Klima und Klassenkampf

30. Dezember 2023

Das Kollektiv und Online-Archiv labournet.tv hat den Film Der laute Frühling" produziert, in dem sich die Filmemacherinnen mit der Klimabewegung und deren Organisierungsversuchen befassen. Johanna Schellhagen ist mit dem Film eineinhalb Jahre durch Deutschland und Europa gereist und hat mit den Zuschauer:innen über den Kapitalismus, einen revolutionären Bruch mit dem System und Fragen der Organisierung diskutiert. Wir haben mit ihr über ihre Filmreise und ihre Erfahrungen gesprochen.

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Communaut: Viele der Filmvorführungen von „Der laute Frühling“ waren brechend voll. Wer hat sich den Film angeschaut?

Johanna Schellhagen: Den Film haben sich v.a. Menschen angeschaut, die in der Klimabewegung aktiv sind. Alle Klimagruppen haben Aufführungen organisiert. Er lief an Unis, bei Waldbesetzungen und auf Klimacamps. Aber auch die FAU, die DGB-Jugend, ver.di, Die Linke und streikende Krankenschwestern haben ihn gezeigt, Friends Of The Earth in den Niederlanden zeigen ihn häufig. Er wurde bei Auftaktveranstaltungen der Kampagne #WirFahrenZusammen in verschiedenen Städten gezeigt und demnächst schaut ihn sich der Bundesjugendausschuss der IG BAU an. In geringerem Umfang wird er auch im Milieu der Infoläden, Hausprojekte und autonomen Jugendzentren rezipiert.

Es waren viele Klimaaktivist:innen in den Kinos. Wie haben sie den Film aufgenommen? 

Die Klimabewegung ist an einem Punkt, an dem sie eine grundsätzlich neue Strategie benötigt. „Wir waren Millionen auf der Straße und die Politik setzt nicht mal das Tempolimit um.“ Das scheint die grundsätzliche Stimmung zu sein. Da trifft unser Film natürlich auf offene Ohren, weil er erstens erklärt, wieso die Politiker:innen nichts gemacht haben und zweitens eine grundsätzlich andere Strategie vorschlägt. Die Resonanz auf den Film war überwiegend positiv. Aber nicht durchgängig: Für viele ist der Schritt, sich vorzustellen, dass wir eine andere Produktionsweise durchsetzen und die Machtfrage stellen müssen, um die Klimakrise zu bewältigen, zu groß. Hier zeigt sich das Problem, dass die Klimabewegung bisher größtenteils eine Bewegung von jungen Menschen aus bürgerlichen Elternhäusern war, die einen tiefsitzenden Glauben an den Staat verinnerlicht haben und denen nicht klar ist, dass wir in einer Klassengesellschaft leben.

Aber diese jungen Aktivist:innen aus bürgerlichem Elternhaus hinterfragen doch scheinbar mehr als viele andere in Deutschland. Könnt ihr eure Einschätzung noch mal weiter erläutern? Fehlt nicht in erster Linie eine solide Kapitalismuskritik, die den Aktivist:innen als Richtschnur dienen kann?

Je mehr ich darüber nachdenke, desto stärker habe ich den Eindruck, dass das Problem die Staatsgläubigkeit ist. Die dominante Position scheint mir zu sein: „Was wir wollen und zu sagen haben, ist wichtig und nicht wegzudiskutieren, also werden die Politiker:innen irgendwann auf uns hören müssen und dafür tun wir alles, was wir können.“
Was aber wenig vorhanden ist, ist die Einsicht, dass die eigenen Argumente für die Politiker:innen gar keine Rolle spielen, dass es keinen öffentlichen Diskurs gibt, mithilfe dessen sie vom Staat eine vernünftige Klimapolitik erzwingen können. Dass der öffentliche Diskurs nach Belieben vom Kapital hergestellt, von den Herrschenden gemacht wird. Es fehlt die Einsicht, dass wir es mit einer herrschenden Klasse zu tun haben, der wir die Herrschaft entreißen müssen, um eine vernünftige Klimapolitik durchzusetzen. Man ist also wütend, entsetzt, enttäuscht, unermüdlich am Protestieren, moralisch und sachlich im Recht – zweifelt aber dennoch nicht daran, dass das politische System, die parlamentarische Demokratie, die öffentliche Meinung grundsätzlich neutrale Institutionen sind, innerhalb derer wir sogar eine andere Produktionsweise einführen könnten. Viele Klimaaktivist:innen glauben also weiterhin an das äußere Erscheinungsbild, die Fassade von Vernunft und Demokratie, und sehen nicht, dass das Kapital bei Bedarf auch jederzeit durch eine faschistische Fassade ersetzen kann. Ich empfehle in diesem Zusammenhang die Lektüre von „Erfolg“ von Lion Feuchtwanger. Ich hoffe, dass wir das nicht schon in den nächsten Jahren erleben werden.

Die erste Frage ist also: Wie erklärt man den Leuten in der Klimabewegung, dass wir eine grundsätzliche Lösung brauchen und die Machtfrage stellen müssen? Und die zweite: Wie machen wir es uns selbst und der Klimabewegung schmackhaft, in den Betrieben und in den armen Stadtteilen Gegenmacht von unten aufzubauen, statt unsere Energie weiter bei der Organisation von Demonstrationen und Kampagnen zu verschwenden? Das müsste eigentlich der geteilte Effort der radikalen Linken sein, einen solchen auf ein klares strategisches Ziel ausgerichteten Organisierungsprozess zu entfalten und die Klimabewegung auf diese Reise mitzunehmen.

Wenn ihr das unter „solider Kapitalismuskritik, die als Richtschnur dienen kann“ versteht, sind wir d'accord.

Welche Themen wollten die Menschen, die euren Film gesehen haben, diskutieren?

Wie kommen wir mit der Arbeiter:innenbewegung zusammen, war das Thema Nummer 1. Die Klimaaktivist:innen erkennen, wie wichtig der Schulterschluss wäre und beschäftigen sich mit der Frage, wie wir das umsetzen könnten. Thema Nummer 2 war die Idee, dass die Konsument:innen die Macht hätten, die Dinge zu ändern. Wenn „wir“ anders und weniger konsumieren würden, wäre das Problem gelöst. Ich muss aber sagen, dass das fast ausschließlich von älteren Aktivist:innen kam, nicht so sehr von den jungen. Thema Nummer 3 war die Empörung über die Idee, dass es wichtig wäre, die Repressionsorgane zu unterwandern, das fanden die meisten Zuschauer:innen bescheuert. Aber immerhin lieferte das eine Vorlage für interessante Diskussionen übers Desertieren und dass für eine erfolgreiche revolutionäre Umwälzung der Gesellschaft Soldat:innen die Seiten wechseln müssen.

Immerhin hat fast niemand behauptet, wir könnten die Probleme im Kapitalismus lösen. Gleichzeitig war es für fast alle schwer vorstellbar, dass wir tatsächlich die Kraft haben könnten, den Kapitalismus abzuschütteln. Das ist die allgemein verbreitete kognitive Dissonanz, die wir als radikale Linke in den nächsten Jahren nutzen müssen.

Die klassenkämpferische Klimastrategie, die ihr im Film verteidigt, wird seit langer Zeit von ökosozialistischen Autor:innen eingefordert. So kritisierte etwa der DDR-Philosoph Wolfgang Harich im 1975 erschienen Buch Kommunismus ohne Wachstum, dass der Bericht des Club of Rome über die Grenzen des Wachstums (1972) eine „Ausklammerung der Klassenfrage“ beinhalte und „dass die Klassenfragen – der Gegensatz von Sozialismus und Kapitalismus, von Arbeiterklasse und Bourgeoise – darin nicht zur Sprache kommen“. Harich betonte jedoch auch, dass Arbeitsplätze „kein Selbstzweck“ sind, „kein Wert an sich, sondern der Ort, an dem Menschen die Mittel ihres Lebensunterhaltes verdienen“. Daher müsste man mit Lohnabhängigen „dafür kämpfen, dass ihr Lebensunterhalt ungeschmälert erhalten bleibt, wenn eine umweltzerstörende Produktion eingestellt wird und für deren Beendigung muss man erst recht kämpfen“, denn „das eine schließt das andere nicht aus“. Im Gegenzug wäre „von den Herrschenden […] zu verlangen, dass sie allen, die ihre Arbeitsplätze verlieren, so lange vollen Lohn- und Gehaltsausgleich zahlen, bis eine angemessene neue Beschäftigung für sie gefunden worden ist“. Somit könne „die Arbeiterbewegung […] durch eine Kombination unnachgiebiger sozialer und ökologischer Forderungen, durch den Kampf für höhere Löhne, Kündigungsschutz etc. usw. und den gleichzeitigen Kampf gegen umweltzerstörende Technologien und Industrieerzeugnisse den Kapitalismus im Zangengriff zerbrechen“. Könnt ihr euch erklären, weshalb die Klimabewegung bis heute die basalsten Forderungen von Lohn- und Gehaltsausgleich nach wie vor nicht in ihr Programm aufnimmt?

Danke für die inspirierende Frage. Ich finde, da gibt es zwei Antworten auf zwei Ebenen:

Erstens finde ich Übergangsforderungen, also vernünftige Forderungen, die man an den Staat stellt, wohl wissend, dass er sie nicht erfüllen kann, ohne das Kapital anzutasten, gut. Nicht weil ich denke, dass man mit diesen Forderungen den Kapitalismus „im Zangengriff zerbrechen“ kann, sondern weil es durchaus sein kann, dass die Bewegung dem Staat zeitweilig etwas Wichtiges abtrotzt. Wenn wir z. B. an Arbeiter:innen der besetzten Fabrik GKN in Florenz denken, die Investitionen vom Staat fordern, um in Eigenregie und in Zusammenarbeit mit der Klimabewegung etwas Ökologisches produzieren zu können, dann ist das eine sinnvolle Forderung an den Staat.

Außerdem können Forderungen an den Staat, wie die nach einem Tempolimit oder nach einer Garantie für das Einkommen der Arbeiter:innen in der fossilen Industrie, wichtig sein, weil sie nicht umgesetzt werden und weil das Fragen nach der Natur des Staates aufwirft. Die Weigerung der Regierungen, sinnvolle Schritte zu tun, führen den Arbeiter:innen und der Klimabewegung gleichermaßen vor Augen, dass der Staat ein Instrument der herrschenden Klasse ist, also derzeit der Klasse der Produktionsmittelbesitzer:innen, und dass der eigentliche Feind diese Klasse ist. Insofern wäre es natürlich gut, wenn die Klimabewegung solche Forderung aufstellen würde, also Forderungen, die direkt gegen die Interessen des Kapitals gerichtet sind, statt z. B. Bürger:innenräte zu fordern.

Zum zweiten Aspekt eurer Frage: Die Frage, wieso die Klimabewegung die Forderungen nach Lohn- und Gehaltsausgleich nicht in ihr Programm aufgenommen hat, lässt sich ganz einfach beantworten: weil die radikale Linke es nicht geschafft hat, durch ihre Praxis revolutionäre Ideen und Klassenbewusstsein unter den jungen Leuten zu fördern.

Ich würde also immer sagen, dass es die Verantwortung einer klassenbewussten Linken ist, ihre Ideen und Vorschläge unter die Leute zu bringen und dass es falsch ist, von den Leuten in der Klimabewegung, die ja zumeist sehr jung sind, zu erwarten, dass sie ihre ideologische Zurichtung überwunden haben, schon bevor sie anfangen, sich zu organisieren.

Die radikale Linke hat mit ihrer Praxis seit den 1980er-Jahren nicht nur die armen Leute im Stich gelassen, die Analphabet:innen, die Leiharbeiter:innen, die migrantischen Arbeiter:innen, die Fabrikarbeiter:innen, sondern auch die Jugendlichen, weil sie keine revolutionäre Bildungsarbeit organisiert hat, keine revolutionären Stadtteilgruppen, keine selbstorganisierten Belegschaften (mit)aufgebaut hat. Sie hat es versäumt, sich Wissen über Produktionsprozesse anzueignen und daraus eine Strategie zu entwickeln und sich generell zu wenig darum bemüht, Strukturen und damit Gegenmacht und eine proletarische Öffentlichkeit aufzubauen.

Ich halte es für falsch, vermeintliche Fehler der Klimabewegung herauszustreichen, anstatt nach unseren eigenen Versäumnissen oder danach zu fragen, wie wir unsere eigene Praxis verändern müssen, um Abhilfe zu schaffen.

In dem Film setzt ihr die Frage der Organisierung zentral. War es unter Aktivist:innen Konsens, dass die Bewegung in eine Sackgasse geraten ist und neue Formen der Organisierung versucht werden müssen? Welche Ideen zur Organisierung habt ihr diskutiert?

Dass wir und speziell die Klimabewegung in einer Sackgasse sind, bestreitet niemand. In der Diskussion sind wir immer auf den Punkt gekommen, dass alle sich da, wo sie die meiste Zeit verbringen, organisieren müssen, also meist am Arbeitsplatz. Dass es aber auch wichtig ist, Streiks zu unterstützen und dass man sich außerdem überlegen sollte, strategisch arbeiten zu gehen, also sich einen Arbeitsplatz auszusuchen, wo man sich mit Kolleg:innen organisieren und kämpferische, selbstbewusste Kerne in den Betrieben aufbauen kann. Also neue, zeitgemäße Kriterien für die Berufswahl in Betracht zu ziehen.

Ansonsten lässt der Film viele Organisierungsfragen offen, etwa wie wir uns organisieren können, um als breite revolutionäre Bewegung zusammenzukommen. Brauchen wir z. B. eine Partei oder nicht? Sollen alle in die FAU eintreten und als diese wichtige Arbeitsplätze ins Visier nehmen? Diese Fragen und was wir aus der Geschichte oder aus anderen Ländern über revolutionäre Organisierung lernen können, würden wir gerne im nächsten Film beleuchten.

Dennoch scheint ihr dem strategischen Arbeiten viel Gewicht beizumessen. Wie sähe strategische Arbeit genau aus?

Ich kenne ein paar Leute, die strategisch arbeiten gehen oder gegangen sind. Die einen haben eine große Gewerkschaftssektion in einem polnischen Amazon-Lager gegründet und haben eine „Amazon Workers International“ gegründet. Die anderen arbeiten in verschiedenen Fabriken, organisieren sich mit ihren Kolleg:innen, bauen lokale Solidaritätsnetzwerke auf und schreiben Berichte darüber, was bei ihnen passiert. Es wäre eine Praxis, die Leute entwickeln müssten. Das Einzige, was ich wirklich weiß, ist, dass man das nicht machen sollte, ohne eine Gruppe im Rücken zu haben und natürlich nicht allein.

Viele Klimaaktivist:innen vertreten im Film lokalistische Positionen, v. a. im Hinblick auf nachhaltige Landwirtschaft und Ernährungsketten. Dennoch endet der Film mit einem utopischen Entwurf einer öko-kommunistischen Planwirtschaft, welche lokal übergreifende Produktion und Koordination einschließt. Die akuten Folgen eines bereits einsetzenden Klimawandels machen jedoch trans-lokale Koordination umso notwendiger, da andernfalls die Abschottung des Globalen Nordens weiter voranschreitet und der Anpassungsdruck auf den Globalen Süden hinsichtlich der akuten Folgen des Klimawandels stetig wächst. Im Zuge der COP27 wurde daher ein finanzieller Verlust- und Schadensfond eingeführt. Diejenigen kapitalistischen Staaten, welche durch hohe Treibhausgasemissionen in der Vergangenheit am meisten zu den Ursachen des Klimawandels beigetragen und wirtschaftlich davon profitiert haben, sollen Staaten mit niedrigem und mittlerem Einkommen finanziell unterstützen, sodass diese sich an die Folgen des Klimawandels (Ernteausfälle, Anstieg des Meeresspiegels etc.) anpassen können. Dass in diesen Fond bis dato keine Summen eingezahlt wurden, zeigt, dass es sich hierbei um bloße Rhetorik der herrschenden Eliten des globalen Kapitalismus handelt. Welche Antwort gibt der Film auf die Frage zum Spannungsverhältnis zwischen lokaler Autonomie und planetarer Koordination?

Der Film deutet die Antwort auf diese Frage nur an, auch ein Grund, weshalb wir einen zweiten Teil drehen wollen. So wie ich das alles im Moment sehe, würde ich sagen, dass wir eine rätekommunistische Organisierung brauchen, die in der Lage ist, eine trans-lokale und internationale Koordination aufzubauen.

Es gibt Ideen zu einer demokratischen Arbeitszeitrechnung, in der Leute diese Fragen der Koordination bereits erörtern, aber im Grunde wird sich das organisch entwickeln.
Wenn es den Leuten erst einmal gelungen ist, in mehreren Ländern die essenzielle Produktion zu übernehmen und sich gegen die Schergen des Kapitals zu verteidigen, werden sie in der Lage sein, sich zu verständigen und Know-how, Maschinen, Rohstoffe und Lebensmittel austauschen. Natürlich wirft das viele Fragen auf, aber ein paar Grundprinzipien der Organisation sollten nicht erst im Moment eines Umschwungs diskutiert werden, sondern jetzt schon: Egalitäre Entscheidungsfindung; Delegiertenprinzip mit imperativem Mandat; das Prinzip der Versammlung; Methoden entwickeln, um alle zum Reden zu bringen; Therapieangebote für alle, die wollen; egalitäre Aufteilung der Arbeit; Kollektivierung der Reproduktionsarbeit (für alle, die wollen) usw.

Gab es aus dem Publikum Widerspruch und bei welchen Aspekten, die ihr in dem Film aufwerft?

Das post-autonome Macho-Milieu hat den Film eher schlecht aufgenommen, viele haben es als Provokation empfunden, dass auch Polizeibeamt:innen und Soldat:innen als potenziell revolutionäre Subjekte dargestellt werden. Die fiktionale Sequenz, die das Bild einer gelingenden Revolution entwirft, wird als naiv abgetan. In diesem Milieu geht es oft nur um die nächste Demo, die nächste Kampagne. Eine Mehrheit verfügt über keinerlei Klassenbewusstsein und hat strategisches Denken insgesamt aufgegeben. Stattdessen ist das Gefühl, anders zu sein als die Normalos ganz zentral.

Ganz anders in der Klimabewegung, wo die Jugendlichen die Niederlage der Klimabewegung klar erkennen und verzweifelt nach neuen Lösungen suchen und deshalb auch offen sind für die Vorschläge, die der Film macht.

Der wichtigste Widerspruch aus dem Publikum war der, dass die vorgestellte Lösung zu umfassend, zu radikal sei. „Geht's nicht 'ne Nummer kleiner?“ Die Lösung scheint groß, man möchte an der Welt, wie man sie kennt, festhalten und eben nur das Klima schützen. Ich finde das einerseits verständlich, weil wir ja wirklich mit einer Weltrevolution die schwierigste Lösung vorschlagen. Andererseits artikuliert sich in diesem Wunsch auch die Gleichgültigkeit gegenüber den anderen verheerenden Auswirkungen des kapitalistischen Weltsystems. In allen Diskussionen wurde die Klassenposition der Sprecherinnen überdeutlich. Das extremste Beispiel dafür war eine Aufführung, bei der ausschließlich Medizinstudierende teilgenommen haben. Wir sprachen darüber, dass wir, um den Planeten zu retten, eine Produktionsweise brauchen, in der Dinge produziert werden, weil wir sie brauchen und nicht, weil man damit Profit machen kann. Daraufhin meinte eine Teilnehmerin, ob man nicht, bevor man eine Revolution ins Auge fasst, um das durchzusetzen, stattdessen darauf hinarbeiten könne, dass die Produktion für Profit per Gesetz verboten wird. Diese völlige Identifikation mit dem bürgerlichen Staat ist Ausdruck ihrer Erfahrungen als Angehörige der Mittelschicht (die Eltern sind wahrscheinlich Ärzte?), die mit den problematischen Seiten der herrschenden Ordnung nicht persönlich in Berührung gekommen ist und deshalb einiges zu verlieren zu haben glaubt. Generell wird das in jeder revolutionären Situation ein riesiges Problem sein.

Welche Einsichten habt ihr aus den Diskussionen mitgenommen? 

Vor allem, dass die Klimabewegung eine potenziell revolutionäre Bewegung ist, dass sie Kraft hat, weiterwachsen wird und schnell dazulernt. Die Diskussionen waren so ernsthaft und konzentriert, wie ich es noch nie erlebt habe. Ich bin zum ersten Mal in Kontakt mit einer großen, kräftigen Bewegung, die dem Kapital die Stirn bieten könnte. Alle politischen Gruppen sollten sich der Klimabewegung anschließen und versuchen das hereinzugeben, was sie haben, wissen oder können.

Die Klimabewegung ist weitgehend eine eigene Bewegung, die nur teilweise in Berührung mit kommunistischen oder sozialrevolutionären Kreisen kommt. Wie könnte eine engere Zusammenarbeit aussehen? Wo könnten wir voneinander lernen?

Zusammen kommen wir, indem wir das gleiche strategische Ziel verfolgen, nämlich die Übernahme der essenziellen Produktion, um eine gebrauchswertorientierte Produktionsweise durchzusetzen. Ich glaube, wenn alle, die sozialrevolutionäre Linke und die Klimagruppen, sich in Zukunft bei den Streikposten und auf den Streikdemos treffen und sich an ihren Arbeitsplätzen organisieren bzw. strategisch arbeiten gehen, dann erreichen wir die Leute, die wir erreichen wollen, die Streiks werden gewonnen, es kommt zu Streikwellen, die ebenfalls erfolgreich sind, die Bewegung wächst, den Nazis wird das Wasser abgegraben und die Machtverhältnisse und das gesellschaftliche Klima im Land verändern sich.

Nachdem ich 15 Monate lang mit jungen und älteren Leuten in der Klimabewegung, ein paar Omas gegen Rechts geredet habe, bin ich nicht unoptimistisch. Das herrschende System hat jede Glaubwürdigkeit verloren, was ja eigentlich schon bedeutet, dass wir in einer vorrevolutionären Situation sind. Viele Menschen kämpfen um ihr Leben und sind bereit, sehr viel Freizeit und sogar ihre körperliche Unversehrtheit dafür zu opfern. Das Einzige, was fehlt, ist eine geteilte Strategie, ein Plan, das Zusammenwachsen als revolutionäre Bewegung.

Wir halten eure optimistische Haltung für beneidenswert. Kämpfe können allerdings auch verloren werden, Aktivist:innen hören desillusioniert und müde auf, autoritäre, kommunistische Gruppen werden in der Linken präsenter. Wann wissen wir, dass wir sinnvolle Kämpfe führen und in die richtige Richtung steuern?

Interessante Frage, die ich mir nie stellen würde, weil ich es evident finde, dass die Kämpfe, an denen ich beteiligt bin, in die richtige Richtung führen. Ich kann dafür keine Beweise anführen, aber es scheint mir klar, dass Menschen nicht ewig so ein gewaltvolles, ungerechtes, zerstörerisches und stupides System wie den Kapitalismus aufrechterhalten werden, so wie Frauen es nicht ewig hinnehmen werden, dass sie die unbezahlte Reproduktionsarbeit machen. Die Frage ist nur, wie schnell wir dieses System durch ein menschenfreundlicheres ersetzen werden. Es stimmt, dass Kämpfe verloren werden können, wenn man sich z. B. den Putsch in Chile 1973 ansieht, aber die Kämpfe hinterlassen dennoch Spuren und sind Bezugs- und Ausgangspunkt für die späteren Kämpfe. Jede kämpfende Generation hinterlässt den kommenden Werkzeuge und Wissen und so stehen wir alle auf den Schultern der Genoss:innen, die vor uns gekämpft haben. Wir befreien uns aus der Hand der Herrschenden, Generation für Generation. Wenn ich an meine Großeltern denke und welches Leben die führen mussten, als landlose Tagelöhner:innen, die dem Pfarrer Geld zahlen mussten, wenn sie am Sonntag, dem Tag des Herrn (sic!), auf ihrem gepachteten Acker arbeiten wollten, dann sehe ich, wie weit uns vermeintlich verlorene Kämpfe in den letzten 70 Jahren gebracht haben. Wie könnte ich da nicht optimistisch sein?

Wir sollten uns allerdings klarmachen, dass wir nicht darauf warten können, bis die Bewegung, die wir uns wünschen, eine bestimmte Größe hat, sondern dass wir sie aufbauen müssen, egal in welchem Zustand sie gerade ist.

Wenn es Genoss:innen gibt, die müde und hoffnungslos sind, müssen wir eben mit denen zusammenarbeiten, die nicht müde und hoffnungslos sind und den müden und hoffnungslosen eine schöne Tasse Tee kochen.