Was tun gegen die Explosion der Energiepreise?

22. März 2023

Wie so oft nehmen die Arbeiter:innen in Frankreich die Sache selbst in die Hand: Während immer wieder Hunderttausende gegen die geplante Rentenreform von Macron auf die Straße gehen, fahren Energiearbeiter:innen frühmorgens in Marseiller Arbeitervierteln herum und manipulieren Gaszähler, sodass die Bewohner:innen für die nächsten Monate nur noch die Hälfte oder im besten Fall gar nichts mehr zahlen müssen. Auf den Streikversammlungen der Gewerkschaft CGT im Januar wurde einstimmig beschlossen, in diversen größeren Städten wie Paris, Lille und Marseille auch Schulen, Krankenhäuser und andere öffentliche Einrichtungen kostenlos mit Energie zu versorgen. Seit den Anfängen der Privatisierung der staatlichen Energieversorger EDF-GDF im Jahr 2004 greifen die Beschäftigten immer wieder auf diese „Robin-Hood“-Aktionen zurück. Um aktuell den Druck auf die Regierung zu verstärken, besetzen sie sensible Stellen der Energieinfrastruktur und nehmen gezielt Politiker ins Visier. So haben sie dem Senatspräsidenten Larcher während des Aktionstags am 7. März kurzerhand den Strom abgestellt und auch in Annonay, der Hochburg des Arbeitsministers Olivier Dussopt, kam es zu vielen Stromausfällen. Sie wollen erreichen, dass ihr spezielles Rentensystem auf alle ausgeweitet wird.

Für eine ganz andere Kampfform haben sich englische Aktivist:innen entschieden. Die von ihnen im letzten Jahr ins Leben gerufene Don´t-Pay-Kampagne hat weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Eine Million Unterschriften sollten gesammelt werden, um auf die explodierenden Strompreise mit einem Zahlungsstreik zu reagieren. Die Angry Workers setzen sich in ihrer Kritik, die wir im Folgenden (leicht gekürzt) übersetzt haben, unter anderem mit der Frage auseinander, was die aktuelle Kampagne von der Poll-Tax-Bewegung Ende der 80er Jahre, von der sie stark beeinflusst ist, unterscheidet und inwiefern heute andere Ausgangsbedingungen herrschen als im Italien der 1970er Jahre, wo Arbeiter eigenmächtig die Preise für Energie, Wohnen, Transport und Freizeitunternehmungen herabgesetzt haben.

Auch in Deutschland hat sich die Initiative „Wir zahlen nicht“ gegründet, die jedoch im Vergleich zu ihrem britischen Vorbild nicht richtig an Fahrt aufzunehmen scheint. Wir hoffen, die kritische Auswertung der Kampagne von den Angry Workers trägt dazu bei, die Diskussion im deutschsprachigen Raum anzuregen, von den Erfahrungen der britischen Aktivist:innen zu lernen und im besten Fall ähnliche Fehler zukünftig zu vermeiden.

***

In den ersten Monaten war es teilweise sehr aufregend, Teil der Don´t-Pay-Kampagne zu sein. Überall entstanden lokale Gruppen. Die Kanäle der sozialen Medien explodierten. Auf Festivals und Bahnhöfen wimmelte es von Menschen, die nicht nur von der Kampagne wussten, sondern auch stapelweise Flugblätter haben wollten, um sie selbst zu verteilen. Dadurch, dass die Kampagne direkt zu Anfang große Beachtung in den Medien fand, nahm sie schnell an Fahrt auf und innerhalb von zwei Monaten haben fast 100 000 Menschen ihre Teilnahme zugesagt. Niemand wusste, wo das hinführen wird. Nach dem Elend der Pandemie und den Jahren erdrückender Passivität war das Gefühl, dass wir endlich etwas erreichen könnten, berauschend. Sechs Monate später hat man das Gefühl, dass sich die Kampagne fast in Luft aufgelöst hat. Das Folgende ist ein erster Versuch zusammenzufassen, was genau passiert ist und einige Überlegungen zu den bisherigen Erfahrungen anzustellen. Weitere Informationen über die aktuelle Protestwelle in Großbritannien findet ihr in unserem Artikel über die Streiks oder den allgemeinen Hintergrund der aktuellen Situation.

Im September 2022 wies Großbritannien mit 49,4% die höchste Inflation der Energiekosten unter den G7-Staaten auf, weit mehr als doppelt so viel wie Kanada (14 %), Japan (16,8 %), Frankreich (18,6 %) oder die Vereinigten Staaten (19,8 %). Dafür gibt es mehrere Gründe: eine starke Abhängigkeit vom Gas (an das der Inlandspreis aller anderen Energieträger gekoppelt ist), ein weit verbreitetes Investitionsdefizit, die kürzlich erfolgte Stilllegung wichtiger Gasspeicher, notorisch schlecht isolierte Häuser und ein ungenügender "Preisdeckel“ auf dem heimischen Energiemarkt. Er wurde ursprünglich eingeführt, damit Energieunternehmen von Kunden, die sich nicht regelmäßig nach besseren Angeboten umsehen, nicht zu hohe Preise verlangen. Er legt fest, wie viel sie pro Gas- und Stromeinheit verlangen dürfen, und hat den Gewinn auf eine Marge von 1,9 % beschränkt. Damit wurde zwar eine offensichtliche Form der Profitmaximierung (die gegen passive Kunden verhängte "Treueprämie") unterbunden, aber der Energiemarkt blieb den aggressiven Erhöhungen der Gaspreise auf dem Weltmarkt während der Pandemie und nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine ausgesetzt.

Bis August dieses Jahres konnte der Preisdeckel nur zweimal jährlich, im April und im Oktober, von der britischen Energieregulierungsbehörde Ofgem angepasst werden. Als die Großhandelspreise für Gas im Jahr 2021 in die Höhe geschnellt sind, konnten sie daher ihre Endkundenpreise nicht sofort an die gestiegenen Kosten anpassen, und so ist die Hälfte der britischen Energieversorger innerhalb weniger Monate zusammengebrochen. Die Kosten dieser Firmenpleiten wurden dann in Form einer "Dauergebühr" auf alle Energieverbraucher abgewälzt, die zusätzlich zu den gestiegenen Energiepreisen über 350 Pfund pro Jahr ausmacht und mit weiteren Firmenzusammenbrüchen noch weiter steigen wird.

 

Don’t Pay UK

Die Kampagne wurde gestartet, nachdem die Energiekosten nach der Anpassung der Preisobergrenze im April 2022 um mehr als die Hälfte gestiegen waren. Die Idee eines Zahlungsstreiks lag in der Luft, und eine kleine Gruppe in London, von der viele miteinander befreundet sind und sich seit der Studentenbewegung von 2010 gemeinsam organisieren, hat eine erste Strategie sowie eine digitale und organisatorische Infrastruktur entwickelt. Ziel der Kampagne sei es, vor der nächsten Preiserhöhung am 1. Oktober 2022 eine Million Zusagen für einen Zahlungsstreik zu erreichen. Die Streikenden sollten ihre Lastschriften bei ihren Energieversorgern solange aussetzen, bis drei Forderungen erfüllt sind: eine Rücknahme der Preisobergrenze auf das Niveau von vor April 2021; die Abschaffung von zwangsweise eingerichteten Prepaid-Zählern;1 und ein "sozialer Energietarif" für Menschen mit geringem Einkommen und für "Gemeinschaftsgüter" (Pubs, Schulen, Gemeindezentren usw.). Die Regierung wäre gezwungen einzugreifen, um weitere Energieversorger vor dem Zusammenbruch zu bewahren, und standardisierte Schuldeneintreibungen würden bei dieser Größenordnung nicht mehr funktionieren, so ihre Hoffnung. In Großbritannien sind Lastschrift-Kunden durch verschiedene Schutzmechanismen vor der Abschaltung solange geschützt, bis verschiedene vorherige Maßnahmen ausgeschöpft sind. Theoretisch könnten Streikende so ihre Zahlungen bis zu mehreren Monaten zurückhalten, bevor härtere Strafen verhängt würden.

Nach und nach haben sich lokale Postleitzahlengruppen gegründet, um mehr Unterstützung für den Streik zu erlangen. Sie wurden ermutigt, Flugblätter und Aufkleber zu verteilen, bei ihren Nachbarn anzuklopfen und Stände und Veranstaltungen zu organisieren. Freiwillige haben jeweils eine WhatsApp-Gruppe für ihr Postleitzahlengebiet eingerichtet, die dann an alle anderen Freiwilligen, die sich dort registriert haben, weitergeleitet wurde. Angesichts der begrenzten Kapazität der zentralen Organisationsgruppe wurde schon früh beschlossen, dass die Postleitzahlengruppen autonom und dezentral sein sollten. Auf der einen Seite gab dies den Gruppen volle Handlungsfreiheit bei der Entwicklung von Taktiken entsprechend der spezifischen Gegebenheiten (nur gab es ohne übergreifende Struktur oder klare Voraussetzungen für das Bündnis keine absoluten Grenzen dieser Autonomie). Auf der anderen Seite hat dies in der Praxis dazu geführt, dass viele Postleitzahlengebiete zersplittert und voneinander isoliert geblieben sind. Für lange Zeit haben sich die wenigen regionalen Gruppen nur auf der Basis von bereits bestehenden Freundschaften oder Kontakten herausgebildet (in Form größerer WhatsApp-Gruppen, in denen Mitglieder aus größeren Postleitzahlengebieten zusammenkamen), so dass die landesweite Verteilung äußerst ungleichmäßig blieb. Ohne übergreifende Koordinierungsstrukturen ging die taktische Freiheit auf Kosten gleichmäßiger Verantwortung, und notwendige strategische Entscheidungen blieben automatisch in den Händen des zentralen Organisationskollektivs. Obwohl im Laufe der Zeit allmählich Feedback-Mechanismen entwickelt wurden, um die Ansichten und Erfahrungen der Postleitzahlengruppen an die Kerngruppe weiterzugeben, blieb die ganze Struktur recht unzusammenhängend.

 

'Das ist existenziell'

Der Rücktritt von Boris Johnson als Premierminister weniger als einen Monat nach Beginn der Kampagne hat die Regierung für den gesamten Sommer handlungsunfähig gemacht. Einen besseren Zeitpunkt hätte es kaum geben können: Die Regierung war in den entscheidenden ersten Monaten der Kampagne zu keinerlei substanziellen politischen Maßnahmen imstande und vollständig delegitimiert, nachdem sich Johnson zu lange an sein Amt geklammert hatte. Unterdessen entbrannte unter potenziellen Nachfolger:innen ein wüster Machtkampf. Das wiederum verstärkte den Eindruck in der Öffentlichkeit, dass wir jetzt, da die Politiker:innen damit beschäftigt sind, sich untereinander zu streiten, auf uns allein gestellt sind.

Anfang September hatte die Kampagne zwar fast 170.000 Unterschriften erreicht, aber die kurzzeitige Machtübernahme von Liz Truss brachte die Regierung schließlich wieder ins Spiel. Sie kündigte rasch eine "Energiepreisgarantie" (EPG) an, die die Preisobergrenze der Regulierungsbehörde Ofgem durch eine neue Obergrenze für Grundgebühren und verbrauchte Einheiten für Gas und Strom ersetzen sollte.

Nach ihrem raschen Zuwachs im Sommer beanspruchten die Aktivist:innen das EPG schnell als Zugeständnis an die Kampagne und trieben den Streik voran. Unabhängig davon, ob dies wirklich der Kampagne zuzuschreiben ist oder nicht, hat das EPG viele Organisator:innen ermutigt und ihnen das Gefühl gegeben, dass sie die Regierung vor sich her treiben können. Dies wurde einen Monat später noch verstärkt, als Open Democracy Lobbydokumente veröffentlicht hat, in denen der Energieversorger E.ON behauptet hat, das Problem nicht gezahlter Rechnungen sei "existenziell" für den Energiesektor. Ein Zahlungsstreik von einer Million Kunden würde den Energiesektor 265 Millionen Pfund pro Monat kosten, wovon E.ON allein 45 Millionen Pfund schultern würde.

Sicherlich hat die Kampagne eine Rolle bei der Einführung des EPG gespielt, aber es gab auch andere wichtige Faktoren, die den Umfang und den flächendeckenden Charakter des EPG beeinflusst haben.2 Die Überzeugung, dass die Kampagne die Ursache für das EPG war, stärkte zwar das Selbstvertrauen und die Entschlossenheit vieler Aktivist:innen der Kampagne, führte aber auch zu einer, wie es damals schien, ziemlich befremdlichen Fehleinschätzung der tatsächlichen Stärke der Kampagne. Natürlich müssen wir auch das Gefühl haben, tatsächlich in der Lage zu sein, Dinge zu verändern (mehr dazu weiter unten), aber je weiter unser Gefühl der eigenen Stärke vom tatsächlichen Kräfteverhältnis abweicht, desto größer ist die Gefahr von taktischen Fehltritten und Desillusionierung im weiteren Verlauf der Kampagne.

Während die EPG einige Beteiligte der Kampagne vorwärts trieb, sind andere von der Bildfläche verschwunden. Obwohl die Rechnungen im Oktober trotz des EPGs doppelt so hoch wie im letzten Jahr waren, reichte dies aus, um die absolute, katastrophale Verzweiflung zu mildern, die viele empfunden haben. Viele der weniger aktiven Beteiligten der Kampagne sind in dieser Zeit verschwunden. Die zurückgehende Dynamik zu diesem Zeitpunkt ist jedoch nicht nur auf das Eingreifen der Regierung zurückzuführen. Mitte September hat es immer noch nicht 190.000 Zusagen von Nichtzahlungswilligen gegeben, und es wurde immer deutlicher, dass das Ziel von einer Million bis zum 1. Oktober nicht erreicht werden würde. Nachdem wir den Sommer über viel Rückenwind hatten, fühlten sich viele von uns plötzlich orientierungslos, da klar wurde, dass es im Oktober keinen Streik geben würde. Verschärft wurde die Situation durch die lokale Zersplitterung auf der einen Seite und die Zentralisierung der nationalen Struktur auf der anderen Seite. Ohne klar festgelegte Richtlinien für Entscheidungsfindungen oder Diskussionen blieben die strategischen Gespräche, die stattgefunden haben, unzusammenhängend und unklar. Die meisten Teilnehmer haben einfach nur ruhelos die Social-Media-Kanäle beobachtet und darauf gewartet, dass ihnen mitgeteilt wurde, was als nächstes zu tun sei. Von vielen zunächst nicht bemerkt, hat die zentrale Organisationsgruppe am 24. September das Ziel der Kampagne vom 1. Oktober auf den Zeitpunkt geändert, an dem eine Million Unterstützungszusagen erreicht sein werden. Der 1. Oktober kam und ging vorbei, begleitet von einigen Protesten und Straßenständen, aber es geschah nichts Außergewöhnliches.

Von diesem Zeitpunkt an schien die Kampagne jegliche Massentauglichkeit verloren zu haben und in die Isolation einer herkömmlichen Kampagne abzugleiten. In einem letzten verzweifelten Versuch der Wiederbelebung wechselte die Kampagne am 26. Oktober mit rund 230.000 nominellen Zusagen erneut das Ziel, indem sie diesmal für den 1. Dezember einen Streik ankündigte, unabhängig davon, wie viele Menschen ihre Teilnahme zugesagt hatten. Auf der einen Seite sollte so der dramatische Verlust an Dynamik rückgängig gemacht werden, auf der anderen Seite spiegelte die Entscheidung die weiterhin überzogene Wahrnehmung von Stärke wider. Diesmal fand die Ankündigung jedoch kein wirkliches Echo bei den Medien, der Regierung oder den Energieunternehmen, und selbst viele der engagierteren Aktivist:innen zogen sich zurück. Die übrig gebliebenen Gruppen haben sich vom Streik weg hin zu Protestaktionen oder "gegenseitiger Hilfe" orientiert, allerdings eher in kleinem Rahmen und mit begrenzter Reichweite. Theoretisch begann der Streik wie geplant am 1. Dezember, obwohl niemand zu wissen scheint, wie viele sich daran beteiligt haben und die sozialen Medienkanäle der Kampagne größtenteils verstummt sind. Unabhängig von der Kampagne hat die Energieregulierungsbehörde Ofgem errechnet, dass von Juli bis September, also noch vor den Preiserhöhungen von Oktober und Dezember, bereits fast 2,3 Millionen Strom- und fast 1,9 Millionen Gaskunden in Zahlungsverzug geraten sind. Weit davon entfernt, die Zwangsmaßnahmen funktionsuntüchtig zu machen, wurde auf Zahlungsausfälle dieser Größenordnung mit industrieller Effizienz reagiert: Mehr als 320.000 Menschen wurden in diesem Jahr bereits zwangsweise auf Prepaid-Zähler umgestellt, im Jahr 2021 waren es noch knapp 50.000. Ein Gericht in Nordengland brauchte nur drei Minuten, um Genehmigungen für 496 Anlagen zu bestätigen. Da sich die breitere Kampagne inzwischen aufgelöst hat, gab es praktisch keinen Widerstand gegen diese Maßnahmen. Zumindest vorläufig scheint der Moment vorbei zu sein.

 

Spontaneität und Neuzusammensetzung

Die Don´t-Pay-Kampagne wurde stark von der Kampagne gegen die Kopfsteuer (poll tax) in Großbritannien Ende der 1980er Jahre sowie von den eigenmächtigen Preissenkungen durch die Arbeiter:innen in Italien im Bereich Energie, Wohnung, Transport und Freizeit in den 1970er Jahren beeinflusst. In beiden Fällen haben sich die Bemühungen, sich gegen eine allgemeine Verschlechterung des Lebensstandards zu wehren (eine Pauschalsteuer in Großbritannien, Inflation in Italien), wie ein Lauffeuer in den Vierteln der Arbeiter:innenklasse verbreitet, ohne dass sie von den großen Gewerkschaften und Parteien gelenkt (oder auch nur unterstützt) wurden. Dies verlieh der Bewegung der Klasse einen Anschein von Spontaneität.3 Die Bewegung gegen die poll tax war tief in Sozialsiedlungen und ärmeren Stadtteilen verwurzelt und wurde von einer nach heutigen Maßstäben relativ erfahrenen und kämpferischen Arbeiter:innenklasse vorangetrieben. Da die Thatcher-Jahre mit der Niederlage der Arbeiter:innenbewegung in Verbindung gebracht werden, vergisst man leicht, dass es weiterhin Kämpfe gegeben hat und der Fatalismus und die Resignation der späteren Jahre damals noch nicht so weit verbreitet waren. Anfang der 80er Jahre wurde nicht einmal erwartet, dass Thatcher ihre erste Amtszeit überleben würde. Die Arbeiter:innenklasse war zu dieser Zeit durch die Konflikte der 70er Jahre kampferprobt, und viele Arbeiter:innen hatten unmittelbare Erfahrung mit organisiertem Kampf, von ganz praktischen Dingen wie der Durchführung von Versammlungen bis hin zu Entscheidungsstrukturen auf lokaler, regionaler oder nationaler Ebene. Bei allen Beschränkungen der Organisationsformen dieser Zeit ist es doch bemerkenswert, dass die Bewegung gegen die poll tax im Gegensatz zu den zersplitterten Postleitzahlengruppen der Don´t-Pay-Kampagne es geschafft hat, in relativ kurzer Zeit (und ohne den Einsatz des Internets!) stabile Gruppen mit relativ klaren und umfassenden Entscheidungs- und Koordinierungsstrukturen und delegierter Arbeitsteilung aufzubauen. In Italien war der allgemeine Organisationsgrad und die Kampfbereitschaft in den 1970er Jahren sogar noch höher und ermöglichte eine eigenmächtige Senkung von Preisen, die weit über alles andere in der jüngeren Geschichte hinausging: Arbeiterkollektive im Energiesektor schlossen Haushalte wieder ans Stromnetz an, die gemeinsam entschieden hatten, ihre Rechnungen nicht mehr zu bezahlen; Bauarbeiter haben neu errichtete Luxuswohnungen für Arbeiter:innenfamilien zur Nutzung geöffnet; Scharen junger Arbeiter:innen haben Zäune und Tore an Kinos oder Festivals eingerissen und haben so Kunst und Musik für die Arbeiter:innenklasse ermöglicht. Für kurze Momente wurden proletarische Viertel zu No-Go-Areas für Gerichtsvollzieher und die Polizei.

Auch wenn die rasche Ausbreitung dieser Kämpfe den Anschein von Spontaneität erweckt haben mag, so bedingen doch immer spezifische soziale, politische und technische Faktoren den Spielraum für ihre Ausbreitung. Die italienischen Aktivist:innenen der 70er Jahre haben diese sozialen, politischen und technischen Faktoren als Elemente der "Klassenzusammensetzung" bezeichnet, d.h. die Art und Weise, wie die Arbeiterklasse durch die kapitalistische Gesellschaft geformt wird und sich als Reaktion darauf selbst formt. In Großbritannien erleben wir derzeit, inwiefern 30 Jahre an Neuzusammensetzung der Klasse unseren Versuchen im Wege stehen, Taktiken aus der Vergangenheit wieder anzuwenden. Obwohl die Arbeiter:innenklasse in den 1970er und 80er Jahren bereits erheblichen Veränderungen unterworfen war, war sie im Vergleich zu heute ein geschlosseneres Gebilde. Viel mehr Menschen haben in großen Siedlungen zusammengelebt, hatten soziale Beziehungen zu ihren Nachbarn, haben in denselben (oft großen) Betrieben gearbeitet und ihre Kinder haben dieselben Schulen besucht. Zudem war der "Sozialismus", selbst in der abgeschwächten Form der Nachkriegssozialdemokratie, eine politische Mainstream-Perspektive, der sich Millionen von Menschen angeschlossen haben, und die kampferprobten Gruppen waren zahlreicher und einflussreicher als zu jedem anderen Zeitpunkt. Es geht nicht um Nostalgie für diese Jahre (nicht zuletzt, weil diese „Klasseneinheit“ durchaus mit Ausgrenzung einherging und durch einen bestimmten sozialen Konservatismus beschränkt war), aber trotz aller Begrenzungen haben diese Bedingungen und die damaligen sozialen Bindungen, Perspektiven und Erfahrungen es den Initiativen gegen die poll tax und zur eigenmächtigen Preissenkung im Italien der 70er Jahre ermöglicht, eine Breite und organisatorische Festigung zu erreichen, wie es den Aktivisten der Don´t-Pay-Kampagne trotz starker Unterstützung nicht gelungen ist.

In den letzten 30 Jahren ist die Arbeiter:innenklasse in Großbritannien politisch "zersetzt" worden. Dies geschah parallel zu grundlegenden Veränderungen in der Art und Weise, wie wir leben und arbeiten, die viele von uns stärker sozial isoliert haben als je zuvor. Genau diesem Zustand wollte die Kampagne etwas entgegensetzen, und in gewissem Sinne spiegeln ihre größten Stärken auch ihre grundlegendsten Grenzen wider. Nach Jahren der Unterwerfung und Resignation und den tiefen Spaltungen durch Brexit, Politik und die "Kulturkriege" wollten die Gründer der Kampagne das oben beschriebene "Problem der Zusammensetzung" angehen. Wie die italienischen Aktivist:innenen der 70er Jahre hat auch die Don´t-Pay-Kampagne gehofft, die Kämpfe um konkrete, alltägliche proletarische Bedürfnisse als Kitt zu nutzen, um eine einheitlichere Arbeiter:innenklasse neu zu formieren. Dabei ging es nicht nur um die Erfüllung einer oder mehrerer Forderungen, sondern darum, die Klasseneinheit herzustellen und gesellschaftliche Ansprüche auf eine allgemeine Versorgung durchzusetzen. Von Anfang an haben sie sich darum bemüht, eine „organisatorisch eigenständige, unpolitische" Plattform aufzubauen, die sich von der radikalen Linken samt ihrer Ästhetik fernhält und so von möglichst vielen Teilen der Gesellschaft unterstützt wird. Durch den Fokus auf allgemein geteilte Bedürfnisse, die dezentralen Gruppen und die „unabhängige“ Plattform wurde formal niemand ausgeschlossen; alle konnten sich so beteiligen, wie sie es für richtig hielten. Theoretisch sollte auf diese Weise das Potenzial für eine breite Einheit und für eine politische Neuzusammensetzung geschaffen werden. Praktisch hatte die Kampagne jedoch Mühe, das Problem der sozialen Zersplitterung zu überwinden, und ihre formale Einheit blieb schwach.

Während die globalen Besetzungsbewegungen von 2011 häufig von ihren verleugneten Differenzen wieder eingeholt wurden, die sich auf den öffentlichen Plätzen in offenen Konflikten und Spaltungen niederschlugen, kam es bei der Don´t-Pay-Kampagne insofern zu Spaltungen, dass die Überarbeiteten schlicht verschwunden sind. Zunächst einmal war ein großer Teil der Arbeiter:innenklasse durch die Verwendung von Prepaid-Zählern ohnehin von einer vollen Teilnahme an der Kampagne ausgeschlossen. Zu Beginn dieses Jahres hat schätzungsweise jeder fünfte Haushalt einen solchen Zähler benutzt, wobei es sich fast ausschließlich um Proletarier:innen handelte. Da Kunden mit Prepaid-Zählern die Zahlung nicht verweigern können, gab es für sie keine Möglichkeit, sich direkt an dem Streik zu beteiligen. Infolgedessen vermieden lokale Gruppen häufig die Kampagnenarbeit in ärmeren, überwiegend von Migrant:innen bewohnten Arbeiter:innenvierteln, in der naheliegenden Annahme, dass die Menschen in diesen Vierteln keine Lastschriften zu kündigen hätten. Infolgedessen wurde eine demografische Tendenz hin zu prekär beschäftigten professionals geschaffen und verstärkt. Hinzu kam, dass vor allem WhatsApp-Gruppen und Zoom-Meetings genutzt wurden, um miteinander zu kommunizieren. Obwohl die Hauptorganisator:innen dazu ermutigt haben, persönliche Veranstaltungen abzuhalten, scheinen sich die meisten Gruppen fast ausschließlich online organisiert zu haben. Dies führte nicht nur dazu, dass die meisten Gruppenmitglieder keine Verbindung zueinander hatten und nicht die Art von Wärme und Vertrauen entstehen konnte, die für die gemeinsame Organisierung so wichtig ist, sondern führte auch zu einer Verzerrung der Gruppen zugunsten derjenigen, die mit der ständigen Flut von Nachrichten Schritt halten konnten, manchmal zu jeder Tages- und Nachtzeit (oder über die Zeit, die Energie und das Engagement verfügten, eine Gruppe allein voranzutreiben, wenn die WhatsApp-Gruppen sofort wieder eingeschlafen sind).

Während man sich bei Besetzungen immer auch mit der Reproduktion des täglichen Lebens und der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung auseinandersetzen muss, blieb bei der Don´t-Pay-Kampagne das Privatleben durch die relative Anonymität von Instant Messaging privat. Obwohl die Kampagne die soziale und geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in Erklärungen, Leitfäden und Reden thematisiert hat, konnten diejenigen, die lange Arbeitszeiten in anstrengenden Jobs haben, und diejenigen mit kräftezehrender Sorgeverantwortung - also ein großer Teil der Arbeiter:innenklasse - meist nicht mitmachen. Dieses Problem lässt sich natürlich nicht auf die Schwierigkeiten reduzieren, die eine Online-Organisation mit sich bringt. Wenn überhaupt, dann könnten effiziente Online-Treffen, allein was den Zeitaufwand angeht, viel weniger anspruchsvoll sein als persönliche Treffen und auch Menschen einbeziehen, für die letztere aus verschiedenen anderen Gründen unzugänglich wären. Das Problem besteht vielmehr darin, dass die Teilnehmer:innen einander weitgehend fremd geblieben sind, wenn sich die Postleitzahlengruppen allein über das Internet organisiert haben, und dass WhatsApp-Gruppen nur begrenzte Möglichkeiten boten, Hindernisse für die Teilnahme in der Praxis zu ermitteln, geschweige denn zu beseitigen.4

 

Taktik und Organisation

Die Kampagne ist also auf einen Widerspruch gestoßen. Einerseits sollte die soziale Zersplitterung und Entmachtung überwunden werden, und deshalb sollten alle einbezogen werden und sich so organisieren können, wie sie es für richtig hielten. Andererseits konnte die Kerngruppe keine aktivere Anleitung und Unterstützung bieten, so dass nur diejenigen sich voll beteiligen konnten, die über viel Erfahrung, Selbstbewusstsein und Zeit verfügen oder die besonders überzeugt waren. An einem bestimmten Punkt wurde dies zu einer Schranke für die Kampagne, und bis jetzt ist es ihr nicht gelungen, neuen Schwung zu finden und sich zu verbreitern.

Jede Kampagne muss sich fragen, wie sie ihre Aktivitäten koordinieren kann, und die Don´t-Pay-Kampagne musste dies in sehr kurzer Zeit tun. Um einen Eindruck von der Größenordnung und der damit verbundenen Herausforderung zu vermitteln: Es haben sich etwa 75.000 Freiwillige aus über 1.000 Dörfern, Städten und Gemeinden gemeldet, von denen etwa 8.000 einer der 700 WhatsApp-Postleitzahlen-Gruppen beigetreten sind. Die Strategie, politisch und organisatorisch unabhängig zu bleiben, um die Kampagne nicht durch Zusammenschlüsse mit anderen Gruppen zu gefährden, erforderte die Kampagne, etwas aus dem Nichts zu schaffen. Diese notwendige Unabhängigkeit bedeutete aber auch, dass die Kampagne nicht auf eine bestehende Organisationsstruktur samt kollektiver Entscheidungsfindung zurückgreifen konnte. Mit der Aufgabe konfrontiert, fast über Nacht eine neue landesweite Bewegung aufzubauen, kamen die Gründer der Kampagne verständlicherweise zu dem Schluss, dass sie nicht über die Mittel verfügten, in dem ursprünglich für die Kampagne vorgesehenen Zeitrahmen von etwa fünf Monaten eine demokratische und landesweite Organisation aufzubauen, in die die einzelnen Gruppen verbindlich einbezogen sind. Die autonome Arbeitsweise der einzelnen lokalen Gruppen hat der Kampagne ein schnelles Wachstum ermöglicht. Dies erwies sich jedoch auf längere Sicht als nicht tragfähig.

Durch die Kampagne wurde erfolgreich die Idee einer Taktik (Zahlungsverweigerung) verbreitet, aber ohne eine tragfähige organisatorische Grundlage waren wir nicht in der Lage, diese "Taktik" in der Praxis weit über diejenigen von uns hinaus zu verankern, die bereits keine andere Wahl mehr hatten.

 

Den gläsernen Boden zertrümmern

Selbst auf ihrem Höhepunkt beschränkte sich der "offizielle" Diskurs der Kampagne auf "gerechte Verteilung" und "staatliche Verantwortung". In gewisser Hinsicht spiegelt dies die Bescheidenheit der Kampagne wider. Es handelte sich nie um ein revolutionäres Projekt, und die Perspektive bestand immer darin, politische Zurückhaltung in Kauf zu nehmen, um im Gegenzug das Vertrauen der Klasse in selbstorganisierte Kampfmittel zu stärken. Ziel war es, die alltäglichen Bedürfnisse zu politisieren und konkrete Feinde zu identifizieren, und einen "Sieg" auf diesem Terrain zu nutzen, um eine stärkere Grundlage für künftige Kämpfe zu schaffen. Man hoffte, dass durch die bewusste Beschränkung der Forderungen auf den Bereich der Verteilung etwas erreicht werden könnte und es weniger spalten würde.

Diese Begrenzung war allerdings auch eine zwangsläufige Folge der äußeren Umstände. Obwohl sie während der größten Streikwelle seit Ende der 1980er Jahre stattfand, ist der Don´t-Pay-Kampagne nie ein vollständiger Durchbruch in der Produktionssphäre gelungen. Zunächst einmal standen die Gewerkschaften der Kampagne generell ablehnend gegenüber. Die Unterstützung der Kampagne von Seiten der RMT auf Branchenebene hat auf nationaler Ebene nachgelassen und die sozialistische Enough is Enough-Kampagne hat alle Versuche, die Aktivitäten zu koordinieren, konsequent abgeblockt. Auch wenn die uneingeschränkte Beteiligung der offiziellen Gewerkschaftsstrukturen unweigerlich zu Konflikten geführt hätte, hat ihre Weigerung, der Kampagne irgendeine Legitimität zuzugestehen, ihr die Luft zum Atmen genommen und die Spaltung der Arbeiter:innenklasse im Widerstand gegen die Inflation aufrechterhalten. Auf der Ebene der Belegschaft wurde die Kampagne von den Streikposten fast immer positiv aufgenommen, aber zu keinem Zeitpunkt mündete diese verbale Unterstützung in konkrete, koordinierte Aktionen. Die Streiks in den Betrieben und der Zahlungsstreik liefen parallel zueinander, ohne dass jemals ihre Trennung überwunden wurde.

Wenn wir jemals mehr wollen, als von unseren Klassenfeinden zu verlangen, dass sie unsere Bedürfnisse in unserem Namen erfüllen, und tatsächlich unsere Bedürfnisse für uns selbst durchsetzen wollen, unsere physischen Grundbedürfnisse ebenso wie Spaß und Erholung und Kreativität, müssen wir den ‚gläsernen Boden5 zerschlagen, der die Kämpfe innerhalb und außerhalb des Arbeitsplatzes trennt. Nicht Politiker:innen und Manager:innen versorgen uns mit Strom und Gas, sondern Arbeiter:innen, und wenn diese Arbeiter das Selbstvertrauen und die Entschlossenheit hätten, eigenständig gegen die Energiepreisinflation zu kämpfen, müssten wir nicht mehr um Almosen betteln. Diese Arbeiter:innen betreiben das Gas- und Stromnetz, verwalten Konten, bearbeiten Zahlungsrückstände, fertigen und installieren Prepaid-Zähler. Niemand ist besser in der Lage, die Preiserhöhungen völlig unwirksam zu machen. Und auf etwas längere Sicht haben wir genau genommen keine Chance, die Klimakatastrophe aufzuhalten, wenn das Energiesystem in privater Hand bleibt und den ökonomischen Gesetzmäßigkeiten unterliegt. Trotz aller Hindernisse, die sich aus der sozialen, technischen und politischen Neuzusammensetzung der Arbeiter:innenklasse ergeben, gibt es keinen anderen Ausweg als soziale und betriebliche Kämpfe zu verknüpfen, die Kontrolle über die Produktionsmittel zu übernehmen und für eine direkte soziale Nutzung umzufunktionieren.

Natürlich erwartet niemand, dass so etwas von heute auf morgen geschieht, und diese Perspektive bedeutet nicht, dass man mit maximalistischen Losungen über die aufständische Machtergreifung vorangehen muss. Es geht vielmehr darum anzuerkennen, dass solche Verbindungen unverzichtbar sind und wir erste konkrete Schritte in Richtung praktischer Zusammenarbeit unternehmen sollten, z. B. mit Installateuren, um Prepaid-Zähler zu blockieren. Stärker und besser organisierte Arbeiter:innen sind verantwortlich dafür, über ihre eigenen unmittelbaren sektoralen Probleme hinauszublicken und umfassendere Klassenprobleme anzugehen. Wir können uns von den Hafenarbeitern in Glasgow inspirieren lassen, die während des Ersten Weltkriegs illegale Streiks zur Durchsetzung von Mietkontrollen durchgeführt haben, oder vom GKN-Fabrikkollektiv, das derzeit in Italien gegen Prekarität und Umweltverschmutzung kämpft. Die Beziehung zwischen technischer, sozialer und politischer Klassenzusammensetzung ist niemals mechanisch, und es ist möglich, die Spaltungen einer zersplitterten Gesellschaft zu überwinden.

 

Schlussfolgerung

In dieser Analyse haben wir uns weitgehend auf die Begrenzungen der Kampagne konzentriert, aber das bedeutet in keiner Weise, dass wir sie grundsätzlich ablehnen. Alle Kämpfe stoßen an Grenzen. Das liegt in der Natur der Sache und bedeutet nicht, dass sie in irgendeiner Weise gescheitert sind. Es geht darum, uns diese Grenzen bewusst zu machen und zu versuchen, Wege zu finden, wie wir sie und auch die unvermeidlichen nächsten Grenzen überwinden können.

Ehrlich gesagt, ist es unter den gegebenen Umständen ziemlich beeindruckend, dass die Kampagne es so weit gebracht hat und ihre Blütezeit genutzt hat, um einige der dringendsten und notwendigsten Aufgaben unserer Zeit in Angriff zu nehmen: die soziale Isolation und das Gefühl individuellen Versagens zu durchbrechen; die alltäglichen Bedürfnisse und ihre Beziehung zu konkreten Gegnern zu politisieren; selbstorganisierte Mittel des Kampfes zu legitimieren; und einige allererste Schritte zu unternehmen, die Ansprüche an eine universelle soziale Versorgung wiederzubeleben. Während der aktuelle Kampfzyklus durch den Winter und in den Frühling hinein fortgesetzt wird, besteht die Herausforderung nun darin, die Lehren aus der Kampagne zu ziehen und sie in der Praxis anzuwenden.

  • 1. Prepaid-Zähler sind eine Art Haushaltsstromzähler, bei dem die Verbraucher im Voraus zahlen müssen, bevor sie Gas oder Strom verbrauchen können. In Großbritannien bezahlen die meisten Verbraucher ihre Versorger per Lastschrift, aber wenn sie in Zahlungsrückstand geraten, können die Versorger gerichtliche Anordnungen erwirken, um Prepaid-Zähler zwangsweise installieren zu lassen. Auf diese Weise können die Energieversorger den gesetzlichen Schutz umgehen, der sie daran hindert, Kunden den Strom abzuschalten, denn mit Prepaid-Zählern ist jeder, der nicht zahlen kann, selbst für seine "Selbstabschaltung" verantwortlich - und die Unternehmen können so ihre Hände in Unschuld waschen.
  • 2. Erstens hätte die Regierung weder ausreichend Zeit noch die Verwaltungskapazitäten für die Entwicklung zielgerichteter Maßnahmen gehabt; zweitens hat sie auf eine pauschale Preisobergrenze gesetzt, um die Inflation zu senken, was wiederum eine Senkung der Zinssätze und eine entsprechend günstigere staatliche Kreditaufnahme ermöglichen könnte; drittens sollte die zweijährige Laufzeit der Maßnahmen die Wähler vor aggressiveren Preiserhöhungen bis nach den nächsten Parlamentswahlen schützen; und viertens setzte sich auch die Energiewirtschaft (z. B. E.ON, Scottish Power, Energy UK) bei der Regierung intensiv für großzügige Almosen ein.
  • 3. Spontaneität in dem Sinne, dass große Teile der Klasse diese Kampagnen aus eigenem Antrieb enthusiastisch angenommen haben und nicht aus Gehorsam gegenüber den Anweisungen einer Behörde. Spontaneität soll hier nicht mit "Organisation" gleichgesetzt werden, da jede koordinierte soziale Aktivität in gewissem Sinne "organisiert" ist. Es geht hier darum, dass sich die Arbeiter spontan auf diese spezifischen Taktiken und Organisationsformen geeinigt haben.
  • 4. Der starke Rückgriff auf WhatsApp und Zoom kann zumindest teilweise als ein Überbleibsel der Lockdowns angesehen werden, nicht zuletzt, weil viele der aktiveren Teilnehmer von der Kampagne in den anonymen Selbsthilfegruppen der Pandemie prägende Erfahrungen gesammelt haben, sich zu organisieren. Die Online-Gruppenchats stellten während der Lockdowns ein entscheidendes Mittel dar, soziale Verbindungen aufrechtzuerhalten, die andernfalls nicht möglich gewesen wären. Diesmal reichten sie jedoch bei weitem nicht aus, um die soziale Fragmentierung zu überwinden und die Kampagne in der Gesellschaft insgesamt zu verankern. Diese früheren Erfahrungen könnten auch die Tendenz vieler Gruppen erklären, auf gegenseitige Hilfe und Wohltätigkeitsarbeit zurückzugreifen, als nicht mehr klar war, worauf die breitere Kampagne hinauslaufen soll.
  • 5. Es wird einige nicht überraschen, dass wir mit dieser Formulierung nicht der Analyse von Theorie Communiste zu den griechischen Unruhen beipflichten, aber - Ehre, wem Ehre gebührt - es ist eine anschauliche Art, diese Trennung zu benennen.