Der gute Mensch aus dem Silicon Valley

06. September 2025

Medienwissenschaftler Douglas Rushkoff rechnet in «Survival of the Richest» mit den Visionen der Tech-Milliardäre in den USA ab. Nun steht das Buch auf der Shortlist des «Deutschen Wirtschaftsbuchpreises». Das ist wenig erstaunlich, entspricht es doch dem europäischen Zeitgeist.

«Die Welt kann bleiben, wie sie ist,
wenn genügend gute Menschen gefunden werden,
die ein menschenwürdiges Dasein leben können.
»
(Bertolt Brecht, der gute Mensch von Sezuan)

Die Vorbereitung auf den Weltuntergang richtet sich nach dem Kontostand. Während einfache Prepper:innen ein paar Dosenravioli zusammenhamstern, wollen Tech-Milliardäre gleich eigene Welten erschaffen. Elon Musk möchte den Mars besiedeln, Peter Thiel will einen Privatstaat in internationalen Gewässern bewohnen. Und Google-Manager Ray Kurzweil träumt davon, sein Hirn ins Netz hochzuladen, um vor den Katastrophen der physischen Welt zu flüchten.

Was die unfassbar reichen Eskapisten aber mit den gemeinen Prepper:innen teilen, ist die Ignoranz gegenüber den sozialen Bedingungen ihres Wohlergehens. Und das erzeugt Probleme: Denn wenn ihr Geld in der Apokalypse keine Söldner mehr zu bezahlen vermag, werden sich deren Kanonen gegen die Milliardäre selbst richten – vermutlich nicht im Sinne der Pariser Communard:innen, aber zumindest wird es ihren Zugang zu Whirlpool und Fitnessraum im Luxusbunker einschränken.

Und hier kommt Douglas Rushkoff ins Spiel. Der Professor für Medientheorie und digitale Wirtschaft wurde vor einigen Jahren in ein exklusives Luxusresort in abgeschiedener Wüstenlandschaft eingeladen. Dort sollte er einer Handvoll Milliardären Lösungen für solche Dilemmata vorschlagen. Der «marxistische Medientheoretiker», wie sich Rushkoff selbst bezeichnet, nahm dies zum Anlass, über das «Mindset» der Tech-Milliardäre nachzudenken.

Herausgekommen ist das Buch «Survival of the Richest», das bereits 2022 auf Englisch erschienen ist. Angesichts der Technoautokratie in den USA und dem hehren europäischen Widerstand, der bis in manche Chefetage reicht, hat es der Suhrkamp-Verlag Anfang 2025 auf Deutsch publiziert – und mittlerweile bereits die 3. Auflage des Buches gedruckt. Der Spiegel-Bestseller ist als «Wissensbuch des Jahres» nominiert und auf der Shortlist des «Deutschen Wirtschaftsbuchpreises» gelandet. Der Erfolg erstaunt wenig, er ist aber bezeichnend.

Das erste Kapitel beginnt mit der Anreise zum abgelegenen Luxusresort. Rushkoff nimmt die Leser:in auf die unterhaltsame Fahrt in der Limousine mit, seine Reflexionen während der Fahrt bieten einige interessante Einblicke. Der Autor, selbst ein Pionier des Internets, überzeugt dort am meisten, wo er den «Techsolutionismus» zerlegt – also die Illusion, man könne gesellschaftliche Probleme technologisch lösen. Er unternimmt dabei Abstecher zu einer Art popularisierten Dialektik der Aufklärung, wenn er zum Beispiel darlegt, warum der Massenvergewaltiger und Menschenhändler Jeffery Epstein als «idealtypischer, individuell souveräner, transhumanistischer Prepper» genau dem «Mindset» der Techelite entsprach. Zudem lernt man ein paar Einstiege für den Smalltalk an der nächsten Party: Etwa, dass Jeff Bezos 500-Millionen-Segelyacht von einem Schiff mit Landeplatz begleitet wird, damit sich Hubschrauber nicht in den Segeln verheddern.

Das Buch zerfasert aber zusehends in eine anekdotische Weltreise: aus dem Luxusresort in der Wüste geht es im Parforceritt zu Prepperfarmen bei New York, zu einer Ayn-Rand-inspirierten Luxuszuflucht in Chile und zu einem Elitendinner in New York – wo Rushkoff, mutmasslich mit Sektglas in der Hand, vehement den «neuen Atheisten» um Richard Dawkins widerspricht, weil sie die Vernunft zum reinen Instrument degradiert haben. Überhaupt spielt Rushkoff in seinem Sachbuch die Hauptrolle. Das «Ich» hält die thematische Vielfalt zusammen: CEO-Selbstfindung am Burning Man, wechselnde Vorlieben von Risikokapitalgeber:innen, Legitimationsstrategien des Konzernkolonialismus. Das mag alles miteinander verwoben sein, aber es wird vom Autoren nicht systematisch entwickelt.

Denn auch wenn das «Mindset» im Zentrum des Buchs steht, so müsste man es doch mit den materiellen Verhältnissen vermitteln. Man lernt beim «marxistischen Medientheoretiker» zwar etwas über Investmenttrends, Monopolstrategien und digitale Geschäftsmodelle, aber die Basis: der Kapitalismus ohne Adjektive wie «digital» oder «plattformbasiert» – quasi in seinem idealen Durchschnitt – bleibt fast unsichtbar und damit auch die Kontinuitäten von gewöhnlicher vordigitaler Ausbeutung und den modernen Formen der Profitabschöpfung.

Weil das bei Rushkoff kein Thema ist und er primär in der bunten Welt der Ideen bleibt, fallen auch seine politischen Vorschläge dünn aus. An einer rührseligen Stelle paraphrasiert er den ehemalige US-Präsidenten Jimmy Carter: «Drehen wir die Heizung runter und ziehen wir einen Pullover an. Das ist besser für die Stirnhöhlen und besser für den Planeten». Man möchte ihm mit Bertolt Brecht antworten:

«Die Guten
Können in unserem Land nicht lange gut bleiben.
Wo die Teller leer sind, raufen sich die Esser.
Ach, die Gebote der Götter
Helfen nicht gegen den Mangel.»

Im letzten Kapitel entwirft Rushkoff schliesslich sein Rettungsszenario für Stirnhöhle und Planeten: «Eine Kreislaufwirtschaft, die nicht auf Wachstum angewiesen ist. (…) Die Menschen besitzen die Unternehmen kooperativ mit anderen Arbeitern und wahren ihre Unabhängigkeit von grossen Arbeitgebern und desinteressierten Investoren». Wie man dahin kommt? Weniger konsumieren, weniger Reisen, lokale Produkte kaufen, das Kartellrecht einsetzen, die Steuerpolitik ändern. Und: «Wir können die Arbeiterschaft organisieren, um die Rechte der Gig-Worker zu stärken». Wer dieses «Wir» sein soll, bleibt vage. Es ist kaum zu überhören: Hier spricht ein Professor für digitale Wirtschaft.

Und so nimmt Rushkoff seinen ideologiekritischen Treffern jegliche radikale Konsequenz: Statt um die Umwälzung der Produktion und der Eigentumsverhältnisse geht es um Konsumverzicht und die formell-demokratische Zähmung der «Anhänger des Mindsets». Das prädestiniert den Autoren geradezu für eine Nominierung zum «Deutschen Wirtschaftsbuchpreis». In der Jury sitzen unter anderem die Vorsitzende des Sachverständigenrats für Wirtschaft und ein Präsidiumsmitglied des Verbands «Die Familienunternehmer». Die US-Tech-Konzerne mag man dort nicht besonders, den Kapitalismus aber umso mehr.

 

Douglas Rushkoff, Survival of the Richest. Warum wir vor den Tech-Milliardären noch nicht einmal auf dem Mars sicher sind. Verlag: Suhrkamp, Berlin 2025, 281 S. Preis: 22,00 Euro