Erste Schritte in der weißen Fabrik

08. November 2025
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Den Ansatz des „strategischen Lohnarbeitens“ der Angry Workers aufgreifend, entschied ich mich vor etwa 2 Jahren, die akademische Welt hinter mir zu lassen und eine Ausbildung in der Pflege zu beginnen. Auch wenn es mir anders lieber gewesen wäre, war dieser Schritt erstmal ein Alleingang. Mit Neugier und gleichzeitig Respekt vor dem, was mich erwarten würde, ging es mir zunächst darum, in den Arbeitsalltag hineinzufinden, möglichst viele Kontakte zu Kolleg:innen zu knüpfen und die spezifischen Logiken und Zusammenhänge der verschiedenen Bereiche des Gesundheitssektors besser zu verstehen. Der folgende Bericht über meine Erfahrungen und Beobachtungen aus dem ersten Jahr in Ausbildung ist der Versuch, eine Perspektive aufzumachen, in der über das Beklagen von Missständen hinaus auch Ansatzpunkte für kollektive Kämpfe sichtbar werden.

Generalistische Ausbildung und Berufsschule

Die dreijährige Ausbildung als Pflegefachkraft wurde vor wenigen Jahren in Deutschland komplett umgestellt. Die ehemals eigenständigen Ausbildungen in der Gesundheits- und Krankenpflege, Altenpflege und Kinderkrankenpflege wurden zu einer generalistischen Ausbildung zusammengelegt. Versprochen wurde sich davon, die Pflege für Berufseinsteiger:innen attraktiver zu machen, um so dem Personalmangel entgegenzuwirken. Voraussetzung für die Ausbildung ist ein mittlerer Schulabschluss und ein sauberes Führungszeugnis. Pflegehilfskräfte durchlaufen je nach Bundesland eine ein- bis zweijährige Ausbildung. Über den Umweg der Pflegeassistenzausbildung kann auch mit einem Hauptschulabschluss die 3-Jährige Ausbildung begonnen werden. Ein Studium in der Pflege ist in Deutschland anders als in vielen anderen Ländern nur marginal ausgeprägt.

Während der dreijährigen Ausbildung wechseln sich mehrwöchige Schulblöcke mit Praxiseinsätzen von ein bis drei Monaten in den verschieden Bereichen der Pflege ab. Angestellt bin ich über einen deutschlandweit tätigen Konzern, welcher in meiner Stadt ein großes Krankenhaus und ein paar weitere kleinere Einrichtungen betreibt. Das Unternehmen hat eine eigene Berufsschule mit ca. 200 Auszubildenden. In den Berufsschulklassen mischen sich dabei Auszubildenden unterschiedlicher Träger. Die Inhalte und der Abschluss sind für alle gleich.

Von Tag 1 der Ausbildung an war die internationale Zusammensetzung der Auszubildenden enorm präsent. In meinem Jahrgang an der Berufsschule liegt der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund bei 80 bis 90 Prozent. Die Migrationsgeschichten sind dabei sehr verschieden. Allein in meiner Berufsschulklasse kommen die Auszubildenden aus mehr als 10 Ländern, leben entweder bereits in der 2. Generation in Deutschland, sind über ein Au-Pair-Jahr in die Pflege gekommen oder sind über ein Anwerbeabkommen erst wenige Wochen vor Ausbildungsbeginn in Deutschland gelandet. Daher sind Sprache, Identität und das Leben in Deutschland von Beginn an zentrale Themen in den Gesprächen gewesen. Eine eigene Klasse wurde von einem Träger aus der Altenpflege an der Berufsschule zusammengestellt, in welcher ausschließlich aus Vietnam und Indien angeworbene Auszubildende sind. Männliche Auszubildende sind in der Pflege weiterhin deutlich weniger vertreten. Das Alter der Auszubildenden variiert von 17 bis Ende 40.

Die Wege und Gründe, die Leute in die Ausbildung gebracht haben, sind vielfältig. Einige haben bereits Vorerfahrungen in der Pflege gemacht oder haben Angehörige, die in dem Bereich arbeiten. Für andere war die Pflege eine Möglichkeit, nach Deutschland zu kommen, oder bot das Versprechen auf vergleichsweise gute und sichere Verdienstmöglichkeiten auch ohne Studium. Unter denen, die schon länger in Deutschland leben, hat quasi niemand den Schwerpunkt Altenpflege gewählt. Die Gründe dafür liegen in der Aussicht auf bessere Arbeitsbedingungen und Aufstiegsmöglichkeiten in den Krankenhäusern und dem allgemein höheren gesellschaftlichen Prestige, das den stärker medizinisch geprägten Bereichen zukommt.

Auch wenn wahrscheinlich alle Azubis im Bewerbungsgespräch angegeben haben, in die Pflege gehen zu wollen, um anderen Menschen zu helfen, würden die wenigsten meiner Mitschüler:innen in der Pflege arbeiten, wenn sie deutlich aussichtsreichere berufliche Möglichkeiten hätten. Und anders als das weitverbreitete Bild der Selbstaufopferung in der Pflege suggeriert, sehnen sich alle von uns nach langen Urlauben und materieller Absicherung, hassen das frühe Aufstehen und wollen unsere Gesundheit für den Job nicht ruinieren. Entsprechend betrachten die meisten die Pflegearbeit vor allem als Lohnarbeit, und Idealismus ist selbst in der Anfangszeit der Ausbildung nach meinem Eindruck nicht besonders weit verbreitet. Das Ausbildungsgehalt ist mit zunächst etwas über 1000 Euro netto zwar höher als in den meisten anderen Ausbildungsberufen, die Lebenshaltungskosten in einer deutschen Großstadt lassen sich damit aber kaum abdecken. Manche verdienen sich deswegen trotz Ausbildung in Vollzeit noch nebenbei etwas dazu. Die meisten wohnen bei ihren Eltern oder in Wohnheimen des Arbeitgebers, geben einen Anteil ihres Gehalts an die Familie ab und nehmen zum Teil recht lange Pendelzeiten auf sich. Grade in den Frühdiensten auf einzelne Bahnen angewiesen zu sein, kann dabei sehr frustrierend sein bei einem öffentlichen Nahverkehr, bei dem regelmäßige Verspätungen und kurzfristigen Ausfälle keine Seltenheit sind. Die Wohnheime sind wichtige soziale Orte, an denen aber auch immer wieder Streitereien aufkommen oder es einen Rückzug in die jeweiligen Communitys gibt.

Noch stärker als ich das in anderen Bildungseinrichtigungen wahrgenommen habe, spielt Disziplinierung an der Berufsschule eine wesentliche Rolle. Besonders zu Ausbildungsbeginn waren Verspätungen und Fehlzeiten ständige Themen. Wenige Minuten Verspätung werden von den Lehrkräften notiert, bei Wiederholung zu ganzen (unentschuldigten) Fehltagen aufsummiert, und es wird damit gedroht, Tage nacharbeiten zu müssen. Wird die Grenze an Fehlzeiten (10%) überschritten, muss die Ausbildung um circa ein halbes Jahr verlängert werden.

Die Probezeit – die ersten 6. Monate der Ausbildung – wurde zudem als weiteres Druckmittel genutzt, da in diesem Zeitraum der Arbeitgeber die Ausbildung ohne Begründung beenden kann. Entsprechend vorsichtig waren viele von uns, Beschwerden im ersten Einsatz zu äußern. Am Ende der Probezeit wurde dann bei einer „Konferenz“ über jeden Auszubildenden und dessen Zukunft einzeln entschieden. Anders als erwartet, war das Prozedere kein Bluff. Mehreren Auszubildenden wurde mitgeteilt, dass sie gekündigt sind, andere sollten das erste halbe Jahr wegen unzureichender Sprachkenntnisse wiederholen. Die Situation war entsprechend emotional und tränenreich. Die Begründungen für die Kündigungen („Unreife“, „nicht geeignet für den Beruf“) waren kaum nachvollziehbar, die Entscheidungen kamen teils überraschend und konnten auch nicht beanstandet werden. Der respektlose und unsensible Umgang führte zu einer Menge Wut und Unverständnis gegenüber dem Arbeitgeber und der Schule. Die Gruppe war dann auch aus anderen Gründen nach einem halben Jahr stark geschrumpft. Einige hatten schnell die Lust verloren, andere mussten abbrechen oder von vorne Beginnen (u. a. Schwangerschaft, längere Ausfälle nach Verletzungen). Dafür ist der Zusammenhalt unter den verbliebenen Auszubildenden über die Zeit kontinuierlich gewachsen. Unter vielen von uns hat sich ein freundschaftlich-solidarisches Verhältnis entwickelt. Man unterstützt sich beim Lernen oder bei anderen Fragen und Problemen, teilt sein Essen, erzählt sich Geschichten von den Stationen und verbringt gelegentlich auch außerhalb von Schule und Betrieb Zeit miteinander. Wie ich von Azubis aus anderen Berufsschulen und Jahrgängen gehört habe, ist solch ein Gemeinschaftsgefühl aber eher eine Ausnahme, und Konflikte, Egoismus und Konkurrenzdenken sind auch während der Ausbildungszeit keine Seltenheit. Als entsprechend wichtig empfinde ich es, von Beginn an gezielt das soziale Miteinander zu stärken und Solidarität vorzuleben.

Während Auszubildende eine ganze Reihe an Verpflichtungen zu erfüllen haben, die genaustens kontrolliert werden, hat sich die Berufsschule als eine schlecht organisierte Einrichtung erwiesen. Versprechungen werden nicht eingehalten, Aufgaben werden unverständlich kommuniziert und es gibt einen hohen bürokratischen Aufwand. Viel Unzufriedenheit gibt es auch darüber, dass die Urlaubstage durch die Schule einheitlich festgelegt werden. Eine Auszubildendenvertretung gibt es an der Berufsschule nicht und Gewerkschaften sind in keiner Form präsent oder sichtbar. Die Schule befindet sich außerdem in einer recht abgelegenen Nachbarschaft, in der einige Räume angemietet worden sind. Dort steht uns lediglich eine kleine und bescheiden ausgestattete Küchenzeile zur Verfügung. Auch Aufenthalts- und Rückzugsmöglichkeiten gibt es kaum. Zugleich steigt die Anzahl der Schüler:innen kontinuierlich an.

Der Schultag ist lang und die Wochen sind vollgepackt mit allen möglichen „Leistungserfassungen“ wie Klausuren, benoteten Gruppenarbeiten oder Hausarbeiten. Inhaltlich gibt es seit der Generalisierung einen stärkeren Fokus auf Themen wie Kommunikation, Ethik und Pflegeplanung. Wie von der Politik anvisiert, wird so versucht die Rolle der Pflegefachkräfte neu zu definieren: Weg vom Bild der Hinternabputzer:innen und Arztgehilf:innen zur Anerkennung als eigenständige Profession, samt eigens abgesteckten Aufgabenbereichen, eigenen Forschungsthemen und Karrieremöglichkeiten.

Darin, dass die meisten Lehrkräfte, teils über viele Jahre, selbst in der Pflege gearbeitet haben, liegt ein verbindendes Moment. Zugleich müssen sie nicht nur die beschriebene Disziplinierung durchsetzen, sondern in ihrer Rolle auch ein positives Bild des Berufes vermitteln, in dem sie selbst aus guten Gründen nicht mehr arbeiten. Aber auch die Arbeitsbelastung für die Lehrkräfte nimmt spürbar zu, was sich bei uns in häufigen Krankmeldungen und Kündigungen ausgedrückt hat. Nach einem Krankheitsfall müssen Lehrkräfte in der Regel sämtliche ausgefallene Unterrichtsstunden nachholen. Um den Personalmangel abzudecken, werden immer wieder Aufgaben zum „selbstbestimmten Lernen“ aufgegeben. Wirklich gut vorbereitet auf die praktischen Einsätze wird man durch die Inhalte in der Berufsschule nur bedingt. Immer mal wieder waren Auszubildende davon frustriert, zu wenig für die Praxis relevante Inhalte gelernt zu haben. Die Diskussionen mit den Lehrkräften waren aber wirkungslos und sind recht bald versandet.

Die praktischen Einsätze

Die praktischen Einsätze gleichen einem Glücksspiel. Ohne die Möglichkeit zur Mitentscheidung werden uns die nächsten Einsatzorte zugeteilt. Die Unterschiede sind teils enorm, selbst wenn es sich nur um eine unterschiedliche Station im selben Krankenhaus oder ein anderes Stockwerk einer Pflegeeinrichtung handelt. Entsprechend weit war die Spanne unserer ersten Praxiserfahrungen, die von bereichernden Einsätzen mit rücksichtsvollen, offenen Kolleg:innen hin zu Einsätzen, die für manche zur Tortur wurden, reichten. So berichteten Mitschüler:innen von immenser Arbeitsbelastung, Mobbing im Team, Missachtung der Pausenzeiten und fehlenden Praxisanleitungsstunden. Bei Beschwerden wurden sie von Seiten der Schule meist damit vertröstet, dass die Einsätze nur von begrenzter Dauer sind. Gearbeitet wird im ersten Jahr im Zweischichtsystem, also im Früh- und Spätdienst. Später in der Ausbildung kommen noch vereinzelte Nachtdienste hinzu. Ich musste meist jedes 2. Wochenende arbeiten und es wurde in der Regel darauf geachtet, dass es keinen direkten Wechsel vom Spät- in den Frühdienst gibt. Weil die Arbeitszeiten für den Monat erst kurzfristig mitgeteilt werden, wird es schwer, im Privatleben etwas langfristig zu planen oder wöchentliche feste Termine regelmäßig wahrzunehmen. Insbesondere in Altenheimen ist es auch keine Seltenheit, mehr als sieben Tage am Stück zu arbeiten, wobei rechtlich sogar 19 Tage zulässig sind. In den Krankenhäusern sind in unserem Betrieb zentrale Praxisanleiter:innen speziell für Auszubildende freigestellt. Das hat nach meiner Erfahrung in der Anfangszeit auch gut funktioniert. So hat man als Azubi zumindest gelegentlich die Möglichkeit, gezielt bestimmte Tätigkeiten so zu üben, wie sie nach Standard durchgeführt werden sollen. Die Praxisanleiter:innen sind im Idealfall auch bei Problemen auf Station Verbündete und Seelsorger:innen. In den Einrichtungen ohne Freistellung dagegen waren Kolleg:innen neben ihrem regulären Dienst noch für die Praxisanleitung zuständig. Für uns Auszubildende bedeutet das oftmals ein ständiges Nachhaken, um am Ende des Einsatzes auf die vorgeschriebene Anzahl an angeleiteten Stunden zu kommen. Nicht selten werden daher auch angeleitete Stunden etwas „freier“ interpretiert. Hauptsache den Einsatz formal bestanden.

Einsatz im Krankenhaus

Die ersten prägenden Eindrücke von der Arbeit im Krankenhaus waren die vielen Begegnungen und die Zusammenarbeit mit den verschiedensten Berufsgruppen. Dazu zählen neben den Pflegekräften und Ärzt:innen, Transportdienst, Bettendisposition, Reinigungskräfte, Physios, Sozialdienst, Seelsorger:innen usw., wodurch es eine potentielle Schnittstelle für gemeinsame Kämpfe und die Erfahrung von Kooperation gibt. Auch innerhalb der Pflege gibt es zahlreiche Rollen auf einer Station wie Hygienebeauftragte, Wundversorgung, Praxisanleitung oder Stationsleitung. Die zahlreichen ineinandergreifenden Arbeitsabläufe führen immer wieder zu Spannungen, aber machen gelebte Solidarität ist auch greifbar. Dazu gehören die häufigen Diskussionen darüber, wer für welche Aufgaben zuständig ist oder sein sollte sowie die Auswirkungen durch Krankmeldungen und Materialengpässe.

Ein Rohrpostsystem innerhalb des Hauses erspart zwar mittlerweile viel Rennerei (z.B. für Laborproben), führt aber auch dazu, dass der direkte Kontakt zu den Kolleg*innen auf anderen Stationen geringer geworden ist. Eine Station ist dabei wie ein eigener Kosmos, den man als Pflegekraft während der Schicht kaum verlässt. Die Station, auf der ich gearbeitet habe, war geprägt von einem extrem hohen Durchlauf an Patient:innen. Nach 2 Tagen frei, konnte es sein, dass mehr als die Hälfte der Betten bereits durch neue Patient:innen belegt waren. Die enorme Verkürzung der Liegezeiten über die letzten Jahre lässt sich auf ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren zurückführen: Neue technologische Möglichkeiten wie minimalinvasive Operationen („Fast-Track-Chirurgie“), ökonomischer Druck durch das DRG- System (Fallpauschalen) vermengt mit einem ideologischen Anteil (kurze Liegezeiten sind förderlich für den Genesungsprozess). In Konsequenz verschiebt sich durch die zahlreichen täglichen Aufnahmen und Entlassungen auch der Fokus der Pflegearbeit und erhöht den Verwaltungsaufwand enorm. So gehört es zur täglichen Arbeit, die Pflegeplanung anzufertigen, Pflegeberichte zu erstellen, erfolgte Maßnahmen abzuhaken, Vitalwerte einzutragen und vieles mehr. Der Zweck der zunehmenden Bürokratisierung ist vorwiegend, Pflegeleistungen abrechnen zu können, ggf. längere Liegezeiten gegenüber den Krankenkassen zu rechtfertigen und sich rechtlich gegen Klagen abzusichern. Während die Leitungsebene sich immer wieder über die mangelnde Qualität der Dokumentation beschwert, wird diese von den meisten Kolleg:innen als eher lästig empfunden, man klickt sich durch die vorgegebenen Satzbausteine oder nutzt copy-and-paste. Potentiell könnte ein Dokumentationsstreik deswegen auch ein wirksames Mittel sein, um Forderungen durchzusetzen.

Die Tätigkeiten als Auszubildender variieren je nach Einsatzort und Bedarf. Dazu gehören repetitive Tätigkeiten, die gerne von den Kolleg:innen abgegeben werden wie Vitalzeichen messen, Schränke auffüllen, Essensausgabe, Betten schieben, Unterstützung bei Toilettengängen und Körperpflege sowie zur Klingel laufen. Es kam allerdings auch im ersten Einsatz immer wieder zu Situationen, in denen Tätigkeiten von uns Auszubildenden erledigt werden sollten, von denen man keine Ahnung hat oder die für den Ausbildungsstand zu anspruchsvoll sind. Ablehnung ist dabei immer mit der Gefahr verbunden, im Team unbeliebt zu werden oder als faul und unmotiviert zu gelten. Was einen im Dienst erwartet, ist häufig kaum vorherzusehen. Es gibt Tage, an denen ich fast nur renne, aber auch immer mal Zeiten, in denen weniger zu tun ist. Die ruhigeren Momente konnte man aber meist gut nutzen, um mit Kolleg:innen ins Gespräch zu kommen.

So kamen in den Gesprächen immer wieder die Unzufriedenheit mit der aktuellen Arbeitssituation zur Sprache, etwa der nachlassende Zusammenhalt, die fehlende Wertschätzung, die zu geringe Anzahl an überteuerten Parkplätzen, das Streichen von Weiterbildungsmöglichkeiten oder die häufige Übernahme von Patient:innen von anderen Stationen. Die Streiks an den Universitätskliniken waren in den Unterhaltungen mit Kolleg:innen hingegen nicht präsent und Auswirkungen nicht spürbar. Nach meinem Empfinden treten die Pflegekräfte individuell aber durchaus selbstbewusst auf, kritisieren Missstände und sind sich ihrer Bedeutung auf Grund des Personalmangels in der Pflege bewusst. Hoffnung, dass sich groß etwas ändern wird, hat allerdings kaum jemand. Daher sehnen sich die einen nach der Rentenzeit, andere planen, sich selbständig zu machen, oder spielen mit dem Gedanken, den Arbeitgeber zu wechseln. Von den jüngeren Kolleg:innen werden die körperlichen Zeichen, die die jahrelange Schufterei bei den älteren Pfleger:innen hinterlassen haben, als warnendes Beispiel wahrgenommen.

Für die Auszubildenden bedeuten die ersten Einsätze, sich erstmal zurechtzufinden zwischen den eigenen Vorstellungen über den Pflegeberuf, der Erwartungshaltung der Kolleg:innen und dem erlebten Krankenhausalltag. Das Jonglieren zwischen dem Versuch, die Arbeit wie gelernt zu erledigen, und zugleich den vom Zeitdruck geprägten Arbeitsroutinen der Kolleg:innen gerecht zu werden, stellt dabei eine ständige Herausforderung dar.

Einsatz im Pflegeheim

Mein Einsatz in der Altenpflege fand in der Einrichtung eines kirchlichen Trägers statt. Eine Pflegekraft ist dort in einem Dienst für etwa 10 bis15 Bewohner:innen zuständig. Die Arbeit habe ich insgesamt als körperlich anstrengender erlebt. Der Pflegebedarf pro Bewohner:in ist dabei über die letzten Jahre kontinuierlich gestiegen. So ist der Anteil der Menschen, die bettlägerig oder hochgradig dement sind, deutlich größer geworden. Die sozialen Angebote werden in der Einrichtung dagegen durch Betreuungskräfte organisiert. Die Zahl an sozialen Aktivitäten hat sich nach der Pandemie jedoch nicht mehr erhöht und es sind insgesamt weniger Ehrenamtliche aktiv. Ein immer wiederkehrendes Problem in der alltäglichen Arbeit, das auch aus vielen anderen Einrichtungen in der Langzeitpflege bekannt ist, ist der Mangel an Materialien. Wenn der Inkontinenzschutz genaustens abgezählt ist oder eine Lieferung mit Wäsche mal wieder Verspätung hat, musst du entweder im ganzen Haus in den Schränken nach Resten suchen, Materialien sparsamer“ verwenden oder anderweitig improvisieren. Ähnlich wie im Krankenhaus war die Aufgabenverteilung unter den Kolleg*innen der verschiedenen Berufsgruppen ständiges Thema. Beispielsweise wurde von der Leitung versucht durchzusetzen, dass die Pflege häufiger die Vorbereitung und das Abräumen der Mahlzeiten übernehmen sollte, weil Einsparungen beim Personal in der Hauswirtschaft geplant waren. Häufig werden solche Aufgaben dann auch durch Auszubildende aufgefangen. Trotz des hohen Arbeitspensums, haben die Kolleg:innen individuell Wege gefunden, sich Pausen zu schaffen und an Orte abseits der Kontrolle zurückzuziehen. Unter den Hilfskräften, deren Anteil in der Altenpflege deutlich höher ist als im Krankenhaus, war die Identifizierung mit dem Beruf merkbar geringer ausgeprägt und dadurch eine größere Verweigerungshaltung vorhanden. Sich ihrer guten Verhandlungsposition auf Grund des Personalmangels bewusst, wurden daher unbeliebte Regeln der Leitung ignoriert, Abmahnungen nicht ernst genommen oder bei Unzufriedenheit mit Arbeitsplatzwechsel gedroht. Diese Formen widerständigen Auftretens sind aber auf einer individuellen Ebene geblieben. Die Fachkräfte hatten nach meinem Eindruck einen größeren Wunsch nach Mitgestaltung und eine höhere Bereitschaft, sich für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen einzubringen, nahmen aber auch eher Überstunden und ein höheres Arbeitspensum in Kauf. Zeitarbeitskräfte sind mir nur vereinzelt begegnet.

Präsent war unter den Kolleg:innen der Eindruck, dass es von Seiten der Krankenpflege eine Überheblichkeit gegenüber der Altenpflege gibt. Immer wieder wird sich gegenseitig die Schuld zugeschoben, etwa wenn es um den gesundheitlichen Zustand der Pflegebedürftigen geht. Auch unter einigen Auszubildenden ist die Sicht verbreitet, bestimmte Aufgaben der Pflege (Körperpflege) gegenüber anderen, eher medizinischen Tätigkeiten abzuwerten, und manche haben einen Hang, mit ihrem Lehrbuchwissen insbesondere Hilfskräfte belehren zu müssen. Dennoch besteht durch die Arbeit in den verschiedenen Bereichen auch die Möglichkeit, Brücken zu mehr Solidarität innerhalb der Pflege zu schlagen. Ein Thema, das immer wieder in Gesprächen aufgekommen ist, ist die spezifisch migrantische Erfahrung im deutschen Pflegesystem. So macht der starke Kontrast aus dem mehrheitlich ausländischen Pflegepersonal und den mehrheitlich weiß-deutschen Pflegebedürftigen in den Altenheimen die Struktur der gesellschaftlichen Arbeitsteilung direkt erfahrbar. Denn trotz aller öffentlichen Beteuerungen über den hohen Stellenwert des Pflegeberufs, wird der Job, wenn möglich, von den meisten Deutschen gemieden. Und während in vielen migrantischen Communitys die Pflege von Kranken und Alten traditionell zu großen Teilen von Angehörigen übernommen wird, entsteht angesichts der weitverbreiteten Einsamkeit unter pflegebedürftigen Menschen der Eindruck, dass sich in der deutschen Mehrheitsgesellschaft kaum jemand für sie interessiert.

Zwischenfazit

Kennzeichnend für die Ausbildung ist das häufige Pendeln zwischen Berufsschule und Praxis sowie den wechselnden Einsatzorten, was einem immer wieder eine Anpassung an die neuen Gegebenheiten abverlangt. Die Ausbildungsbetriebe schwanken im Umgang mit den Auszubildenden nach meinem Eindruck zwischen einer kurzfristigen und langfristigen Nutzenrechnung. So gibt es zwar hier und dort Bemühungen, die Ausbildungsbedingungen zu verbessern, um die zukünftigen Fachkräfte an sich zu binden, gleichzeitig wird die Arbeitskraft der Auszubildenden aber auch benötigt, weil ansonsten die Personallücken vermeintlich kaum anders zu stopfen sind. Hierdurch entstehen auch immer wieder Konflikte zwischen den Akteuren.

Grade im ersten Jahr gehört man in den Teams nie richtig dazu, muss sich die Anerkennung teilweise erarbeiten, ist mit vielem noch überfordert und versucht mit den unzähligen Eindrücken, der hohen Geschwindigkeit und der Komplexität der Abläufe zurechtzukommen. Zugleich bekommt man alsNeuling“ auch immer mal wieder einen gewissen Schutzstatus zugeschrieben oder kann sich mit Lernaufträgen den Strapazen für eine Weile entziehen. Außerdem kann man seine Rolle als Auszubildende:r gut nutzen, um die verschiedenen Bereiche der Pflege genauer kennenzulernen oder für einen Teil des Dienstes mit anderen Berufsgruppen mitzugehen. Durch die Vernetzung unter den Auszubildenden hat man schnell Kontakt zu einer Vielzahl an Menschen und kann untereinander Erfahrungen darüber austauschen, welche Stationen, Träger, Einrichtungen und Berufsschulen empfehlenswert sind. Durch die gemeinsam erlebten Höhen und Tiefen ist zwar eine teils eindrucksvolle Verbundenheit unter uns Auszubildenden entstanden, dennoch wäre es hilfreich gewesen, einen politischen Zusammenhang an seiner Seite zu haben, um die Erfahrungen kollektiv reflektieren und eine politische Perspektive erarbeiten zu können. Denn auch wenn es unter den Auszubildenden und Kolleg:innen durchaus einen kritischen Blick auf die Arbeitsbedingungen in der Pflege gibt, werden die Zustände aktuell noch in Kauf genommen – man hofft, dass es im nächsten Einsatz oder nach der Ausbildung besser wird. Es fehlt noch an greifbaren Vorbildern, am Selbstbewusstsein etwas verändern zu können, und an der Entschlossenheit, Forderungen durchzusetzen. Auch gab es bisher kein so dauerhaft drängendes Thema, an dem sich Protest hätte entzünden können. Die alltäglichen Erfahrungen im Arbeitsleben, an der Berufsschule oder auch im Bereich von sozialer Infrastruktur und Reproduktion (Wohnen, Nahverkehr, Inflation, Sozialleben) bieten aber grundsätzlich zahlreiche Anknüpfungspunkte, auch jenseits der Gewerkschaftsapparate Veränderungen kollektiv zu erkämpfen.

Eine längere Version des Textes wurde von Vital Signs ins Englische übersetzt.