Die ökologische Krise und der Aufstieg des Postfaschismus

08. April 2024

Die ökologische Krise hat einen großen Einfluss auf die materiellen Bedingungen sozialer Reproduktion. Sie geht über „Naturkatastrophen“ hinaus und vertieft die dem Kapitalismus inhärenten Widersprüche. Diese Krise manifestiert sich nicht nur in Überschwemmungen, Dürren und Pandemien, sie befeuert auch Konflikte, soziale Unruhen und massenhafte Vertreibung. Im folgenden Text wollen wir auf die Verbindung von ökologischer Krise und der, wie wir sie nennen, postfaschistischen Bewegung hinweisen. Bei dieser handelt es sich um eine politische und ideologische Strömung, die sich weltweit im Aufschwung befindet. Der Postfaschismus vermag es, die massenhafte Empörung über die sozialen Verhältnisse in Nationalismus, Rassismus und ethnisch-kulturelle Konflikte zu verwandeln, ohne den gegenwärtig herrschenden autoritären Liberalismus infrage zu stellen. Stattdessen ergänzt er ihn, indem er zur Normalisierung von politischen Maßnahmen beiträgt, die einst als extrem und inakzeptabel galten, während er gleichzeitig Feindbilder erschafft, die zur Legitimation dieser Politik beitragen.

Die kapitalistische Form des Stoffwechsels zwischen Gesellschaft und Natur

Die kapitalistische Form des Stoffwechsels zwischen Gesellschaft und Natur wird bestimmt durch die Tendenz des Kapitals, als sich selbst verwertender Wert, sich ununterbrochen und unbegrenzt auszudehnen. Diese Tendenz muss jedoch zwangsläufig mit den materiellen und zeitlichen Bedingungen der Produktion in Konflikt geraten, die natürlichen Beschränkungen unterliegen, etwa den biologischen Reproduktionszyklen von Tieren und Pflanzen. Der homogene, teilbare, mobile und quantitativ unbegrenzte Charakter der Wertform steht in direkter Opposition zur Einheit und Unteilbarkeit der Naturprodukte mit ihrer qualitativen Diversität, lokalen Eigenarten und quantitativen Begrenzungen.

Das Kapital betrachtet jede gesellschaftlich bedingte natürliche Grenze als zu überwindendes Hindernis. Doch das bedeutet nicht, dass eine solche Überwindung tatsächlich möglich ist, ohne regionale oder gar globale ökologische Gleichgewichte zu stören. Vielmehr liegen gerade hier die Möglichkeiten katastrophaler Veränderungen in lokalen und peripheren Ökosystemen als auch umfassender Störungen des Ökosystems des Planeten. Dieses durch das Aufkommen des Anthropozän verursachte ökologische Ungleichgewicht, der massenhafte Ausstoß von Treibhausgasen, Schadstoffen und giftigen Substanzen sowie die potenziell unumkehrbare katastrophale Veränderung des Klimas, die zur Zerstörung der natürlichen Grundlagen menschlicher Bedürfnisbefriedigung führen, sind keinesfalls unvermeidliche Ergebnisse eines Konflikts zwischen Gesellschaft und Natur. Stattdessen handelt es sich bei ihnen um bestimmte historische Phänomene, die mit der Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise zusammenhängen.

Sobald die Produktivität des Kapitals durch die verschwenderischen und zerstörerischen Produktionsprozesse von Unternehmen und Staaten beeinträchtigt wird, fangen deren kapitalistische Manager:innen und Expert:innen damit an, die „rationale Verwaltung natürlicher Ressourcen“ zu diskutieren. Das umfasst u. a. Probleme wie den Rückgang von Anbauflächen, die Abholzung, die Wasserverschmutzung oder die Erschöpfung leicht abbaubarer fossiler Brennstoffe und seltener Erden. Sobald die Umweltzerstörung die erweiterte Reproduktion des Kapitals verhindert, z. B. durch eine Verlangsamung der landwirtschaftlichen Produktivität oder erhöhte Ausgaben für die Bekämpfung von Krankheiten, und dadurch den Wert der Arbeitskraft erhöhen, werden diese Formen der Umweltzerstörung von der Mainstreamökonomie unter anderem als „ökologische Externalitäten“ oder „Marktversagen aufgrund des Fehlens von Eigentumsrechten“ bezeichnet. In diesen rätselhaften Begrifflichkeiten drückt sich die Notwendigkeit aus, die gestiegenen Kapitalkosten auf das globale Proletariat abzuwälzen. Hierzu werden Verbrauchssteuern erhoben und Subventionen an kapitalistische Unternehmen für die Einführung „umweltfreundlicher Technologien“ („Green Deal“, „erneuerbare Energien“, „Kreislaufwirtschaft“ und dergleichen) gezahlt, um „externe Umweltökonomien zu internalisieren“, wie es im ökonomischen Kauderwelsch heißt.

Natur als soziale Kategorie

Die Natur erschließt sich uns nicht unmittelbar, denn ihre Begriffe und das Wissen über sie unterliegen gesellschaftlicher Vermittlung. Die Wahrnehmung dessen, was in einem bestimmten Stadium der gesellschaftlichen Entwicklung natürlich ist, und die Art und Weise, in der sich diese Natur auf den Menschen bezieht, sowie die Form, der Inhalt, die Reichweite und die Gültigkeit des Naturbegriffs werden alle von gesellschaftlichen Bedingungen beeinflusst. Die Aussage, dass Natur eine „soziale Kategorie“ ist, geht daher davon aus, dass alle natürlichen Objekte durch eine grundlegende Struktur, die in einer bestimmten Gesellschaft vorherrscht – d. h. im Kapitalismus durch die Wertform –, gesellschaftlich formiert sind.1

Wie wir bereits dargelegt haben, reduziert die Tendenz des Kapitals zur unbegrenzten Ausdehnung die Natur auf ein bloßes Objekt des Menschen, auf einen bloßen Gebrauchsgegenstand, den man sich frei aneignen kann, ohne sich um die Vergeudung seines Reichtums und seiner Kräfte zu kümmern – geschweige denn darum, es „den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen“2.

Es findet keine rationale Steuerung des Stoffwechsels zwischen Gesellschaft und Natur statt, weshalb eine Befriedigung der vielfältigen menschlichen Bedürfnisse ohne die Erschöpfung natürlicher Rohstoffe nicht möglich ist. Dies ist die Basis der ökologischen Krise, der wir heute ausgesetzt sind und deren hauptsächlicher Ausdruck der katastrophale Klimawandel ist.

Doch abseits dieses abstrakten, mathematischen und instrumentellen Begriffs der Natur, der eine Folge der ökonomischen Struktur des Kapitalismus ist, entstand noch ein anderes Naturkonzept. Eine romantisch-irrationale Vorstellung, die eine Reaktion war auf die kapitalistische Verdinglichung und ihre Tendenz „Menschen von ihrem menschlichen Wesen zu entfremden“: in Kontrast zu den künstlichen Gebilden der menschlichen Zivilisation, wird der Natur hier ein organisches Wachstum zugeschrieben. Wie Georg Lukács treffend anmerkt, erhielt „[d]er Begriff des ‚Organisch-Gewachsenen‘, der, durch die deutsche Romantik, die historische Rechtsschule, Carlyle, Ruskin usw., als Kampfbegriff gegen die Verdinglichung eingeführt wurde, zunehmend eine klar reaktionäre Bedeutung.“3

Entgegen ihrer eigenen Ansprüche dient die romantisch-organizistische Vorstellung der Natur jedoch als Rechtfertigung der herrschenden Ordnung. Ihre Ablehnung der kapitalistischen Verdinglichung nimmt den Charakter einer Opposition an, die sich ausschließlich gegen die egalitären, antihierarchischen und antiautoritären Elemente der Moderne richtet, die durch die faschistischen Auswüchse dieser Strömung als dekadent, degeneriert, „humanistisch“ oder „jüdisch-kommunistisch“ gebrandmarkt werden.

Der Ruf nach „Blut und Boden“, die Idee einer mystischen Verbindung einer bestimmten Ethnie mit einer spezifischen Geografie, die Unterscheidung zwischen dem „Automaten“ und dem „Beseelten“, oder die Idee, dass die natürliche Ordnung als Blaupause idealer gesellschaftlicher Beziehungen dienen kann, die auf Mangel, rassistischer „Hierarchie“, Wettbewerb und „Selektion“ beruhen, resultieren alle aus der entwickelten nationalistischen Form der romantisch-irrationalen Naturvorstellung. Diese Konzeption ist Teil eines ideologischen Programms zur Eindämmung von Klassenkämpfen. Aus sozialen Kämpfen werden Konflikte, die entlang nationaler und rassifizierter Linien verlaufen, wodurch Ungleichheit und Hierarchie als natürliche Gegebenheiten bestätigt und verfestigt werden sollen.

Es ist wichtig hervorzuheben, dass die Konzeption der Natur, die der historische Faschismus und der Nationalsozialismus propagierten, einen Versuch darstellte, zwei Pole miteinander zu vereinen: Positivistisches Wissen und technisches Know-how wurden mit einem starken Identitätsgefühl des unsterblichen „Volkes“ und mit dem „Spirituellen“ kombiniert. Die Palingenese4 der Nation innerhalb einer neuen Weltordnung verband den Begriff vom mystischen Zusammenprall arischer und nichtarischer Kulturen – einem Existenzkampf um Leben und Tod – mit pseudowissenschaftlichen Elementen rassistischer Anthropologie, Sozialdarwinismus und Eugenik. Die Urbarmachung von Land im Osten war zugleich ein rassistisches Projekt der „Rückkehr zum Land“ sowie die Realisierung einer technokratischen „Utopie“ (d. h. Dystopie), die „durch einen Prozess der reinigenden Zerstörung, der rücksichtslosen Unterwerfung und ‚Umsiedlung‘ der einheimischen slawischen Völker, der Ausrottung ihrer Kultur, der Vernichtung von Jüd:innen, Kommunist:innen, Kriegsgefangenen und allem, was den Beigeschmack des Subversiven oder genetisch Minderwertigen hatte“5, geschaffen werden sollte.

Die ökologische Krise und der Aufschwung reaktionärer Ideologien

Die ökologische Krise, die im ersten Abschnitt dieses Essays beschrieben wurde, ist ein zentraler Aspekt der langen Krise der Reproduktion des Kapitals, die der historischen Periode seit der „Großen Krise“ von 2008 zugrunde liegt. Die COVID-19-Pandemie, die als globale Gesundheitskrise Ausdruck der zusammenhängenden „Polykrise“6

des Kapitals ist, war Resultat des bestimmten Verhältnisses, in welchem sich die kapitalistische Produktion zur nichtmenschlichen Welt verhält. Sie trat zu einer Zeit auf, als sogar die stärksten Ökonomien Mühe hatten, langanhaltender ökonomischer Stagnation und geringen Wachstumsraten zu entkommen. Die durch den Klimawandel verursachten Störungen, gegenwärtige wie kommende, überschneiden sich mit anhaltenden Hungerkatastrophen und zunehmender Gewalt. Diese Probleme verschärfen und verstärken einander und in dem einen Phänomen drückt sich das andere aus.

Die getroffenen Maßnahmen, um die kapitalistische soziale Reproduktion und Akkumulation während der Pandemie und nach dem Ausbruch der „Inflationskrise“ zu stützen, waren nicht in der Lage, die tieferliegenden Probleme der Profitabilität und der erweiterten Reproduktion des Kapitals auf globaler Ebene fundamental zu beheben. Selbst Mainstream-Ökonom:innen prognostizieren deshalb, trotz all dem Geschwätz über eine „sanfte Landung“ der Wirtschaft, eine anhaltende Periode säkularer Stagnation (oder sogar einer „Stagflation“). Aufgrund der entbehrungsreichen und trostlosen Lebensbedingungen in vielen Teilen der Erde kam es nach Aufhebung der Corona-Beschränkungen zu einem bedeutenden Anstieg von Migrationsbewegungen. Von der Ukraine und Bergkarabach über Palästina, Eritrea und die westliche Sahelzone bis zu Haiti, Kuba und Venezuela hat die Vertreibung von Menschen in der letzten Zeit riesige Ausmaße angenommen. Zurückzuführen ist dies fast überall auf die negativen Folgen des Klimawandels (Dürren, Überschwemmungen und Waldbrände), den Ausbruch militärischer Konflikte, die wachsende Verarmung infolge der Pandemie, steigende Lebensmittelpreise und den Effekt von Zinserhöhungen durch die Zentralbanken des Globalen Nordens auf die ärmsten Länder der Welt.

Die ökologische Dimension der kapitalistischen Krise verschärft die bestehenden Widersprüche dadurch, dass sie direkt und indirekt zur Vertreibung großer Menschenmengen beiträgt und hiermit zu einem erheblichen Anstieg von Migrationsströmen führt. Neben den klassischen reaktionären sozialdarwinistischen Wahnvorstellungen, die die Ungleichheit und das „Recht des Stärkeren“ als unvermeidliche und unumstößliche „Naturgegebenheiten“ (z. B. der in der Coronaleugnung und im Anti-Impf-Diskurs verbreitete Irrglaube von der angeblichen Überlegenheit „natürlicher Immunität“) betrachten, sind deshalb auch verschiedene Formen des Neo-Malthusianismus7 wieder aufgekommen.

Eine scheinbar „nüchternere“ Version dieser Ideologie stützt sich auf die Thesen von Garrett Hardin, aus seinem Artikel „Lifeboat Ethics“ von 1974. Er vergleicht hierin die Erde mit einem Ozean, auf dem die Einwohner:innen reicher Länder in Rettungsbooten sitzen, während die benachteiligten Menschen aus ärmeren Regionen sich selbst überlassen werden. Laut Hardin sind die Kapazitäten der Rettungsboote begrenzt, weshalb alle verloren sind, sobald die reichen Nationen die Armen in das Rettungsboot lassen: „Vollständige Gerechtigkeit, vollständige Katastrophe.“ Postlinke Reaktionäre wie Sahra Wagenknecht behaupten zum Beispiel, dass die begrenzten Ressourcen des „Wohlfahrtsstaats“ ausschließlich den Bürger:innen der jeweiligen Nation zugeteilt werden sollten. Sie verschreibt sich damit dem Diskurs neoliberaler Austeritätsregimes, die eine Verknappung durch Sparmaßnahmen vorantreiben wollen. Die gegenwärtige Knappheit aber ist nicht „natürlich“, sie ist gesellschaftlich und politisch durch die inneren Dynamiken kapitalistischer Akkumulation bedingt.

Eine reaktionäre bevölkerungspolitische Ideologie, die noch schamloser vorgeht, ist die sogenannte Theorie des „Großen Austauschs“. Sie ist sehr beliebt bei Rechtsextremen der „Alt-Right“-Bewegung und überzeugten Nazis. In dieser Verschwörungstheorie ersetzen die „globalen Eliten“, demografisch und kulturell, die weiße Bevölkerung durch nicht-weiße und vor allem muslimische Menschen. Ihre Instrumente sind die Massenmigration, ungleiches demografisches Wachstum und ein Abfallen der Geburtenrate weißer Europäer:innen und Nordamerikaner:innen. Dieser Fall der Geburtenrate wird u. a. auf Folgendes zurückgeführt: die „Gender-Ideologie“, Massenimpfungen, „künstlich hergestellten Krankheiten“ (wie etwa COVID dargestellt wurde), Chemtrails, die Legalisierung von Abtreibungen, Gedankenkontrolle, Medienmanipulationen, in genetisch modifizierten Sojabohnen enthaltene „Xenoöstrogene“ und andere genetisch veränderte Organismen usw. Diese schwachsinnige Liste könnte endlos fortgesetzt werden. Die Theorie vom „Großen Austausch“ teilt sich mit den „respektableren“ neo-malthusianischen Diskursen eine Abneigung gegenüber der übermäßigen Fortpflanzung der Armen, die als Bedrohung für die „produktiveren und wertvolleren Mitglieder“ der Gesellschaft dargestellt wird.8

Das Manifest „Der Große Austausch“ beklagt die schwindende Fruchtbarkeitsrate der „weißen Nationen“ im Vergleich zu den nicht-weißen „Rassen“. Es wurde im Internet von einem selbst ernannten „ethnonationalistischen Ökofaschisten“ verbreitet, der am 15. März 2019 in einer Moschee 51 Muslim:innen ermordete. Der Mörder schreibt in seiner Hasstirade Folgendes: „Die Umwelt wird durch Überbevölkerung zerstört. Wir Europäer sind eine der Gruppen, die nicht die Welt überbevölkern. Die Eindringlinge sind jene, die die Welt überbevölkern. Tötet die Eindringlinge, tötet die Überbevölkerung und rettet auf diesem Weg die Umwelt.“ Es ist bemerkenswert, dass der Klimawandel direkt mit Migration und Geburtenraten verknüpft wird. Auf die Frage, „warum man sich auf Migration und Geburtenrate konzentrieren sollte, wenn der Klimawandel ein so großes Problem ist“, schreibt er: „Weil es das gleiche Problem ist!“

Die Leugnung des Klimawandels

Die absurde Verbindung des Klimawandels mit einem „Großen Austausch“ kann als Folge eines weitverbreiteten Gefühls einer katastrophalen und nicht lokalisierbaren Krise verstanden werden. Der gewöhnliche Ansatz der aufstrebenden extremen Rechten, die sich aus der Rechten wie der Linken zusammensetzt, ist jedoch die Leugnung des Klimawandels. Es gibt verschiedene Formen der Leugnung: die Trendleugnung („Es gibt keine Erhöhung der Temperatur.“), die Ursachenleugnung („Ursache sind die Zyklen der Sonne und nicht die Menschen.“), die Wirkungsleugnung („Es wird nicht schädlich sein, viel eher wird es dem Waldwachstum helfen.“), die Handlungsleugnung („Wir können/müssen nichts tun.“) und die Dringlichkeitsleugnung („Wir haben immer noch ausreichend Zeit, um zu reagieren.“). Für die Rechte stellt es eine Schwierigkeit dar, ihre national bornierten Erklärungen aufrechtzuerhalten und weiterhin Migrant:innen zu beschuldigen, während man es mit einem globalen Phänomen zu tun hat, das der Ausdruck der transnationalen Struktur und Logik kapitalistischer Produktion ist, die untrennbar mit fossilen Brennstoffen als wichtigstem Energieträger verbunden ist. Deswegen ist die Leugnung des Klimawandels in dieser Strömung vorherrschend.

Diese Leugnung stellt sicher, dass die kapitalistische Produktionsweise gegenüber Kritik immun bleibt und verdrängt dadurch die Notwendigkeit einer Umwandlung der Produktionsverhältnisse. Stattdessen werden das Elend und die verheerenden gesellschaftlichen Folgen, die mit dem Kapitalismus einhergehen, und die hauptsächlich die ärmsten Bevölkerungsgruppen betreffen (Hungersnöte, Krankheiten, Bürgerkrieg usw.), deren eigener Ungeschicklichkeit zugeschrieben. Zudem werden im Kontext des militarisierten Managements der Konsequenzen der Klimakrise mörderische Sicherheitsmaßnahmen umgesetzt, anstatt die Ursachen anzugehen. Wie Sam Moore und Alex Roberts in Außen Grün, Innen Braun feststellen: „Der Denialismus versucht, ökologische Grenzen zu ignorieren und die Risiken auf andere abzuwälzen. Die Versicherheitlichung verwandelt dieses Risiko in profitable Kontrollmechanismen. Es handelt sich nicht um zwei voneinander unabhängige Tendenzen, sondern zunehmend um zwei Facetten der Beherrschung von Natur und Gesellschaft: Die eine produziert und verdrängt Risiken, die andere schlägt aus ihnen Kapital.“9 Ein Paradebeispiel ist die Politik der Trump-Regierung, die einerseits die Existenz des Klimawandels leugnete und andererseits die Erweiterung der Mauer an der Grenze zu Mexiko förderte, um so den durch die Klimakrise entstandenen Strom von Migrant:innen einzugrenzen.

Reaktionäre Ökologie und Verschwörungstheorien

Es überrascht nicht, dass rechtsradikale Gruppen, die den Klimawandel am lautesten leugnen, gleichzeitig regionalistische und nationalistische Argumente zugunsten des Umweltschutzes vorbringen und teilweise sogar versucht haben, sich an lokalen Umweltkämpfen wie z. B. den Protesten gegen den Bau von Windrädern zu beteiligen. Diese Art des Umweltschutzes greift nicht die kapitalistische Ausbeutung der Natur an, vielmehr wird das Problem verschoben: in Richtung der Verteidigung des „heimischen Bodens“ und der Landschaft sowie der „traditionellen“ nationalen Kultur und Lebensweise. Die CasaPound in Italien, die Patriotic Alternative in Großbritannien und die Goldene Morgenröte in Griechenland behandelten regionale Umweltzerstörung (so behaupteten z. B. lokale Führungsfiguren der Goldenen Morgenröte, die Berge der Mani, einen südlichen Teil der Peloponnes, schützen zu wollen) als einen skandalösen Verstoß gegen natürliche Beschränkungen, obwohl sie zur gleichen Zeit die strukturellen Bedingungen von  Kohlenstoffemissionen verteidigen (z. B. den Abbau und die Verbrennung von Braunkohle zur Stromerzeugung in Nordgriechenland).

Die Bewältigung der allumfassenden Klimakrise würde eine radikale Umgestaltung der Produktion im Allgemeinen und der Energieproduktion im Besonderen erfordern. Der „grüne Kapitalismus“ und die Entwicklung der „erneuerbaren Energieerzeugung“ stellen hingegen keine Lösung für das Problem der Umweltkatastrophe dar, sondern verursachen auf andere Weise noch mehr Schaden. Die Steigerung des Rohstoffabbaus und der Produktion, die laut Weltbank dazu nötig wäre, genug Solar- und Windkraftanlagen zu bauen, um bis 2050 eine Jahresleistung von 7 Terawatt Elektrizität zu generieren, ist gewaltig: 17 Mio. Tonnen Kupfer, 20 Mio. Tonnen Blei, 25 Mio. Tonnen Zink, 81 Mio. Tonnen Aluminium und nicht weniger als 2,4 Mrd. Tonnen Stahl.10 Der Übergang zu erneuerbaren Energien setzt eine massive Steigerung der Fördermenge gegenüber dem bisherigen Niveau voraus. Die Nachfrage nach Neodym, einem notwendigen Rohstoff für den Bau von Windrädern, müsste um 35 Prozent gesteigert werden um das Ziel der Emissionsfreiheit zu erreichen. Zugleich wird sich die Nachfrage nach Indium, das für die Solarenergie zentral ist, verdreifachen und die nach Lithium, das für die Energiespeicherung notwendig ist, Prognosen zufolge um ein 27-faches ansteigen. Allein das Lithium hat eine verheerende Ökobilanz: Chemische Lecks aus Lithiumminen haben Flüsse von Chile bis Argentinien, Nevada und Tibet vergiftet und ganze Süßwasser-Ökosysteme vernichtet.11 Diese Rohstoffmengen würden jedoch lediglich ausreichen, um das bestehende Niveau kapitalistischer Produktion aufrechtzuerhalten. Anders ausgedrückt: wenn es keine radikale Transformation der sozialen Reproduktion gibt, könnten sogenannte „saubere Energiequellen“ genauso zerstörerisch werden, wie fossile Brennstoffe.12

Die reaktionäre Kritik zielt jedoch weder auf die kapitalistische Produktionsweise noch auf die Dynamik der kapitalistischen Akkumulation ab. Stattdessen verbreitet sie eine nationalistisch-populistische Erzählung, in der „das einfache Volk“ durch kosmopolitisch-liberale „Eliten“ – den sogenannten „Globalist:innen“ – bedroht wird. Die sogenannte „Lüge des Klimawandels“ wird von diesen Eliten genutzt, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen; um eine globale Herrschaft (die „Neue Weltordnung“)13 zu errichten und/oder „eine weltweite Multimilliarden-Dollar-Industrie“14 zu fördern, müssen sie regionale Ökosysteme, Lebensweisen und Ökonomien zerstören. Es steht selbstverständlich außer Frage, dass der Klimawandel weltweit durch kapitalistische Unternehmen genutzt wird, um Profite zu generieren. Doch nur weil bestimmte Kapitalfraktionen vom Klimawandel profitieren, heißt das natürlich nicht, dass alles ein Schwindel ist. Ebenso wenig wird schließlich aus COVID-19 eine Erfindung, nur weil Pfizer immense Profite vermeldet. Man muss wirklich jede Fähigkeit zum kritischen Denken aufgegeben haben, um zu solchen Schlussfolgerungen zu gelangen, denn sie offenbaren einen ernsthaften Mangel an Verständnis dafür, wie der Kapitalismus funktioniert.15

Doch das Verschwörungsdenken lenkt die Unzufriedenheit nicht nur von den sozialen Beziehungen des Kapitalismus ab. Es wird ebenso von Regierungen instrumentalisiert, um eigenes Fehlverhalten zu kaschieren, Sündenböcke zu erschaffen und die Wut dadurch auf die schwächsten und marginalisiertesten Teile der Bevölkerung zu lenken. In Griechenland zirkulierten Verschwörungstheorien, die behaupteten, dass die Waldbrände bewusst gelegt wurden, um, als Teil eines großen Plans, ganze Landstriche zu entvölkern, die Landnutzung zu ändern, Windräder zu bauen oder, wie es in einer anderen Version heißt, einen Staatsstreich vorzubereiten, der durch Geheimagent:innen aus der Türkei oder verdächtige Individuen durchgeführt würde. Diese Erzählungen wurden bald auch von der Regierung übernommen. Mitsotakis, der derzeitige griechische Premierminister, scheute sich nicht, das verschwörerische, rassistische Narrativ zu wiederholen und zu behaupten, dass Geflüchtete für das Desaster der Waldbrände in Evros im August 2023 verantwortlich wären. Er tat dies, obwohl die offiziellen Aussagen der Feuerwehr Gegenteiliges behaupteten und das Feuer auf einen Blitzeinschlag im Zuge eines Gewitters zurückführten. Gleichzeitig gab er den faschistischen Milizen, die illegal als Grenzschützer arbeiten und Geflüchtete festnehmen, vergewaltigen und ausrauben, politische Rückendeckung, indem er die rassistischen Pogrome als „Selbstjustiz“ gegen die (nichtexistierenden) Brandstifter:innen darstellte. Dabei verschwieg er auch, dass diese Milizen in vollständiger Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden, dem Grenzschutz und der Polizei aufgebaut wurden.

Eine weitere Praxis des Leugnens, die die griechische Regierung sich angeeignet und instrumentalisiert hat, bestand darin, dass man Wissenschaftler:innen und Institutionen bezichtigte, der Agenda eines hinterhältigen Feindes der Nation zu dienen. Manchmal wird dieser Feind als die globalistische Elite identifiziert, in anderen Fällen als verräterische Linke, die den Interessen feindlicher Länder dienen. Zuerst attackierte das Umweltministerium das europäische Erdbeobachtungsprogramm Copernicus (den Erdbeobachtungsteil des Weltraumprogramms der EU, welches später offiziell darum gebeten wurde, bei der Bekämpfung von Überschwemmungen zu helfen). Es wurde behauptet, dass ihre Einschätzung der riesigen durch die Brände zerstörten Fläche ungenau war, weil die Satellitenbilder eine „geringe Auflösung“ haben. Die Parlamentsmitglieder der Nea Demokratia griffen dann das Nationale Observatorium von Athen an, dem sie Propaganda und Machtspiele unterstellten, da dieses Daten über die Riesenfeuer und die massive Vergrößerung der verbrannten Fläche verbreitete. Es ist offensichtlich, dass der Regierung jedes Mittel recht ist, um die völlige Inkompetenz staatlicher Strukturen und Behörden im Umgang mit den durch den Klimawandel ausgelösten Katastrophen zu verschleiern, die sich, ob als Hitzewellen, Dürren oder Überschwemmungen, massiv häufen. Sie schrecken hierbei nicht einmal vor den Methoden und der Sprache der faschistischen Rechten zurück.16

Postfaschismus

Ein solch autoritärer Ansatz sorgt dafür, dass die Kosten und Risiken der Klimakrise auf die schwächsten Teile des globalen Proletariats abgewälzt werden, wodurch die Ausbeutung der Natur weiterhin ungehindert fortgesetzt werden kann. Angesichts wachsender Polarisierung und der Verschärfung des Staatsautoritarismus gegen an ihn gerichtete Forderungen wird sich ein signifikanter Teil der „einheimischen“ proletarischen Bevölkerung vermutlich dem herrschenden Autoritarismus fügen und eine autoritäre „Lösung“ für sämtliche sozialen Fragen, einschließlich des Klimawandels, akzeptieren. Dies wird die Spaltungen innerhalb des Proletariats noch weiter vertiefen.

Der politische Ausdruck dieses Trends lässt sich im weltweiten Aufkommen einer neuen rechtsextremen Strömung beobachten, die entweder bereits an der Macht ist (in Argentinien, Ungarn oder Italien) oder sich mit autoritären neoliberalen Kräften abwechselt (die sogenannten linken und sozialdemokratischen Parteien, die sich innerhalb der letzten 35 Jahre zu neoliberalen Parteien gewandelt haben, eingeschlossen). In beiden Fällen wurde die Entmenschlichung undokumentierter Migrant:innen und ausgeschlossener Staatsbürger:innen (Rom:nja und Sinti:zze, Drogenabhängige und Wohnungslose) zur Normalität. Indem sie sich als Rebellen gegen „das System“ ausgeben, schafft es diese neue rechtsextreme Strömung die reaktionärsten und unzufriedensten Teile des Proletariats und des Kleinbürgertums massenhaft für die Wiederherstellung der nationalen Homogenität und sozialen Stabilität, d. h. für die gewaltsame Wiederherstellung der Einheit des Reproduktionskreislaufs des nationalen sozialen Kapitals, zu gewinnen.17 Dem ungarischen Marxisten Gaspar Miklos Tamás folgend, bezeichnen wir diese Strömung als postfaschistisch.18 Damit wird eine Form von Politik bezeichnet, die Elemente des Neoliberalismus, des Nationalismus, des libertären Individualismus und der modernen Demokratie vereint. Zugleich wird die Surplusbevölkerung, formell oder informell, aus dem Kreis der Staatsbürger:innen ausgeschlossen. Man exkludiert folglich den Teil der Bevölkerung, der nicht einmal mehr seine Arbeitskraft verkaufen kann, weshalb er sich ausschließlich durch „humanitäre“ Hilfsprogramme und die „informelle“ Wirtschaft am Leben erhält, und der den größten Teil der Bevölkerung der ärmsten Länder und einen beträchtlichen Teil in den entwickelten Ländern ausmacht.

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Bis hier haben wir ein düsteres Bild der uns bevorstehenden Situation gezeichnet. Unsere Kritik der postfaschistischen Strömung und des Regimes, die sich in den letzten 15 Jahren, in einer Zeit der anhaltenden kapitalistischen „Polykrise“, von der die Klimakrise eine der fundamentalsten Formen darstellt, herausgebildet und gefestigt hat, ist eine notwendige Ergänzung zur Kritik der „normalen“ Verwaltung der ökologischen Krise im Rahmen der aktuellen Konjunktur durch die Strategie „nachhaltiger Entwicklung“, „Kreislaufwirtschaft“, „Green Deal“ und dergleichen. Die zwei Pole des „Normenstaats“ („demokratische Ausprägung“) und des „Maßnahmenstaats“ (Postfaschist:innen jeglicher Couleur) schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern verstärken einander. Jeder Versuch, eine Gesellschaftskritik aufrechtzuerhalten, muss sich gleichermaßen gegen beide dieser Pole richten. Der durch die kapitalistische Krise, und insbesondere durch ihre ökologische Ausprägung, verursachte „Notstand“ ist eine Ansammlung von Katastrophen und Ruinen. Allerdings stellt die Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts heute nach wie vor die „konkrete Seite der Kritik der politischen Ökonomie19 dar. „Man kann die Entropie vorhersagen, nicht aber den Beginn von etwas Neuem. Die Rolle der theoretischen Vorstellungskraft besteht nach wie vor darin, in einer Gegenwart, in der es immer wahrscheinlicher wird, dass das Schlimmste eintritt, die verschiedenen Wege zu erkennen, die dennoch offen bleiben.“20 Was uns betrifft, so halten wir weiterhin an den Möglichkeiten fest, die durch Klassen- und soziale Kämpfe eröffnet werden können, die sich gegen die Welt des Kapitals richten und Staat und Nationalismus ablehnen.

  • 1. Gewiss erschöpft sich weder der Inhalt unseres Wissens über die Natur noch ihre materielle Existenz in der sozialen Form ihrer Vermittlung, denn das Material des Begriffs behält einen Rest, der sich der vollständigen Assimilation in den Begriff widersetzt. „Natur ist eine gesellschaftliche Kategorie. D. h. was auf einer bestimmten Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung als Natur gilt, wie die Beziehung dieser Natur zum Menschen beschaffen ist und in welcher Form seine Auseinandersetzung mit ihr stattfindet, also was die Natur der Form und dem Inhalt, dem Umfang und der Gegenständlichkeit nach zu bedeuten hat, ist stets gesellschaftlich bedingt.“ Georg Lukács, Geschichte und Klassenbewusstsein, Luchterhand, 1977, S. 410.
  • 2. Karl Marx, Das Kapital, Bd. 3, Dietz, 1964, S. 784.
  • 3. Lukács, Geschichte und Klassenbewusstsein, S. 316.
  • 4. Anm. d. Übers.: Griechisch für „Wiedergeburt“. Der Faschismusforscher Roger Griffin verwendet diesen Begriff um die faschistische Vorstellung von der „Wiedergeburt der Nation“ zu beschreiben (Roger Griffin, The Nature of Fascism, Routledge, 1993, S. xi).
  • 5. Roger Griffin, Modernism and Fascism, Palgrave, 2007, S. 324–326.
  • 6. Laut Adam Tooze, der den Begriff prägte, ist die „Polykrise“ ein historisches Dilemma mit mehreren Krisen, deren Ursachen und Prozesse untrennbar miteinander verbunden sind und einander verstärken. Für uns ist die „Polykrise“ die vielschichtige Erscheinung der Krise der Reproduktion des Kapitals.
  • 7. Anm. d. Übers.: Der Neo-Malthusianismus geht auf eine Theorie des Pfarrers und Ökonomen Thomas Malthus (1766–1834) zurück. Vereinfacht ausgedrückt, wächst laut dieser Theorie das Bevölkerungswachstum exponentiell, die Nahrungsmittelproduktion jedoch linear. Durch diese „Überbevölkerung“ kommt es zum schnelleren Verbrauch von Rohstoffen, die Folge sind Armut, wirtschaftliche Stagnation, ökologische Krisen etc. Obwohl diese Theorie vielfach widerlegt worden ist, findet sie immer wieder neue Anhänger:innen.
  • 8. Robert Malthus, An Essay on the Principle of Population, ESP, 1988 [1978], S. 27.
  • 9. Sam Moore & Alex Roberts, Außen Grün. Innen Braun. Wie Rechtsextreme Klimakrise und Naturschutz für ihre Zwecke benutzen, Oekom, 2022, S. 65.
  • 10. „The Growing Role of Minerals and Metals for a Low Carbon Future“, Weltbank, 2017. Online abrufbar unter: https://documents1.worldbank.org/curated/en/207371500386458722/pdf/117581-WP-P159838-PUBLIC-ClimateSmartMiningJuly.pdf.
  • 11. Amit Katwala, „The Spiraling Environmental Cost of our Lithium Battery Addiction“, Wired, 8. Mai 2018. Online abrufbar unter: https://www.wired.co.uk/article/lithium-batteries-environment-impact.
  • 12. Jason Hickel, „The Limits of Clean Energy”, Foreign Policy, 6. September 2019. Online abrufbar unter: https://foreignpolicy.com/2019/09/06/the-path-to-clean-energy-will-be-very-dirty-climate-change-renewables/.
  • 13. Bereits 2003 behauptete der republikanische Senator aus Oklahoma James Inhofe, dass die Befürworter des Kyoto-Protokolls zur Verringerung der Treibhausgasemissionen eine globale Herrschaft anstreben. Vgl. https://web.archive.org/web/20070328212952/http:/inhofe.senate.gov/pressreleases/climate.htm.
  • 14. Martin Durkin, The Great Global Warming Swindle, Dokumentarfilm. Online abrufbar unter: https://web.archive.org/web/20070308093308/http://www.washtimes.com/world/20070306-122226-6282r.htm.
  • 15. Die Tatsache, dass ein nicht unerheblicher Teil der linken und anarchistischen Milieus auch einen oberflächlichen populistischen Antikapitalismus/Antiimperialismus und/oder eine neoromantische Wissenschafts- und Technologiekritik vertritt, hat in einigen Fällen zur Übernahme reaktionärer Narrative geführt, die denen der extremen Rechten sehr ähneln. In diesem Zusammenhang sind sogar ökofaschistische Gruppen aus dem individualanarchistischen Milieu hervorgegangen.
  • 16. Diese Inkompetenz ist darauf zurückzuführen, dass man sich über viele Jahre hinweg bewusst dafür entschieden hat, wesentlichen Dienstleistungen wie der Forstwirtschaft und dem Hochwasserschutz die Finanzierung zu kürzen.
  • 17. Es ist wichtig festzuhalten, dass diese Strömung als soziale Bewegung als unparteiisch dargestellt wird und damit scheinbar jenseits der Trennung zwischen links und rechts stehen. Natürlich sind die Themen, die sie bisher aufgeworfen hat, eindeutig Teil bereits bestehender rechtsextremer und reaktionärer Schemata, wie z. B. Angriffe auf die „woke Linke“ und „Rechte“, das Schüren von Ängsten vor einer angeblichen „Invasion“ von Migrant:innen und eines drohenden „Klima-Lockdowns“, das Schüren moralischer Panik vor Impfstoffen, die „den Körper und die DNS unserer Kinder“ verändern werden usw. Im Zusammenhang mit ihrem vermeintlich antisystemischen Charakter ist es für diese Strömung jedoch wichtig, sich als Bruch mit dem politischen Mainstream darzustellen und zu behaupten, dass sie etwas darstellt, das über den traditionellen Gegensatz zwischen links und rechts hinausgeht. Deswegen ist die Beteiligung einiger prominenter selbst ernannter „Progressiver“, Linker und Antiautoritärer so entscheidend für ihre Konstitution.
  • 18. Gaspard Miklos Tamás, „Über Postfaschismus“, online abrufbar unter: https://www.grundrisse.net/grundrisse45/ueber_postfaschismus.htm. Abseits ihrer wichtigen Unterschiede ist das grundlegende gemeinsame Element von Faschismus und Postfaschismus, was in letzterem Fall den zweiten Teil des Wortes rechtfertigt, die doppelte Form des Staates. Zum einen gibt es den „Normenstaat“, in dem die Rechtsstaatlichkeit für diejenigen, die der politischen Gemeinschaft angehören, aufrechterhalten wird; zum anderen gibt es den „Maßnahmenstaat“, in dem die Behandlung derjenigen, die aus der politischen Gemeinschaft ausgeschlossen wurden willkürlich wird und außerhalb des Rechts stattfindet (vgl. hierzu Ernst Fraenkel, Der Doppelstaat. Recht und Justiz im „Dritten Reich“, Europäische Verlagsanstalt, 1974). In der heutigen Welt sind diejenigen, die von den Garantien der Rechtsstaatlichkeit ausgeschlossen sind, überwiegend Migrant:innen und Geflüchtete, die für die kapitalistische Produktion überflüssig sind. Allerdings kann die Trennlinie, die bestimmt, welcher Teil der Bevölkerung unter die Zuständigkeit des „Normenstaats“ oder die des „Maßnahmenstaats“ fällt, immer wieder verschoben werden, um Teile des lokalen Proletariats einzuschließen. Hier ist Vorsicht geboten, da die rechtsextreme Rhetorik von „Technofaschismus“, „Gesundheitsapartheid“ oder „Klimalarmismus ist Faschismus“ usw. den Versuch unternimmt, ungeeignete und ungültige Vergleiche zwischen realen Ausschlüssen (Geflüchtete aus Asien und Afrika, Palästinenser:innen in Gaza oder Jüd:innen im nationalsozialistischen Europa) und nicht existierenden (Impfgegner:innen, „weiße Christ:innen“ und so weiter) zu unternehmen. Abseits ihres Propagandagehalts für die Gewinnung von Anhänger:innen dient diese Taktik einem grundlegenderen Ziel der Postfaschist:innen: die Relativierung und Delegitimation von Konzepten wie „Apartheid“, „Holocaust“, „Faschismus“ usw. als solche.
  • 19. Guy Debord und Gianfranco Sanguinetti, „Thesen über die Situationistische Internationale und ihre Zeit“, online abrufbar unter: http://www.linke-buecher.de/texte/situationisten/situhier/spaltung.htm.
  • 20. Jaime Semprun und René Riesel, „Catastrophism, Disaster Management and Sustainable Submission”, 2008, online abrufbar unter: https://libcom.org/article/catastrophism-disaster-management-and-sustainable-submission-rene-riesel-and-jaime-semprun.