Return of the Behemoth?
Die «Zeitenwende» in der Aufrüstungspolitik der meisten europäischen Länder nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs Ende Februar 2022 verleitete viele Analyst:innen zur Aussage, dass das, was Donald Trump während seiner ersten Amtszeit als Präsident der USA nicht vermocht hatte – nämlich seine europäischen NATO-Verbündeten dazu zu bringen, ihre Militärausgaben zu erhöhen – erst durch Putins geopolitische Handlungen zur dringenden Notwendigkeit wurde. Wie sich nun die Rückkehr von Donald Trump an die Macht auf das Zusammenspiel zwischen den geopolitischen und den ökonomischen Aspekten der neuen Militarisierung genau auswirken wird, können wir natürlich nicht vorhersagen. Eine angemessene Analyse der neuen politischen Ökonomie der Militarisierung scheint aber unmöglich ohne eine historische Verortung der steigenden Militärausgaben innerhalb der langen Zyklen der kapitalistischen Akkumulation und der damit einhergehenden Verschiebungen in den imperialistischen Hegemonieverhältnissen. Nur die historische Perspektive wird uns ermöglichen, die Frage zu beantworten, ob es sich bei der gegenwärtigen Aufrüstung um eine neue Form des Militärkeynesianismus handelt, wie dies zumindest für Russland der Fall zu sein scheint. Und nur die historische Perspektive wird uns ermöglichen, die politische Konjunktur, die sich durch die Konstellation von Imperialismus, Militarismus und Autoritarismus auszeichnet, adäquat zu verstehen.
Wir werden in der Folge zunächst sehr skizzenhaft Giovanni Arrighis Theorie der langen Akkumulationszyklen samt deren Implikationen für die zwischenstaatlichen politischen Verhältnisse darlegen. Vor diesem Hintergrund wird uns dann möglich sein, die politische Ökonomie der Militarisierung in ihrer historischen Entwicklung zu verstehen – von der faschistischen «Kommandowirtschaft», wie sie von Franz Neumann und Michal Kalecki schon früh analysiert wurde («Kanonen statt Butter»), über die «klassische» Variante des Militärkeynesianismus («Kanonen mit Butter») für die Phase nach dem Zweiten Weltkrieg (19451975) bis hin zu den neusten Entwicklungen, die sich durch die Kombination von militärischer Aufrüstung und Austerität im Bereich der Sozialausgaben auszeichnet. Die faschistische Variante von Warfare («Kanonen») ohne Welfare («Butter») scheint somit in der Phase des späten Neoliberalismus nach der letzten großen Finanzkrise von 2007/08 ein Comeback zu feiern. Während die neoliberale «Akkumulation durch Enteignung» (Rosa Luxemburg) für Jahrzehnte ihre auf Klassenkrieg von oben und struktureller Staatsgewalt beruhende Dynamik vor allem im Süden des Weltsystems entfaltete, zeigt sie nunmehr ihr hässliches autoritäres Gesicht zunehmend auch im Globalen Norden.
Wir werden am Schluss die Frage aufwerfen, ob sich die neue Konstellation als eine «Rückkehr des Behemoths» kennzeichnen lässt. Behemoth, für Hobbes synonym mit Auflösung des Staates und Bürgerkrieg, bezeichnet für Franz Neumann die monströse, «vielköpfige» Gestalt des nationalsozialistischen Staates. Obwohl die gegenwärtige politische Konjunktur noch keine so extremen Erscheinungen hervorgebracht hat, scheint sie auf einen Zustand des «systemischen Chaos» zuzusteuern (um erneut eine Begrifflichkeit von Arrighi aufzugreifen). Und systemisches Chaos beinhaltet nicht nur eine klare Tendenz zum interimperialistischen Krieg und zur «Blockbildung», sondern auch eine Verschärfung der Spannungen innerhalb der sich bekämpfenden Staaten und Blöcken. Zentrifugale Tendenzen, Unregierbarkeit, neue Formen des Protektionismus und die unheimliche Allianz zwischen der neuen Regierung der USA und den technofuturistischen Dystopien der Silicon-Valley-Kapitalisten scheinen Symptome einer Neustrukturierung kapitalistischer Herrschaft zu sein, die alles anders als reibungslos vor sich gehen wird. Die von Amadeo Bordiga als «reelle Subsumtion des Staates unter das Kapital» bezeichnete historische Tendenz – von der der Faschismus der 1930er Jahre nur eine Etappe war – nimmt ein neues Ausmaß an, dessen genaue Dynamik wir nicht vorauszusehen vermögen.
Aufstieg und Fall des British Empire
Arrighis Theorie der langen Akkumulationszyklen scheint uns besonders geeignet zu sein, um die Dynamiken, die der gegenwärtigen Konstellation von Imperialismus, Militarisierung und Autoritarismus zugrunde liegen, ans Licht zu bringen. Arrighi, der seine Überlegungen in den 1970er Jahren zu entwickeln anfing, geht von einer einfachen Beobachtung aus: Lenins Theorie des Imperialismus – die sich hauptsächlich gegen Kautskys Vorstellung eines friedlichen «Ultra-Imperialismus» richtet – betrachtet Perioden des Friedens nur als kurze «Atempausen» zwischen großen interimperialistischen Kriegen. Für die Epoche der zwei Weltkriege (1914-1945) scheint Lenins Theorie eine hohe Voraussagekraft zu besitzen. Aber behält sie ihre Gültigkeit auch für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in der der «Kalte Krieg» zwischen den USA und der UdSSR sich nicht als direkte kriegerische Konfrontation manifestierte, sondern eher die Form von «Stellvertretungskriegen» an der Peripherie des Weltsystems annahm, während in den Zentren ein neuer kapitalistischer Akkumulationszyklus seine Dynamik entfalten konnte?
Arrighi beantwortet diese Frage durch eine Differenzierung innerhalb des allgemeinen Begriffs des Imperialismus. Schon Marx hatte nämlich im Kapitel über die ursprüngliche Akkumulation eine Abfolge von hegemonialen Mächten auf dem Weltmarkt benannt – Spanien, Portugal, Holland, Frankreich und England. Jede dieser hegemonialen Potenzen durchläuft einen Zyklus, in dem laut Arrighi erst eine Phase der materiellen Akkumulation und Expansion stattfindet, die dann durch eine Phase der finanziellen Spekulation abgelöst wird. Und jeder Akkumulationszyklus bringt eigene, spezifische Erscheinungsformen des Imperialismus hervor. Während nämlich Spanien und Portugal durch territoriale Expansion und Bevölkerungsübersiedlung riesige koloniale Imperien aufbauen, durchläuft der britische Hegemoniezyklus alle Gestalten des Imperialismus. In einer ersten Phase betreibt nämlich auch England eine ähnliche koloniale Politik wie Spanien und Portugal und expandiert territorial und bevölkerungsmäßig vor allem in Nordamerika («erstes British Empire»). Mit dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775-1783) findet allerdings ein Wandel statt und es setzt sich eine neue Form der Kontrolle über fremde Territorien durch, die nicht mit Bevölkerungsübersiedlung einhergeht. Diese Form von «Herrschaftskolonialismus» wurde insbesondere in der Epoche des Aufstiegs des sogenannten «zweiten British Empire» praktiziert, paradigmatisch in Indien. Dieses «formelle» Imperium (politische Herrschaft über fremde Territorien ohne Bevölkerungsübersiedlung) wurde im 19. Jahrhundert ergänzt durch ein «informelles» Imperium, d.h. durch die ökonomische Abhängigkeit gegenüber Großbritannien, in die ausländische Märkte (typischerweise die von südamerikanischen Ländern) durch den Freihandel gebracht wurden.
Das von Lenin als Imperialismus bezeichnete Phänomen stellt die letzte Phase des britischen Hegemoniezyklus dar. Die Überakkumulation von Kapitalien in den kapitalistischen Metropolen führte dazu, dass der Kapitalexport ab 1870 an relativem Gewicht gegenüber dem Export von Waren zu gewinnen anfing. Während der Warenexport die Grundlage des auf Freihandel beruhenden «informellen» Imperiums darstellte, geht der relative Bedeutungszuwachs des Kapitalexports einher einerseits mit wachsender Vorherrschaft des Finanz- gegenüber dem Industriekapitals, andererseits mit neuen Formen des Protektionismus und der territorialen Expansion (typischerweise mit der Aufteilung Afrikas zwischen den europäischen Mächten). Die immanente Dynamik dieser letzten, höchsten Form des Imperialismus führt unvermeidlich zum interimperialistischen Krieg, wie dies die Phase der zwei Weltkriege beweist. Sie stellt aber auch die Phase des Niedergangs der britischen Hegemonie dar. Arrighi hebt hervor, dass die Phase der «Finanzialisierung» in jedem langen Akkumulationszyklus den Niedergang der bisher hegemonialen Potenz einleitet, die politisch und militärisch durch neue aufstrebende Potenzen herausgefordert wird, wie dies z.B. Deutschland und die USA gegenüber Großbritannien taten.
Deutschland und die USA: ungleichmäßige Entwicklung und Kampf um die Hegemonie
Diese skizzenhafte Darstellung des britischen Hegemoniezyklus soll uns helfen, die gegenwärtige Konstellation – die häufig als symptomatisch für den Niedergang des US-amerikanischen Imperialismus charakterisiert wird – besser zu verstehen. Denn was ist eigentlich gemeint mit «US-amerikanischem Imperialismus»? Und befinden sich die USA wirklich auf dem absteigenden Ast im Gefüge der interimperialistischen Verhältnisse im Weltsystem?
Der US-amerikanische Hegemoniezyklus korreliert mit einem neuen «langen Akkumulationszyklus» im Kapitalismus, der mit der Krise der 1930er-Jahre anfing. In der Analyse von Arrighi durchläuft der neue Akkumulationszyklus dieselben typischen Phasen wie die früheren Zyklen. Die erste Phase der materiellen Akkumulation beginnt in den 1930er Jahre mit der Neustrukturierung der kapitalistischen Produktion nach den Prinzipien des Fordismus und des Staatsinterventionismus und hält an bis Anfang der 1970er Jahre. Was folgt ist eine Phase der «Finanzialisierung», die sich durch Deregulierung der Finanzmärkte, Auslagerung der Produktion in Billiglohnländer und neoliberale Politiken des «Klassenkampfs von oben» auszeichnet. Allerdings hebt Arrighi auch die wesentlichen Unterschiede zwischen diesem neuen Akkumulationszyklus unter US-amerikanischer und dem vorhergehenden unter britischer Hegemonie hervor. Diese Unterschiede lassen sich zurückführen auf die Entwicklungen in der Zeit des Niedergangs des britischen Imperialismus. Die neu aufstrebenden Mächte – Deutschland und die USA – hatten nämlich in den letzten Jahrzehnten des 19. und den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine «nachholende kapitalistische Entwicklung» durchgemacht, die ein gutes Beispiel für das darstellt, was Lenin als «Ungleichmäßigkeit» bezeichnet. Denn in Deutschland und den USA waren die neuen kapitalistischen Unternehmungen durch eine höhere Konzentration des Kapitals gekennzeichnet als im alten britischen Kapitalismus. Die großen Aktiengesellschaften in den neuen Industriezweigen der «zweiten industriellen Revolution» waren nun zwar, in ihrer Entstehung, durch die in den Banken zentralisierten Kapitalien finanziert worden, konnten sich aber im Lauf der Transformationen der 1920er/30er-Jahre von der Vorherrschaft des Finanzkapitals lösen (relative Zunahme der Selbstfinanzierung gegenüber der Drittfinanzierung). Diese Tendenz zur finanziellen Verselbstständigung der großen, monopolistischen Industrie vom Finanzkapital wird für Deutschland in den 1920er/30er-Jahren sowohl von Alfred Sohn-Rethel als auch von Franz Neumann betont, und Arrighi zeigt, dass sich diese Tendenz auch in den USA durchsetzte.
Diese Unterschiede in der Struktur des deutschen und US-amerikanischen Kapitalismus im Vergleich zum britischen führten dazu, dass die neuen Herausforderer effizienter auf die Krise der 1930er Jahre reagieren konnten, auch wenn mit unterschiedlichen Modalitäten. Deutschland, das den Ersten Weltkrieg verloren hatte, ging mit dem Nationalsozialismus auf eine aggressive Aufrüstungspolitik über (die Neumann als «Kommandowirtschaft» bezeichnet), durch welche die Großindustrie die Massenarbeitslosigkeit absorbieren konnte. Die aggressive Aufrüstung in der Wirtschaftspolitik war kombiniert mit einem ebenso aggressiven territorialen Expansionismus, der darauf abzielte, das gesamte Osteuropa zu annektieren und zu kolonisieren. Die «alten» Formen des Imperialismus, auf die Deutschland setzte (territoriale Expansion zwecks Aufbaus eines «formellen Imperiums», kombiniert mit kolonialer Bevölkerungsübersiedlung) erwiesen sich allerdings als den raffinierteren Formen unterlegen, die der US-amerikanische Imperialismus annahm. Denn die USA – die auf die Krise zunächst mit dem New Deal und dessen sozialstaatlicher Welfare-Politik reagierte und erst relativ spät im Zweiten Weltkrieg intervenierte – adoptierten die auf Aufrüstung ausgerichtete Industriepolitik (Warfare) erst in den 1940er-Jahren. Sie kombinierten nach Kriegsende ihre Rüstungswirtschaft mit dem Ausbau eines netzwerkartigen «informellen Imperiums» von ökonomischen Abhängigkeitsbeziehung, dessen Hauptakteure die neuen multinationalen Konzerne waren, die für den US-amerikanischen Kapitalismus prägend sind.
Wir können jetzt zeigen, dass der Zyklus der US-amerikanischen Hegemonie im Weltsystem sich nicht begreifen lässt ohne eine Analyse des Zusammenspiels zwischen Rüstungswirtschaft und den «informellen» und «netzwerkartigen» Formen, die der US-amerikanischen Imperialismus angenommen hat.
Von der NS-Kommandowirtschaft zum Militärkeynesianismus: welche Kontinuität?
Wir haben schon erwähnt, dass die aggressive Aufrüstungspolitik des nationalsozialistischen Regimes von Franz Neumann als «Kommandowirtschaft» bezeichnet wurde. Vor allem Neumann, aber auch Sohn-Rethel, betonen in ihren Analysen der sozioökonomischen Struktur des deutschen Faschismus, dass die scheinbar «totalitäre» Natur des Regimes in Wirklichkeit von tiefen Spannungen zwischen der NS-Partei, dem Staatapparat, der Armee und den großen industriellen Monopolkapitalisten geprägt war. Neumann rekurriert auf das von Hobbes für den Englischen Bürgerkrieg (1640-1660) verwendete Bild des Behemoths, um das politische Chaos in den herrschenden Schichten des nationalsozialistischen «Unstaats» zu bezeichnen. Die brutale Repression und Zerschlagung aller Organisationen der Arbeiterklasse und die wirtschaftlichen Erfolge der Aufrüstungspolitik in der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit waren auf langer Sicht nicht hinreichend, um das System politisch zu stabilisieren. Das innere Chaos und die unkluge geopolitische Strategie der kontinentalen Kolonialexpansion («Drittes Reich»), die sich der Strategie der Alliierten als militärisch unterlegen erwies, führten letztendlich zum Kollaps.
Die USA hatten auf die Große Krise von 1929 zunächst mit Staatsinvestitionen in öffentlichen Bauprojekten reagiert (z.B. Staudämme im Tennessee Valley), die sich die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit zum Ziel setzten. Es ist unter Historikerinnen umstritten, wie erfolgreich die public-works-Politik des New Deals war. Tatsache ist, dass die USA 1937/38 erneut eine kleine Rezession erlebten, und dass die Massenarbeitslosigkeit erst mit dem Übergang zur Rüstungswirtschaft in den 1940er-Jahren endgültig beseitigt werden konnte. Während also der Faschismus den Krieg auf militärisch-politischem Terrain verlor, erwies sich das Modell der faschistischen Rüstungswirtschaft («Kanonen statt Butter») als ökonomisch erfolgreicher als die reine Welfare-Politik («Butter statt Kanonen»), die in Keynes ihren Theoretiker gefunden hatte (vgl. Bordigas Diktum, der Faschismus habe den Krieg militärisch-politisch verloren, ihn aber ökonomisch gewonnen). Der polnische Ökonom Michal Kalecki, der stark durch Rosa Luxemburgs Theorie der Kapitalakkumulation beeinflusst war, erkannte sehr früh die politische Bedeutung der faschistischen Rüstungswirtschaft. Die hohen Militärausgaben in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg sah er als Folge der Adoption dieses ökonomischen Modells durch die «demokratischen» Mächte. Der Militärkeynesianismus der Jahre 1945-1975 war die Fortsetzung der faschistischen Rüstungswirtschaft unter demokratischem Vorzeichen.
Man könnte gegen die Kontinuität zwischen faschistischer Rüstungswirtschaft und «demokratischem» Militärkeynesianismus einwenden, dass die «demokratische» Variante die Arbeiterklasse weniger brutalisierte und sie eher durch sozialstaatliche Maßnahmen integrierte. Der Militärkeynesianismus lässt sich mit der Wendung «Kanonen und Butter» auf den Begriff bringen, wodurch er sich von der faschistischen Brutalität eines Warfare ohne Welfare unterscheiden würde. Man darf aber nicht vergessen, dass auch im Militärkeynesianismus das Verhältnis von «Kanonen» und «Butter» nicht symmetrisch ist. Es ist die permanente Kriegswirtschaft, die die kapitalistische Akkumulation stabilisiert, während die sozialstaatliche Integrationspolitik eher die Funktion hat, die kapitalistische Herrschaft zu legitimieren (und nur nebenbei den Konsum zu fördern). Ohne die durch die Warfare-Ökonomie stabilisierte Akkumulation ist die Legitimation durch die Welfare-Politik nicht möglich. Und wenn die Bourgeoisie vor die Alternative gestellt wird, auf eine dieser Stützen des Systems verzichten zu müssen, dann ist ihre Wahl klar, wie dies die gegenwärtige Kombination von steigenden Militärausgaben und Austerität mit Kürzung der Sozialausgaben zeigt.
Die genauen ökonomischen Mechanismen, durch welche die permanente Rüstungswirtschaft die kapitalistische Akkumulation stabilisiert, sind von marxistischer Seite erst durch Baran und Sweezy in ihrer Arbeit über das Monopolkapital (1966), dann auch von Ernst Mandel in seiner Analyse des Spätkapitalismus (1975) untersucht worden. Sowohl Baran und Sweezy wie auch Mandel betonen, dass die (staatlichen oder staatlich gestützten) Kapitalinvestitionen im Rüstungssektor hauptsächlich die Funktion haben, Überprofite zu absorbieren, die sonst nicht investiert werden könnten, ohne eine Überproduktionskrise zu verursachen. Allerdings geht die permanente Rüstungswirtschaft mit steigenden Staatsausgaben einher, deren Finanzierung nur dann garantiert ist, wenn die kapitalistische Akkumulation hohe Profitraten generiert. Sobald in den 1970er-Jahren die durch Überakkumulation des Kapitals verursachte Krise ausbrach, führten die hohen Militär- und Sozialausgaben zu dem, was James O’Connor die «Fiskalkrise des Staates» genannt hat. Die neoliberale Neustrukturierung kapitalistischer Herrschaft ab Ende der 1970er Jahre soll auch als Reaktion der Bourgeoisie auf die staatlichen Finanzierungsprobleme verstanden werden, die durch die militär-keynesianische Politik von «Kanonen und Butter» zustande gekommen sind.
Ökonomie als Fortsetzung des Kriegs mit anderen Mitteln?
Wir rücken immer näher an die Gegenwart. Die Krise der 1970er entspricht im «langen Akkumulationszyklus» unter US-amerikanischer Hegemonie dem Übergang von der Phase der materiellen Akkumulation zu der der finanziellen Spekulation. Die Phase der Finanzialisierung ist für Arrighi auch die Phase, in der die hegemoniale Potenz durch neue Mächte herausgefordert wird. Im Fall der US-amerikanischen Hegemonie kommt die größte Herausforderung von China, dessen Aufstieg zur wirtschaftlichen Weltmacht wiederum ein gutes Beispiel der «Ungleichmäßigkeit» kapitalistischer Entwicklung darstellt. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Finanzialisierung in den Zentren nur ein Aspekt der neuen Phase ist. Denn die großen multinationalen Konzerne, die von den USA aus schon in den 1950er/60er ein netzwerkartiges «informelles» Imperium ökonomischer Abhängigkeitsbeziehungen um die Welt gespannt hatten, verfolgten ab den 1970er Jahren eine Strategie der Auslagerung der Produktion in Länder mit großen Reservoirs billiger Arbeitskraft, insbesondere in Südostasien. Finanzialisierung und Deindustrialisierung in den Zentren sind somit kompatibel mit direkten Investitionen in der industriellen Produktion von «peripheren» Ländern. Wir sollten uns davor hüten, die neoliberale Globalisierung als endgültige Abkehr vom Akkumulationsmodell des Fordismus anzusehen. Auf die Akkumulationskrise in den Zentren reagiert das Kapital eher mit der Doppelstrategie der Finanzialisierung in den Zentren und der Verlagerung der industriellen Produktion in die Peripherie.
Vor diesem Hintergrund der globalen Neustrukturierung der kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse, sollten wir uns die Frage stellen, welche Transformationen der Nexus von Militarismus und Imperialismus im Rahmen der US-amerikanischen Hegemonie durchmachte. Wie schon angedeutet, führte die militär-keynesianische Rüstungswirtschaft der Jahre 1945-1975 zu keinem offenen interimperialistischen Krieg zwischen den USA und der UdSSR, wie er nach Lenins Imperialismustheorie zu erwarten gewesen wäre. Die zwei großen Mächte, die sich die Welt nach dem Zweiten Weltkrieg aufteilten, führten eher eine Reihe von Stellvertreterkriegen, die in den 1980er Jahren mit dem Untergang des «formellen» Imperiums der UdSSR endeten. Der «Sieg» des «informellen» US-amerikanischen Imperiums über das «formelle» sowjetische Imperium und die darauffolgende Pax Americana der 1990er/2000er-Jahre sollten allerdings nicht als Widerlegung des Kerns von Lenins Theorie interpretiert werden. Die Neuauflage von Kautskys alter Theorie des «Ultra-Imperialismus» in der Gestalt von Negri und Hardts «Empire», die durch die Globalisierung veranlasst wurde, übersieht nämlich, dass das «informelle Imperium» ökonomischer Abhängigkeitsbeziehungen, das die multinationalen Konzerne um die Welt gespannt haben, keineswegs auf Gewalt durch staatliche und parastaatliche Organisationen verzichten kann. Was Lenin als «Plünderung» der Kolonien bezeichnete, findet eine Fortsetzung in den unterschiedlichen Formen von «Akkumulation durch Enteignung», die David Harvey, im Anschluss an Rosa Luxemburg, als charakteristisch für den «neuen Imperialismus» der neoliberalen Phase beschreibt (man denke z.B. an die berüchtigten Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank).
Die «rein ökonomischen» Dynamiken der globalen Kapitalzirkulation in Form von direkten Investitionen und finanziellen Spekulationen finden somit ihre notwendige Ergänzung in den «extra-ökonomischen» Formen der Plünderung und der Enteignung durch «Klassenkrieg von oben», die vor allem im Globalen Süden zur Anwendung kommen. Die wesentliche Beziehung von Kapitalakkumulation und Krieg hat seit der Epoche der ursprünglichen Akkumulation nie aufgehört, ihre verheerenden Wirkungen für Mensch und Umwelt zu zeitigen. Dies haben neulich Maurizio Lazzarato und Eric Alliez in ihrem Buch Guerres et Capital (2016) gezeigt. Die «Ökonomie» selbst, schreiben die zwei Autoren, wird im Neoliberalismus zu einer «Fortsetzung des Kriegs mit anderen Mitteln». Die Genozide und Verfolgungen der ursprünglichen Akkumulation haben für das Kapital nie aufgehört, wirksame Mittel für die Ausübung seiner brutalen Herrschaft zu sein. Wenn man diese Dimension, die auch im «friedlichen Zeitalter» der Pax Americana immer konstitutiv für kapitalistische Herrschaft blieb, übersieht, dann wird es unmöglich zu sehen, wie die neuste Konstellation von Imperialismus, Militarismus und Autoritarismus die unvermeidliche Folge der Vertiefung der kapitalistischen Krise nach 2007/08 darstellt.
Return of the Behemoth?
Krieg und Genozid in den zwischenstaatlichen Beziehungen, ökonomische Austerität und politischer Autoritarismus im Inneren: nichts Neues unter der Sonne. Wenn Lazzarato und Alliez die «Ökonomie» als «Fortsetzung des Kriegs mit anderen Mitteln» bezeichnen, dann meinen sie dabei vordergründig die Austeritätspolitik, die eine Konstante in der neoliberalen Kriegsführung gegen die Ausgebeuteten darstellt. Wir erinnern uns an die Aussage eines der reichsten Männer der Welt, Warren Buffet, der den diskreten Charme seiner Klasse mit folgenden Worten zum Ausdruck brachte: «Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen.» Dies war kurz vor dem Ausbruch der großen Finanzkrise von 2007/08. Seitdem ist die Austeritätspolitik mit noch größerer Wucht durchgesetzt worden. Was sich die Ausgebeuteten über Jahrzehnte an Butter erkämpft hatten, wird auf dem Altar der Kapitalakkumulation geopfert. Und wenn sich auch noch die Kanonen zu Wort melden, dann setzen die Staaten ihre Austeritätspläne nur noch konsequenter durch. Sind wir zur faschistischen Rüstungswirtschaft von «Warfare statt Welfare» zurückgekehrt? Beobachten wir gerade die «Rückkehr des Behemoths»?
Unsere Antwort dürfte nicht ohne Widerspruch bleiben: Es gibt eine Konzeption von «Faschismus», die die «reelle Subsumtion des Staats unter das Kapital» als dessen Wesenskern versteht und somit die tiefe Kontinuität zwischen den krudesten Formen der Diktatur der kapitalistischen Ausbeutung in den 1930ern und den raffinierteren, demokratischen Formen derselben – bis in die Gegenwart – hervorhebt. Dass der Faschismus sich in den 1930er Jahren in den «schwächsten Kettengliedern des Weltkapitalismus» (Italien, Deutschland) als eine «Herrschaft der absoluten Mehrwertproduktion» (Sohn-Rethel) entwickelte, die die Herrschaft der relativen Mehrwertproduktion abgelöst hätte, ist eine These, deren Kritik ein Kapitel für sich verdienen würde. Was wir im Gegensatz dazu betonen, ist, dass für den Kapitalismus gerade die Organisation der Produktion von relativem Mehrwert das Problem ist, dessen Lösung die Unterordnung des Politischen unter das Ökonomische erfordert. Anders ausgedrückt: Es ist gerade die immanente Krisenhaftigkeit der relativen Mehrwertproduktion, die die Perpetuierung jener Herrschaftsmechanismen notwendig macht, die die Entwicklung des Kapitalismus seit der Epoche der ursprünglichen Akkumulationen begleiten: außerökonomische Gewalt, Akkumulation durch Enteignung, absolute Mehrwertproduktion usw. Weit davon entfernt, die relative Mehrwertproduktion abzulösen, sind diese Mechanismen deren notwendige Ergänzung – Mechanismen, die die verdinglichte Rationalität der relativen Mehrwertproduktion kompensieren und stützen, um deren Neustrukturierung zu ermöglichen. Der Faschismus der 1930er Jahre bezeichnet den historischen Moment, in dem die Staatsapparate endgültig zur Exekutionsmaschine der «objektiven» Zwänge der Kapitalverwertung umgeformt wurden.
In diesem Sinn denken wir, dass Franz Neumanns Verwendung des Bilds des Behemoths, um das Wesen des Faschismus zu bezeichnen, eine tiefe Wahrheit ausdrückt, die auch in der gegenwärtigen Konjunktur nichts von ihrer expressiven Kraft eingebüßt hat. Denn Behemoth ist der Gegenpol zum Leviathan, d.h. zum Staat als Figur der «Autonomie des Politischen». Wenn Neumann auf Hobbes’ Bild des Behemoths rekurrierte, dann wollte er sich abgrenzen von jenen Theoretikern (Horkheimer, Pollock), die den Staatskapitalismus als ein neues Stadium in der Entwicklung des Kapitalismus verstanden, in dem der «autoritäre Staat» durch seine «politische Autonomie» die Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Entwicklung so «modifiziert», dass die Kapitalakkumulation aus der Krise herausfindet und ein neuer Zyklus beginnen kann. Der Unterschied zwischen diesem Leviathan und Neumanns Behemoth ist subtil: Die Bestie entsteht zwar auch für Neumann als Reaktion auf die kapitalistische Krise (auf die Krise der relativen Mehrwertproduktion), ist aber nicht Ausdruck einer vermeintlichen «Autonomie des Politischen», sondern im Gegenteil Ausdruck gerade einer Vertiefung der Subsumtion des Politischen unter die anonymen Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Verwertungszwänge.
Vergessen wir nicht: Die reelle Subsumtion der lebendigen Arbeit unter das automatische System der kapitalistischen Maschinerie ist für Marx eine Folge des «objektiven Zwangs» zur Produktion von relativem Mehrwert. Die Entwicklung der gesamtgesellschaftlichen produktiven Potenzen nimmt deshalb notwendig die Form eines zunehmenden Despotismus des Kapitals oder – von der Seite der Ausgebeuteten her gesehen – einer Verschärfung der Lohnsklaverei an. Und wenn Marx von «Lohnsklaverei» sprach, meinte er damit sehr wohl auch eine politische Unterordnung der Ausgebeuteten unter die unpersönlichen Verwertungszwänge des Kapitals (was Panzieri mit dem Begriff der «politischen Knechtschaft» des Lohnverhältnisses1 formulierte). Dass der Despotismus des Kapitals immer auch eine politische (und keine «rein ökonomische») Angelegenheit ist, hatten die radikalsten Denker der italienischen Schule (Bordiga und die ersten Operaisten) gut begriffen: Die staatskapitalistische Planwirtschaft (der «Plan des Kapitals») stellt kein «neues Stadium» in der Entwicklung des Kapitalismus dar, sondern eine Vertiefung der «invarianten» Unterordnung des Politischen unter die verdinglichte (und deshalb falsche) Rationalität der Produktion von relativem Mehrwert.
Was eine Abschweifung von unserer Frage zu sein scheint, enthält in Wirklichkeit deren Antwort: Denn die die unheimliche Allianz zwischen Trump und den technofuturistischen Dystopien der Silicon-Valley-Kapitalisten, von der wir ausgingen, ist nur die neuste Erscheinungsform der monströsen Gestalt, die die Entwicklung der produktiven Potenzen unter kapitalistischen Bedingungen annimmt. Die produktiven Potenzen nehmen diese monströse Gestalt an, weil sie im Kapitalismus Potenzen der Subsumtion, d.h. der despotischen Herrschaft, der Ausbeutung und der Unterdrückung sind. Die geistigen und materiellen Potenzen der Produktion von Kapital sind Potenzen der Destruktion von Menschen. Die steigenden Militärausgaben sind nur die Spitze des Eisbergs. Die tieferen Dimensionen beinhalten zunächst die Tendenz zur «Versicherheitlichung» (Securitization)2 aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, allen voran der menschlichen Migrationsbewegungen (was z.B. im Fall der EU-Sicherheitsagentur Frontex die Form einer regelrechten Militarisierung der Außengrenzen der EU annimmt). Sie beinhalten aber auch die zunehmende Verflechtung von Militär- und Zivilproduktion. Die Entwicklung der Chip-Industrie und der paradigmatische Fall der Taiwan Semiconductor Manufactoring Company (TSMC) illustrieren die Tendenz zur Integration von Militär- und Zivilindustrie sehr gut. Und die unheimliche Allianz zwischen der sogenannten PayPal-Mafia (Peter Thiel, Elon Musk) und der neuen US-amerikanischen Regierung ist ein weiteres Beispiel für diese zunehmende Verschmelzung von Militär- und Zivilproduktion – man denke nur an die Bedeutung der Software von Palantir (Thiel) und des Starlink-Satellitensystems (Musk) im Ukraine-Krieg.
Die Beispiele ließen sich vervielfältigen. Sie bringen alle dieselbe klare Tendenz zum Ausdruck: Die reelle Subsumtion des Staates unter das Kapital beinhaltet gerade keinen «Masterplan» für die Neustrukturierung kapitalistischer Herrschaft. Die latenten Spannungslinien innerhalb der herrschenden Schicht in den USA – z.B. zwischen Trumps Protektionismus und dem globalen Aktionsradius der großen Monopolkapitalisten, die mit ihm regieren – reproduzieren politisch die Widersprüche und Antagonismen, die das Kapital als Ganzes kennzeichnen. Die Rückkehr des Behemoths bedeutet hauptsächlich die Rückkehr des systemischen Chaos, das historisch die großen Transitionen und Neustrukturierungen kapitalistischer Herrschaft charakterisierte. Ob die neue bevorstehende Phase des systemischen Chaos auch eine Gelegenheit darstellen wird, die kapitalistischen Potenzen der Destruktion von Menschen in Kräfte der Affirmation des Kommunismus umzuwandeln, dies hängt hauptsächlich davon ab, ob die Ausgebeuteten die Waffen des Klassenkriegs, den das Kapital gegen sie führt, gegen ihren Feind zu kehren vermögen.