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Paul Mattick und die Ursachen von Inflation

Paul Mattick und die Ursachen von Inflation

11. Oktober 2024

Warum wird seit ein paar Jahren alles teurer? Wird der Trend anhalten? Wie lässt er sich in die Geschichte des Kapitalismus einordnen, insbesondere in die Zeit nach 1945? Paul Matticks Buch Die Rückkehr der Inflation ist einer der wenigen Versuche, diese Fragen ausgehend von der Marxschen Kapitalkritik zu beantworten. Einige Fragezeichen, was seine Deutung betrifft, haben bereits die Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft in einem Gespräch mit ihm angebracht. Nun hat Robert Schlosser das Buch gelesen – und ist mitnichten überzeugt.

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Paul Mattick will in seinem Buch nicht nur die spürbaren Preissteigerungen seit der Corona-Krise erklären, sondern zugleich eine permanente Inflation, die grob seit dem Zweiten Weltkrieg herrscht. Wie er schreibt: »Wirtschaftshistoriker sind sich einig, dass die Zeit um den Zweiten Weltkrieg einen Wendepunkt in der Geschichte der Inflation darstellt. Von einem zeitweiligen Phänomen, bedingt durch Revolutionen, staatliche Kriegsfinanzierung und wirtschaftliche Aufschwungphasen, wurden Preissteigerungen zu einem scheinbar permanenten Merkmal der kapitalistischen Ökonomie.«1

Da Mattick sich durchgehend auf Daten bezieht, die eine solche permanente, säkulare Inflation erkennen lassen, verwundert es etwas, dass er von einer »Rückkehr« der Inflation spricht. Offenbar meint er die Rückkehr hoher Inflationsraten, wie wir sie aus den 1970er-Jahren kennen. Um diese zurückgekehrte Inflation zu erklären, sei es nötig, sich erneut über die Rolle des Geldes in der kapitalistischen Ökonomie Klarheit zu verschaffen und sich »die Wirtschaftsgeschichte des vergangenen Jahrhunderts« anzusehen.2 In seinem Durchgang durch diese Geschichte gelingt es Mattick überzeugend, Monetarismus und Keynesianismus – sowie die jeweilige Wirtschaftspolitik, die sich darauf bezieht – vorzuführen. Insofern ist das Buch auf jeden Fall lesenswert.

Matticks eigene Erklärungen der Inflation sind aber leider kaum besser als die der bürgerlichen Ökonomen. Das betrifft sowohl die Geschichte, in der er den Unterschied zwischen dem Akkumulationszyklus und überzyklischen langfristigen Entwicklungstendenzen nicht genügend berücksichtigt, als auch die Besonderheiten der aktuellen Entwicklungen seit der Corona-Krise, als die Preise zunächst stark in die Höhe gingen.

Woher der jüngste Inflationsschub?

Zu diesem plötzlichen Anstieg ab 2022 schreibt Mattick:

»Wir befinden uns […] in einer Situation, in der mangelnde Profitabilität mit einem ständigen Anstieg unprofitabler Staatsausgaben einhergeht. Diese Ausgaben erscheinen auf dem Markt als eine Erweiterung der Nachfrage, die die Wirtschaft aus sich heraus erzeugen würde, zumindest solange die Kredite (Staatsschulden), auf denen sie beruhen, verlängert und ausgeweitet werden können. Und das wiederum fördert eine neuartige Reaktion kapitalistischer Unternehmen auf den ungenügenden Umfang der Profite: Konkurrenz nicht durch Preissenkungen, sondern durch Halten oder sogar Anheben der Preise. Genau darin bestand ja der Sinn der Staatseingriffe in die Marktwirtschaft: Trotz unzulänglicher Profite sollten die Investitionen in Produktionsgüter und Arbeitskräfte steigen. Das Ergebnis war, dass die hauptsächliche Folge von Abschwüngen nicht mehr in einer Deflation bestand; sie wurde von der Inflation abgelöst.«3

An anderer Stelle heißt es:

»Die Inflation ist […] Ausdruck eines Kampfes zwischen den Unternehmen, die ihre Preissetzungsmacht aufbieten, um das Profitniveau zu halten, und den Lohnabhängigen, die dank eines jahrzehntelangen Neoliberalismus strukturell im Nachteil sind, kaum eine Vorstellung von der Möglichkeit einer anderen Gesellschaft haben und gerade erst anfangen, sich dagegen zu wehren, dass die Misserfolge des Kapitalismus auf ihre Schultern abgewälzt werden.«4

Aus diesen Gründen meint Mattick, entgegen »der Verblüffung der Ökonomen« seien »die Triebkräfte der jüngsten Preissteigerungen nicht so schwer zu verstehen«5. Erstaunlich an dieser Argumentation, die sich ja zugleich auf den aktuellen Schub wie auch die Inflation seit dem Zweiten Weltkrieg bezieht, ist, dass Kosten demnach für die Preiskalkulation scheinbar gar keine Rolle spielen. Tatsächlich sind sie aber deren Grundlage; Preise steigen im Allgemeinen in Abhängigkeit von den Kosten.

Diese steigenden Kosten für Warenproduktion und Dienstleistungen werden von den bürgerlichen Berechnungen der Inflation nicht berücksichtigt, denn nur die in einem Warenkorb erfassten »Endverbraucherpreise« spielen dabei eine Rolle. Was dagegen die Kosten in die Höhe treibt, sind die Preise von Gebrauchswerten, die in Produktion und Dienstleistung produktiv konsumiert werden. Das fängt bei Baupreisen und Mieten für Gebäude an, umfasst die Preise für Maschinen und Anlagen, Rohstoffe, Energie und alle möglichen Vorprodukte. Hinzu kommt noch der Preis der Ware Arbeitskraft, des wichtigsten Gebrauchswerts für das Kapital, auf gut Deutsch: die Löhne. Allgemein gilt: Der entscheidende Preistreiber in der kapitalistischen Warenproduktion sind die Kosten.

Alle diese Kosten/Preise unterliegen verstärkt der gesellschaftlichen Einflussnahme auf das Marktgeschehen der Privatproduktion. Ausgeübt wird sie namentlich durch staatliche Gesetze und Verordnungen, die Anforderungen an Produkte und Arbeitsprozesse stellen (Arbeits-, Gesundheits-, Umweltschutz). Die Einhaltung dieser Vorschriften erfordert mehr Arbeit, vermehrt die Zahl der Vorprodukte und erhöht so die Kosten. Im internationalen Handel wiederum entscheidet die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Staaten über das Verhältnis von Protektionismus und Freihandel. Zölle erhöhen die Preise für eingeführte Waren. Sofern es sich bei den Waren um Rohstoffe oder Vorprodukte zur Weiterverarbeitung handelt, steigert dies die Produktionskosten und wird so zum Preistreiber. Die Löhne schließlich unterliegen der Einflussnahme der Lohnarbeiter:innen und ihrer Kämpfe, ob sie nun gewerkschaftlich organisiert sind oder nicht. Ohne diese Einflussnahme wären die Reallöhne über die Jahrzehnte niemals so stark gestiegen. Sie erhöhen aber gleichfalls die Kosten der Unternehmen.

Profit für die Unternehmen beginnt erst jenseits der Kostendeckung. Seine Realisierung hängt nicht nur vom Preis der einzelnen Ware ab, sondern auch von der verkauften Stückzahl. Ein ausreichender Absatz kann nur erreicht werden, wenn sich der Preis an der marktüblichen Höhe orientiert. Ein auf »Preissetzungsmacht« beruhender willkürlicher Gewinnaufschlag großer Kapitale auf den Kostpreis, um Profite zu stabilisieren oder sogar zu erhöhen, lässt sich auf dem Markt allenfalls zeitweilig durchsetzen oder führt zu Umsatzrückgang und sinkenden Gewinnen. Als allgemeine Praxis kapitalistischer Unternehmen stünde solchen Profiten außerdem kein vergrößertes Mehrprodukt gegenüber, das in Gestalt von produzierten Produktions- und Konsumtionsmitteln erforderlich ist für erweiterte Kapitalreproduktion.

Nach diesen – ebenfalls recht allgemeinen – Bemerkungen zu Kosten und Profit nun zu der Frage, was die Kosten für die Unternehmen speziell im Anschluss an die Corona-Krise nach oben getrieben hat. Drei Faktoren spielen dabei eine Rolle: die Unterbrechung von Lieferketten, protektionistische Maßnahmen besonders im Angesicht von Chinas Handelserfolgen sowie schließlich die Sanktionen gegen Russland wegen dessen Überfall auf die Ukraine.

Zum ersten Aspekt heißt es auf der Online-Plattform Statista: »Politische oder wirtschaftliche globale Krisen sorgen immer wieder dafür, dass Lieferketten ins Stocken geraten. Durch Störungen innerhalb der Lieferkette entstehen in der Folge Lieferengpässe. […] Neben den Produktions- und Logistikeinschränkungen durch die Corona-Pandemie in den vergangenen Jahren führen aktuell auch politische Konflikte, wie der Krieg zwischen Russland und der Ukraine, zu Lieferengpässen und Preisanstiegen. Die daraus resultierende stark angestiegene Inflationsrate sorgt zudem für Sparmaßnahmen innerhalb der Produktion und trägt somit zum Teil zu langen Lieferzeiten bei.«6

Jede Störung von Lieferketten wirkt so, als sei plötzlich wieder mehr gesellschaftliche Arbeit zur Produktion von Waren nötig, als habe sich die Arbeitsproduktivität verringert. So wie der Transport eines Werkstücks innerhalb einer Fabrik zur notwendigen Arbeitszeit für die Produktion von Waren gehört, so auch der Transport von Vorprodukten von einem Land in ein anderes. Je entwickelter die internationale Arbeitsteilung in der Industrie, desto größer wird die ökonomische Bedeutung der Lieferketten. Kommt es zu Störungen, so verringert sich die Zahl von Waren, die mit einer gegebenen Anzahl menschlicher Arbeitsstunden produziert werden können. Der Effekt ist derselbe, als würde die technische Zusammensetzung des Kapitals verringert, als würden moderne Maschinen wieder eingemottet. Die Arbeitsproduktivität sinkt und damit steigt die im Durchschnitt benötigte Arbeitszeit zur Herstellung einer bestimmten Menge an Waren. Die so relativ erhöhten Kosten drücken sich dann in erhöhten Preisen aus. Sofern es gelingt, diese Preise, die zunächst nur ein ideeller Wertausdruck sind, beim Verkauf zu realisieren, die Kosten also an die Kundschaft weiterzugeben, kommt es zu einer steigenden Inflationsrate. Solche Prozesse entfalten ihre Wirkung immer zeitverzögert. Die während der Corona-Zeit teils unterbrochenen Lieferketten waren jedenfalls keine Erfindung von Ökonom:innen. Sie waren real und fanden ihren Ausdruck in stark steigenden Preisen.

Daneben gab es weitere politische Ereignisse, die allgemeine Preiserhöhungen fördern. Dazu gehören in den USA etwa die Erhöhung von Einfuhrzöllen auf bestimmte Waren oder auch Handelsbeschränkungen, die es Unternehmen verbieten, Waren dort zu kaufen, wo sie am billigsten sind, oder ihre Waren dort zu verkaufen, wo die größten Absatzchancen liegen. (Das richtet sich vor allem, aber nicht nur, gegen China.)

In Europa wiederum überfiel Russland die Ukraine, was Wirtschaftssanktionen westlicher Länder nach sich zog und vor allem Konsequenzen für die Beschaffung von Gas und anderen fossilen Energieträgern hatte. An die Stelle des billigen Gases aus Russland trat nun unter anderem der Kauf von teurem Flüssiggas. Die erhebliche Verteuerung der Energieträger hat bekanntlich immer weitreichende Konsequenzen für sowohl die Lebenshaltungs- als auch die Produktionskosten, also für kapitalistische Produzent:innen wie lohnabhängige Konsument:innen.

All das spielt in Matticks Analyse aber keine Rolle. Für ihn ist die aktuelle Inflation ganz einfach erklärt mit der »Preissetzungmacht« von Unternehmen, die sich dank der erhöhten Staatsausgaben und der Ausdehnung des Kredits Geltung verschafft. Selbst der nach der Corona-Krise einsetzende Konjunkturaufschwung, der von Unternehmen üblicherweise für Preiserhöhungen genutzt wird, um in der Krise erlittene Verluste möglichst rasch wieder auszugleichen, findet bei Mattick keine Berücksichtigung. Die Besonderheiten der politischen und ökonomischen Situation nach der Corona-Krise müssen aber gerade deshalb besonders hervorgehoben werden, weil der plötzliche, hohe Preisanstieg eine 50-jährige Geschichte tendenziell sinkender Inflationsraten in den entwickelten kapitalistischen Ländern beendet hat.

Matticks These, dass die Inflation der letzten 50 Jahre den »Niedergang der Weltwirtschaft« verdeckt habe7, kann zudem auch andere wichtige Phänomene nicht erklären. Erstens die Entstehung der säkularen, überzyklischen Inflation zwischen 1950 und den frühen 1980er-Jahren, als die Preise bei vergleichsweise hohen Profitraten rapide stiegen. Zweitens das überzyklisch wachsende reale, inflationsbereinigte Bruttoinlandsprodukt, in dem sich die erweiterte Reproduktion des Kapitals ausdrückt. Drittens das beachtliche Wachstum der Reallöhne; in Deutschland beispielsweise waren sie 2004 etwa fünfmal so hoch wie 1950. Die permanente Inflation der Verbraucherpreise hat das nicht verhindert. Und schließlich berücksichtigt Mattick nicht, dass bei sinkenden Profitraten die realisierten Profitmassen insbesondere der immer größeren Industrie- und Handelskapitale ebenfalls enorm gestiegen sind. Die durch Staatsintervention konservierte Überakkumulation drückt sich gerade auch darin aus, dass große Kapitale im Geld schwimmen.

Entstehung und Entwicklung der permanenten Inflation nach 1945

Zwischen 1950 und den frühen 1980er-Jahren wurde die Inflation nicht nur eine permanente Erscheinung, sondern von Zyklus zu Zyklus auch immer ausgeprägter – im Unterschied zu der Zeit nach der Weltwirtschaftskrise von 1981 bis 1983. Danach blieb zwar die Permanenz der Inflation, aber ihre Raten sanken jetzt von Zyklus zu Zyklus bis zur Coronakrise.8 Man könnte also mit Recht von einer deflationären Tendenz sprechen, was zu nachlassenden Wachstumsraten des BIP und sinkenden Profitraten passt. Auf jeden Fall kann für die »Trente Glorieuses« – die drei Dekaden des Aufschwungs nach 1945 – von »mangelnder Profitabilität« und »ungenügendem Umfang der Profite«, die eine veränderte Konkurrenz mit hohen Preisen auf die Tagesordnung gesetzt hätten, nicht die Rede sein.

In einem erhellenden Aufsatz von 1975 – also aus der Zeit der ersten großen Weltwirtschaftskrise nach dem Zweiten Weltkrieg – heißt es: »Dieser lang andauernde Weltmarktaufschwung [nach dem Zweiten Weltkrieg, R. S.] war die Basis dafür, daß sich die inflationistischen Tendenzen herauszubilden vermochten. Da auch ohne weitreichende Kapitalentwertung immer wieder ein neuer Aufschwung einsetzte, wenn die Produktion nachließ, waren auch die im Verlauf der Produktivkraftentwicklung sich verwirklichenden Wertsenkungen der einzelnen Ware kein Grund, um in der Krise, die ja niemals mehr als ein kurzfristiger und nicht sehr tief gehender Produktionsrückgang war, die Warenpreise zu senken. So wird von Boom zu Boom ein ›inflationistischer Rest‹ mitgeschleppt, der seinen Ausdruck als ›säkulare Inflation‹ findet.«9

Aus meiner Sicht kommt dies einer Erklärung der permanenten Inflation näher als die Ausführungen von Mattick. Der spricht stattdessen gar von einem »langen Weltmarktzyklus nach dem Zweiten Weltkrieg«10 und übersieht damit die tatsächliche – wenn auch veränderte – zyklische Bewegung der Kapitalakkumulation.

Zyklus der Kapitalakkumulation, permanente Inflation und Wertgesetz

Jeder Zyklus der Kapitalakkumulation drückt sich darin aus, dass sich die Preissummen und -bewegungen der verkauften Waren und Dienstleistungen von Jahr zu Jahr ändern – und damit auch in Veränderungen der Wachstumsraten des BIP und der Inflationsraten. Während des Aufschwungs steigen beide, wenn dann der Abschwung einsetzt, sinken sie. In der Krise liegen sie am niedrigsten; endet der Zyklus in einer wirklichen Krise, dann verringert sich das BIP absolut. Das Kapital wächst also gar nicht mehr, sondern schrumpft. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren Krisen und die anschließenden Depressionen gekennzeichnet durch Deflation, also durch ein absolutes Sinken der Preise.

Die ersten Zyklen im Nachkriegskapitalismus verliefen ohne wirkliche Krisen; das ist eine Besonderheit, auf die der oben zitierte Aufsatz von 1975 verweist. Darin bestand die Grundlage für die Herausbildung einer säkularen Inflation. Der veränderte Zyklus war das Produkt außergewöhnlicher Verwertungsbedingungen des Kapitals, die sich als Folge der Großen Depression ab 1929 und des Zweiten Weltkrieges einstellten. Diese drei Faktoren erzeugten eine ungeheure Entwertung und Vernichtung von Kapital und schufen damit zugleich die außergewöhnlichen ökonomischen Wachstumsbedingungen der unmittelbaren Nachkriegszeit.

Dass mit den wirklichen Krisen, die seit 1974/75 wieder regelmäßig auftraten, nicht auch die Deflation zurückkehrte, ist nur zu erklären aus der zunehmenden Staatsintervention mit Kreditausweitung und wachsender öffentlicher Verschuldung: Sie erhält die Kaufkraft von Unternehmen und Lohnarbeiter:innen auch dort, wo rein marktwirtschaftliche Vorgänge sie nicht mehr hervorbringt.

Auf diesen Aspekt der Entwicklung weist Mattick richtig hin. Durch die Staatsintervention können Waren noch im Tiefpunkt des Akkumulationszyklus zu Preisen verkauft werden, zu denen sie sonst unverkäuflich wären. Das ermöglicht zwar kaum eine Erhöhung von Profiten, aber immerhin ihre Stabilisierung oder wenigstens die Vermeidung von Verlusten, die zur Pleite führen. Mit der »Preissetzungsmacht« einzelner Unternehmen hat aber auch das recht wenig zu tun; entscheidend sind vielmehr die Staatseingriffe in das Marktgeschehen. Die steigenden Staatsausgaben während der Krise »erscheinen« nicht unbedingt »als Erweiterung der Nachfrage«, aber sie bewirken tatsächlich mindestens eine Stabilisierung der Nachfrage. Sie erfüllen dadurch ihren Zweck, die Kapitalentwertung einzudämmen. Ohne solche Staatsintervention wäre die »Preissetzungsmacht« der Einzelkapitale im spontanen Marktgeschehen schnell am Ende und die Krise würde ihre Kraft der Kapitalentwertung und -vernichtung ungebremst gegenüber der »Preissetzungmacht« entfalten. Dieser Prozess würde sich in Deflation ausdrücken, und mit der Konservierung von Überakkumulation wäre es vorbei.

Wenn auf diese Weise schärfere Kriseneinbrüche vermieden werden, ändert das nichts daran, dass hohe Inflationsraten selbst bedrohlich für die Kapitalverwertung sind. Allgemeine Preiserhöhungen sind weit entfernt davon, eine Erhöhung der Profite zu garantieren. Sie sind Sturmvögel der Krise. Legt man die Kurven für den Verlauf des BIP-Wachstums und der Inflationsraten übereinander, dann springt Folgendes ins Auge: Im Boom, wenn das Wirtschaftswachstum am stärksten ist, sind auch die Preise auf ihr höchstes Niveau im Verlaufe des Zyklus geklettert. Dieses Preisniveau sorgt dann dafür, dass die mit erhöhter Arbeitsproduktivität und hoher Auslastung vermehrt produzierten Waren in wachsendem Umfang nicht mehr verkäuflich sind.11 Der Umsatz und die Profite – soweit sie vom Umsatz abhängen – brechen ein, der Abschwung beginnt. Es lässt sich zwar im Voraus kein bestimmtes Preisniveau angeben, ab dem eine wachsende Zahl von Waren unverkäuflich wird, aber der Konflikt zwischen der sich ausdehnenden Produktion und der vorhandenen Kaufkraft der Gesellschaft bei kontinuierlich erhöhten Preisen ist unvermeidlich.12

Erst bei sinkendem Warenabsatz werden die Unternehmen bei ihrer Preisgestaltung dazu gezwungen, der Tatsache Rechnung zu tragen, dass sich die Fortschritte in der Arbeitsproduktivität verallgemeinert haben und folglich die zur Herstellung von Waren durchschnittlich benötigte Arbeitszeit gesunken ist.

Die Durchsetzung des Wertgesetzes vergleicht Marx mit der Wirkung des Gesetzes der Schwerkraft, wenn einem »das Haus über dem Kopf zusammenpurzelt«.13 Das Wertgesetz setzt sich in den periodisch wiederkehrenden Krisen »gewaltsam« durch: Stets größere Mengen von produzierten Waren werden unverkäuflich. Ihre Preise sinken so lange, bis sie wieder verkäuflich sind. Der reduzierte Wert der Waren, die mit höherer Arbeitsproduktivität erzeugt wurden, drückt sich in niedrigeren Preisen aus. Sofern dieser Prozess nur noch zu sinkenden Inflationsraten führt, drückt sich darin eine modifizierte, abgeschwächte Wirkung des Wertgesetzes aus.

Wert des Geldes, Preise der Waren und Inflation

Mattick schreibt zunächst: »Die vertrackten Wechselbeziehungen zwischen dem Geld und anderen wirtschaftlichen Phänomenen standen ihrer bequemen Schlichtheit schon immer entgegen, und dies umso mehr, als mit dem Aufkommen der modernen Statistik solide empirische Untersuchungen möglich wurden.« Dem stimme ich uneingeschränkt zu. An anderer Stelle heißt es dann aber: »Anders als Warengeld besitzt Kreditgeld nur einen unbedeutenden Eigenwert. Sein Wert besteht schlicht in dem, was man sich mit ihm kaufen kann: Er ist bestimmt durch die Preise der Waren.«14 Das erscheint dann doch etwas zu schlicht, und bestimmte Ursachen von Inflation, die vor allem weniger entwickelte Länder betreffen, können damit überhaupt nicht erklärt werden. Damit gemeint sind Preiserhöhungen, die auf die Verschlechterung des Wechselkurses einer Währung zurückzuführen sind: Der sinkende Wert des Geldes wirkt auf die Warenpreise zurück, indem er sie in die Höhe treibt.

Verhielte es sich mit der Wertbestimmung des modernen Geldes so, wie Mattick meint, dann wären die Preise der Waren Wertmaß des Geldes und nicht umgekehrt das Geld Wertmaß der Waren und Maßstab für die Preise; dann hätten die bürgerlichen Ökonomen, die im Geld nur ein technisches Hilfsmittel des Warenaustauschs sehen, doch weitgehend recht. Aber auch der Wert des modernen, nur noch aus Wertzeichen bestehenden Geldes, der nicht mehr bestimmt wird durch die Arbeitszeit für die Herstellung der Geldware Gold, wird nicht bestimmt durch die Preise der Waren, die damit gekauft werden können.

Im Unterschied zum Gold, das Weltgeld war, sind die modernen Wertzeichen dies im Allgemeinen nicht, sondern Geld in Form nationaler Währung. Sofern damit unmittelbar Waren gekauft werden können, ist die gesellschaftliche Anerkennung dieses Geldes jeweils beschränkt auf Märkte, deren Grenzen politisch bestimmt sind (Nationalstaaten oder von Nationalstaaten gebildete gemeinsame Märkte). In einer »globalisierten Welt« mit hoch entwickelter internationaler Arbeitsteilung und entsprechendem Welthandel wird ein großer Teil der Waren für produktiven und individuellen Konsum über den Weltmarkt importiert, muss also im Ausland gekauft werden. Das betrifft speziell die Rohstoffe, die nicht in allen Ländern vorkommen, und eine große Masse an international arbeitsteilig erzeugten Vorprodukten, was für die Produktionskosten von Unternehmen von Bedeutung ist.

Um diese Waren zu kaufen, muss jede nationale Währung zunächst in ausländische Währung umgetauscht werden. Die Wechselkurse entscheiden über den relativen Wert dieses Geldes und hängen ihrerseits ab von der »Leistungskraft« einer Wirtschaft.15 Je erfolgreicher eine Nationalökonomie für den Weltmarkt produziert, desto stärker die Nachfrage nach der entsprechenden Währung und desto höher ihr relativer Wert verglichen mit anderen Währungen. Diese Erfolge auf dem Weltmarkt hängen wiederum von der durchschnittlichen Arbeitsproduktivität ab, die in der Nationalökonomie herrscht. Was den Wert des Geldes bestimmt, ist also nicht mehr die zur Produktion einer Geldware – des Goldes – notwendige Arbeitszeit, sondern diese allgemeine Arbeitsproduktivität; das Geld ist nur noch ein an sich wertloses Wertzeichen. Zu den Währungen mit den höchsten relativen Werten zählen allen voran der Dollar, dann der Euro und der Yen, die daher auch als Währungsreserven in diversen Ländern gehalten werden. Wer auf dem Weltmarkt kaufen will, muss häufig zunächst die eigene Währung gegen sie tauschen. Noch immer werden rund 60 Prozent des Welthandels allein in Dollar abgewickelt. Verschlechtert sich der Wechselkurs einer Währung zum Dollar, so wirkt das als Preistreiber in der entsprechenden Nationalökonomie.

Von diesen Zusammenhängen sind alle kapitalistischen Länder betroffen. Als besonders folgenschwer erweisen sie sich aber für die weniger Entwickelten, die auf dem Weltmarkt weniger erfolgreich sind. Daraus erklären sich ihre teils drastisch höheren Inflationsraten. Aufgrund seiner falschen Bestimmung des Wertes des Geldes kann Mattick dieser hier kurz entwickelten Ursache von Inflation überhaupt nicht gerecht werden.

Ein Vorbote der Krise

Grundsätzlich bemerkt Mattick zur Inflation: »Sie ist ein Kampf um die Frage, in wessen Hände das Sozialprodukt fließt, doch ohne eine deutliche Zunahme der Investitionen kann der Anteil der Profite an ihm nur durch eine Senkung der Reallöhne gesteigert werden.«16 Im Grunde beschränkt er ihre Bedeutung auf die Frage der Verteilung des Sozialproduktes und wird ihrer ökonomischen Bedeutung in Gesellschaften mit kapitalistischer Produktionsweise nicht gerecht.

Entscheidend ist für ihn die »Preissetzungsmacht« der Unternehmen. Die leugne auch ich nicht. Sie ist Teil der ökonomischen Macht, die sich aus dem Privateigentum an Produktionsmitteln ergibt. Aber auch für diese »Preissetzungsmacht« gilt die historisch-materialistische Grunderkenntnis, dass die Menschen ihre Geschichte selbst machen, allerdings unter vorgefundenen Verhältnissen. Für die einzelnen Unternehmen heißt das, dass sie ihre Preise selbst festlegen, aber unter vorgefundenen Marktverhältnissen, die sie eben nicht selbst bestimmen können. Daher werden sie immer wieder zu Preissenkungen gezwungen, die auf eine Phase der Preiserhöhungen folgen.

So auch nach der jüngsten Phase stark ansteigender Inflationsraten.17 Die Wirtschaftspresse berichtete im Juli 2024: »Die Macht, Preise zu erhöhen, schwindet bei großen US-Lebensmittel- und Konsumgüterkonzernen und bedroht ihr Umsatzwachstum. […] Unternehmen, die jahrelang Preiserhöhungen durchgesetzt haben, bieten nun verstärkt Rabatte an […]. Viele warnen vor einer neuen Sparsamkeit in den Haushalten, insbesondere bei ärmeren Schichten. In den USA wurden in den zwölf Monaten bis Ende Juni 28,6 Prozent der Produkte mit Aktionen verkauft, gegenüber 25,1 Prozent vor drei Jahren. Auch in Europa haben die Rabattaktionen zugenommen.«18

Das Auf und Ab der Warenpreise, die schwankenden Inflationsraten, sind ein weiterer Beleg für die Unbeherrschbarkeit allgemeiner Warenproduktion – sowohl durch Unternehmen als auch durch Regierungen und Notenbanken. Es existiert keine Macht, die die ökonomischen Gesetze der Marktwirtschaft beherrscht. Inflation ist genauso wenig zu vermeiden wie die periodisch wiederkehrenden allgemeinen Krisen. Stark steigende Preise sind jeweils deren Sturmvögel. Sofern durch entsprechende Staatsausgaben in Krisen die kaufkräftige Nachfrage stabilisiert wird, verhindert das anstehende Entwertungsprozesse von Kapital und konserviert so die Überakkumulation. Wann und wodurch die in einem gigantischen Crash beseitigt wird, ob infolge einer globalen Wirtschaftskrise mit zerfallendem Weltmarkt und entsprechender Deflation oder in einem großen Krieg, darüber kann man heute allenfalls spekulieren.

  • 1. Paul Mattick, Die Rückkehr der Inflation. Geld und Kapital im 21. Jahrhundert, übersetzt von Felix Kurz, Berlin 2024, S. 49.
  • 2. »Auch wenn Fragen über das Wesen des Geldes und seinen Platz im Wirtschaftsleben heute mindestens so dringlich sind wie vor zweihundert Jahren, hat sich der Kapitalismus verändert. Klar scheint, dass wir uns zum Verständnis der gegenwärtigen Inflation die Wirtschaftsgeschichte des vergangenen Jahrhunderts ansehen müssen – im Hinblick auf neuartige Phänomene wie auch auf Kontinuitäten.« (Ebd., S. 47)
  • 3. Ebd., S. 135.
  • 4. Ebd., S. 165.
  • 5. Ebd., S. 158.
  • 6. https://de.statista.com/themen/8691/lieferengpaesse/
  • 7. Mattick, Die Rückkehr der Inflation, S. 21.
  • 8. https://www.finanzen.net/konjunktur/inflation. Die hier publizierte Grafik zeigt anschaulich die Entwicklung der Inflationsraten in Deutschland und den USA zwischen 1953 und 2019. Die Zahlen belegen meine Darstellung des Sachverhaltes und stehen im Widerspruch zu der Darstellung von Paul Mattick.
  • 9. Elmar Altvater u.a., »Inflation und Krise der Kapitalverwertung«, in: PROKLA 17/18 (1975), S. 294, online abrufbar unter: https://www.prokla.de/index.php/PROKLA/article/view/1753/1696.
  • 10. Mattick, Die Rückkehr der Inflation, S. 296.
  • 11. »Es geht den Krisen meist eine allgemeine Preisinflation vorher in allen der kapitalistischen Produktion angehörigen Artikeln. Sie nehmen daher alle an dem nachfolgenden Crash teil und sind alle zu den Preisen, die sie vor dem Crash hatten, unverkäuflich auf dem Markt. Der Markt kann eine Warenmasse absorbieren zu fallenden, unter ihren Kostpreisen gefallenen Preisen, die er zu ihren früheren Marktpreisen nicht absorbieren konnte. Die Preise, zu denen die Waren dann absorbiert werden, sind ruinierend für den Produzenten oder Kaufmann.« (Karl Marx, Theorien über den Mehrwert II, MEW 26.2, S. 506.)
  • 12. Die Frage, die sich aus arbeitswerttheoretischer Sicht bei zyklusübergreifender, permantenter Inflation stellt, ist, ob es sich dabei überhaupt um Inflation, im Sinne einer Entwertung des Geldes handelt, oder ob sich darin nicht eine Erhöhung des Wertes von Waren ausdrückt. Mattick schreibt: »Da die Arbeitsproduktivität seit dem Zweiten Weltkrieg weiter zugenommen hat, wäre eigentlich ein allgemeiner Rückgang der Preise zu erwarten gewesen. Stattdessen sind sie im Durchschnitt gestiegen, und zwar mitunter rapide.« Wir haben es mit einer »ununterbrochenen inflationären Tendenz mit gelegentlichen steilen Anstiegen zu tun« (Mattick, Die Rückkehr der Inflation, S. 123). Damit steht die von mir genannte Frage im Raum. Mattick diskutiert und beantwortet sie nicht und ich kann das im Rahmen dieser Buchbesprechung auch nicht leisten. Um zu klären, inwiefern sich in den über Jahrzehnte stark veränderten Gebrauchswerten für Produktion und individuellen Konsum jeweils ein Mehr an gesellschaftlich nötiger Arbeit ausdrückt, wäre umfangreiche Recherche nötig. Als Beispiele für solch veränderte Gebrauchswerte fallen mir Werkzeugmaschinen und Autos mit stark veränderter Technik ein, die zusätzlich zu ihrer Funktionalität Anforderungen des Arbeitsschutzes, der Sicherheit und des Umweltschutzes erfüllen müssen.
  • 13. »Es bedarf vollständig entwickelter Warenproduktion, bevor aus der Erfahrung selbst die wissenschaftliche Einsicht herauswächst, daß die unabhängig voneinander betriebenen, aber als naturwüchsige Glieder der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit allseitig voneinander abhängigen Privatarbeiten fortwährend auf ihr gesellschaftlich proportionelles Maß reduziert werden, weil sich in den zufälligen und stets schwankenden Austauschverhältnissen ihrer Produkte die zu deren Produktion gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit als regelndes Naturgesetz gewaltsam durchsetzt, wie etwa das Gesetz der Schwere, wenn einem das Haus über dem Kopf zusammenpurzelt.« (Karl Marx, Das Kapital, Bd. 1, MEW 23, S. 89.) »Der Austausch oder Verkauf der Waren zu ihrem Wert ist das Rationelle, das natürliche Gesetz ihres Gleichgewichts«. (Karl Marx, Das Kapital, Bd. 3, MEW 25, S. 197.) »Nur als inneres Gesetz, den einzelnen Agenten gegenüber als blindes Naturgesetz, wirkt […] das Gesetz des Werts und setzt das gesellschaftliche Gleichgewicht der Produktion inmitten ihrer zufälligen Fluktuationen durch.« (Ebd., S. 887.)
  • 14. Mattick, Die Rückkehr der Inflation, S. 87, 114.
  • 15. Mattick dazu: »Wie eine Untersuchung der entwickelten kapitalistischen Länder zeigt, ›hängt das Ausmaß, in dem ein Land verglichen mit anderen Nationen Inflation oder Preisstabilität erlebte, stark von der Leistungskraft ab, die es in der Weltwirtschaft über einen längeren Zeitraum verglichen mit anderen Nationen erreichte‹. Länder wie Japan und Deutschland, die Leistungsbilanzüberschüsse erzielten, verzeichneten damals relativ geringe Preissteigerungen.« (Ebd., S. 147f.) Auch diesem Zusammenhang geht er nicht weiter nach.
  • 16. Ebd., S. 165.
  • 17. Inzwischen sind die Inflationsraten sowohl in den USA als auch in Deutschlands wieder deutlich gesunken. Notenbanken fangen wieder an, die Zinsen zu senken, um »die Wirtschaft anzukurbeln« und deflationäre Tendenzen zu bekämpfen.
  • 18. https://www.alleaktien.com/news/us-konsumguterkonzerne-kampfen-mit-preiserhohungen-und-setzen-auf-rabatte