? Worin seht ihr das emanzipatorische Potenzial eurer Praxis? Oder anders formuliert: Im letzten Interview meintet ihr: „Auch das Finden der eigenen Rolle als kommunistische Gruppe in solch einem breiten Bündnis ist vor allem ein Prozess in dem wir uns immer wieder aufs Neue daraufhin untersuchen müssen, ob wir uns nicht mit unseren Inhalten darin opportunistisch verloren haben, oder politisch ultralinks eingemauert. Ob und wie wir dieses Spannungsfeld, als antiautoritäre Kommunist*innen in einem breiten, gesellschaftlichen Bündnis um und für radikale Reformen zu kämpfen, gelingen wird, wird und kann uns nur die Zukunft zeigen.“ Sind wir inzwischen weit genug in der Zukunft, dass ihr ein Zwischenfazit ziehen könnt?
Gerade in der radikalen Linken finden sich leider eine Vielzahl an Begriffsverwirrungen, die Begriffe „Reform“, „reformistisch“ und „revolutionär“ gehören da besonders dazu. Unserem Verständnis nach bedeutet der Kampf für eine Reform den Kampf um eine unmittelbare Verbesserung. Reformismus dagegen ist die Vorstellung, mittels erkämpfter Reformen oder durch den Staat durchgeführter Reformen, diese Gesellschaft schrittweise überwinden zu können, bis sie irgendwann durch eine andere ersetzt worden ist. Wir halten diese Vorstellung nicht nur in gleich mehrfacher Hinsicht für illusionär, sondern auch für autoritär. Sie ist nicht auf die Selbstemanzipation der Menschen gerichtet. Es ist leider eine Illusion darauf hoffen zu können, dass all die, die subjektiv und objektiv ein Interesse an der Aufrechterhaltung dieser patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft haben, ob Bullen, Nazis oder Kapitalist*innenklasse, ruhig zugucken werden, wie wir ihnen langsam aber demokratisch-rechtsstaatlich die gesellschaftlichen Voraussetzungen für Ausbeutung und Unterdrückung entziehen. Die Vorstellung, mit Recht und Gesetz wäre etwas anderes zu machen als der Staat des Kapitals, setzt nicht nur die Abwesenheit von Staatskritik voraus. Sie will auch von fast über 100 Jahren Erfahrung mit einer mit staatlicher Gewalt ausgestatteten Sozialdemokratie nichts wissen. Was alle reformistischen Staatsfans eint, ist die Vorstellung, als Stellvertreter*innen die Gesellschaft, die Lebensumstände der Menschen, sie selber ändern zu können.
Negativ spiegelbildlich zu ihnen stehen die Linken, die der Gesellschaft abstrakt "die Revolution" entgegenhalten. Ein bisschen wie "Zeugen Jehovas des Kommunismus" versuchen sie die Frage der gesamtgesellschaftlichen Aufhebung in einem Gegensatz zu den Kämpfen um konkrete Verbesserungen zu stellen. Indem sie aber den Kampf gegen die konkreten Zumutungen an Revolution und befreiter Gesellschaft zu blamieren versuchen, spielen sie Ausbeutung und Unterdrückung gegen ihre gesellschaftlichen Ursachen aus. Wir sind aber nicht aus romantischen Gründen oder aus Identität Kommunist*innen, sondern weil wir wissen wie beschränkt auch noch der erfolgreichste Kampf um Reformen ist. Reform und Revolution sind kein Gegensatz, sondern im Gegenteil ein (dialektisches) Paar. Die revolutionäre Überwindung der unmittelbaren Reform ausschließend gegenüber zu stellen ist deswegen genauso autoritär wie die Sozialdemokratie. Auch diese Sorte "besonders" revolutionärer Linker schert sich eigentlich nur insofern um die Leute und ihre Lebensbedingungen, als sie als Objekte für ihre Revolution taugen. Als handelnde Subjekte ihrer eigenen Befreiung kommen sie auch bei ihnen nicht vor.
Das Bremer Bündnis gegen Preiserhöhungen ist ein breites Bündnis, das auf einer sehr allgemeinen antikapitalistischen Grundlage versucht den Kampf gegen eine unmittelbare Zumutung, die Verschlechterung der Lebensbedingungen durch die Preiserhöhungen, zu führen. Unserer Erfahrung nach gibt es dabei viele Missverständnisse über das Wort "Bündnis". Viele Linke denken sich "Bündnis" automatisch entsprechend ihren bisherigen Erfahrungen. Als einen Zusammenschluss von mehr oder weniger linken Organisationen. Das ist hier nicht so, das Bündnis ist ein Bündnis nicht von Organisationen, sondern von Personen, es ist eine Sorte Selbstorganisation. Entlang der eigenen Lebenslagen haben sich hier verschiedene Leute zusammengetan um sich gegen die Preiserhöhungen zu wehren. Das Bündnis versucht sich dabei nicht als alternative Politikberatung zu betätigen, es appelliert nicht an Politiker*innen. Politiker*innen und hauptamtliche Gewerkschaftsfunktionär*innen dürfen auf den Kundgebungen des Bündnisses nicht sprechen. Dagegen werden intensive inhaltliche und strategische Debatten miteinander geführt. Nach innen und außen wird sowohl praktische Solidarität organisiert als auch über die gesellschaftlichen Ursachen der Preiserhöhungen (selbst) aufgeklärt. All das in einer ansprechenden, zugänglichen und "nicht szenigen" Form. Offen gesagt, so denken wir uns emanzipatorische linksradikale Politik auf der Höhe der Zeit.
Dass wir kein Szenebündnis sind, heißt nicht, dass nicht auch einige Leute, die sich einer subkulturell oder politisch linken Szene zugehörig fühlen, im Bündnis gegen Preiserhöhungen organisiert sind. Wichtig ist uns aber, dass wir uns im Bündnis als Betroffene von Preiserhöhungen verstehen, nicht als Delegierte von Szenepolitgruppen oder als subkultureller Zusammenschluss.
Dazu ist es aber natürlich nicht von alleine gekommen. Es war und ist Ergebnis eines umkämpften Prozesses. Möchtegern-Berufspolitiker*innen hat das Bündnis eine Zeitlang so angezogen wie das Licht die Motten. Diverseste Internationalen und Parteiaufbauorganisationen und sonstige Politikgruppen haben versucht hier zu missionieren oder Einfluss zu gewinnen. Das hieraus nicht schnell das x-te Szenebündnis wurde oder gleich an obskuren Konflikten zerbrach, hatte auch strukturelle Gründe. Die Weiterentwicklung des Bündnisses hin zu einem Zusammenschluss von Arbeits- und Regionalgruppen verhinderte nicht nur die unverhältnismäßige Einflussnahme von Politgruppen und Politiker*innen, es zwang sie auch zur konstruktiven Mitarbeit im Bündnis. So verging manchen wohl schnell die Lust.
Deshalb finden wir die Frage, ob es doch noch gelingen wird den Protesten gegen die Preiserhöhungen Bewegungscharakter zu geben, fast nachrangig. Viel wichtiger ist, was bleibt vom Bündnis, von den Menschen in ihm. Dabei stellen wir uns die Frage, wie diese Organisierung in Zukunft, auch in Abwesenheit einer Bewegungssituation, funktionieren kann und sollte. Das heißt, wie wir erreichen, dass die entwickelten Netzwerke und Strukturen tatsächlich Bestand haben. Grundsätzlich freuen wir uns dabei aber schon auf die Zukunft, und die gemeinsamen Kämpfe mit den Strukturen in den Stadtteilen und anderen Orten der Stadt.
An dem von euch zitierten Spannungsfeld hat sich dabei nichts geändert, wir glauben es ist ein notwendiges und deshalb vermutlich auch dauerhaftes. Das Bremer Bündnis gegen Preiserhöhungen bereitet gerade einen Bremen-weiten Tag zur gemeinsamen weiteren Selbstverständigung, zur inhaltlichen Bestimmung der aktuellen Situation und des weiteren strategischen Vorgehens vor. Diesen Tag halten wir nicht nur für immens wichtig für die weitere Entwicklung des Bündnisses. Auch ein belastbares Zwischenfazit zum Stand der radikalen Kritik in den Protesten gegen die Preiserhöhungen werden wir dort hoffentlich ziehen können.
Der im letzten Jahr viel beschworene ‚heiße Herbst‘ ist ausgeblieben. Häufig hört man die Einschätzung, die Bundesregierung habe es mit ihren Maßnahmen geschafft, dem Wahl- und im Zweifel auch Protestvolk die größten Sorgen zu nehmen und so ‚den Druck aus dem Kessel‘ zu lassen. Teilt ihr diese Einschätzung? Überschätzt das nicht die Wirkmächtigkeit der Politik? Oder wären nicht auch andere Erklärungen denkbar, wie eine um sich greifende Ohnmacht und Resignation angesichts der Tatsache, dass man den sich zuspitzenden Krisendynamiken weitgehend vereinzelt ausgesetzt sieht? Wir hatten in der communaut-Redaktion aber beispielsweise auch darüber diskutiert, dass die DGB-Gewerkschaften und sozialpolitischen Verbänden, die im letzten Herbst nicht sonderlich erfolgreich zu Großdemos aufgerufen haben, in den Klassensegmenten, die am härtesten von den Preissteigerungen getroffen wurden, kaum ein Mobilisierungspotenzial haben, da es einen Bruch zwischen dem zivilgesellschaftlichen Protest-Milieu und den größten Inflationsverlierern gibt. Wie habt ihr das diskutiert?
Mit eurer Frage habt ihr uns die Antwort leider schon fast abgenommen, auch wir haben Ähnliches diskutiert. In Gesprächen mit vielen Leuten auf der Straße meinen wir ab ungefähr Oktober letzten Jahres einen langsamen Umschwung festgestellt haben zu können. Zur Wut und Empörung über die Preiserhöhungen, die bis heute geblieben ist, gesellte sich Hoffnung. Leider nicht auf gemeinsam zu erringende Erfolge gegen die Preiserhöhungen. Das es die bis heute nicht gibt, liegt, so glauben wir, auch ein bisschen an der Abwesenheit eines "Leuchtturms", d.h. eines herausragenden Beispiels, an Hand dessen wenigstens ein einzelner Erfolg kollektiven Protestes gegen die Preiserhöhungen beispielhaft sichtbar geworden wäre, das Mut gemacht und die von euch angesprochene Ohnmacht und Resignation aufgebrochen hätte. Die Hoffnung richtete sich deshalb auf das zu erwartende staatliche Handeln: Mit der Energiepreispauschale, dem Heizkostenzuschuss und anderen Einmalzahlungen ändert der Staat zwar auch nichts substantiell an der Verschlechterung der Lebensbedingungen durch die Preiserhöhungen. Sie funktionieren aber beispielhaft. Weil sie nicht nur punktuell wirklich nützlich sind, sondern auch symbolisch die Handlungsfähigkeit des Staates gegenüber seinem Staatsvolk es wenigstens teilweise vor weiterer Verarmung zu schützen, beweist. Die Botschaft ist so einfach wie überzeugend: Du musst nichts machen, wir kümmern uns um dich. Gegen diese Sorte betreuter Herrschaft ist unter den aktuellen Kräfteverhältnissen nur schwer anzukommen. Zudem müssen wir uns eingestehen, auch wir hatten die Fähigkeit des deutschen Staates zwischen Corona, Krise und Krieg noch so reagieren zu können, etwas unterschätzt.
Einzig guter Nebeneffekt am Rande: Auch für die Rechten ist die Wette (bisher) nicht aufgegangen, auch ihnen ist es nicht gelungen massenhafte Proteste zu entwickeln. In Bremen haben die Strukturen von Querdenken und Co. sich inzwischen sogar fast völlig aufgelöst. Die sozial-reaktionären Sarah-Wagenknecht-Ultras von "Aufstehen" haben es hier sogar bisher nicht einmal auf die Straße versucht.
Etwas anders dagegen, wenn wir euch richtig verstehen, sehen wir die Frage zum Zusammenhang der DGB-Gewerkschaften und Sozialverbände sowie der Proteste gegen Preiserhöhungen. Betroffen von den Preiserhöhungen sind ja alle Segmente unserer Klasse. Die, die am "härtesten" betroffen sind, weil ihre Einkommenslage als Niedriglohn oder Transferleistungsbeziehende bereits schon vorher furchtbar war, schätzen wir nicht als die Segmente ein, von denen wir Proteste am ehesten erwartet hatten bzw. erwarten. Es sind ja gerade diese Milieus die jetzt keinerlei Ressourcen mehr haben, um kämpfen zu können, deren soziales und kulturelles Kapital auch schon vorher weitgehend aufgebraucht war. Zudem greift hier teilweise der Sozialstaat mit der Übernahme von anfallenden Heiz und Betriebskosten im Transferleistungsbezug ein. Strategisch haben auch wir übrigens deshalb nie bevorzugt auf diese Milieus orientiert, sondern versucht uns an die zu richten, die sowohl subjektiv "noch" etwas zu verlieren haben als auch Ansätze von solidarischer, meist vor allem informeller, Organisierung aufweisen.
Einen Unterschied sehen wir zudem zwischen dem von euch angesprochenen "zivilgesellschaftlichen Protest-Milieu" und den vom DGB und den Sozialverbänden ansprechbaren Bevölkerungsgruppen. Unserer Erfahrung nach sind die Sozialverbände, jedenfalls in Bremen, nicht in der Lage jemanden zu mobilisieren. Das hat unserer Beobachtung nach etwas mit den Folgen des neoliberalen Umbaus des Staats Anfang der 90er Jahre zu tun und der damit einhergehenden Umwandlung der Zivilgesellschaft in staatlich finanzierte, im Wortsinne professionalisierte "Träger", in ideologische Staatsapparate. An die Stelle der Massenorganisationen der fordistischen Industriegesellschaft sind hochspezialisierte Sozialarbeiter*innen und Rechtsanwält*innen getreten die protostaatliche Aufgaben übernehmen. Wer aber statt "Genossen" und "Kollegen" nur noch "Klienten" hat, kann niemanden mehr mobilisieren.
Ähnlich aber anders sieht es bei den DGB-Gewerkschaften aus. In und um die Apparate einzelner DGB-Teilgewerkschaften, vor allem von ver.di und der IG Metall, finden in den letzten Jahren zunehmend Kämpfe um eine veränderte, klassenkämpferische Ausrichtung dieser statt. Entsprechend liegen dort auch die Mobilisierungsstärken, vor allem im betrieblichen Bereich. Eine darüber hinausweisende "politische" Arbeiter*innenbewegung, die für Proteste gegen Preiserhöhungen ansprechbar wäre - machen wir uns nichts vor - gibt es dagegen aber gerade nicht. Die Spitzen des DGB sind zudem unmittelbar mit der Bundesregierung verbunden, ein Protestinteresse "von links" ohne Not und Druck gibt es dort nicht. In der Kombination dessen, in der am besten Fall Halbherzigkeit der Protestaufrufe der Gewerkschaftsführungen, sehen wir die Gründe für die Protestschwäche der DGB-Gewerkschaften gegen die Preiserhöhungen. Anders sah es übrigens unserer Wahrnehmung nach auf anderen Ebenen der Gewerkschaftshierarchien aus. Sowohl mit Gewerkschaftsjugenden als auch mit einzelnen Fachbereichen zum Beispiel von ver.di, standen wir von Anfang an in einem engen Kontakt. Aktive aus Betriebsgruppen haben auf unseren Kundgebungen gesprochen.
Schließlich sehen wir in dem von euch angesprochenen "zivilgesellschaftlichen Protest-Milieu" eine dritte Gruppe, die in der sozialen Zusammensetzung vor allem akademisch-studentisch-kleinbürgerlich und politisch eher grün-linksliberal und auf andere Fragen orientiert ist. Dass sich dieses Milieu den Protesten gegen Preiserhöhungen bisher nicht angeschlossen hat, verwundert uns deswegen auch nicht.
Wie schätzt ihr die aktuellen Tarifauseinandersetzungen (Öffentlicher Dienst, Post...) ein, da es dort auch um Inflationsausgleich geht? Versucht ihr dort zu intervenieren?
Jenseits von oberflächlichen Beobachtungen haben wir uns bisher nicht intensiver mit den Tarifauseinandersetzungen beschäftigt. Von einer Intervention von "außen" in die Kämpfe der Kolleg*innen halten wir aber nichts. Ob und wenn ja welche Potentiale eine Verbindung der Tarifauseinandersetzungen in Bremen mit dem Bremer Bündnis gegen Preiserhöhungen hat, sind Fragen die wir erst noch als Bündnis miteinander besprechen müssen.
Auch wenn sich die Dynamik der Preissteigerung dieses Jahr etwas abschwächt, wird sie doch spürbar bleiben. Wie schätzt ihr das Potenzial für soziale Kämpfe um die Preissteigerungen für dieses Jahr (in Bremen) ein? Und was für Lehren zieht ihr aus euren Erfahrungen für die Diskussion darüber, was für eine Organisationsform ein sozial-revolutionärer, antiautoritär-kommunistischer Pol bräuchte, um in der aktuellen Gemengelage eine größere Rolle zu spielen?
Das sind Fragen, die wir ehrlich gesagt, gerade nicht beantworten können. Ob es doch noch zu spontanen Protesten kommt hängt vermutlich von weiteren äußerlichen Umständen ab, die für uns gerade schwer absehbar sind. Wie wird sich der russische Krieg gegen die Ukraine und der damit einhergehende Wirtschaftskrieg weiterentwickeln? Welche Auswirkungen wird dies auf die weitere Wirtschaftsentwicklung und die Möglichkeiten des deutschen Staats, hier gestaltend einzugreifen, haben? Gibt es vielleicht neue Wellen der Corona-Pandemie, zum Beispiel in der VR China, mit Auswirkungen auf die globalen Logistikketten? Wie sieht es mit der Weiterentwicklung der innerdeutschen Politik und der politischen Rechten aus? Das sind alles Fragen, deren Weiterentwicklung und Ausgang wir gerade nur beobachten können. Denn um als radikale Linke ein eigenständiger, handlungsfähiger Akteur sein zu können, sind wir auf absehbare Zeit zu schwach.
Bestätigt gesehen haben wir uns dagegen in unserer Organisationsform als antiautoritär-kommunistische Kaderorganisation. Das und unsere organisatorische Methode, nicht entlang (jährlich) geplanter Kampagnen, sondern auf die scheinbar jeweils gerade hauptsächlichen gesellschaftlichen Widersprüche gerichtet tätig zu sein und das entlang von "Köpfen, Lagen und Interessen", glauben wir hat uns erst in die glückliche Lage versetzt hier und so früh tätig werden zu können.