Von Winnyzja bis Berlin

12. August 2025

Vorbemerkung von Konvulsismo und Freund:innen

Am 2. August 2025 fand die zweite Ausgabe der Soliparty Konvulsismo in Berlin statt. Die Einnahmen sollten an das Assembly-Kollektiv aus Charkow in der Ukraine gespendet werden. Als politische Gruppe und Medienkanal positioniert sich das Kollektiv gegen die Zwangsrekrutierung von Soldat:innen für den Krieg. Assembly berichtet auch über soziale Kämpfe, die im Kontext der russischen Invasion und Besatzung stattfinden, sowie den zunehmenden Autoritarismus des ukrainischen Staates im Namen der „nationalen Einheit“.

Konvulsismo ist ein Partykollektiv, das sich in Anbetracht einer fortschreitenden Militarisierung in Europa der Organisation von Partys für experimentelle/elektronische Musik zur Unterstützung von Anti-Kriegs-Gruppen weltweit verschrieben hat. Ihre erste Veranstaltung war ein Konzert, bei dem Geld für New Profile gesammelt wurde, ein Unterstützungsnetzwerk für Kriegsdienstverweigerer*innen in Israel, welchem kürzlich die finanzielle Unterstützung durch den deutschen Staat entzogen wurde. Einige Monate später wurde die zweite Ausgabe von Konvulsismo zum Ziel einer Desinformationskampagne durch die Gruppe „Good Night Imperial Pride“ (ihrerseits verbunden mit den sogenannten „Solidarity Collectives“). Laut einem Text, der wenige Tage vor der Party in den sozialen Medien zirkulierte, handelt es sich bei Assembly nur scheinbar um ein anarchistisches und Anti-Kriegs-Kollektiv, das im Geheimen eine politische Agenda der Kollaboration mit der russischen Besatzungsmacht verfolgt. Die Folge war eine Reihe von Absagen, wodurch Konvulsismo dazu gezwungen war, den Veranstaltungsort und einen großen Teil des Line-ups innerhalb weniger Tage zu ändern. Glücklicherweise verlief die Party dank der Unterstützung von Genoss*innen und befreundeten Musiker*innen in Solidarität mit Assembly ohne Probleme, im Sinne einer entschieden antimilitaristischen und internationalistischen politischen Haltung. Es folgt unsere Stellungnahme zu der gegen uns gerichteten Kampagne aus Drohungen, Einschüchterung und Verleumdungen.

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Gegen „Anarcho“-Militarist:innen und ihre Kriegspropaganda

Eine Antwort auf die sich im Umlauf befindenden Kritiken gegen die am 2. August 2025 stattgefundene Soliparty Konvulsismo #2 zur Unterstützung des Assembly-Kollektivs

1. Auf der ganzen Welt ist Krieg. Derjenige, der Russland und die Ukraine seit nunmehr drei Jahren (und im Donbass seit 2014) offiziell gegeneinander in Stellung gebracht hat, dient nun als Beschleuniger europäischer Wiederaufrüstung. Seit der allgemeinen Mobilmachung von 1914 dient die „heilige Union“ immer als das Machtinstrument der herrschenden Klassen, um Massenaufstände zu unterdrücken und die subalternen Klassen unter ihrer Flagge gegen die gegnerische Nation zu versammeln. Als Internationalist:innen und Antimilitarist:innen verweigern wir, Konvulsismo, uns diesem makabren Narrenspiel. Mit der ersten Konvulsismo-Party haben wir israelische Kriegsdienstverweigerer:innen unterstützt. Dieses Mal haben wir Geld für das Assembly-Kollektiv aus Charkow (Ukraine) gesammelt. Assembly organisiert tagtägliche Solidarität gegen Zwangsrekrutierung und unterstützt Deserteur:innen. Im Schlachthof des Krieges, stehen wir immer auf der Seite der Desertierenden.

2. Gegen Assembly wurde eine lächerliche Desinformationskampagne voller wirrer Annahmen geführt, in der die Gruppe beschuldigt wurde, pro-russisch zu sein. Jede:r, die:der ihre Aktivitäten und Veröffentlichungen verfolgt hat, kennt die Wahrheit: Das Kollektiv hat konstant und konsistent die russische Invasion kritisiert. Weiter noch: Als der Krieg ausbrach, startete Assembly eine Initiative zur Unterstützung von Zivilist:innen, die von den russischen Bombardements in Charkow betroffen waren. Was die Gruppe jedoch in Anbetracht ihrer internationalistischen Haltung ablehnt, ist, der ukrainischen Armee beizutreten, den ukrainischen Staat und seine herrschende Klasse zu verteidigen oder die mörderische Politik des Militärapparats gegen die eigene Bevölkerung zu unterstützen. Dabei hat Assembly stets auch Desertionen, Meutereien und Aufstände gegen die Kriegsanstrengungen in Russland, Belarus und den besetzten Gebieten der Ostukraine und der Krim gefördert und befürwortet.

3. In Bezug auf die Behauptung, dass wahrer Antimilitarismus mit der Waffe in der Hand an der Front praktiziert wird (eine völlige orwellsche Verklärung) und dadurch den Staat mit einem stetigen Nachschub an Kanonenfutter versorgt: Die bereits zu Beginn des Konflikts kaum haltbare bedingungslose Unterstützung von Brigaden, die sich selbst als Anarchisten bezeichnen, obwohl sie seit langem der regulären ukrainischen Armee unterstellt sind, widerspricht der konkreten Situation. Entgegen den Ansichten, die zum Konsens eines Teils der Linken und Anarchist:innen geworden zu sein scheinen, möchten wir auch hervorheben, dass Anarchist:innen und im weiteren Sinne Antiautoritäre und Revolutionär:innen in der Ukraine keine homogene Gruppe sind. Indem sie sich auf das Bild sogenannter antiautoritärer Brigaden verlassen, versuchen „Good Night Imperial Pride“, „Solidarity Collectives“ und andere Gruppen, Anti-Kriegs-Initiativen unsichtbar zu machen. Dadurch spielen sie in die Hände des ukrainischen Staates und stellen solche Initiativen als pro-russisch dar, obwohl Assembly und andere Internationalist:innen Deserteur:innen auf beiden Seiten der Front unterstützen.

4. Während diese Gruppen sich für einen patriotischen „Anarchismus“ aussprechen, führt der Staat, für den sie töten und sterben, einen Krieg gegen seine eigene Bevölkerung. Seit Beginn des Krieges beruht die sogenannte nationale Einheit auf der Basis von Zwangsrekrutierung. Sowohl für Russland als auch für die Ukraine wird es immer schwieriger, Freiwillige für das Abschlachten zu finden. Desertion ist mittlerweile zum Massenphänomen geworden: Die ukrainischen und russischen Lohnabhängigen sind sich sehr bewusst, dass sie in diesem Krieg nichts zu gewinnen haben. So haben sich beispielsweise am Vorabend der Soliparty Hunderte Protestierende trotz der Ausgangssperre einer Demo in Winnyzja angeschlossen, um die Freilassung von Männern zu fordern, die von militärischen Rekrutierungsbüros festgehalten werden. Die Protestierenden brachen in ein Stadion ein, in dem die Festgenommenen wegen ihres Entzugs vor dem Wehrdienst festgehalten wurden, und wurden mit Tränengas und Verhaftungen begrüßt. Assembly ist einer der wenigen anarchistischen Medienkanäle, der über die Aufstände, Meutereien, Revolten und Streiks berichtet, die gegen die Zwangsrekrutierung stattfinden, während der ukrainische Staat damit kämpft, seine Bevölkerung davon zu überzeugen, sich den Kriegsanstrengungen anzuschließen.

5. Dieses makabre Szenario ist das Produkt – sowie die treibende Kraft – hinter der fortschreitenden Militarisierung, besonders in Europa. Vor dem Hintergrund einer tiefgehenden Krise des Kapitalismus und eskalierender Konflikte zwischen rivalisierenden Mächten ist die Todesindustrie des Krieges der einzige Horizont, den diese Welt zu bieten hat. In Deutschland drückt sich dies nicht nur in der Diskussion über die Wiedereinführung der Wehrpflicht aus, sondern auch und vor allem in steigenden Militärausgaben (im Kontrast zu den Kürzungen im Sozial- und Bildungsbereich – eine Form militarisierter und generalisierter Austerität). Überall in Europa drückt sich diese eskalierende Gewalt auch in der Verstärkung der nationalen Grenzen und in der rassistischen Verfolgung gegenüber Migrant:innen, insbesondere arabischer und muslimischer Migrant:innen, aus.

6. Vor diesem Hintergrund kann weder Unterstützung für den Westen unter dem Vorwand, dass er „demokratisch“ ist, noch Unterstützung für das russische oder ein anderes Regime mit der Begründung, dass es sich gegen den US-Imperialismus stellt, eine Lösung für unsere Emanzipation sein. Während des andauernden Krieges in Europa ist unsere Position, dass wir die Solidarität – beispielsweise mit Internationalist:innen aus der Ukraine, wie dem Assembly-Kollektiv – und Kämpfe dort, wo wir sind, intensivieren; vor allem wenn die Staaten, in denen wir leben, direkt oder indirekt in die militärische Auseinandersetzung involviert sind. Es geht hier nicht um die Unterstützung der einen oder anderen Seite – das ist der Job jedweder Art von Nationalist:innen, seien es Anarchist:innen, Linke oder Rechte. Es kommt darauf an, die Industrie des Todes zu bekämpfen, diejenigen, die davon profitieren, und die Welt, die sie hervorbringt, hier und jetzt.

Solidarität mit den Deserteur:innen auf beiden Seiten der Frontlinie!
Freiheit für alle inhaftierten Wehrdienstverweigerer:innen!
Gegen Krieg, seine Industrie des Todes und diejenigen, die davon profitieren!
Für ein lebenswertes Leben!

Konvulsismo und Freund:innen, August 2025, Berlin.