»Wenn das Baby schreit, dann möchte man doch hingehen«
»Drunter mach ich's nicht«. Eine Vorbemerkung
Zu Beginn eine kurze Polemik.
(Ich verspreche, den Modus der »wütenden Frau« danach sofort zu verlassen und ihn gegen den der sachlichen Analyse einzutauschen…)
In einer Online-Diskussion über den 2018 erschienenen Text Umrisse der Weltcommune der Gruppe »Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft« konstatierte ein Genosse neulich, dass in einer befreiten Gesellschaft jegliche Form der Unfreiwilligkeit verschwunden sein müsse :»drunter« mache er es nicht mit der Revolution, beziehungsweise falls doch, dann nur aus moralischen Gründen, also für andere – und das sei am Ende ja nie ein wirklich tragfähiges Motiv. Zudem sei etwa die Forderung nach einer gerechten Verteilung von Arbeit ein typisches Beispiel dafür, wie im schlecht-utopischen Denken die Bedingungen der falschen Gegenwart unreflektiert in die Zukunft mitgeschleppt werden.
ER: kinderlos, in einem polyamorösen Beziehungsgeflecht lebend, mit einer nicht gut, aber ausreichend bezahlten Unistelle und der Aussicht auf ein kleines Erbe von Seiten seines über 85-jährigen Vaters, der seit einigen Jahren in einem sehr passablen, von der Schwester des Genossen organisierten Pflegeheim untergekommen war,
ER, der in einer kleinen, hellen 2-Zimmer-Wohnung in einer deutschen Metropole lebte und dessen gesundheitliche Probleme sich auf Verspannungen im Schulter-Nacken-Bereich und einen kleinen Bauchansatz vom Biertrinken beschränkten,
ER, so sagte er, sei nämlich eigentlich gerade äußerst zufrieden mit seinem Leben.
Es verschlug mir so die Sprache, dass ich reflexartig Kamera und Mikro ausschaltete und das Wort »Internetprobleme!« in den Chat schrieb.
ICH, die ich neuerdings manchmal von der Angst geplagt wurde, dass meine beiden Kinder womöglich nicht alt werden würden, weil sie vorher bei einer Flut, einem Orkan oder einem gewaltsamen Verteilungskampf ums Leben kommen würden,
ICH, die ich ahnte, dass unsere bezahlbare Wohnung demnächst von der neuen Besitzerin, einer großen Immobilienfirma, saniert werden würde,
ICH, die ich trotz zweier nerviger chronischer Krankheiten nicht die geringste Aussicht auf die ohnehin mickrige Sozialleistung der »teilweisen Erwerbslosigkeit« habe,
ICH, die ich seit Beginn meiner Berufstätigkeit im Schnitt etwa acht Prozent weniger verdiene als meine ebenso gut ausgebildeten, ebenso berufserfahrenen männlichen Kollegen,
ICH, die ich vor kurzem auf dem Fahrrad am helllichten Vormittag von einem stocknüchternen und frischgeduschten Endzwanziger, der mir herrisch die Vorfahrt genommen hatte, auf meinen schüchternen Protest hin als »ungefickte Jungfer« und »hässliche alte Fotze« beschimpft worden bin,
ICH, die ich befürchtete, dass meine Eltern sich bald nicht mehr selbst versorgen können und ich und meine über die ganze Republik verstreuten Schwestern mit der uferlosen Überzeugungs,- Recherche und Organisationsarbeit, die mit einer solchen Situation verbunden ist, neben unseren beruflichen und familiären Aufgaben und angesichts unseres nicht unkomplizierten Schwesternverhältnisses komplett überfordert sein würden,
ICH, die ich weiß, dass all das im Blick auf die Schwarze, alleinerziehende, sich in zweieinhalb Jobs abrackernde Verkäuferin aus Detroit Jammern auf hohem Niveau ist, von dem Vergleich mit dem auf dem Bau arbeitenden Transmann aus Ungarn oder der Sexarbeiterin in Buenos Aires mal ganz zu schweigen,
ICH hatte kurz das Gefühl, dass diesen Genossen und mich ein Klassengegensatz trennt: ER als zur Klasse derjenigen gehörend, die objektiv und subjektiv von dieser Gesellschaft profitieren, und zwar ganz ohne Kapitalist zu sein, ICH, für die die Nachteile überwiegen und die ein dringendes persönliches Interesse an einer anderen Gesellschaft hat.
Das ist natürlich Quatsch: Auch Männer haben chronische Krankheiten, böse Vermieter und Angst vor der Klimakatastrophe – und so Weiß und cis sie auch sein mögen: auch sie werden vom Kapital ausgebeutet. Trotzdem hat mich dieses blasierte, sich Wunder was auf den eigenen Antiautoritarismus sowie auf die eigene Wichtigkeit in einem gesellschaftlichen Transformationsprozess einbildende »Drunter mach ichs nicht« tief beeindruckt und dazu geführt, dass ich mich zumindest hypothetisch gefragt habe, »worunter« ICH es eigentlich nicht mache.
Die spontane, zugegebenermaßen ziemlich abstrakte Antwort lautete: Für einen alternativen Gesellschaftsentwurf, der nicht durch und durch feministisch ist, mach ich keinen Finger krumm.
Ende der Polemik.
Einleitung
Linke Utopieentwürfe beschäftigen sich mit der Frage, wie eine dauerhaft funktionierende, an den Bedürfnissen aller orientierte, herrschaftsfreie Gesellschaft aussehen könnte. Dass eine solche Gesellschaft nur denkbar ist, wenn es auf Dauer kein Privateigentum an Produktionsmitteln mehr gibt, ist in all diesen Entwürfen vorausgesetzt. Alle weiteren, aus diesem Ziel folgenden Konsequenzen sind dagegen nicht mehr so einfach zu bestimmen – und es tun sich sofort eine Menge relativ komplexer ökonomischer und demokratietheoretischer Fragen auf.
Es gab in den letzten Jahren verschiedene, ziemlich mutige und ernsthafte Versuche, die Grundzüge einer solchen funktionsfähigen, bedürfnisorientierten und herrschaftsfreien Gesellschaft zu skizzieren, und zwar nicht im Sinne des zurecht verpönten »Auspinselns«, sondern im Sinne eines vorwegnehmenden gedanklichen Durchspielens, das genau so konkret wird, dass dabei mögliche grundsätzliche Schwierigkeiten zutage treten und diskutierbar werden.1
Als Feministin könnte man nun annehmen, dass in einer solchen herrschaftsfreien und bedürfnisorientierten Gesellschaft ganz automatisch kein Platz mehr ist für die zwei ekligsten Features des Patriarchats: sexistische Gewalt, sowie die spezifische Form der Ausbeutung, die in der exklusiven Zuständigkeit von Frauen für die Reproduktionsarbeit liegt
Das könnte man annehmen.
Sollte man aber nicht!
Zwei linke Utopieentwürfe
Im Folgenden möchte ich zwei derartige Entwürfe vorstellen: zum einen das Modell des sogenannten »Digitalen Sozialismus« von Daniel E. Saros, das er in seinem 2014 erschienen Buch Information Technology and Socialist Construction – The End of Capital and the Transition to Socialism skizziert hat. Der zweite alternative Gesellschaftsentwurf, der hier kurz dargestellt werden soll, nennt sich »Commonismus« und wurde von Simon Sutterlütti und Stefan Meretz in ihrem 2018 erschienen Buch Kapitalismus aufheben. Eine Einladung, über Utopie und Transformation neu nachzudenken vorgeschlagen.
Im Zentrum des „Digitalen Sozialismus“ von Daniel E. Saros steht die komplizierte Vermittlung von Bedürfnissen und Arbeitsprodukten. Was sich im Kapitalismus über den Markt, über Angebot und Nachfrage, über Konkurrenz und Preise „regelt“: nämlich, dass alle Güter und Dienstleistungen, für die es eine Nachfrage gibt, auch vorhanden sind, und zwar weder in viel zu großer noch in viel zu kleiner Menge, muss in einer nichtkapitalistischen Gesellschaft irgendwie anders organisiert werden. Das Narrativ von der »invisible hand« des Marktes ist zwar schon deshalb falsch, weil im Kapitalismus nur die zahlungskräftige Nachfrage bedient wird und es folglich immer wieder vorkommt, dass Menschen sozusagen neben vollen Regalen verhungern. Aber das bedeutet umgekehrt nicht, dass der Marktmechanismus in bestimmten Bereichen nicht tatsächlich ein ziemlich effizienter und dazu noch dezentraler Informationsprozessor für die Verteilung von Ressourcen wäre.
Von den bürgerlichen Ökonomen Ludwig von Mises und Friedrich von Hayek wurde in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts die sogenannte »Socialist Calculation Debate« angestoßen. Sie hatte ihren Ausgangspunkt in deren Behauptung, dass rationale Planung ohne Preise nicht möglich wäre, da man ohne sie nicht wisse, welche Produktionswege effizient seien und welche nicht. Vor allem aber könnten Informationen und Daten in dieser Menge und Schnelligkeit über ein zentralisiertes (gemeint war natürlich das sowjetische) System niemals berechnet, geschweige denn rechtzeitig und in korrekter Form überhaupt ermittelt werden. Von einigen linken Autoren wird anerkannt, dass Hayek und Mises damit zu ihrer Zeit wahrscheinlich sogar Recht hatten.2 Es gibt aber nun inzwischen bekanntlich sehr leistungsfähige Rechner- und Netzwerktechnologien, und genau hier setzt Daniel E. Saros mit seinem Vorschlag an.
In den Grundzügen lässt sich der Vorschlag von Saros wie folgt darstellen: Die Arbeiter:innen eines Betriebs organisieren und koordinieren ihre Arbeit selbst. Sie bilden einen sogenannten »workers council« (Arbeiter:innenrat) und stehen zu den konkreten Produktionsmitteln ihres Betriebs in einem kollektiven Besitzverhältnis, das Saros »legal right of guardianship« nennt. Sie sind also gemeinsam Hüter:innen bzw. Vormünder der Produktionsmittel, jedoch keine Besitzer:innen in dem Sinne, dass sie die Produktionsmittel ihres Betriebs zum Beispiel an einen Privateigentümer verkaufen könnten.
Diese Arbeiter:innenräte posten nun die von ihnen produzierten Gebrauchswerte in einem sogenannten »general catalog« (Gesamtkatalog), den man sich als eine Art sozialistisches Amazon vorstellen kann.
Die Konsument:innen wählen die von ihnen benötigten Gebrauchswerte für beispielsweise den kommenden Monat daraufhin aus und platzieren diese in einem personalisierten »needs profile« (Bedürfnisprofil), auf das sie elektronisch zugreifen können. Dies geschieht nach persönlicher Priorität: Die notwendigsten Gebrauchswerte stehen oben, die weniger wichtigen weiter unten. Saros betont – und das ist ihm sehr wichtig –, dass das jeweilige Bedürfnis einer Person genauso viel zählt wie das Bedürfnis jeder anderen Person.
Für jeden bestellten Gebrauchswert werden je nach Anzahl und Priorisierung digitale Punkte vergeben. Diese werden dem Betrieb, bei dem der Gegenstand bestellt wurde, zugeteilt, damit dieser die notwendigen Rohstoffe und Zwischenprodukte erwerben kann. Dazu muss der Arbeiter:innenrat ermitteln, welche Zwischenprodukte er in welcher Menge für die Produktion der bestellten Güter braucht und dies mithilfe des gleichen Punktesystems an diejenigen Betriebe kommunizieren, die die benötigten Zwischenprodukte herstellen. Diese bestellen wiederum, vermittelt über den General Catalog, mit ihren Punkten die benötigten Rohstoffe bei den entsprechenden Rohstoff-Arbeiter:innenräten. Die Punkte haben also die Funktion, dafür zu sorgen, dass die Ressourcen genau dorthin gehen, wo der Bedarf am größten ist. Dieser ganze Prozess der Allokation von Rohstoffen und Zwischenprodukten läuft hauptsächlich über Rechenmaschinen. Zusätzlich gibt es auch sogenannte Systemadministrator:innen, die den Prozess insgesamt überwachen. Sobald die Zwischenprodukte in dem Betrieb angekommen sind, müssen noch die entsprechenden Arbeitskraftressourcen bereitgestellt werden. Das läuft in Saros Modell über die selbstorganisierte Festsetzung der täglichen Arbeitszeiten in dem jeweiligen Betrieb. Hinsichtlich des Klimawandels und der Umweltzerstörung werden zudem spezielle Arbeiter:innenräte geschaffen, in denen Wissenschaftler:innen die Grenzen festsetzen, innerhalb derer die natürlichen Ressourcen in einer bestimmten Region nach Kriterien der Nachhaltigkeit verbraucht werden dürfen.
Für ihre Arbeit werden die Arbeiter:innen mit sogenannten »credits« bezahlt. Diese sind wohlgemerkt etwas vollkommen anderes als die digitalen Punkte, die ausschließlich als Kommunikationssignale fungieren. Wie viele Credits eine Arbeiterin für ihre Arbeit bekommt, richtet sich nicht danach, wie viel oder wie erfolgreich der Arbeiter:innenrat, zu dem sie gehört, produziert, sondern vielmehr nach ihrer Arbeitserfahrung in Jahren und nach ihrem »Engagement«. Folglich fällt auch das Profitmotiv weg, da die Arbeiter:innenräte keine Credits bekommen, die dann in Form von Einkommen an die einzelnen Mitglieder ausgegeben werden könnten
Mit den Credits lassen sich ausschließlich Konsumgüter erwerben, die einem dann aber (im Gegensatz zu den Produktionsmitteln) privat gehören. Die Credits sind personalisiert und müssen in einem festgelegten Zeitrahmen ausgegeben werden. Sobald das geschehen ist, verschwinden sie. Das bedeutet, dass sie nicht zirkulieren und auch insofern nicht als Geld funktionieren können, sondern als unübertragbare Gutscheine.
In Saros' Modell ist es außerdem möglich, dass Endkonsument:innen Gebrauchswerte erwerben, die sie vorher nicht in ihrem persönlichen Bedürfnisprofil aufgeführt haben. Diese spontanen Bestellungen »kosten« dann jedoch mehr Credits als die vorbestellten Konsumgüter. Wenn man – gemessen am Durchschnitt – sehr viele Gebrauchswerte bestellt, werden einem ebenfalls Credits abgezogen. Umgekehrt wird eine gewisse Sparsamkeit und Bescheidenheit belohnt, weil dadurch gesamtgesellschaftlich natürliche Ressourcen und Arbeitskapazitäten eingespart werden können. Dieses digitale System von Anreizen und Strafen soll jeden einzelnen dazu motivieren, sorgfältig, vorausschauend und verantwortungsbewusst zu planen.
Arbeit ist in dem alternativen Gesellschaftsentwurf von Daniel E. Saros explizit nicht freiwillig und es existiert auch kein bedingungsloses Grundeinkommen. Wie lange man arbeiten muss, hängt davon ab, wie beliebt eine Arbeit ist: Menschen, die eine schwere, dreckige, unbeliebte Arbeit machen, haben also insgesamt eine kürzere Arbeitszeit.
Wie wird nun festgelegt, wie viele Credits für einen bestimmten Konsumgegenstand »ausgegeben« werden müssen? Bestimmt wird diese Summe von den jeweiligen Arbeiter:innenräten. Ziel ist die vollständige Verteilung der gesamten Menge der Gebrauchswerte. Nach diesem Kriterium richtet sich die Festlegung der Preise. Wenn sich Produkte also schnell verkaufen, kann der Workers Council den Preis anheben, wenn dies eher langsam geschieht, kann er den Preis senken, und wenn am Ende noch zu viel übrig ist, kann der Preis sogar auf null gesenkt werden.
Der General Catalog enthält zugleich auch sehr weitreichende und komplexe Informationen über den Produktionsprozess des jeweiligen Gebrauchsgegenstands. Zwischen Arbeiter:innenräten, die das gleiche Produkt herstellen, entsteht dadurch ein gewisser Konkurrenzdruck. So kann es beispielsweise passieren, dass die Konsument:innen plötzlich fast nur noch die Milch aus dem Betrieb mit den glücklichen Kühen bestellen und der Arbeiter:innenrat, der die Milch konventionell erzeugt, leer ausgeht. Das bedroht aber – anders als im Kapitalismus – die Arbeiter:innen in dem Betrieb mit den nicht so glücklichen Kühen nicht in ihrer Existenz. Denn ihr Einkommen hängt schließlich nicht von der Menge der Produkte ab, die ihr Betrieb loswird, sondern davon, wie viel Arbeitserfahrung sie haben und wie sorgfältig sie ihre persönlichen Konsumbestellungen planen. Eine Mindestanzahl von Bestellpunkten muss ein Arbeiter:innenrat jedoch bekommen, um weiterhin produzieren zu können. Doch es spricht auch nichts dagegen, dass der Biomilchbetrieb zu den Leuten von dem konventionellen Milchhof sagt: »Macht doch einfach bei uns mit!« oder auch: »Wir zeigen euch, wie wir das mit den glücklichen Kühen hinkriegen.«
Um Innovation zu fördern, sollen in Saros' Modell Arbeiter:innenräte auch vollkommen neue Gebrauchswerte im General Catalogue posten können. Sobald es dann eine ausreichende Anzahl von interessierten Konsument:innen gibt, geht das Produkt in die Fertigung.
In Saros' sozialistischem Modell, das sich übrigens ganz klassisch als Vorstufe zum Kommunismus versteht, der aufgrund des Produktivkraftfortschritts und der dadurch vorhandenen gesamtgesellschaftlichen Fülle dann auch ohne Arbeitspflicht funktionieren soll, ist noch eine staatliche Struktur mit demokratisch gewählten Repräsentanten vorgesehen, die die Gesamtstruktur im Einzelnen gestalten und festlegen. Dieser Staat tritt den Individuen jedoch nicht mehr (oder nicht mehr so stark) als fremde Macht entgegen, sondern hat auf der Grundlage der skizzierten ökonomischen Prinzipien (in denen ja sehr viel Selbstbestimmung vorgesehen ist) eher die Funktion einer übergeordneten Instanz, die im Konfliktfall die Interaktionen der einzelnen Individuen moderiert.
Insgesamt wird hier ein ziemlich flexibles System präsentiert, in dem mithilfe von Computertechnologie ausgehend von den Bedürfnissen der einzelnen Menschen sehr präzise geplant werden kann. Das angestrebte Gleichgewicht zwischen Bedürfnissen, Ressourcen und Arbeitskapazitäten entsteht daher nicht durch einen zentralen Plan, formelle Regeln oder gar moralische Erwartungen, sondern durch ein System von Anreizen, das kooperatives Verhalten wahrscheinlich und auch für den einzelnen sinnvoll macht.
In Saros Modell des Übergangs vom Kapitalismus zum digitalen Sozialismus eignen sich nach und nach immer mehr Menschen die Betriebe an, in denen sie arbeiten und beginnen, diese kollektiv zu organisieren und zu schützen. Für den Beginn eines solchen Transformationsprozesses müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein: Erstens muss es genug Leute geben, die über die Funktionsweise dieser neuen Ökonomie informiert sind und sie befürworten. Auch sollte die digitale Infrastruktur in Form des General Catalog bereits bereitstehen. Und zuletzt braucht es die politische Unterstützung durch Parteien, die diese sozialistische Produktionsweise befürworten, damit die Kapitalisten die sukzessive Beschlagnahmung ihrer Betriebe nicht unterlaufen können.3
Der zweite alternative Gesellschaftsentwurf, den ich kurz vorstellen möchte, nennt sich Commonismus.
Grundlage dieses von Simon Sutterlütti und Stefan Meretz ausführlich beschriebenen Modells sind sogenannte »Commons«. Damit sind zum einen gemeinschaftlich genutzte Ressourcen, zum anderen selbstorganisierte Kooperationsgemeinschaften zur Herstellung von Gütern oder zur Bereitstellung von Dienstleistungen gemeint. Eine Wiese, die niemandem individuell gehört und über die die Bewohner eines Dorfes kollektiv verfügen, indem sie nach bestimmten Absprachen zum Beispiel ihre Kühe darauf weiden lassen, ist ein häufig genanntes Beispiel für ein Commons.4 Auch ein im Kollektiv betriebener Zeltplatz kann ein Commons sein, genauso wie ein Hausprojekt, eine landwirtschaftliche Kooperative oder eine von vielen unterschiedlichen Beitragenden betriebene digitale Wissensplattform wie Wikipedia.
Commons können sich immer dort bilden, wo mehreren Menschen ein bestimmtes Projekt am Herzen liegt, das sie gemeinsam verwirklichen möchten, sei es, Felgen für Fahrräder zu produzieren, sei es, Getreide anzubauen. Es gibt nur drei verbindliche Prinzipien, denen jedes Commons verpflichtet sein muss: das der Freiwilligkeit, der kollektiven Verfügung und der Selbstorganisierung. Ein Commons wird hinsichtlich seiner Mitgliederzahl als so überschaubar gedacht, dass die Selbstorganisierung, sowie die damit möglicherweise einhergehenden Konflikte komplett über interpersonale Beziehungen, oder in der Sprache der Commonstheorie: »peer to peer« geregelt werden können.
Die stoffliche Vermittlung von Rohstoffen, Zwischenprodukten, Arbeitskräften und Produktionsmitteln läuft in diesem Modell ganz anders als bei Saros, nämlich über ein Konzept, das die Autoren »Stigmergie« nennen: In den einzelnen Herstellungsprozessen werden lokal Zeichen (Stigmata) hinterlassen, die anderen sagen, welches Ziel ein Projekt verfolgt, was zu tun ist und wo Beitragende gebraucht werden (ein häufig genanntes Beispiel ist der rote Link bei Wikipedia, der als eine Art Aufforderung/Angebot an die Community zu verstehen ist: »Möchtest du nicht vielleicht den fehlenden Teil des Artikels ergänzen?«)
Das Zutrauen, dass diese Art der Kommunikation ohne zentralen Plan und auch ohne eine gemeinsame quantitative Maßeinheit (wie im Kapitalismus das Geld bzw. bei Daniel E. Saros die Punkte), sowie ohne weitere allgemein geltende Regeln und Kommunikationsverfahren funktionieren kann, schöpfen die Autoren aus einem Phänomen, das sie das »Gesetz der großen Zahlen« nennen: »Gibt es ausreichend Menschen und Commons, so wird sich für jede Aufgabe, die getan werden muss, auch eine Person oder ein Commons finden.«5 Oder, in konkretisierter Form: »Manch eine arbeitet gern im Stahlwerk, ein anderer stellt gerne eine saubere Stadt her. Einer kann gut zuhören und Menschen helfen, ihre Bedürfnisse zu entdecken, eine andere findet Gefallen daran, Konflikte zu schärfen und zu klären«.6
Bei diesem Sich-Zuordnen zu bestimmten Tätigkeiten herrscht also radikale Freiwilligkeit, und Konsumierendürfen ist in keiner Weise an Arbeitenmüssen gebunden. Das stellt in diesem Modell schon insofern keine Schwierigkeit dar, als dass Arbeiten (in der Diktion der Commonstheorie: »Tätigsein«) letztendlich selbst als eine Art Bedürfnis aufgefasst wird (– dazu später mehr).
Diese radikale Freiwilligkeit entstehe, da die sogenannte »exkludierende« Logik des Kapitalismus (also die des Eigentums, der Konkurrenz und des Profits) durch die »inkludierende« Logik des Commonismus (also die der kollektiven Verfügung und der Kooperation und Selbstorganisierung auf intersubjektiver Ebene) ersetzt sei, so die Autoren. Der Commonismus bilde ein gesellschaftliches Setting, innerhalb dessen es subjektiv sinnvoll/naheliegend/funktional sei, bei der Befriedigung der eigenen Bedürfnisse auch die Bedürfnisse anderer einzubeziehen.
Das Internet und die Digitaltechnik haben in diesem Entwurf – anders als bei Saros – keinen hohen Stellenwert. Algorithmen und das Internet werden eher als mögliche Mittel gedacht, um z.B. bereits eingespielte Produktionsprozesse zu optimieren – für die Vermittlung von Bedürfnissen sind sie nicht zentral.
Sobald es jedoch Konflikte gibt, muss in dem Entwurf von Sutterlütti und Meretz auf die intersubjektive Ebene zurückgekehrt werden, weil ihrer Argumentation nach weder Mehrheits- noch Konsensentscheidungen im Konfliktfall hilfreich seien, da sie gegenüber den Betroffenen stets einen fremden und äußerlichen Charakter hätten: »Es sind nicht meine Lösungen, warum sollte ich ihnen folgen?«7 Für die Konfliktlösung von peer zu peer gebe es dagegen andere Möglichkeiten, die mit Begriffen wie »Thematisieren«, »Aussprechen«, »Austragen«, »Erkunden«8 beschrieben werden – und dieses »Thematisieren«, »Aussprechen«, »Austragen«, »Erkunden« könne ausschließlich zwischen einzelnen, konkreten, von einem Konflikt betroffenen Menschen stattfinden. Konsequent lehnen Sutterlütti und Meretz jede staatsähnliche Form von zentraler Institution oder politischer Vertretung ab. Selbst ein Rat wäre für sie eine »getrennte Allgemeinheit«. Diese Ablehnung begründen sie damit, dass eine solche Institution zu einem Zentrum der Macht und damit immer auch zu einem Herrschaftsinstrument werden kann. Durchaus denkbar sind jedoch sogenannte »Hubs«, die Aufgaben übernehmen, die die Selbstorganisation anderer Commons-Projekte ermöglichen oder unterstützen. Das kann zum Beispiel ein Infrastruktur-Commons sein, das die Abwasserregulation für eine Stadt plant, oder ein Koordinations-Commons, das die Stahlnutzung in einer bestimmten Region ermittelt.9
Eine weitere, eher implizite Voraussetzung dafür, dass die Vermittlung von Bedürfnissen, Beitragenden und Produktionsmitteln auf diese bestechend unkomplizierte Weise – ganz ohne Zwang, absolut freiwillig – auch wirklich funktioniert, ist das Vorhandensein einer gewissen Fülle: »Wenn die Straßen dreckig sind oder der Kupferabbau giftig ist (…) müssen wir es so organisieren, dass Menschen die betreffenden Tätigkeiten wichtig genug finden, um sie zu tun. Und vielleicht muss Kupferabbau dafür mit großem Aufwand automatisiert werden, weil es uns wichtig ist, die Gesundheit der Beteiligten zu schützen – ein Aufwand, der sich am Markt nicht rechnen würde, den wir uns aber leisten wollen.«10
Die Transformation in eine neue Gesellschaft stellen sich die Commonstheoretiker grob gesagt so vor, dass sich schon in der alten Gesellschaft Commons als sogenannte Keimformen bilden, die auf bestimmte funktionale Mängel in dieser Gesellschaft reagieren und dann beim Auftreten einer gesamtgesellschaftlichen Legitimierungs- und/ oder Versorgungskrise gemeinsam dominant und dann letztlich systemstrukturierend werden.11
Ein feministischer Blick
Beim Lesen und Nachvollziehen dieser Modelle hat mich immer wieder ein ganz grundsätzliches und zunächst schwer zu fassendes Unbehagen beschlichen. Irgendwann beschloss ich, mir dieses Unbehagen zuzugestehen, es ernst zu nehmen und zu versuchen, es gedanklich zu fassen zu bekommen. Meine Vermutung war, dass es etwas damit zu tun hat, dass ich als Frau in dieser Gesellschaft12 zum Teil andere Erfahrungen gemacht habe als die durchweg männlichen Autoren dieser Modelle, zum Teil auch einfach zusätzliche Erfahrungen. Meine Befürchtungen, dass beim Nachdenken über eine bessere Gesellschaft bestimmte Voraussetzungen und Eigenschaften der falschen Verhältnisse »mit ins Neue geschleppt« oder »in die Zukunft verlängert« werden13, beziehen sich vielleicht schon deshalb auf andere oder zusätzliche Probleme, weil ich in meinem Alltag im Vergleich zu Männern unter anderen oder zusätzlichen Problemen leide.
Hauptfiguren
Das erste Unbehagen, das mich beim Lesen der skizzierten Entwürfe beschlichen hat, betrifft die Hauptfiguren dieser Modelle. Sowohl bei Saros als auch bei Sutterlütti und Meretz sind die handelnden Protagonist:innen mündige, gesunde, artikulationsfähige, junge, für sich selbst und ausschließlich für sich selbst verantwortliche, arbeitsfähige Menschen. Das wundert mich aus drei Gründen:
- - Erstens aus einem demographischen Grund: Die Gruppe der – grob gesagt – arbeitsfähigen Bevölkerung macht schon indieser Gesellschaft, in der der Begriff der Arbeitsfähigkeit brutal weit gefasst ist (so weit, dass noch die müdesten, kränkesten, kaputt gearbeitetsten Gestalten bis zum Erreichen des Rentenalters systematisch durch das Fordern und Fördern der Hartz IV Gesetze tyrannisiert werden) nur knapp 51 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. In einer befreiten Gesellschaft, die diesen Namen verdient, würde diese Zahl allerhöchstens 45 Prozent betragen, womit die Utopieentwürfe, jedenfalls die beiden, die ich hier vorgestellt habe, eine Minderheit der Menschen in ihren Mittelpunkt stellen würden.
- - Der zweite Grund ist ein lebensgeschichtlicher: Biografisch ist das »im vollen Saft Stehen«, von dem die Autoren so selbstverständlich ausgehen, eher die Ausnahme als der Regelfall. Bevor man überhaupt annähernd erwachsen ist, halbwegs weiß, was man will, irgendetwas Nützliches gelernt hat, vergehen mindestens 25 Jahre. Wenn man Glück hat, fangen erst mit 55 die ersten Zipperlein an, aber krank, in der Krise, schwanger, von Liebeskummer geschüttelt, um Gestorbene trauernd, ab und zu von Unfällen, Missgeschicken oder bösen Kindheitserinnerungen heimgesucht, ist man zwischendurch auf jeden Fall. Und wenn all die Menschen, für die man zwischendurch gesorgt und Verantwortung übernommen hat, entweder erwachsen oder tot sind, ist man plötzlich selber alt, müde und tüddelig. Der autonome, emotional stetige, gewissenhaft planende, selbstbestimmt und engagiert arbeitende, digitale Tools aus dem FF beherrschende Mensch, den Saros in den Mittelpunkt seines Entwurfs stellt, ist eine Ausnahmegestalt; genauso wie der frei von Projekt zu Projekt hoppende, extrem kommunikations-und kooperationsfähige, mobile, emotional offene und körperlich bewegliche Mensch von Sutterlütti und Meretz.
- - Der dritte Grund für mein Unbehagen mit dieser Art von Protagonisten besteht darin, dass ich, hinsichtlich einer befreite Gesellschaft, eigentlich auf eine Zweck-Mittel-Umkehr gehofft hatte. Ich dachte immer, dass all das, was im Kapitalismus zur Hintergrundbedingung und zum Mittel (für die Reproduktion der Arbeitskraft) degradiert ist – Essen, Wohnen, Lernen, Ausruhen, Entfalten, Gestalten, Spaß haben, mit sich selbst und anderen klarkommen – in einer vernünftigen Gesellschaft zum Selbstzweck wird. Dementsprechend rücken die Menschen, die sich um diese Bereiche kümmern, aber auch und vor allem die Menschen, die sich auch schon im Kapitalismus partout nicht zum Mittel geeignet haben – kranke, körperlich oder kognitiv Eingeschränkte, traurige, kleine, alte, sterbende, verträumte – sozusagen aus dem Schatten in den Mittelpunkt.
Bedürfnis
Auch das Thema Bedürfnis, so unterschiedlich es bei Saros auf der einen und den Commons-Theoretikern auf der anderen Seite verhandelt wird, macht mich auf eine seltsame Weise stutzig und unzufrieden.
Gut und richtig ist wie gesagt, dass in beiden Gesellschaftsentwürfen die Bedürfnisse von Menschen (bzw. ihre Befriedigung) sozusagen der oberste Zweck gesellschaftlicher Tätigkeit sind. Aber was meinen die Autoren eigentlich genau, wenn sie von Bedürfnissen sprechen?
Daniel E. Saros hat einen sehr engen Bedürfnisbegriff: Bedürfnisse haben die Form von handgreiflichen, anklickbaren Konsumgütern, denen etwas zutiefst Individuelles und Privates anhaftet. Individuell sind die Bedürfnisse bei Saros insofern, als tendenziell alles, was ein Mensch so zum Leben braucht, in diesem Modell individuell angeklickt werden kann, aber wohl auch muss. Es fällt mir schwer zu erklären, warum ich darüber ein bisschen lächeln muss. Vielleicht, weil es mir einfach mühselig und unpragmatisch erscheint, wenn ich daran denke, dass ich jeden Monat nicht nur für mich, sondern auch noch für meine beiden Kinder und meinen Vater, der wegen einer doofen Augensache nicht mehr lesen kann, die Klicks machen muss? Weil ich vor meinem inneren Auge ganze Garden von Altenpflegerinnen mit den Bedürfnisprofilen ihrer Patienten kämpfen sehe? Weil es mir irgendwie – Tschuldigung – männlich vorkommt, Herrschaftsfreiheit vor allem als einen Zustand zu interpretieren, in dem mir keiner reinredet? So nach dem Motto: Nicht, dass der Staat noch kommt, und mir sagt, dass ich Strom, Wasser, einen Tisch, einen Stuhl, ein Bett, was zum Anziehen, Öl, Brot, Schokolade, Gemüse und Bier brauche.
Privat ist Saros Blick auf Bedürfnis insofern, als dass er, der an anderer Stelle sehr wohl etwas über bürgerliche Sozialcharaktere zu sagen hat, Bedürfnis an keiner Stelle als etwas hinterfragt, dass zumindest Spuren des Gesellschaftlichen in sich trägt. In einer solchen Konstellation, die dann auch noch die formelle Gleichheit jedes einzelnen Bedürfnisses mit jedem anderen betont, steht das Bedürfnis einer Frau, für den Besuch der Schwiegereltern Kuchenzutaten zu bestellen, gleichberechtigt neben dem Bedürfnis des Mannes, ein neues Computerspiel zu ordern. Das Bedürfnis nach einem schnellen Auto steht gleichberechtigt neben dem Bedürfnis nach einem schnellen Rollstuhl. Wenn mehr Menschen in ihrem Bedürfnisprofil ein schnelles Auto statt einen schnellen Rollstuhl sehr weit oben platzieren, dann sorgt das elektronische Punktesystem automatisch dafür, dass Autofabriken bei der Verteilung der benötigten Rohstoffe priorisiert werden. Diese ziemlich existenziell werdende Form der ökonomischen Mehrheitsentscheidung muss mich ja aber vielleicht nicht weiter beunruhigen, weil, so wie ich es vorhin dargestellt habe, die Leute, die schnelle Autos wollen, wahrscheinlich ohnehin in der Minderheit sein werden.
Simon Sutterlütti und Stefan Meretz haben einen vollkommen anderen Bedürfnisbegriff: Bedürfnis ist bei ihnen, anders als bei Saros, gerade nichts Absolutes, Unhinterfragbares. Ohne sich dazu hinreißen zu lassen, explizit über »richtige« und »falsche« Bedürfnisse zu sprechen, betonen sie immer wieder, dass besonders die Bedürfnisse, die mit den Bedürfnissen anderer Menschen in Konflikt geraten, in der »inkludierenden« Logik einer commonistischen Gesellschaft zumindest stark abnehmen werden: Wer ganz allein in einem Haus mit Meerblick leben möchte, für den sei schon fast das Exkludieren selbst das Bedürfnis. Und ein solches Bedürfnis sei in einer Gesellschaft, wie sie von ihnen skizziert wird, (in der das Einbeziehen der Bedürfnisse anderer systematisch nahegelegt ist) letztendlich dysfunktional. Alle trotzdem auftretenden Bedürfniskonflikte seien eine Chance, die eigenen Bedürfnisse zu be- und hinterfragen. Und zwar wie gesagt ausschließlich in direkten Gesprächen zwischen den wenigen Menschen, die von dem Konflikt betroffen sind und die im Commonismus als formell Gleiche vorausgesetzt werden.
Der Einwand gegenüber dieser Art von Laissez-faire-Haltung bezüglich von Konfliktlösungs- und Entscheidungsfindungsprozessen liegt wohl beinahe für jede auf der Hand, die einmal in einer linken Kleingruppe gesessen und ewig gebraucht hat, um zu durchschauen, wer wem warum zuhört, nachgibt oder zustimmt, wer wessen Argumente aufgreift und verstärkt, wessen Stimme für Entscheidungen ausschlaggebend ist und wer »den Laden schmeißt«, wie es Jo Freeman in ihrem 1970 geschriebenen und immer noch hochaktuellem Text Die Tyrannei der Strukturlosigkeit beschreibt. In diesem Text analysiert sie am Beispiel feministischer Kleingruppen, wie scheinbare Lockerheit, Zwanglosigkeit und Spontaneität informelle Strukturen befördern, und wie diese informellen Strukturen Machtverhältnisse nicht etwa verhindern, sondern verschleiern und dadurch wiederum verstärken. Ihre Konsequenz lautet: »die Struktur [muss] explizit sein, nicht implizit. Die Regeln der Entscheidungsfindung müssen für alle einsehbar sein – und das kann nur der Fall sein, wenn sie formalisiert sind. «14
Dagegen betonen Sutterlütti und Meretz ihre Abneigung gegen formelle Strukturen auch bezüglich des – in ihrem Entwurf – wichtigsten Bedürfnisses von Menschen überhaupt: des selbstbestimmten Arbeitens, oder wie sie sagen, des »Tätigseins«. Diese anthropologische Grundkonstante übernehmen die Autoren aus der kritischen Psychologie. Wenn Saros sagt: Freiheit ist, wenn mir beim Konsumieren keiner reinredet, sagen sie: Freiheit ist, wenn mir beim Arbeiten keiner reinredet. Auf welche Weise man tätig sein möchte, hänge einfach nur von der individuellen Verschiedenheit der einzelnen, gleichberechtigten Menschen ab, die auch deshalb begrüßenswert sei, weil sie nun einmal eine notwendige Voraussetzung der Arbeitsteilung darstelle.
Hier lassen sich gleich zwei Einwände anbringen: Zum einen ist das halbwegs zweckgerichtete Tätigsein, das hier gemeint ist, in meiner Welt – in der Kinder, Kranke, Alte und Menschen mit allen möglichen körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen vorkommen – mitnichten das menschliche Hauptbedürfnis. Wer schon einmal beobachtet hat, wie ein 16-Jähriger, der eigentlich die Wohnung saugen will, 40 Minuten lang auf dem Boden neben dem Staubsauger hockt und hingebungsvoll die Katze streichelt, weiß, wovon ich spreche.
Zum anderen kann die formelle Gleichstellung von materiell Ungleichen bekanntlich dazu führen, dass die mit den schlechteren Ausgangsbedingungen hinterher auch schlechter dastehen. So intensiv die Commons-Theoretiker richtigerweise darüber reflektieren, wie schwierig es ist, die eigenen Bedürfnisse überhaupt nur zu erkennen, so vollständig entgeht ihnen die Tatsache, dass zumindest in dieser Gesellschaft die eine Hälfte der Bevölkerung, nämlich die sogenannte weibliche, noch immer systematisch dazu erzogen wird, die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen. Dazu gibt es leider recht aktuelle und ziemlich niederschmetternde empirische Untersuchungen.15 Aus Sicht der Commons-Theorie jedoch steht das Bedürfnis einer Frau, die Wohnung aufzuräumen, bevor Besuch kommt, dem erschöpften Schulkind noch etwas Aufmerksamkeit zu widmen und den Säugling von seiner vollgekackten Windeln zu befreien, gleichberechtigt neben dem Bedürfnis des zugehörigen Mannes, vor dem Eintreffen eben jenes Besuches an einer Online-Diskussion zum Thema linke Utopieentwürfe teilzunehmen.
Ein weiteres, wie ich finde, sehr wichtiges Problem, das weder Saros noch Sutterlütti und Meretz bewusst zu sein scheint, ist das der Artikulation von Bedürfnissen. Denn viele der Menschen, von denen aus – meiner Behauptung nach – eine befreite Gesellschaft gedacht werden müsste, können ihre Bedürfnisse nicht so artikulieren, dass diejenigen, die Gesamtkataloge programmieren oder in einer Landwirtschaftskooperative Sellerie anbauen, sie überhaupt verstehen. Das kann daran liegen, dass diese Menschen kognitiv oder kommunikativ beeinträchtigt sind oder auch einfach daran – und das ist viel wahrscheinlicher – dass man sie einfach noch nie gefragt hat.
Auch scheinen die Autoren zu vergessen, dass sie selbst lange Phasen ihres Lebens hinter und vor sich haben, in denen ihnen eine hörbare und normgerechte Kommunikation ihrer eigenen Bedürfnisse nicht möglich war oder sein wird. Dass in einer profitorientierten, kapitalistischen Gesellschaft große Bevölkerungsgruppen überhaupt nicht danach gefragt werden, was sie (über die Grundbedürfnisse hinaus) eigentlich brauchen, ist klar. Aber in einer befreiten Gesellschaft, die diesen Namen verdient hat, darf das natürlich auf keinen Fall passieren.
Wenn man Grundschulkinder fragen würde, was sie am meisten an der Schule stört, dann könnte es sein, dass sie sagen: der Lärm.
Wenn man Menschen, die ein Kind geboren haben, fragen würde, was in Kreißsälen sofort aufhören müsste, dann könnte es sein, dass sie sagen: die Gewalt und die Bevormundung.
Wenn man Menschen in Altenheimen fragen würde, was ihr Leben besser machen würde, dann könnte es sein, dass sie sagen, dass sie gern bis zum Schluss Teil des richtigen Lebens wären, anstatt sich, während sie auf den Tod warten, von Ergotherapeut:innen bespaßen zu lassen.
Wenn man Jugendliche fragen würde, welche Uhrzeit für den Schulbeginn in ihrem Sinne wäre, würde sie wahrscheinlich sagen: Jedenfalls nicht 7:25 Uhr.
Wenn man Sterbende in einem Hospitz fragen würde, was ihnen fehlt, würden sie vielleicht sagen: mein Lieblingsessen.
Wenn man Menschen mit kognitiven und kommunikativen Schwierigkeiten fragen würde, was sie am meisten vermissen, dann würden sie vielleicht sagen: dass sie nach ihren Bedürfnissen gefragt werden.
Klar, die Antworten sind rein hypothetisch, aber ich glaube, die Ebene, die sie ansprechen, ist es nicht, – und das ist ein Punkt, der mir wichtig ist. Denn die gesellschaftlichen Diskussionen, die geführt und die Maßnahmen, die ergriffen werden müssten, um diese Bedürfnisse vielleicht auch erst einmal nur provisorisch und Schritt für Schritt zu erfüllen – die verkleinerten Klassen und schallgedämpften Fußböden, die radikale Reform der Hebammenausbildung, Wohnformen, die alte Menschen nicht aussondern, partizipative Forschungsprojekte und Interviewformen zur Ermittlung der Bedürfnisse von Menschen, die als behindert gelten und so weiter – (alles Gedanken, die in bestimmten Nischen unserer Gesellschaft bereits verfolgt, aber dann aus benennbaren Gründen äußert selten praktisch umgesetzt werden) – solche Maßnahmen haben weder in Saros »General Catalog« noch in den informellen Konfliktgesprächen der Commons-Theoretiker Platz, das sind Bedürfnisse, die sich weder durch individuelles Anklicken noch durch individuelles Ausdiskutieren erfüllen lassen.
Arbeit
Auch das Unbehagen, das mich in beiden Entwürfen beschlichen hat, sobald es um das Thema Arbeit ging, konnte ich anfangs nicht gut fassen. Denn bei allen Autoren war durchaus der gute Wille zu spüren, das Thema Reproduktionsarbeit nicht unter den Tisch fallen zu lassen. So erklärt Saros im Podcast Future Histories: »Arbeit kann weit gefasst werden, Carearbeit ist eine Möglichkeit, man muss nicht zu einem traditionellen Arbeitsplatz außerhalb der Wohnung gehen.«16 Na immerhin, habe ich gedacht, für Carearbeit gibt's Credits, das ist in der Linken ja durchaus nicht selbstverständlich. So schreibt die Gruppe »Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft« in ihrem viel diskutierten Text Umrisse der Weltcommune, man käme »in Teufels Küche«, wolle man im Reproduktionsbereich »Arbeit und Vergnügen voneinander trennen«: »Bekäme jeder, der eine Stunde auf ein Kind aufpasst, dies auf seinem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben, oder nur derjenige, der regelmäßig eine größere Schar von Blagen beaufsichtigt? Und wie erstrebenswert ist es überhaupt, das Leben in solche Kategorien zu zergliedern?«17
Eben dieser seltsame, philosophische Unterton, der das männliche Erwähnen der Reproduktionsarbeit in diesen Zusammenhängen prägt, findet sich aber letztendlich auch bei Saros. Auf Nachfrage von Jan Groos gibt er im Interview zerknirscht zu, dass diese Art von Arbeit vielleicht doch nicht ganz in sein Konzept des General Catalog, der Workers Councils und Bedürfnisprofile passt. Und warum nicht? Weil sie nun einmal einer »vollkommen anderen Logik« gehorche. Sein Schluss daraus: »Vielleicht sollten sich Leute damit beschäftigen, die sich mit diesen Dingen besser auskennen als ich.«18
Auch in anderen Texten über linke Utopien, bei Dietmar Dath, Peter Frase, Aaron Benanav, findet sich dieser Gestus19: Eine höfliche Verbeugung vor dem Thema Reproduktionsarbeit und die etwas beifallheischende Beteuerung in Richtung des Feminismus, man habe verstanden, dass in diesem »Bereich« irgendwie »alles ganz anders« funktioniere.
Auch hier muss ich wieder mit einer platten Zahl kommen, die natürlich nicht halb so vornehm ist wie ein Argument, aber vielleicht immerhin ein bisschen plausibel macht, warum mich der Gestus der männlichen Genossen: »Ach so! Ja klar! Und die Reproduktionsarbeit darf man natürlich nicht vergessen!«, so stutzig macht.
Die Arbeitssoziologin Gabriele Winker hat gezeigt, dass in Deutschland 64 Prozent der gesamten gesellschaftlichen Arbeit auf Carearbeit entfällt, acht Prozent in Form von Erwerbsarbeit, 56 Prozent in Form von nicht entlohnter Carearbeit.20 Wenn in einer befreiten Gesellschaft die Trennung zwischen Produktion und Reproduktion aufgehoben sein wird und entsprechend beide Arbeitsbereiche als gesellschaftlich notwendig betrachtet und je nach Modell auf gleiche Weise »gezählt« werden, dann hat das eine Konsequenz, die weit über die freundliche, ideelle Anerkennung hinausgeht. Das würde bedeuten, dass man auf die heute entlohnte Arbeit (von der sicherlich der ein oder andere Bereich – Stichwort Bullshit Jobs – komplett wegfallen könnte) 56 Prozent draufschlagen müsste. Und das schmälert die häufig beschworene Aussicht auf eine gesamtgesellschaftliche Reduzierung der täglichen Arbeitszeit dann doch erheblich.
Meiner Erfahrung nach wird die Debatte, sobald diese Zahl und ihre handfeste Folge für eine befreite Gesellschaft auf dem Tisch liegen, plötzlich etwas angespannter: Naja, so könne man das ja nicht rechnen, diese Arbeit mache doch auch Spaß, und schließlich gehe es ja um die eigenen Angehörigen, und sei da nicht doch irgendwie so etwas wie … LIEBE im Spiel, und überhaupt: Wie wolle man das eigentlich quantifizieren?
Erst, als ich diesen vorsichtig, aber irgendwie auch siegessicher und missbilligend vorgetragenen Einwand von Seiten eines männlicher Genossen zum ersten Mal gehört habe, habe ich verstanden, was der wahre Sinn der »Lohn-für-Hausarbeit«-Kampagne gewesen ist: nämlich die radikale Entmystifizierung der Carearbeit. Denn so verwirrend die von Silvia Federici und anderen Mitte der Siebzigerjahre angestoßene Debatte in ihrer strategischen Ausrichtung gewesen sein mag, so konsequent haben ihre Protagonistinnen mit dem Ziel der Entzauberung all das, was unter Liebe, Schicksal, Fürsorglichkeit firmiert, in den semantischen Bereich der Berufstätigkeit gezerrt: »Sie sagen, es ist Liebe. Wir sagen, es ist unbezahlte Arbeit. Sie nennen es Frigidität. Wir nennen es Arbeitsverweigerung. Jede Fehlgeburt ist ein Arbeitsunfall. (…) Mehr lächeln? Mehr Geld. (…) Neurosen, Selbstmorde, Entsexualisierung: Berufskrankheiten der Hausfrau.«21 Wie umfassend diese für mich heute immer noch extrem beeindruckende Polemik ihre Adressaten verfehlt hat, sieht man besonders bei Stefan Meretz und Simon Sutterlütti: Bei ihnen wird die Mystifizierung der Sorgearbeit nämlich in gewisser Weise auf die Spitze getrieben, indem ausgerechnet diese Arbeit zum ultimativen Beweis dafür herhalten muss, dass das für die Commons-Theorie absolut zentrale Prinzip der Freiwilligkeit funktionieren kann.
Das Argument lautet wie folgt:
Die hohe Motivation, dem Schreien eines Babys nachzugehen, lasse sich darauf zurückführen, dass hier »Lust und Notwendigkeit« sehr eng zusammenlägen. Die existenzielle Notwendigkeit, die sich im Schreien eines Babys ausdrücke, könne sich, wenn das Kind beruhigt sei, nämlich in ein »einnehmendes Gefühl der Befriedigung«22 verwandeln. Kurz: Carearbeit ist schön, und das zeigt, dass Arbeit insgesamt schön – ja geradezu ein Bedürfnis – ist, und das wiederum zeigt, dass Freiwilligkeit funktionieren kann, ohne dass die ganze Arbeit liegen bleibt oder irgendjemand ausgebeutet wird.
Lustig. Für mich ist es genau umgekehrt. Carearbeit ist das Beispiel dafür, dass Arbeit, die freiwillig ist, tendenziell auf diejenigen abgewälzt wird, die sich verantwortlicher fühlen, emotional abhängiger und körperlich schwächer23 sind: dafür, dass die eine mit dem Staubsauger durch die Wohnung wirbelt, während der andere vor dem PC sitzt und Diskussionen über alternative Gesellschaftsentwürfe führt.
Eine Genossin, die schon in der zweiten Frauenbewegung aktiv war, hat vor Kurzem in einer Diskussion über eben dieses Thema der Freiwilligkeit trocken darauf hingewiesen, dass ein zentrales feministisches Anliegen darin bestanden habe, die Reproduktionsarbeit gerecht zwischen Männern und Frauen aufzuteilen. Wie gezielt Männer gegenüber Frauen in den entsprechenden Streits das Narrativ der Selbstverwirklichung und Erfüllung in der Sorgearbeit eingesetzt haben, könne man gern noch heute bei Barbara Duden nachlesen.24
Wenn Männer versuchen, mir weiszumachen, wie befriedigend, »erfüllend« und beglückend Carearbeit ist, dann werde ich irgendwie misstrauisch. Ich habe dann reflexartig das Bedürfnis, ihnen, die Carearbeit in vielen Fällen nur aus der Empfängerperspektive kennen (nach dem Motto: »Meine Mutti hat das gern gemacht«), in aller Ruhe und ohne jede Polemik zu erklären, warum meistens das Gegenteil der Fall ist und warum diese Arbeit auf jeden Fall vorsichtshalber auf die Liste der unter Linken anerkannt »schweren Arbeiten, die keiner machen will« (beliebte Beispiele sind Bergwerk und Müllabfuhr) aufgenommen werden sollte.
Hier zehn sachliche Argumente25:
1) Carearbeit ist schwere körperliche Arbeit, unter anderem, weil sie viel mit dem Bewegen von immobilen Körpern zu tun hat, die (im Fall von Kindern) kontinuierlich schwerer oder (im Fall von Alten) kontinuierlich unbeweglicher werden.
2) Carearbeit ist dreckige Arbeit, unter anderem, weil sie viel mit den Ausscheidungen von Menschen zu tun hat.
3) Carearbeit muss sehr häufig auch nachts geleistet werden.
4) Carearbeit lässt keine oder keine geregelten Pausenzeiten zu und findet unter Zeitdruck statt, weil sie häufig für Menschen geleistet wird, die so etwas wie Bedürfnisaufschub noch nicht oder gar nicht oder nicht mehr kennen. Diese subjektive Unaufschiebbarkeit kann aufgrund häufig fehlender Fähigkeiten zu einem distanzschaffenden differenzierten sprachlichen Ausdruck immer nur mit absoluter Dringlichkeit artikuliert werden – Schreien.
5) Carearbeit findet häufig unter Lärmbelastung statt.
6) Carearbeit widersetzt sich der Planung, weil die Menschen, um die es geht, sich häufig nur bedingt Zwecke zueigen machen können, denen sie ihr Handeln unterordnen. Das führt dazu, dass unterschiedliche Arbeitsschritte gleichzeitig und/oder mit vielen Unterbrechungen durchgeführt werden müssen.
7) Carearbeit erfordert trotz Zeitdruck und Multitasking Geduld, denn die Menschen, für die sie geleistet wird, sind langsam. Sie essen langsam, sie laufen langsam, sie denken langsam.
8) Carearbeit ist nebenbei immer auch (intellektuell relativ anspruchslose) logistische, organisatorische, kommunikative Arbeit, deren Zweck im weitesten Sinne die Vermittlung der Schützlinge mit der Außenwelt ist (mental load).
9) Carearbeit hat extrem viele repetitive Elemente und ist insofern langweilig.
10) Carearbeit hat kein Endprodukt und ist insofern nie fertig.
Carearbeit soll also einer »ganz anderen«, »schwer zu fassenden« Logik gehorchen? In Bezug auf die dumpfe Müdigkeit, das Bedürfnis nach Ausruhen, Feierabend, frische Luft schnappen, in Ruhe essen, Leute treffen, Serien glotzen, Biertrinken, das einen nach spätestens acht Arbeitsstunden in diesem Bereich überfällt, muss ich sagen: Nein, keine andere Logik. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber unter der wortreichen Verblüffung, die ich mit diesen Argumenten ein oder zwei Mal bei einem männlichen Genossen ausgelöst habe, meine ich eine diffuse Angst gespürt zu haben, nämlich die Angst vor Pflegerobotern, vergesellschafteten Kinderaufzuchtsfabriken und ungemütlichen Sexbedürfniserfüllungsinstituten. – Mir schlug eine unausgesprochene Frage entgegen: Aber wo bleibt denn da »das Menschliche«?
Und der schüchterne Einwand stimmt natürlich: Kinder zum Beispiel brauchen mehrere erwachsene Bezugspersonen, denen es selbst gut geht und die möglichst kontinuierlich in ihrer räumlichen Nähe leben und bereit sind, eine auch körperlich enge, verbindliche, freundliche, fürsorgliche Beziehung zu ihnen einzugehen. Dafür kann man die Bindungstheorie bemühen, muss man aber vielleicht auch gar nicht. Genauso braucht man, wenn man länger krank ist, Menschen um sich, die einen mögen und wissen, welchen Comic man am liebsten liest, ob das Fenster auf oder zu sein soll und welche Themen so interessant oder lustig sind, dass man im Gespräch mal kurz alles körperliche Elend vergessen kann. Und all das braucht man natürlich auch sonst, nicht nur, wenn man mal wieder mit einem entzündeten Kniegelenk auf dem Sofa liegt.
Familie
Nüchtern nennt man so etwas »affektive Carearbeit«. In linken Utopieentwürfen wird ihre ja tatsächlich unbestreitbare Notwendigkeit hochgehalten, indem – und das hat mich wirklich erstaunt – vollkommen ungebrochen auf diejenige Institution zurückgegriffen wird, in der diese affektive Sorgearbeit in der bürgerlichen Gesellschaft hauptsächlich stattfindet: die Familie. So heißt es beispielsweise in dem schon erwähnten Text zur Weltcommune konziliant: »Sofern Menschen auch nach der Revolution Kleinfamilien bilden wollen, würde ihnen das selbstverständlich niemand verbieten«.26 Noch eine Stufe entspannter erwähnt Daniel E. Saros im Zusammenhang mit der Frage, was in seiner sozialistischen Produktionsweise als Arbeit zählt, die Familie: Carework könne als Arbeit abgerechnet werden, wenn »eine Familie entscheidet, diese Arbeit selbst zu erledigen und zum Beispiel eine Person in der Familie bestimmt, die diese Arbeit übernimmt, dann kann diese Arbeit ganz normal kompensiert werden.«27
Im Umfeld der Commonstheorie gelten die Fürsorgestrukturen innerhalb der Familie, die interessanterweise immer in einem Atemzug mit Freund:innenschaften genannt wird, (so, als wäre das auch nur ansatzweise das gleiche) als eine »Keimform«, in der interpersonale Inklusionsbeziehungen ganz explizit schon jetzt gelebt werden.28
Auch hier überfällt mich Unbehagen. Offen gestanden kenne ich buchstäblich niemanden, der aus seiner Kindheit in einer bürgerlichen Kleinfamilie unbeschädigt hervorgegangen ist. Wenn ich das sage, denke ich noch nicht einmal an die gruseligen Statistiken, die die Familie als den Hort von sexualisierter Gewalt gegenüber Frauen und Kindern ausweisen. Schon das »emotionale Treibhaus«, wie es Jessica Benjamin genannt hat29, in das ein bis zwei Kinder jahrelang mit ihrer exklusiv für sie zuständigen, von anderen Verpflichtungen und Außenkontakten weitgehend freigestellten »Vollzeitmutter« im Westen über Generationen gesperrt waren, ist schlimm genug. Aber auch die unselige Vermischung von materiellen, finanziellen und emotionalen Abhängigkeitsverhältnissen und Verpflichtungsgefühlen, die erzwungene Heterosexualität und Monogamie, einfach die ungeheuer starken, zutiefst ambivalenten psychischen Kräfte, die im Bereich der Blutsverwandtschaft und des Geschlechterverhältnisses wirken, das System von gegenseitiger Erpressung, gerade in Bezug auf emotionale und körperliche Bedürftigkeit (»Ich habe dich zur Welt gebracht, also musst du mich auch pflegen«),vom Trutzburgcharakter, der repressiven Gemütlichkeit und der klebrigen Unauflösbarkeit familiärer Beziehungen mal ganz zu schweigen.
All das sind Eigenschaften der Familie, die im weitesten Sinne mit der Trennung der Reproduktionssphäre von der Produktionssphäre nach der ursprünglichen Akkumulation – also dem historischen Beginn des Kapitalismus – zu tun haben.30 Und auch als Sozialisierungs – und Vermögensweitergabeinstitution ist die Familie zutiefst mit der bürgerlichen Gesellschaft und dem Kapitalismus verwoben. Sie als etwas »eigentlich Gutes« hinzustellen, das nur durch Konkurrenzdruck und Verwertungslogik »verdorben« ist,31 kommt mir geradezu absurd vor. Und damit möchte ich nicht sagen, dass es zwischen den Mitgliedern einer Familie nicht auch schöne Momente, bereichernde Begegnungen und gute Gefühle geben kann. Dann aber erfahrungsgemäß nicht wegen sondern trotz der familiären Bindung.
Doch die Abschaffung der Familie zu fordern, ohne mit ihr zusammen, wie Bini Adamcak es ausdrückt, »die Fähigkeit zu Fürsorge, Reproduktion, Zärtlichkeit, Abhängigkeit« gleich mit abzuschaffen32, macht es nötig, intensiv darüber nachzudenken, wie sie ersetzt werden könnte. Freund:innenschaften, die in diesem Zusammenhang oft als möglicher Ersatz genannt werden, sind meiner Ansicht nach dafür nicht die Lösung. Denn eins muss man der Familie lassen: Sie kümmert sich, wenn es drauf ankommt, auch völlig ohne Sympathie um ihre Mitglieder. Und auch und gerade in einer befreiten Gesellschaft brauchen Menschen, die weder nett, noch hübsch noch klug noch lustig sind, zumindest körperliche Pflege, verlässliche Freundlichkeit und ein sicheres Dach über dem Kopf, wenn sie krank werden.
Der sehr nüchterne Blick auf Carearbeit, wie ich ihn oben versucht habe, kann beim Nachdenken über alternative Fürsorgestrukturen vielleicht insofern ein erster Schritt sein, als er es ermöglicht, die vielen Aspekte von Sorgearbeit in ihrer Unterschiedlichkeit besser in den Blick zu bekommen: Da sind zum Beispiel pflegerische, organisatorische, kommunikative Aspekte sowie Aspekte, die mit Wohnen, Mobilität und Ernährung zu tun haben. Diese tendenziell nicht-affektiven Aspekte lassen sich nicht immer, aber oft von den affektiveren trennen: Meist sind sie jedenfalls viel weniger eng mit »Liebe« verflochten, als das Märchen von der übersprudelnden, allumfassenden mütterlichen Fürsorge behauptet.
In der kapitalistischen Produktion ist der Zwang zur Automatisierung immer erst dann gegeben, wenn die Arbeitskraft teurer ist als eine neue Maschine. Dieser Anreiz fehlt im Bereich der Reproduktion genau so lange, wie nicht ein Generalstreik wütender unbezahlter Hausfrauen dazu führt, dass kaum noch Arbeiter ausgeschlafen, sauber und satt zur Lohnarbeit erscheinen. Das erklärt zumindest zum Teil, warum es in diesem Bereich seit der Erfindung von Kühlschrank, Staubsauger, Wasch- und Spülmaschine vor 60 bis 70 Jahren keinen einzigen nennenswerten Produktivkraftfortschritt gegeben hat. Die fast abergläubische Blindheit linker Gesellschaftsentwürfe dafür, dass sich zumindest in dem skizzierten nicht-affektiven Reproduktionsbereich sehr viel Arbeit bewusst planen, verteilen, erträglicher und effizienter machen ließe, zum Beispiel durch Technisierung, Kollektivierung und Digitalisierung, ist rational dagegen überhaupt nicht zu erklären, sondern hat wiederum etwas mit dem unbewussten »Mitschleppen« alter Überzeugungen, Bornierungen und Privilegien aus der alten Gesellschaft in den Entwurf einer neuen zu tun. Besagte Maßnahmen hätten dabei nicht nur den Zweck, das Leben von fürsorgenden und auf Fürsorge angewiesenen Menschen unmittelbar zu erleichtern, sondern auch das Ziel, Zeit und emotionale Räume für zutiefst freiwillige, nicht tauschförmige, affektive Fürsorgebeziehungen zu schaffen. Um ein paar ganz unoriginelle und naheliegende Beispiele für diese Art der Kollektivierung, Digitalisierung und Automatisierung zu nennen:
- - Wer vor Kurzem ein Baby bekommen hat und mehrmals am Tag zum Essen in die öffentliche Küche um die Ecke gehen kann, spart sich die tägliche Arbeit des Einkaufens und Essenmachens und hat nachts mehr Kraft und Geduld zum Rumtragen und Trösten.
- - Wer die notwendige Orgaarbeit für das benötigte Pflegeheim komplett an Algorythmen delegieren kann, mag seine Patentante dort von Anfang an ohne aufgestaute Erschöpfungs- Schuld- und Frustrationsgefühle besuchen gehen.
- - Wer sich auf den turboschnellen Rollstuhl mit Hindernisüberwindungsfunktion verlassen kann, macht umso lieber Fahrradausflüge mit seinem unternehmungslustigen, gehbehinderten Lieblingskollegen.
Schluss
Die Gefahr, dass man in eine neue, ganz andere Gesellschaft Elemente der alten mitschleppt , die ja vor allem darin besteht, dass man sich selbst mitschleppt (was ja auch andererseits ganz erstrebenswert wäre33) – sich selbst mit seinem Sozial-und Geschlechtscharakter, seinen Ängsten, Bornierungen, all den falschen Glaubenssätzen über sich und die Welt, mit seinen blinden Flecken und nicht gemachten Erfahrungen – diese Gefahr besteht natürlich auch schon beim gedanklichen Durchspielen des Neuen. Das heißt aber auch, dass alternative Gesellschaftsentwürfe nicht nur von dem geprägt sind, worunter ihre Autoren bewusst leiden, also von dem, was sie explizit anders haben, was sie nicht mitschleppen möchten (die Krämerseele, die Konkurrenz, die mangelnde Autonomie und Selbstbestimmung), sondern auch von den Bereichen, in denen diese Autoren, ohne es zu wissen, die Logik des Bestehenden zu tief inhaliert haben. Bestimmte Aspekte der herrschenden Ordnung werden dann fälschlicherweise für naturgegeben und unabänderlich gehalten. Ein Beispiel dafür ist die Selbstverständlichkeit, mit der in beiden hier vorgestellten Entwürfen davon ausgegangen wird,
- - dass auch in einer befreiten Gesellschaft die Arbeitenden im Mittelpunkt stehen,
- - dass Bedürfnisse einfach nur kommuniziert werden müssen und können,
- - dass die Sorgearbeit das »ganz andere« gegenüber der Erwerbsarbeit ist und sich letztlich einer rationalen Analyse und kollektiven Organisierung entzieht,
- - dass der positive Bezugspunkt für affektive Bedürfnisse weiterhin die Familie ist.
Diese blinden Flecken hängen sicherlich auch (aber das ist eine andere Diskussion) mit der Entstehung männlicher Geschlechtscharaktere in dieser Gesellschaft und einem auf Autonomie (statt Beziehung) ausgerichteten Männlichkeitstraining zusammen.34
Unter dem Blickwinkel dieser Themen kommt eine frappierende Ähnlichkeit dieser beiden ansonsten sehr unterschiedlichen Utopieentwürfe zum Vorschein, nämlich ein seltsam verkürzter Freiheitsbegriff: Freiheit ist, wenn mir keiner reinredet – beim Konsumieren (Saros), bzw. beim Arbeiten und Konflikte lösen (Sutterlütti/Meretz). Beide Entwürfe haben darüber hinaus den zutiefst individualistischen Anspruch, ganz ohne Werte, ganz ohne Ethik, ganz ohne kollektive Vereinbarungen oder Haltungen auszukommen: In beiden Entwürfen wird immer wieder betont, dass sich nur »die Logik« ändern müsse, damit sich Konflikte sozusagen von selbst erledigten. Das Politische wird so aus beiden Entwürfen unauffällig, aber ziemlich gründlich herausgekürzt– ein harmonistischer, stillstellender Grundzug ist unübersehbar. Bini Adamczak hat eine solche gesellschaftliche Zielvorstellung in Bezug auf den Sowjetsozialismus als einen Zustand beschrieben, in dem es »keine Kompromisse mehr braucht, weil es keine Interessengegensätze mehr gibt«35. Und ein solcher pseudoharmonischer Zustand, der nicht umsonst an die bürgerliche Kleinfamilie erinnert, ist für Frauen meistens – um es einmal ganz schlicht auszudrücken – die Hölle.36
Eine politische Konsequenz, die aus all dem gezogen werden muss, ist aus meiner Sicht, dass Frauen sich in das Entwerfen von linken Utopien viel energischer einschalten müssen. Dazu könnte gehören, auf einem ähnlichen Konkretionsniveau wie Saros, Sutterlütti und Meretz einen Gesellschaftsentwurf durchzuspielen, der konsequent feministisch ist und konsequent von den Nicht-Arbeitenden, »Nutzlosen« und ihren Helferinnen und Helfern aus gedacht wird. Dazu müsste man
- - sehr genau über Verfahren zur Ermittlung von Bedürfnissen nachdenken, auch und gerade von Bedürfnissen all jener Menschen, die sie nicht selbst artikulieren können,
- - ein viel klareres Bewusstsein für informelle Hierarchien schaffen (und sich über formalisierte, aber transparente und möglichst herrschaftsfreie Entscheidungsverfahren Gedanken machen),
- - schon existierende Überlegungen zu alternativen Rechtsformen daraufhin überprüfen, ob und inwiefern sie für eine möglichst gewaltfreie feministische Gesellschaft brauchbar sind.
- - Sorgearbeit mit ihren affektiven und nicht affektiven Aspekten rational analysieren und die nicht-affektiven Aspekte auf ihre Quantifizierbarkeit, Kollektiviertbarkeit, Automatisierbarkeit und Digitalisierbarkeit hin untersuchen,
- - die bürgerliche Familie als Care-Institution endgültig ad acta legen,
- - über alternative Carestrukturen, also über freiwillige, nicht auf Heirat, Freundschaft oder Blutsverwandschaft, ja wohlmöglich nicht einmal auf Gegenseitigkeit beruhende affektive Fürsorgebeziehungen nachdenken.
Das Entwerfen von linken alternativen Gesellschaftsmodellen kann dazu beitragen, die Art und Weise, in der die herrschenden Verhältnisse nerven, behindern, krank, traurig und müde machen, genauer in den Blick zu bekommen. Und obwohl es sein kann, dass das Nachdenken über Utopien insofern müßig ist, als vielleicht niemand von uns eine solche befreite Gesellschaft noch erleben wird, ist es spannend, hoffnungsvoll und bitternötig. Feministisch ist dieses Nachdenken immer dann, wenn es konsequent von jenen Konflikten, Interessensgegensätzen und Ungleichheiten aus gedacht wird, die durch die Beseitigung des Klassengegensatzes nicht automatisch mit verschwinden. Denn Harmonie war schon immer die Harmonie der Stärkeren.
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[Die Personen und Handlungen in diesem Text sind natürlich samt und sonders frei erfunden. Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten und lebenden Personen sind rein zufällig.]
- 1. Vgl. Annika Beckmann und Daniel Fastner, Ernsthafte Gedankenspiele: (dezentrale) ökonomische Modelle reflektieren
- 2. »Der prinzipielle Einwand von Hayek und Mises, geplantes Wirtschaften sei generell überhaupt nicht zu machen, entspricht nicht dem Stand von 2014 davon, was maschinengestütztes Rechnen zu leisten vermag.« Dietmar Dath, Klassenkampf im Dunkeln: Zehn zeitgemäße sozialistische Übungen, Hamburg 2014, S. 46.
- 3. Einige kritische Nachfragen zu dem hier grob skizzierten Entwurf drängen sich geradezu auf. Am wichtigsten ist sicher die nach der Arbeitspflicht bei fehlendem Grundeinkommen, aber auch die nach dem Datenschutz in einem personalisierten Creditsystem, sowie die nach der Gefahr der Informations-, Macht-und Privilegienanhäufung in den Expert:innengremien und bei den Systemadministrator:innen. Auch der Mechanismus, nach dem bestellte Gebrauchswerte in Punkte umgewandelt werden, bleibt in Saros' Modell etwas unklar, weil eine quantitative Kopplung an stoffliche Ressourcen nicht vorgesehen zu sein scheint. All diese Fragen könnten und sollten unbedingt im Detail diskutiert werden, was meinem Eindruck nach auch schon ausführlich getan wird, zum Beispiel in dem hochinteressanten Podcast Future Histories von Jan Groos, auf dessen Interview mit Daniel E. Saros meine Darstellung des Digitalen Sozialismus weitgehend beruht (Jan Groos, Future Histories Podcast, Daniel E. Saros on Digital Socialism and the Abolition of Capital, Part 1 und Part 2, S01E31 und S01E32).
- 4. Diese Form des kollektiven Eigentums ist keine Erfindung des Commonismus, sondern eine historische Tatsache. Bei den berühmten „Allmende“ des Mittelalters, die schließlich der ursprünglichen Akkumulation zum Opfer fielen, handelte es sich um landwirtschaftlich genutzten Boden, der keinen Privatbesitzer kannte.
- 5. Simon Sutterlütti und Stefan Meretz, Kapitalismus aufheben: Eine Einladung über Utopie und Transformation neu nachzudenken, Hamburg 2018, S. 181.
- 6. Sutterlütti und Meretz, S. 194.
- 7. Sutterlütti und Meretz, S. 173.
- 8. Vgl. Sutterlütti und Meretz, S. 183-189.
- 9. Vgl. Sutterlütti und Meretz, S. 182.
- 10. Sutterlütti und Meretz, S. 185.
- 11. Auch hier drängen sich einige kritische Nachfragen sofort auf, zum Beispiel: Ist dieses Modell, das so stark auf den direkten Austausch zwischen einzelnen Menschen setzt, überhaupt auf einen gesamtgesellschaftlichen Maßstab übertragbar? Oder: Reichen für die komplexen, alles andere als lokalen Produktionsprozesse in einer modernen Ökonomie einzelne lokale stigmergische Signale tatsächlich aus? Ist radikale Spontanität und Freiwilligkeit in einer hochgradig arbeitsteiligen Gesellschaft überhaupt realistisch? Und so weiter. Auch diese Fragen werden in verschiedenen Zusammenhängen seit Erscheinen des Buches von Meretz und Sütterlütti vor drei Jahren eingehend diskutiert, was angesichts des noch bis vor kurzem in der Linken herrschenden Bilderverbots extrem begrüßenswert ist.
- 12. Wenn im Folgenden das Wort »Frauen« verwendet wird, sind damit alle gemeint, die als Mädchen oder Frauen sozialisiert wurden und/oder sich als solche identifizieren.
- 13. Bini Adamczak, Beziehungsweise Revolution: 1917, 1968 und kommende, Berlin 2017, S. 45.
- 14. Jo Freeman, Die Tyrannei der Strukturlosigkeit, aus dem Englischen übersetzt von Thomas Zimmermann, HUch, S. 14.
- 15. Vgl. zum Beispiel: J. Taylor, Gender Orientation and the Cost of Caring for Others, in: Society and Mental Health 5 (2015), S. 49–65. J. H. Shih und N. K. Eberhart, Gender Differences in the Associations between Interpersonal Behaviors and Stress Generation, in: Journal of Social and Clinical Psychology 29, Nr. 3 (2010), S. 243–255.
- 16. Jan Groos, Future Histories Podcast, Daniel E. Saros on Digital Socialism and the Abolition of Capital, Part 1, S01E31.
- 17. Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft, Umrisse der Weltcommune, S. 18.
- 18. Jan Groos, Future Histories Podcast, Daniel E. Saros on Digital Socialism and the Abolition of Capital, Part 2, S01E32.
- 19. Dietmar Dath, Klassenkampf im Dunkeln: Zehn zeitgemäße sozialistische Übungen, Hamburg 2014, S. XX; Peter Frase, Four Futures: Life after Capitalism, New York 2016; Aaron Benanav, Automation and the Future of Work, New York 2020.
- 20. Gabriele Winker, Care Revolution: Schritte in eine solidarische Gesellschaft, Bielefeld 2015, S. 24.
- 21. Silvia Federici: Lohn gegen Hausarbeit (1975), in: Dies., Revolution at Point Zero. Hausarbeit, Reproduktion und feministischer Kampf, Münster 2021, S. 37.
- 22. Sutterlütti und Meretz, S. 164.
- 23. »(…) die Unterdrückung der Frau: Darüber denke ich schon lange nach, und ich weiß jetzt, glaube ich, die Antwort. Ich habe bei meiner Theorie alle Aspekte zu berücksichtigen versucht – soziologische, mythologische, religiöse (….), linguistische, psychologische, (…) zahnärztliche (…) von prähistorischen bis in heutige Zeiten. Und es ist mir gelungen, sie alle in einer einzigen, zwingenden Formel zu synthetisieren: Männer können Frauen zu Klump prügeln.«(Fran Ross, Oreo, übers. v. Pieke Biermann, München 2019, S. 77).
- 24. Barbara Duden, Arbeit aus Liebe – Liebe als Arbeit: Ein Rückblick, http://www.schattenblick.de/infopool/politik/soziales/psdis013.html
- 25. Mit Carearbeit meine ich im Folgenden das Versorgen von Menschen im räumlichen Nahbereich, das in unserer Gesellschaft unentlohnt stattfindet.
- 26. Umrisse der Weltcommune, S. 38.
- 27. Da kann man ja mal gespannt sein, Personen welchen Geschlechts wohl von der Familie mehrheitlich für diese Arbeit ausgewählt werden Vgl. Jan Groos, Future Histories Podcast, Daniel E. Saros on Digital Socialism and the Abolition of Capital, Part 2, S01E32.
- 28. »Durch Sprechen, Kennen, Antizipieren und Vertrauen beziehen wir tagtäglich die Bedürfnisse der uns Nahestehenden ein – in inklusiven Verhältnissen, in denen dieses Verhalten subjektiv funktional ist. Solche interpersonalen Inklusionsbeziehungen finden sich auch im Kapitalismus, etwa in der Familie oder in Freund:innenschaften.« Sutterlütti und Meretz, S. 133.
- 29. »Die Phantasie der gefährlichen mütterlichen Allmacht wird durch die spezifischen (in der westlichen Kultur herrschenden) Bedingungen der Mutterschaft verstärkt, die Mutter und Kind in ein emotionales Treibhaus sperren und beiden die Ablösung erschweren.« Jessica Benjamin, Die Fesseln der Liebe: Psychoanalyse, Feminismus und das Problem der Macht, Frankfurt a.M. und Basel 1990, S. 115.
- 30. Silvia Federici, Caliban und die Hexe: Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation, Wien, Berlin 2020.
- 31. So sagt beispielsweise Eva von Redecker im Interview über ihr neues Buch Revolution für das Leben: »In den Zwischenräumen gibt es immer schon nicht herrschaftsförmige und nicht lohnarbeitsförmige Sorgepraktiken. Die sind jetzt total verdorben durchs Patriarchat und durch den Konkurrenzdruck, durch die Verwertung, die immer wieder in diese Zwischenräume hineinreicht, aber es gibt trotzdem einen Vorschein darauf, dass Versorgung losgekoppelt vom Verkaufen der eigenen Zeit und vom Beherrschen von Gütern immerhin möglich wäre.« Jan Groos, Future Histories Podcast, Eva von Redecker zur Revolution für das Leben, S01E37.
- 32. Bini Adamczak, S. 172.
- 33. Bini Adamczak, S. 54 f.
- 34. Vgl. Rolf Pohl, Männer – das benachteiligte Geschlecht? Weiblichkeitsabwehr und Antifeminismus im Diskurs über die Krise der Männlichkeit, in: Mechthild Bereswill, Anke Neuber (Hrsg.), In der Krise? Männlichkeiten im 21. Jahrhundert, Forum Frauen- und Geschlechterforschung. Bd. 31, Münster 2010, S. 104–135.
- 35. Bini Adamczak, S. 30.
- 36. Dezentrale, kleinteilige Strukturen, die alle Lebensbereiche in sich einschließen – Arbeit, Freizeit, Liebe, Freundschaft, Kindererziehung, Kunst, Politik – sind für Frauen insofern nachteilig, als sie die Tendenz haben, das Außen zu denunzieren und für Abweichlerinnen unerreichbar zu machen, wie man zum Beispiel an den kalifornischen Hippie-Kommunen der 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts studieren kann, die in ihrer Mehrheit zutiefst konservativ und zutiefst frauenfeindlich waren.