Historische Streiks in Kalifornien

22. November 2022

In Kalifornien befinden sich seit Montag letzter Woche ca 48.000 Mitarbeiter:innen des öffentlichen Universitätssystems (abgekürzt UC) im Streik. Es handelt sich um eine der größten Arbeitsniederlegungen an einer akademischen Einrichtung in der US Geschichte. Die Streikenden verteilen sich auf zehn Campus des Bundesstaats. Sie fordern unter anderem deutlich höhere Gehälter (mindestens 54.000 Dollar pro Jahr), stärkere finanzielle Unterstützung für Kinderbetreuung, Senkung der Studiengebühren für internationale Studierende1, Verstetigung von Stellen, aber zugleich auch kostenlose Nahverkehrstickets oder billigere Nutzung von Rädern von Fahrrad-Verleihstellen2. Ursache des Streiks ist die gegenwärtige Inflation, die die Situation in den bereits seit Jahren sehr teuren Wohngebiete der USA, wie Berkeley3, Los Angeles oder Santa Cruz, für die Menschen verschärft. WG-Zimmer können in Los Angeles ohne weiteres 1600 Dollar kosten und die von der Universität bereitgestellten Wohnmöglichkeiten sind schwer umkämpft. Es sind vor allem Doktorand:innen und Wissenschaftler:innen, die gerade die Arbeit niederlegen. Da sie den Großteil der Forschung und Lehre abdecken, fehlen nun in den Forschungseinrichtungen die Laborangestellten und in den Unterrichtsräumen die Lehrenden.

Dem jetzigen Arbeitskampf liegt eine recht militante Streikgeschichte von Doktorand:innen zugrunde. So hatte an der UC Santa Cruz von Dezember 2019 bis April 2020 ein wilder Streik stattgefunden, nachdem sich wütende Arbeiter:innen nicht mehr in der Lage sahen ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und Anpassungen an die realen Lebensbedingungen (Cost-of-Living Adjustments, COLA)4 forderten 5. Obwohl dem Streik Solidaritätsakte auf anderen Campus folgten, wurden viele der wild Streikenden (zwischenzeitlich) gefeuert und der Streik unterdrückt. Mittlerweile hat jedoch nicht nur Santa Cruz, sondern auch alle anderen Campus haben eine eigene COLA-Initiative, d.h. Santa Barbara, San Francisco, Riverside, Davis, Berkeley, San Diego, Irvine und Los Angeles. Diese militante Basis hat auch jetzt wieder auf den stattfindenden Streik gedrängt.

Die für die Hochschulmitarbeitenden zuständige Gewerkschaft United Automobile Workers (UAW) hatte sich vor dem wilden Streik 2019/2020 keine Lorbeeren verdient. Sie hatte unzureichende Verhandlungsergebnisse mit der Universitätsleitung vereinbart, obwohl es klar war, dass die Verträge keine breite Unterstützung der Basis hatte. Somit war der wilde Streik für die Doktorand:innen das einzig verbleibende Mittel. Diese Konflikte mit der kämpferischen Basis und das verbreitete Misstrauen in die Gewerkschaftsführung sind auch gegenwärtig wieder präsent und es gibt Befürchtungen, dass die gewerkschaftlichen Vertreter:innen am Verhandlungstisch bei den wichtigen Forderungen einknicken könnten. Die Kernforderungen drehen sich um die COLA-Anpassungen, denn nur durch ein Nahverkehrsticket ist noch niemand satt geworden. Es zirkuliert unter den Streikenden ein Brief, der sich gegen jegliche Verhandlungen hinter verschlossener Tür mit der UC ausspricht. Um dem Nachdruck zu verleihen sollen sich 260 nicht eingeladene und wütende Doktorand:innen Zutritt zu einem Verhandlungstreffen zwischen den gewerkschaftlichen Vertreter:innen und der UC verschafft haben.

 

Streik in Kalifornien

 

Trotz aller kämpferischen Energie verläuft der Streik auch sehr ‚geordnet‘. Anders als der wilde Streik 2019/2020 ist dieser Streik offiziell angemeldet und der legale Rahmen scheint (zumindest einigen) Streikenden auch wichtig zu sein. So wird in der Sprache der Streikenden immer wieder betont, es gehe um ‚faire‘ Löhne und in ihrem Widerstand und Streikverhalten sei alles gesetzeskonform verlaufen. Dem gegenüber klagen sie die ‚illegalen‘ Praktiken der UC Leitungen vor dem Verhandlungsbeginn an. Es sollen Strategien des Union Bustings und Tricks angewandt worden sein, um die Verhandlungen zu beeinflussen und Streikende und Solidarisierte abzuschrecken. So wurden Informationen über die Verhandlungen zurückgehalten, vor den offiziellen Streiktagen wurden Professor:innen eingeschüchtert, sie sollen sich nicht mit den Streikenden solidarisch zeigen und auf keinen Fall ihre Lehrveranstaltungen absagen, und am Dienstag verkündete die UC Leitung es sei kein einziger, winziger Raum für die Lohn-Verhandlungen aufzutreiben. Viele hält das nicht ab, trotzdem ihre Arbeit niederzulegen und sich solidarisch zu zeigen. Die Belegschaften ganzer Fakultäten verfassten offene Briefe an die Hochschulleitungen, die diese aufforderten den Forderungen der Streikenden nachzukommen. Und auch viele Studierende wollen ihre Lehrer:innen im Streik unterstützen. An der UC Irvine gibt es Infostände von Bachelor-Studierenden zum stattfindenden Arbeitskampf und an der UC Davis blockierten diese aus Solidarität die Zufahrtsstraße zum Universitätsgelände. Gastforscher:innen sagten Veranstaltungen ab und auf Social Media wurden Solidaritätsbekundungen von UPS-Lieferant:innen und Bauarbeiter:innen geteilt.

In den USA sind in diesem Jahr zunehmend Arbeitskämpfe zu verzeichnen. Bei großen Betrieben wie Amazon und Starbucks gründeten sich widerständige Gruppen und schließlich offizielle, gewerkschaftliche Vertretungen. Doch eine große Bewegung von Doktorand:innen im UC System gibt es schon seit 2009 und für den jetzigen Universitätsstreik in Kalifornien war vor allem der erfolgreiche Streik an der Columbia University in New York Ende des Jahres 2021 ausschlaggebend. In New York, der teuersten Stadt der USA, hatten Doktorand:innen über 9½ Wochen hinweg für höhere Löhne gestreikt. Trotz des Versuchs der Universitätsleitung, die Streikenden zu zermürben, waren diese nicht zur Arbeit, sondern am Streikposten erschienen. Der Kampf- und Organisierungswille von Doktorand:innen in den USA weist darauf hin, wie zunehmend prekär Universitätsangestellte sind und wie die schwindelerregenden Studiengebühren in irgendwelchen Taschen landen, nur nicht in denen der Arbeiter:innen.

Die Uni-Bosse hoffen nun, dass den Streikenden zeitnah die Puste ausgeht, denn bald ist Prüfungsphase an den Hochschulen sowie die daran anschließende Notenvergabe und dann soll es keine Verzögerungen im Betrieb geben. Von einer abnehmenden Wut oder Anzahl ist bei den Streikenden in den letzten Tagen jedoch nichts zu merken. Diese stehen den ganzen Tag trommelnd und schreiend auf dem Campus und an der UC Irvine marschieren sie täglich um das Präsidialgebäude. Sie rufen: "Wenn wir unsere Löhne nicht bekommen, dann machen wir den ganzen Laden dicht!"

Streiks in Kalifornien

 

  • 1. Internationale Studierende zahlen noch höhere Studiengebühren als US-Amerikaner:innen.
  • 2. Hier geht es nicht nur um den Preis des Nahverkehrs, sondern auch um die Nachhaltigkeit des Transportmittels. Städte wie Los Angeles sind auf den Autoverkehr ausgerichtet und der Campus liegt weit vom Stadtzentrum entfernt.
  • 3. In Berkeley wütet gerade auch ein Streit um den people’s park, wo die Universität seit kurzem Wohnungen für Studierende bauen will, obwohl der Park ein wichtiger Teil der linken Geschichte und des Widerstands in Berkeley ist. Mit dem Bau von Wohnungen wollen sie diese widerständige Geschichte in der Öffentlichkeit diffamieren.
  • 4. https://uci4cola.com/uci4cola-brief-history/
  • 5. Santa Cruz liegt in der Nähe von Silicon Valley und ist deshalb ebenfalls zum Wohnen sehr teuer. Auch hier können einzelne Zimmer über 2000 Dollar pro Monat kosten.