Künstliche Intelligenz für gute Arbeit?

18. Dezember 2024

In der Unternehmenswelt wird die sogenannte Künstliche Intelligenz (KI) schon länger eingesetzt.1 Nach und nach finden sich immer neue Anwendungsbereiche in den Unternehmen, allerdings nicht so, dass KI schlagartig und flächendeckend alles verändern würde. Um seine Funktionäre und Betriebsräte auf den Stand dieser Entwicklung zu bringen und zugleich der Politik ein paar Aufträge zu erteilen, hat der Deutsche Gewerkschaftsbund 2020 das Konzeptpapier mit dem klingenden Namen „Künstliche Intelligenz (KI) für Gute Arbeit – zum Einsatz von Künstliche Intelligenz in der Arbeitswelt“ herausgegeben.2 Bis heute verweist der DGB beim Thema Digitalisierung auf dieses Papier von vor vier Jahren.3 In diesem Text wollen wir dieses Papier des DGB nicht nur zum Beispiel nehmen, um die prinzipielle Logik des DGB zum Thema Rationalisierung am Beispiel KI aufzuzeigen, sondern auch ein bisschen prinzipieller werden. Wir können nämlich auf die vom DGB angestrebte „gute Arbeit“ gut verzichten – ob mit oder ohne KI.

Zunächst einmal: Der DGB begrüßt den „gesellschaftlichen Fortschritt“ (dgb.de). Wie bürgerliche Ökonom*innen auch, startet die Gewerkschaft direkt mit dem Fehler, die Technologie von dem Zweck, für den sie eingesetzt wird, zu trennen: Die Technologie – hier die KI – wird von einem Mittel zu einem eigenständigen Subjekt gemacht, das dann wiederum allerlei anstellen würde – von alleine:

Künstliche Intelligenz ist ein zentraler Treiber der Transformation von Arbeit und Wirtschaft.

Damit stellt der DGB den sachlichen Zusammenhang auf den Kopf: Schließlich sind es die Unternehmen, welche die KI für ihre Zwecke – den Geschäftserfolg – einsetzen und entwickeln (lassen). Insofern sollte sich die in allen möglichen Medien viel beschriebene Angst vor einem angeblichen Automatismus, in dem die Maschinen das Ruder übernehmen, vielleicht besser gegen die Gewinnstrategien von Unternehmensleitungen richten. Diese haben nämlich das Ruder in der Hand, wenn es darum geht, Technologien am Arbeitsplatz und sonstwo einzusetzen.

Die Mission Possible des DGB

Für den DGB ist der eben erwähnte theoretische Fehler, also die Trennung der Technik von dem Zweck, für den sie entwickelt und eingesetzt wird, der Einstieg in eine Aufzählung allerlei vorgestellter Zwecke, die man mit der KI umsetzen könnte. Ein bunter Strauß an Chancen und Möglichkeiten fällt ihm da ein. Als würde nicht von Anfang an feststehen, dass die kapitalistische Rentabilität die Reiseroute bestimmt.

Es gilt also, die kollektive menschliche Intelligenz zu nutzen, um künstliche Intelligenz in der betrieblichen Arena für eine effiziente und produktive, gesundheits- und lernförderliche sowie gendersensible Arbeitsgestaltung einzusetzen.(DGB KI-Papier, S. 4)

Effizient und produktiv soll es laut DGB also auf jeden Fall werden – Dank moderner Technologie sind wir heute oft schneller, flexibler und produktiver.“ (dgb.de) –, aber eben auch gesund, lernförderlich und gendersensibel. Außerdem sollte die KI genutzt werden, um Arbeitsbelastungen zu reduzieren“ (DGB KI-Papier, S. 4) und um „dem künftigen Fachkräftemangel zu begegnen und Arbeitsbedingungen zu verbessern“ (dgb.de). Der DGB sagt weiter: „Wir wollen KI nutzen, zur Sicherung von Beschäftigung und zur nachhaltigen Aufwertung von Arbeit“ (dgb.de). In der Gedankenwelt des DGB ist also vielerlei möglich, und er ist dazu auch noch optimistisch:

Richtig eingesetzt können digitale Technologien Arbeitsbedingungen verbessern: für die Gesundheit, ein besseres Leben, für mehr Produktivität, Wertschöpfung und gesellschaftlichen Fortschritt.(dgb.de)

Für diese harmonischen Arbeitsverhältnisse braucht es laut DGB allerdings eins: den DGB. Über eine Aufzählung von negativen Konsequenzen für die Arbeiter*innen, die der DGB sogar auch noch als reine Möglichkeit nennt („könnte“!), bringt er sich ins Spiel:

Er entdeckt „(…) KI-Anwendungen, die einen Kompetenz- und Autonomieverlust der Beschäftigten – oder gar Arbeitsplatzverluste – zur Folge haben können.“ KI-Anwendungen bieten „(…) neue Gefahren der Vermessung und Bewertung von Beschäftigten und Belegschaften (…). Eine solche Form der Effizienzoptimierung kann zusätzlichen Druck auf Beschäftigte entfachen, neue psychische Belastungen hervorrufen (...).“ (DGB KI-Papier, S. 4f.) „Die Möglichkeiten reichen (...) bis hin zu Überwachung, (..) Simplifizierung, Arbeitsplatzverlusten“, „ausufernde Arbeitszeiten“, „wachsendes Arbeitspensum und die zunehmende Arbeitsgeschwindigkeit.“ (dgb.de)

Der DGB leistet sich 2022 sogar eine Umfrage bei seinen Mitgliedern, um die angeblich offene Frage, welche Wirkungen sich denn tatsächlich einstellen, zu ermitteln:

„Digitalisierung verändert die Arbeitswelt zunehmend. Uns als DGB interessiert, was das konkret für die Beschäftigten bedeutet. Wertvolle Hinweise dazu liefert unser “Index Gute Arbeit 2022” zur digitalen Transformation. Er zeigt, dass Arbeitsverdichtung und Entgrenzung, Kontrolle und Überwachung, digitale Fremdsteuerung und Rationalisierung zu den negativen Begleiterscheinungen von digitaler Arbeit gehören. So fühlen sich 40 Prozent der Befragten durch die Digitalisierung ihrer Tätigkeit stärker belastet. 46 Prozent gaben an, dass die Anforderungen durch Multitasking gestiegen sind und gut 1/3 empfinden sich bei der Arbeit stärker überwacht. Von verbesserten Arbeitsbedingungen berichten dagegen nur wenige.“ (dgb.de)

Mit diesem ernüchternden Ergebnis wirft der DGB sein Konzeptpapier aus dem Jahr 2020 nun aber nicht in den Papierkorb. Denn dass die Befragten großteils davon berichten, dass der Produktivkraftfortschritt ihnen real mehr Arbeitshetze einbringt und kaum jemand eine Arbeitserleichterung hat, ist für den DGB kein Argument gegen die wunderbare Welt der ausgedachten Möglichkeiten in seinem Konzept-Papier, sondern eine sehr eigentümliche Grundlage für seinen Anspruch auf Mitbestimmung.

Die zarte Erinnerung an mögliche Klassenkämpfe, die der DGB so gern vermeiden würde

Der DGB benutzt die von ihm konstatierten oder möglicherweise eintretenden Schäden für die Arbeiter*innen, um die Unternehmen davor zu warnen, dass Unzufriedenheiten in der Arbeiterschaft die erfolgreiche Anwendung der KI behindern könnte:

Die gemeinsame Verständigung auf die Zielsetzungen ist bei KI-Systemen von besonderer Relevanz, um die nötige Akzeptanz für den betrieblichen Einsatz zu erreichen – auch in Betrieben ohne Betriebsrat.“ (DGB KI-Papier, S. 4)

Außerdem sollten arbeitsrechtliche Konsequenzen für Beschäftigte, die sich theoretisch aus einer ,digitalen Führungʻ bzw. Überwachung, prädiktiver Analyse und Selbstoptimierungsmechanismen ergeben können, verbindlich ausgeschlossen werden. Anderenfalls könnten Akzeptanzprobleme und Rechtsverstöße selbst bei einer Verbesserung der Ergonomie zu einem schwerwiegenden Hindernis für die betriebliche Umsetzung von KI-Systemen werden.“ (DGB KI-Papier, S. 5)

Der DGB erinnert die Unternehmen an ein Drangsal, das sie selber gut genug kennen: Neue Technologie wird von den Arbeiter*innen in der Regel nicht als interessante Neuerung im bislang monotonen oder Multitasking-Arbeitsalltag begrüßt, sondern als Störung der bisherigen Arbeitsgewohnheit, deren Einübung schwer genug war. Sie müssen darauf getrimmt werden, sich der neuen Technik anzupassen. Dafür reicht meist die Drohung mit dem Rausschmiss. Und wo das vertragsmäßig nicht so einfach ist, übernehmen die jüngeren Arbeiter*innen oder diejenigen mit prekären Arbeitsverträgen die Tätigkeit mit der neuen Technologie; und die führen der übrigen Belegschaft vor, was alles an Arbeitsverdichtung geht. Weil der Betrieb dann noch so eingerichtet ist, dass die Langsamkeit an einem Arbeitsschritt sich als zusätzlicher Stress an einem anderen Arbeitsschritt auswirkt, können sich die Unternehmen tendenziell darauf verlassen, dass sich die Arbeiter*innen wechselseitig Druck machen, den vom Unternehmen gewünschten Arbeitseinsatz aufzubringen.

Die Idee, dass die Gewerkschaft die Unzufriedenheit der Arbeiter*innen in Form von Streiks bündeln könnte, kommt in dem Konzept-Papier gar nicht erst auf. Stattdessen bringt sich der DGB direkt als vermittelnde Hilfskraft ins Spiel: Liebe Unternehmen, redet mit uns, bevor ihr eine neue Technologie einsetzt, dann geht das reibungsloser.

In dieser Rolle nennt der DGB allerlei rechtliche Möglichkeiten, mit denen er die Arbeiter über die Betriebsräte gegen die Unternehmensführung aufbringen könnte. Diese rechtlichen Möglichkeiten finden sich freilich nicht im Umfeld der Veränderung der Arbeitsprozesse im engeren Sinne – über die kommandiert allein die Unternehmensführung, und das stellt der DGB eh nicht in Frage: eine technisch induzierte Arbeitsverdichtung ist für den DGB mit einem „so ist es nunmal“ sowieso längst abgehakt. Die rechtlichen Möglichkeiten finden sich in dem Feld der Überwachung und Selektion der Arbeiter*innen. Der DGB weist die Unternehmen schlicht darauf hin, dass im Feld der Personalüberwachung die Betriebsräte und Personalräte laut Betriebsverfassungsgesetz mitreden dürfen, die der DGB wiederum in Rechtsstreitigkeiten unterstützen könnte.

Kurzum: Der DGB macht die gewerkschaftliche Mitbestimmung den Unternehmen schmackhaft, indem er die Sorge vorträgt, dass ohne diese Mitbestimmung die neue Technologie gar nicht effizient angewandt werden könne, weil die Arbeiter*innen sie nicht reibungslos akzeptieren werden oder Rechtsprobleme auftauchen, die die Arbeiter*innen mithilfe der Gewerkschaft verfolgen könnten.

So erinnert der DGB einerseits an den Gegensatz von Arbeiter- und Unternehmerinteresse, um sich selbst als effizienten Schlichter einzubringen: Wenn ihr unsere Vorschläge berücksichtigt, dann flutscht die neue Technologie besser. In diesem Sinne freut sich die Gewerkschaft, wenn auch die Bundesregierung Elementen des DGB-Konzeptpapieres Rechnung trägt (siehe DGB KI-Papier, S.1). Wenn die Bundesregierung sagt: Auf die Arbeiter*innen – freilich sehr bedingt – Rücksicht nehmen, ist sinnvoll, weil (oder wenn) dadurch deren Leistungsfähigkeit gesteigert wird – in Marxschen Worten: also die Ausbeutung effektiver wird –, dann sagt die Gewerkschaft: Stimmt und deswegen (!) sollten Arbeiterinteressen mehr Rücksicht erfahren.

Die Farben des DGB sind schwarz, ein wenig rot und gold

Leider ist das noch nicht mal bloße Heuchelei, also die Vortäuschung eines gemeinsamen Interesses, um ein gegnerisches Interesse durchzusetzen. Die Dachorganisation der deutschen Gewerkschaften stellt sich auf den nationalistischen Standpunkt, dass die deutschen Unternehmen technologisch den Vorsprung vor den ausländischen Unternehmen brauchen, sonst können sie keine deutschen Arbeitsplätze bereitstellen:

Die Debatte um ,Künstliche Intelligenz‘ (KI) für die Arbeitswelt hat in den letzten zwei Jahren rasant an Fahrt aufgenommen. Auch wenn im öffentlichen Diskurs ,KI‘ oft nur den Begriff ,Digitalisierung‘ ersetzt, werden KI-Anwendungen – also lernenden Software- und Entscheidungssystemen – tatsächlich große Potenziale zugeschrieben. Dies gilt sowohl für die Automatisierung als auch für intelligente Assistenz menschlicher Arbeit. Der internationale Konkurrenzdruck für die Entwicklung und Anwendung von KI in Wirtschaft und Arbeitsmarkt hat spürbar zugenommen. Dennoch stehen viele Unternehmen – auch in Deutschland – noch am Anfang, KI-basierte Möglichkeiten zu nutzen.“ (DGB KI-Papier, S. 2)

So gelingt es den Gewerkschaften immer wieder, ihren Mitgliedern die Vernichtung von Arbeitsplätzen als Rettung der verbliebenen Arbeitsplätze darzustellen. Statt die Arbeiter*innen gegen die Interessen des Kapitals aufzubringen, machen sie den Arbeiter*innen klar: Dein Gegner ist das Ausland, die dortigen Arbeiter*innen, das dortige Kapital, der dortige Staat. Dem könne man nur gemeinsam mit dem deutschen Kapital und dem deutschen Staat beikommen. Das „D“ im DGB steht da also völlig zurecht. Der DGB vertritt die Arbeiterinteressen im vollen Bewusstsein, dass diese nur in der erfolgreichen Nation gegen das Ausland, gegen die Anderen eine Erfüllung finden würden. Und da wundern sich Leute, dass solch gewerkschaftlich geschulte Arbeiter*innen in Krisenzeiten immer mehr der AfD hinterherlaufen.

Weil eben nicht das Ausland, sondern der kapitalistische Zweck eines jeden Unternehmens der Grund für den ruinösen Arbeitsalltag ist; weil die Unterwerfung der Arbeit unter die Geldvermehrung (= Kapital) der Grund ist, warum die Produktivkraftfortschritte sich nicht in mehr Freizeit und entspannte Arbeit umsetzen, sondern zielstrebig die noch zu machende Arbeit extensiv und intensiv strapaziert, bleibt den Arbeiter*innen durch den DGB nichts erspart. Erspart bleibt ihnen auch nicht, dass die Gewerkschaften die Wirkungen des Kapitalprinzips auf Körper und Geist der Arbeiter*innen, übrigens in einem immer länger gestreckten Arbeitsleben (Rente mit 67), genau registrieren. Und was machen DGB und Co. damit? Sie bringen es einfach als Anschauungsmaterial an, mit dem sie die Bedeutung der gewerkschaftlichen Aktivitäten und der Mitbestimmung fortlaufend unterstreichen – unter Beibehaltung aller genannter Schäden an den Menschen.

Dieser Kampf der Gewerkschaften um Anerkennung als nützliches Mitglied in der nationalen Familie und ihrer ökonomischen (Unternehmen) und politischen (Staat) Bestimmer, kann natürlich nicht ganz ohne Enttäuschungen ablaufen:

Obwohl die Umstellung auf neue technische Systeme meist viele Kolleg*innen einer Belegschaft betrifft, ist die Entscheidungsfindung oftmals reine Chefsache. (dgb.de)

Wer hätte das gedacht?! Bislang hat sich der DGB aber immer wieder optimistisch in die nächste Rationalisierungswelle gestürzt, um die Anerkennung seiner Bedeutung (wieder) zu erlangen. Denn immerhin:

Es besteht ein breiter politischer und auch wissenschaftlicher Konsens, dass offene und partizipative Verfahren vorteilhaft sind für die Akzeptanz und damit den erfolgreichen Einsatz von KI-Systemen im Betrieb.“ (DGB KI-Papier, S. 6)

So schließt sich der Ausgangsfehler des DGB – die Trennung der Technik vom Zweck, für den sie eingesetzt und entwickelt wird – für den DGB glücklich wieder zusammen: Mit dem erfolgreichen Einsatz von KI-Systemen, den der DGB unterstützen will, verändern die Unternehmen die Arbeit und machen diese für ihren Geldvermehrungszweck produktiver. Die „gute“ Arbeit im Kapitalismus ist mitnichten eine für die, die die Arbeit verrichten, sondern eine, die Deutschlands Macht in der Welt fördert. In eben dieser Rolle der Arbeit im Kapitalismus liegt das Geheimnis, warum neue Maschinen und Software nicht dazu führen, dass (Lohn-)Arbeit entspannter wird: Die hohen Investitionen sollen sich rentieren und das schließt eine extensive, wie intensive Arbeit weiterhin ein. Arbeitszeitverkürzung pro Produkt sorgt nie für eine Arbeitsleistungsminderung bei Lohnarbeiter*innen, es sei denn sie werden entlassen. Mit anderen Worten: Wer gute Arbeit will, braucht wen anderes als den DGB – oder Deutschland.4