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Wenn wir zum Krieg rüsten, werden wir Krieg haben

Wenn wir zum Krieg rüsten, werden wir Krieg haben

15. April 2025

Mehrere Diskussionen, die wir bei Veranstaltungen zu Krieg und Klassenpolitik geführt haben, und der Text unserer Genoss:innen von Vogliamo Tutto geben uns Anlass, auf drei stets wiederkehrende Diskussionspunkte hinzuweisen, die wir politisch irreführend finden:

Erstens scheint Krieg für viele Linke etwas zu sein, zu dem Stellung bezogen werden muss, obwohl dieser nicht ihren eigenen Alltag bestimmt.

Einige Genoss:innen verhandeln die Frage des Krieges als etwas, was in der Ukraine stattfindet beziehungsweise fernab von unserer Realität. Oftmals kreisen Debatten um Fragen wie: 'Sollten wir als Linke Rüstungslieferungen gut heißen?' oder 'Dürfen wir eine andere politische Position zum Krieg einnehmen als die Genoss:innen in der Ukraine?' Dieser Diskussion scheint der Fehlschluss zugrunde zu liegen, dass der Krieg fernab von uns wütet und uns gerade mal als (ohnmächtige) Zuschauer:innen tangiert. Diese Genoss:innen scheinen sich nicht zu vergegenwärtigen, dass der deutsche Staat als westlicher Bündnispartner schon seit 2022 eine Konfliktpartei dieses Krieges ist. Deutschland ist also seit 2022 in einen Krieg verwickelt, in dem tatsächlich nur noch die deutschen Bodentruppen fehlen. Deutsche Waffen, militärisches Know-How, IT-Systeme, Bundeswehr-Ausbilder1, (privatwirtschaftliche) Panzerreparaturfabriken2 etc. werden bereits für den Krieg in der Ukraine verwendet. Um direkt in den Krieg militärisch eingreifen zu können, musste und muss Deutschland die Produktion von Kriegssystemen ausweiten und die Bundeswehr vergrößern. Wenn also Linke auf die Unterstützung der Ukraine drängen, fordern sie ganz ausdrücklich die Militarisierung Deutschlands. Die Teilnahme an einem Krieg war und ist nicht möglich, ohne diesen politisch und materiell-ökonomisch vorzubereiten.

Die sich zuspitzende Militarisierung Deutschlands und der EU sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Das Ganze hat sicherlich eine diskursive Ebene, die für sich genommen schon gruselig ist3. Doch vor allem müssen wir uns als Lohnabhängige darauf gefasst machen, dass a) zukünftig mehr Menschen vom Lohn der Rüstungs- und Kriegsindustrie abhängig sein werden, weil dieser Sektor boomt und Arbeiter:innen einstellt und b) Sozialausgaben und -systeme in Konkurrenz zu Kriegsausgaben gesetzt werden. Diese werden im Namen des Krieges und der Konsolidierung der Staatsfinanzen unter Beschuss geraten. Dazu ein paar mehr Erläuterungen:

a.) Die tagesschau untertitelte einen Artikel vor einem Jahr fröhlich mit: 'Früher Tabu, heute Boombranche: Der Rüstungskonzern Rheinmetall freut sich über steigende Bewerberzahlen. Und die braucht das Unternehmen, um die wachsende Nachfrage zu bewältigen.' In einem Interview der tagesschau sagt dann eine Mitarbeiterin Rheinmetalls ihr Arbeitsplatz sei seit der sogenannten ‚Zeitenwende‘ nicht mehr in der Schmuddelecke der Industrie zu verorten.4 Da nun von Deutschland und der EU aller Voraussicht nach riesige Investitionen in die Rüstungsindustrie fließen werden, wird die Anzahl der Menschen zunehmen, die durch die wachsende Kriegsmaschinerie ihre eigene Reproduktion sichert. Diese Arbeiter:innen haben dann auf einmal Interesse, dass es Kriegstreiberei gibt, um die eigene Familie mit dem Lohn aus der Rüstungsindustrie zu versorgen. Die Bewerber:innenzahlen bei Rheinmetall haben sich seit 2018 mehr als verdoppelt und die Auftragslage veranlasst das Unternehmen fleißig einzustellen (ebd). Bis zu 200.000 neue Jobs könnten entstehen, wenn Deutschland seine Verteidigungsausgaben von 2 auf 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigern würde, so das ZDF. Und auch die schwächelnde Schwerindustrie und Zulieferer der Rüstungsindustrie, Unternehmen wie Thyssen Krupp, können nun mit Kapazitätsaufbau rechnen.5 Die Bundeswehr selbst beschäftigt mehr als 260.000 Menschen und hier stehen die Zeichen nicht nur auf Zuwachs an Kriegsmaterial, sondern auch kriegstüchtigem Personal, das die neuen Panzer und Raketen auch Bedienen kann. Wobei die Bundeswehr im Gegensatz zur Rüstungsindustrie noch Schwierigkeiten hat, die junge Generation für sich und das Vaterland zu gewinnen.67 Die europäische Union hat nun dafür sogar die Schuldenregeln für die Mitgliedsstaaten neu festgelegt und das deutsche Parlament hat für die Militarisierung die heilige Schuldenbremse aufgeweicht; theoretisch können nun grenzenlos Schulden ausschließlich für neue Rüstungsgüter gemacht werden.8

b.) Und natürlich, wie uns die historische Erfahrungen lehrt, soll dann die Rüstung durch Kürzungen im Sozialen finanziert werden und durch die intensivere Auspressung der Lohnabhängigen9. Die CDU will das Bürgergeld reformieren und das so eingesparte Geld in die Rüstung stecken10. Ifo-Präsident Clemens Fuest will das Elterngeld und weitere Sozialleistungen streichen11. Jens Spahn plädiert dafür gegen Arbeitnehmer:innen vorzugehen: mehr und längere Arbeit bei weniger Lohn12. Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Deutschen Industrie Gönner findet hingegen die Finanzpakete, die die bürgerliche Industrie ertüchtigen, lobenswert. Die Industrie würde nun zu Investitionen befähigt, die Wachstumsschwäche würde abgemildert und die ‚Verteidigungsfähigkeit‘ erhöht13.

Der Krieg, so unsere These, hat sich längst in unseren Leben verankert, sich normalisiert und zugespitzt, und wir müssen sicherlich nicht erst in die Ukraine blicken, um daran erinnert zu werden. „Wenn wir zum Krieg rüsten, werden wir Krieg haben“, schrieb Bertolt Brecht einmal weitsichtig. Wenn die westeuropäischen Staaten nun mit den USA und ihren Verteidigungsausgaben mitziehen, wenn 800 Milliarden Euro in die Rüstung gesteckt werden, wenn Frankreich und Großbritannien mit Flugzeugen und Bodentruppen in die Ukraine als ‚Friedenstruppen‘ eingreifen wollen14, dann muss das als Vorbereitung zum Krieg bezeichnet werden. Dann werden wir in weitere Kriege verwickelt werden; ausschließlich für diesen Zweck wird aufgerüstet.

 

Zweitens stoßen wir auch auf das Argument, Krieg werde es in jedem Fall geben und auch wir Linke müssten den militärischen Kampf gegen autoritäre Regime unterstützen. Europa/der Westen/Deutschland müsse schließlich kriegstüchtig werden und die Linken – wenn auch Zähne knirschend – mitmachen.

Über solche Aussagen können wir nur den Kopf schütteln. Gerade die Militarisierung von Staaten macht ja eine Kriegsgefahr viel wahrscheinlicher. Zunehmende Militarisierung erhöht die Wahrscheinlichkeit von Kriegen, da dann der Rückgriff auf Gewalt als Mittel zur Durchsetzung von politischen Interessen näher liegt und militärische Rationale in politisches Geschehen Einzug halten15. Der Kalte Krieg kann wohl schlecht als ‚sichere‘ Phase der Weltgeschichte gelten. Die Kriegswut seitens Russlands, die Emmanuel Macron und seine Spießgesellen beschwören, ist gezielt eingesetzter Alarmismus. Russland hat ja schon mit dem Krieg in der Ukraine aller Hand zu tun und hätte Schwierigkeiten auch noch weitere Konfrontationen einzugehen16. Wenn Genoss:innen meinen, sie können sich durch die Militarisierung des Nationalstaates, in dem sie wohnen, vor autoritären Regimen schützen, dann werden sie bitter enttäuscht werden. Eben gerade die politische Entwicklung in Kriegsländern wie der Ukraine und Israel geben einen Vorgeschmack, was auch hierzulande Realität werden könnte.

Diejenigen, die tatsächlich wie die ultrakonservative Ursula von der Leyen meinen, in der Ukraine würde die Demokratie verteidigt, sollen doch in die Ukraine an die Front. Das klingt polemisch, wäre unserer Erachtens nach aber die einzige konsequente Schlussfolgerung aus dieser politischen Überzeugung. In Deutschland zeigen die jungen Menschen, die potenziell ins Militär eingezogen werden könnten, keine große Kriegsfreude: in Umfragen sprechen sie sich gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht aus17. Auch die Abbruchquote bei neuen Rekruten der Bundeswehr bleibt weiterhin sehr hoch18.

 

Drittens ist die Diskussion um ‚das kleinere Übel‘ bislang eine Scheindiskussion und endet meist in ‚realpolitischen‘ Überlegungen.

Durch die Nicht-Bestimmung des Maßstab des ‚kleineren Übels’ ist unserer Einschätzung nach eine Scheindiskussion entstanden. Unter welchen Maßstäben wird ein kleineres Übel bestimmt? Erhoffte politische Freiheiten in einer eventuellen Nachkriegszeit oder im Hier und Jetzt? Individuelle Freiheiten, Frauen- und Queerrechte? Materielle Lebensbedingungen, wie Löhne, Renten, Krankenversicherungen? Gesunde Umwelt? Vogliamo Tutto bestimmen den Maßstab sowohl mit Blick auf die „Lebensbedingungen und Entfaltungsmöglichkeiten von uns Individuen […] als auch hinsichtlich unserer Möglichkeiten, Widerstand zu leisten und auf eine revolutionäre Überwindung der Verhältnisse hinzuarbeiten“ (These 7). Der ukrainische Staat würde hier momentan nicht gut abschneiden, das haben wir und andere bereits mehrfach thematisiert19. Solange die Kriterien des ‚kleineren Übels‘ nicht konkreter bestimmt werden, haben wir es mit einer beliebig einsetzbaren Worthülse zu tun. Auch wenn Genoss:innen das sicherlich nicht wollen, kann potenziell im Namen des ‚kleineren Übels‘ vieles geheiligt werden: Militarisierung, Verfolgung von Deserteuren, die Abschaffung von bezahlten Krankheitstagen etc.

Leider geraten solche Argumentationen dann oft ins Fahrwasser von Realpolitik. Diese realpolitische Argumentationsebene ist deshalb besonders bizarr, weil die Linke so schwach ist, dass sie ja tatsächlich von jeglicher politischen Gestaltungsmacht ausgeschlossen ist. Dennoch wird in dieser Denkweise die eigene sozialistische Überzeugung aufgegeben und durch eine fiktive Teilnahme am Staatsgeschehen eingetauscht. Wir befinden uns dann als Staatsmänner am Schachbrett der westlichen Bündnispartner und müssen hier unter gegebenen Bedingungen den geeigneten Zug ziehen. Während wir Linken damit Zeit verlieren, darüber zu grübeln, wer der weniger schlimme Nationalstaat ist, könnten wir Widerstand gegen Kürzungen der Sozialleistungen organisieren oder gegen die Produktion von Kriegsmaterial einstehen.

Wir fanden das Vorhaben von Vogliamo Tutto sehr begrüßenswert, eine Klärung in die Debatte um den revolutionären Defätismus voran zu bringen. Uns ist aber nicht klar geworden, welche politische Position sie zur Militarisierung einnehmen. Der einzige Schluss, den wir als Kommunist:innen aus dem aktuellen Debakel ziehen können, ist, alle zukünftige Aktionen, sei es Hafenstreiks, Werksblockaden, Demonstrationen gegen Aufrüstung oder Blockaden von Waffentransporten, zu unterstützen. Anstatt mit dem real existierenden kleineren Übel zu taktieren – und damit in der bestehenden Ordnung verhaftet zu bleiben – bestünde die herausfordernde, aber doch notwendige Aufgabe für eine Linke (nicht nur die radikale) darin, Alternativen zum Kriegsgeheul aufzuzeigen, die sich der Kriegslogik entziehen. Ansonsten macht sie sich selbst überflüssig.