Zum Absturz von Syriza
Syriza profitierte 2015 davon, dass sich die neoliberalisierte ‚sozialdemokratische‘ PASOK mit der Durchsetzung harter Sparpolitik zugrunde gerichtet und sich die konservative Nea Dimokratia mit derselben Politik unbeliebt gemacht hatte. Doch einmal an der Macht, verschärfte Syriza den Sparkurs noch, weil sie unter dem Druck der Troika angeblich „keine andere Wahl“ hätte (einige verglichen dies ein wenig sarkastisch mit dem berüchtigten Diktum „There is no alternative“). Der Druck der europäischen Institutionen lässt sich natürlich nicht wegleugnen, aber er erklärt nicht, warum sich die Europäische Kommission in ihren Berichten zu Griechenlands ‚Reformfortschritten‘ darüber begeistern konnte, dass Syriza sogar „Reformen umsetzt, die nicht einmal Teil des Memorandums waren“.
Der Wirklichkeit näher kommt wohl, dass sich Syriza, sobald sie an der Macht war, in die Pose einer ernstzunehmenden „Regierungspartei“ warf, um Griechenland endlich richtig zu „modernisieren“. Bereits zu diesem Zeitpunkt war kaum zu übersehen, wie sehr sich die wirtschaftlichen Auffassungen ihrer Minister:innen mit dem ökonomischen Mainstream deckten. Während der Umsetzung der Austeritätsvorgaben in den Jahren 2015 bis 2019 vollzog sie zudem eine ‚realistische‘ Hinwendung zur Mitte, absorbierte die Überreste der dezimierten PASOK (im Parlament wie in der Wähler:innenschaft) und verfocht eine ordinäre, populistische, aber im Grunde apolitische Form von ‚Politik‘.
Dabei erwies sie sich als erschreckend blind gegenüber der Tatsache, dass eine Wiederbelebung der alten PASOK zwar in den Jahren des Memorandums eine gewisse Attraktivität gehabt haben mag, danach aber keine realistische politische Option mehr darstellte, und zwar aus einem einfachen Grund: Die alte PASOK hatte in einem völlig anderen internationalen Umfeld agiert, in dem sie eine keynesianisch inspirierte expansionistische Fiskalpolitik durchsetzen (1981-85) und gleichzeitig die Linke, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus der griechischen Gesellschaft ausgegrenzt worden war, politisch zu einer legitimen Kraft hatte machen können.
Syriza scheint der Widerspruch nie aufgefallen zu sein, dass sie die PASOK gerade ohne keynesianische Fiskalpolitik, sondern unter Durchsetzung harter Sparmaßnahmen wiederbeleben wollte. In der wirklichen Welt war der einzige Aspekt der alten PASOK-Politik, dem sie tatsächlich nacheifern konnte, deren ordinärer, kleinbürgerlich-individualistischer Alptraum gepaart mit einem zynischen Festklammern an der Macht und einer ebenso zynischen Entpolitisierung (man erinnere sich an die Dreistigkeit Syrizas, die „Bewegung“ zu Demonstrationen gegen ihre eigenen Maßnahmen aufgefordert zu haben).
Diese Strategie, wenn man das so nennen will, spiegelte sich auch in den erstaunlich widersprüchlichen Botschaften und Maßnahmen wider, die verschiedene Syriza-Mitglieder seit 2019 verlautbarten. Man hörte Covid-Leugnung und gleichzeitig Impfaufforderungen, linke und zentristischen Slogans, Pro-EU- und Anti-EU-Positionen, Pro-Migrations-Rhetorik bei gleichzeitigem Bau von Internierungslagern, Pro-Arbeiter:innen-Rufen bei gleichzeitigen Lohnkürzungen, Anti-Memorandums-Geheule bei gleichzeitiger Umsetzung von Sparmaßnahmen. Erstaunlicherweise wurde nichts davon von ihnen selbst als widersprüchlich empfunden.
Diejenigen, die Syriza nach 2019 noch unterstützten, teilen sich grob in zwei Lager: diejenigen, die durch Nähe zu einer „Regierungspartei“ etwas gewinnen zu können meinten, und diejenigen, die die rechtsgerichtete Regierung der Nea Dimokratia schlicht unerträglich fanden. Die Wahlen am 21. Mai haben gezeigt, dass letztere das sinkende Schiff verlassen haben. Das ist beeindruckend, denn wie inkompetent muss man sich anstellen, um in den Augen derer, die die Regierung der Nea Dimokratia als „die schlechteste Regierung seit 1974“ ansehen, als die schlechtere Option zu erscheinen?
Zweifellos wird sich Syriza nach diesem Debakel verändern. Möglicherweise tritt Tsipras zurück, doch es sieht eher danach aus, dass er sich dagegen verweigert. Wichtig bleibt festzuhalten, dass die Wahlergebnisse die Konjunktur, die um 2012 eingesetzt hatte, wohl an ihr dramatisches Ende gebracht haben. Da PASOK sich zum Ziel gesetzt hat, nach der zweiten Wahlrunde die Opposition anzuführen (Nea Dimokratia konnte sich trotz Erdrutschsieg keine Mehrheit im Parlament sichern), ist es denkbar, dass Syriza wieder auf den Stand vor der Krise zurückfällt, das heißt auf etwa 3 bis 4 Prozent.
Dies wäre eine positive Entwicklung. Denn Syriza hat sich nicht nur als erschreckend unfähig zu jeder ernsthaften Oppositionspolitik erwiesen, sondern grundsätzlich und systematisch alle Vorstellungen und Hoffnungen zerstört, dass die Linke (wie auch immer man diese definieren mag) tatsächlich eine Alternative anbieten könnte. Unter günstigen wie unter ungünstigen Bedingungen hat Syriza sich (und ihre Wähler:innen) davon überzeugt, dass es nur eine mögliche Linke gibt: die der alten PASOK. Nur war dieses Mal der fiskalische Handlungsspielraum, der es ihr erlaubt hätte, sich in der Gesellschaft zu verankern und eine kontinuierliche Anhängerschaft an sich zu binden, nicht gegeben.
Neu legitimiert durch Syrizas Inkompetenz und das Märchen von der ökonomischen Erfolgsgeschichte Griechenlands, wird eine entfesselte Nea Dimokratia ihren Autoritarismus in den kommenden Jahren noch steigern. Angesichts der bevorstehenden Angriffe bedürfte es dringend einer echten Opposition. Syriza ist das erwiesenermaßen nicht.