Direkt zum Inhalt

Idealistischer Unfug: Eske Bockelmann zum Geld

Idealistischer Unfug: Eske Bockelmann zum Geld

21. August 2021

Rezension zu: Eske Bockelmann, Das Geld. Was es ist, das uns beherrscht. Matthes & Seitz, Berlin 2020.

Je höher der staatliche und private Schuldenberg, je größer entsprechend der Umfang des aufgeschatzten Geldes und je geringer das Wachstum des Wertäquivalents in Warenform, desto mehr rückt die Geldtheorie ins Zentrum ökonomischer Theorien. Neuerdings von sich Reden gemacht hat die sogenannte Modern Monetary Theory (MMT) und die Geldtheorie, wie sie in dem Buch Eske Bockelmanns entwickelt wird. Beide Theorien leugnen den Sprengsatz, der in der stets größer werdenden Diskrepanz zwischen aufgehäuftem Geld und in Umlauf gebrachtem Kreditgeld einerseits und dem vergleichsweise geringen Zuwachs des Wertäquivalents in Warenform liegt. Die MMT verkündet, dass Staaten sich problemlos grenzenlos verschulden können, solange sie das in eigener Währung tun. Bockelmann betont, dass das Geld als „reines Tauschmittel“ selbst ein Nichts sei und durch nichts gedeckt sei und sein müsse. Da ist materialistische Kritik gefragt.

I. Leben wir vom Geld?

Ökonomie, gleich in welcher sozialen Form sie organisiert wird, dient der Produktion und Reproduktion des materiellen menschlichen Lebens. Keine soziale Form der Ökonomie kann von Dauer sein, die nicht diesem Zweck gerecht wird. Dabei gibt es generell ja nur zwei produktive Kräfte, die den Menschen das liefert, was sie zu ihrer materiellen Reproduktion brauchen: die Prozesse der Natur allgemein und der menschliche Arbeitsprozess. Im Kontrast dazu kennzeichnet Eske Bockelmann die moderne Gesellschaft als eine Gesellschaft, „die vom Geld lebt“ (S. 252).

Wie reichhaltig die Ergebnisse der Produktion sind, das hängt davon ab, in welchem Umfang sich Menschen natürliche Prozesse zu Nutze machen können und wie hoch entsprechend die Produktivität menschlicher Arbeitsprozesse ist. Die Natur selbst bringt weder Waren noch Geld hervor und was sie schafft, hat keinen Preis. Erst durch eine spezifische soziale Form der Produktion und Aneignung (Privateigentum, unabhängig voneinander verausgabte Privatarbeiten) wird das, was die Natur uns „schenkt“, zur Ware, hat Wert und bekommt einen Preis.

Wenn diese grundlegenden Zusammenhänge ausgeblendet werden, kann wenig Kluges über die bestimmten sozialen Formen gesagt werden, die die Ökonomie in der Geschichte angenommen hat. Das gilt speziell auch für die kapitalistische Produktionsweise und die Rolle, die Geld in ihr spielt.

II. Über „das Aufkommen von Geld“ und das allgemeine Kaufen und Verkaufen

In seinem Buch über das Geld hat Eske Bockelmann herausgefunden, dass das Geld entsteht und eine immer größere Rolle spielt, je mehr Kauf und Verkauf zunehmen. Er schreibt:

Das Aufkommen von Geld ist historisch bedingt durch das Abhängig-Werden ganzer Gemeinwesen davon, dass ihre Einwohner voneinander kaufen und einander verkaufen können, was sie kontinuierlich zum Leben brauchen.“ (S. 196)

Eine merkwürdige Erklärung! Schließlich setzt das Kaufen und Verkaufen schon das Geld voraus. Er erklärt also das „Aufkommen des Geldes“ aus der Existenz des Geldes und hat damit nichts erklärt.

Wie aber kommt es zu diesem Abhängig-Werden ganzer Gemeinwesen vom Kaufen und Verkaufen aller Gebrauchswerte, die sie „kontinuierlich zum Leben brauchen“? Und wieso „können“? Handelt es sich nicht vielmehr um ein „Müssen“, weil eben alles, was produziert wird, für den Tausch, den Markt produziert wird?

Dass Arbeitsprodukte ausschließlich für den Austausch bzw. für den Verkauf produziert werden, also Warenform annehmen, kennzeichnet erst die entwickelte kapitalistische Ökonomie. In Gesellschaften, deren materielle Reproduktion von Substistenzproduktion bestimmt wird, die unmittelbaren Produzent:innen also vor allem für den eigenen Konsum produzieren, nehmen die Arbeitsprodukte nicht oder nur ausnahmsweise die Warenform an und werden getauscht. Geschieht das ausnahmsweise, so müssen die entsprechenden Arbeitsprodukte in einem Umfang produziert sein, der über die Erfordernisse des eigenen Konsums hinausgeht. In solchen Gesellschaften spielt Geld keine große Rolle, schon gar nicht eine dominierende. Das weiß auch Eske Bockelmann. Wovon er aber schweigt bei seiner allmählichen Ausdehnung von Kauf und Verkauf seit dem 16. Jahrhundert, ist die Revolution in den Produktionsverhältnissen, die das Kaufen und Verkaufen erst allgemein macht und das Kaufen zu einem Müssen.

Arbeitsprodukte können nur da allgemein die Form der Ware annehmen, wo Privateigentum vorherrscht und wo die unmittelbaren Produzent:innen ihrer Produktionsmittel beraubt sind. Über viele Jahrhunderte war der Grund und Boden das wichtigste Produktionsmittel für die Selbstversorgung der überwiegend bäuerlichen Bevölkerung. Mit Landraub und Vertreibung wurde dieser Subsistenzproduktion die Grundlage entzogen. (Wenn Bockelmann hervorhebt, dass Kauf und Verkauf im 16. Jahrhundert stark zugenommen haben, so lässt er den ganzen Prozess der „ursprünglichen Akkummulation“ von Kapital speziell in England außen vor. Kein Wort davon!) Erst unter dieser Voraussetzung wurde auch die menschliche Arbeitskraft zu einer Ware, die zunehmend auf dem „Arbeitsmarkt“ angeboten, verkauft und gekauft wurde. Nur wo die Masse der Menschen vom Verkauf ihrer Arbeitskraft lebt und eine kleine Zahl von Kapitalist*innen alle Produktionsmittel monopolisiert hat, wird alles Lebensnotwendige als Ware produziert. Nur unter dieser Voraussetzung wird ausschließlich für den Markt, für den Tausch, für Verkauf produziert! Nur unter dieser Voraussetzung auch wird das Geld allgemein, schließlich dominierend und verleiht der Besitz dieses Geldes zugleich Macht, vor allem durch die Verfügung über fremde Arbeitskraft.

III. Was ist Geld und was ist der Preis von Waren?

Geld ist für Bockelmann ausschließlich das moderne entmaterialisierte oder „idealisierte Geld“ , wie es heute dominiert: „Geld tritt … auf, indem sich die Tauschmittel, die bisher in Dingen bestehen, in eines wandeln, das nicht in ihnen besteht.“ (S. 196) Er bezeichnet Geld als das „reine Tauschmittel“, dass durch nichts „gedeckt“ sei, weder durch den Wert, den es selbst hat, noch durch den Wert der Waren allgemein. Bockelmann definiert also – ausgehend vom heutigen Kreditgeld – Geld als „reines Tauschmittel“. Es gibt für ihn zwar eine Genesis der Tauschmittel, aber keine Genesis des Geldes.

Weiter schreibt er:

Geld ist niemals gedeckt. Es gibt keine Ware, in der sich das Geld je abschließend als Wert realisieren würde und in der es seinen Wert in diesem Sinne ‚hätte‘. […] Es gibt weder eine einzelne Ware, und wäre es Gold, noch gibt es eine Menge verschiedener solcher Waren, einen Warenkorb also, in welchem der Wert von Geld real bestehen könnte.“ (S. 257)

Man staunt, denn Geld gibt es danach eigentlich erst seit der Aufkündigung des Bretton Woods Abkommens 1973 durch die USA. Bis dahin spielte die Golddeckung der nationalen Währungen über Jahrzehnte eine große Rolle. Das Gold bestimmte den Wert des Geldes und die Geldware Gold war eine Schranke für die Menge des in die Zirkulation geworfenen (Papier-)Geldes.

Wenn Bockelmann rückblickend schreibt, dass die edlen Metalle nur ein Ersatz für Geld gewesen seien (S. 258), dann unterstellt er, dass es zuerst das „reine Tauschmittel“ gegeben habe. Man kann ja immer nur etwas ersetzen, was schon da ist. Wenn hier eine Sache durch eine andere ersetzt wurde, dann das Geld aus dem Material der edlen Metalle, letztlich des Goldes, durch das entmaterialisierte, „idealisierte“ Kreditgeld.

Exkurs zur Entwicklung des Geldes

Die Tauschmittel, die es im Laufe der Geschichte gab, entwickelten sich aus den Tauschgegenständen. Sobald sich ein Tauschmittel als allgemein anerkanntes und genutztes herausgebildet hatte, war das Geld geboren. Das Geld repräsentiert das Gemeinsame, das die unterschiedlichen Tauschgegenstände verbindet und sie vergleichbar macht: menschliche Arbeit schlechthin oder allgemein menschliche Arbeit.

Um als Geld zu funktionieren, muss das Tauschmittel selbst nicht nur allgemein Arbeit repräsentieren – gleichgültig ob und wie viel Arbeitszeit seine Erzeugung selbst gekostet hat –, sondern es muss in jedem einzelnen Tauschakt eine bestimmte Menge Arbeitszeit/Wert repräsentieren. Ohne diese Repräsentanz einer bestimmten Menge Arbeitszeit/Wert wäre kein Tausch von Äquivalenten möglich. Ohne diesen Äquivalententausch wäre die materielle Reproduktion einer Gesellschaft, die ihre Produktions- und Lebensmittel arbeitsteilig erzeugt und tauscht, nachhaltig gestört oder unmöglich. Starke Inflation, die die Preise steigen lässt und das Geld entwertet, ist eine der auffälligsten und bedrohlichsten Formen solcher Störung in der materiellen Reproduktion der Gesellschaft unter Bedingungen des Warenaustauschs. Solche Inflationen begleiten die „Geldwirtschaft“ schon seit dem Altertum, seit es Geld in Form metallischer Münzen gibt. 1 Es gab sie also bereits lange bevor die Warenproduktion unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen allgemein wurde.

Das Geld entwickelte sich zwar mit dem Warenaustausch, entsprang dem Bedürfnis nach einem allgemeinen Tauschmittel, wurde aber immer von denen in Umlauf gebracht, die die politische Macht hatten. Über Jahrhunderte hatten sie das Münzrecht, also das Recht, Münzen zu prägen und in Umlauf zu bringen. Die großen Inflationen der vorkapitalistischen Zeit entsprangen immer der Manipulation an den metallischen Münzen. Sei es, dass hochwertiges Geldmaterial (Gold, Silber) durch minderwertiges ersetzt wurde (Kupfer), sei es, dass das Metallgewicht der Münzen reduziert wurde. Diese Manipulationen – angetrieben durch ausufernden Hofstaat oder Kriege – sorgten immer dafür, dass eine unverhältnismäßig große Masse an minderwertigen Münzen in Umlauf kam, hochwertiges Geld verdrängt wurde und die Preise der Waren stiegen.

Wenn heute Notenbanken eine Politik des „billigen Geldes“ verfolgen, dann ist das prinzipiell der gleiche Vorgang, den man aus der Geschichte der metallischen Zirkulation kennt. Es entsteht ein Überfluss an Geld zu einem bestimmten Nennwert im Verhältnis zu den erzeugten Waren mit einem bestimmten Marktwert. Würde die von den Notenbanken in Umlauf gebrachte vermehrte Geldmenge direkt in die allgemeine Warenzirkulation gelangen, dann hätten wir heute schon eine deftige Inflation. Da dieses Geld aber vorrangig für Schatzbildung genutzt wird, treibt es nur die Preise besonderer Waren in die Höhe – vor allem Wertpapiere, speziell Aktien, und Gold. Die Entwertung des Geldes bleibt aber unvermeidlich. Sie wird sich früher oder später Bahn brechen in einer gigantischen Entwertung des in Form von Aktien und anderen Wertpapieren akkumulierten Geldes.

Das billige, selbst wertlose Kreditgeld unserer Tage ist auch eine kapitalistische „Errungenschaft“. Es hat die Akkumulation von „wirklichem Kapital“ (Marx) – und mit ihr die Warenzirkulation – durch Vorgriff auf künftige Wertproduktion beflügelt. Die Vermehrung dieses Geldes produziert aber nur dann keine Inflation, wenn der Mehrung des Geldes tatsächlich vermehrte Warenproduktion folgt. Eine Mehrung des Geldes in allgemeiner Warenproduktion muss immer durch eine Ausdehnung der Warenproduktion „gedeckt“ werden. Folgt diese Ausdehnung der Warenproduktion nicht, ist die Entwertung des Geldes, also der Verlust von Kaufkraft unvermeidlich. Egal, welche Formen der Prozess dieser Entwertung annehmen mag.

Die Aufhebung des Goldstandards und eine von der Golddeckung entkoppelte Vermehrung des Kreditgeldes waren ein Treibsatz für Inflation, wie sich speziell nach dem ersten Weltkrieg in Deutschland studieren lässt. Aber die Gefahr der Inflation, die immer dann wächst, wenn Geld weder durch eine Geldware wie Gold, noch durch Wachstum der Warenproduktion gedeckt ist, wird von Bockelmann eh nur am Rande erwähnt.

Für Bockelmann haben grundsätzlich weder Waren noch Geld einen Wert und das selbst wertlose, entmaterialisierte Geld repräsentiert auch keinen Wert. Es weist lediglich den Waren Wert zu. Mit dem Geld sehen wir Wert in die Waren hinein! (S. 252) Den einzigen Wert, den der Autor kennt und gelten lässt, ist der Preis. Über den Wert der Waren heißt es da: „Ihr Preis ist ihr Wert.“ (S. 250) Und weiter:

„Den Preis, den eine Ware nur hat, sofern sie ihn erzielt, kann sich bloß nominell an die Ware heften, er kann keinesfalls substanziell und real in ihr gründen.“ (S. 248) Tatsächlich haben Waren einen Preis, bevor sie ihn erzielen. Dinge des alltäglichen Gebrauchs sind überall damit gekennzeichnet, bevor sie verkauft werden und der Preis realisiert ist. Der Preis ist zunächst nur eine vorgestellte – genauer: errechnete – Geldsumme, die die Warenproduzent:innen und -anbieter:innen beim Verkauf einlösen wollen oder müssen, um auch weiter als Warenproduzent:in und -anbieter:in existieren zu können.

Man kann diesen Preis tatsächlich errechnen. Er wird nicht „hineingesehen“! Das liegt ganz einfach daran, dass die Herstellung der Ware selbst Geld gekostet hat, und in diesen Kosten der Preis der Ware „real gründet“.

Die Preiskalkulation der kapitalistischen Unternehmen basiert auf der Berechnung von „Herstellungskosten“ und „Selbstkosten“ (Herstellungskosten plus Gemeinkosten). Und die Herstellung der Waren hat nicht nur Geld, sondern auch Arbeitszeit gekostet. Soweit der Preis kostendeckend ist, beruht er rein auf Multiplikation und Addition, also auf Berechnung tatsächlich entstandener und nicht etwa hinein gesehener Kosten bei der Herstellung der Waren. Die Ware hat neben ihrem Gebrauchswert damit auch einen Tauschwert. Dass die Herstellung von Waren Geld kostet, weiß auch der Autor, hält sich dabei aber nicht lange auf. Nur ganz nebenbei erwähnt er auch die Kosten für „Angestellte und Hilfskräfte“ (S. 265). Gerade die sollte man sich aber genauer anschauen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass die kapitalistischen Unternehmen nicht die „Angestellten und Hilfskräfte“ kaufen, sondern deren Arbeitskraft auf Zeit mieten, um über sie verfügen zu können. Die Arbeitskraft hat einen Preis (ob als Stundenlohn oder als Monatslohn) und bei der Preiskalkulation der Waren speziell in der industriellen Produktion werden die unterschiedlichen Stundenlöhne der mit der Erzeugung der Waren beschäftigten Lohnarbeiter:innen mit den Stunden multipliziert, die sie mit der Produktion einer Ware beschäftigt sind, und dann aufaddiert. So errechnet man eine Geldsumme, die dann in die Preiskalkulation eingeht. Dieser „Wert“ ist den Waren keineswegs äußerlich, wird nicht in sie „hineingesehen“.

Die Dauer der Arbeit, die Arbeitszeit spielt also eine bedeutende Rolle für den Preis der Waren, der Bockelmann folgend ihr Wert ist. Und, indem hier ganz unterschiedliche Arbeiten, ausgeführt mit unterschiedlichen Qualifikationen, einfach zusammengezählt werden, findet schon auf dieser Ebene der Produktion besonderer Waren unter Kommando eines Einzelkapitals eine Abstraktion statt. Sie schlägt sich nieder in der aufsummierten Arbeitszeit und den aufsummierten Preisen für die unterschiedliche Ware Arbeitskraft.

Die Bedeutung, die die Arbeitszeit für die Herstellungskosten der Waren hat, die zur Grundlage der Preiskalkulation werden, erschließt sich aber erst dann vollständig, wenn wir uns daran erinnern, dass überhaupt nur die Natur und die Arbeit die produktiven Kräfte sind, die das erzeugen, was wir zum Leben brauchen. Wenn man vom Endprodukt der fertigen Waren aus rückwärts geht und die Produktion aller nötigen Vorprodukte, Maschinen, Arbeitswerkzeuge bis zu ihren Ursprüngen zurück verfolgt, dann bleibt eben nichts als Natur und Arbeit. Die Natur verleiht ihren Produkten weder Wert noch Preis. Das leistet allein die menschliche Arbeit in einer speziellen sozialen Form, als unabhängig voneinander verausgabte Privatarbeit und als Lohnarbeit.

Welche Bedeutung Arbeit und Arbeitszeit für die Preise von Waren haben, erschließt sich darüber hinaus jedem sofort, der sich mit dem Einfluss beschäftigt, den die Arbeitsproduktivität auf die Preisentwicklung der Waren hat. Von Arbeitsproduktivität ist aber beim Autor überhaupt nicht die Rede, sie kommt bei ihm praktisch nicht vor, geschweige denn, dass er den angesprochenen Zusammenhang zwischen Arbeitsproduktivität und Warenpreisen untersuchen würde. Jede Geld- und Werttheorie, die diesen Zusammenhang ausblendet, ist das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben ist.

IV. Die Vermehrung des Geldes und wodurch sie „gedeckt“ sein muss

Auch Eske Bockelmann ist bekannt, dass es in kapitalistischer Produktion nicht nur um Kostendeckung geht, sondern vor allem um Gewinn. Aus Geld muss mehr Geld werden. „Doch das Geld fordert noch mehr: es erfordert immer mehr von sich.“ (S.263) Für den Autor ist das überhaupt keine Frage von Produktions- und Klassenverhältnissen, sondern eine Sache des Geldes selbst, das immer mehr von sich fordert. Er meint:

Für jeden Geldeigentümer, für jedes Geldsubjekt gilt das Wertgesetz: Nur wenn ihm Waren mehr an Geld einbringen, als an Wert für sie aufzuwenden war, ergibt sich ein Geldgewinn und hat sich ihm Geld dadurch als Geld bewährt. So und nur so bestimmt sich die Wertgröße von Waren – denn so und nur so wird über die Wertgröße von Waren entschieden.“ (S. 264)

Wäre das wahr, dann müsste das auch für Lohnarbeiter:innen gelten, die ihre Arbeitskraft verkaufen. Auch sie sind „Geldsubjekte“, müssen zu „Geldeigentümern“ werden, um sich unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen reproduzieren zu können. Bringt ihnen der Verkauf ihrer Arbeitskraft aber einen „Geldgewinn“ ein, der über den Reproduktionskosten ihrer Ware Arbeitskraft liegt? Nein, ihr Geld bewährt sich allein dadurch, dass sie damit die „Konsumgüter“ kaufen können, die sie zum Leben brauchen. Mehr kommt dabei im Durchschnitt nicht heraus. Die Notwendigkeit und Möglichkeit des „Geldgewinns“ – das spezifische Bockelmann’sche „Wertgesetz“ – existiert allein für die kapitalistischen Warenproduzent:innen oder für das Kapital, das sich selbst verwerten muss.

Und was hat es nun mit der Geldvermehrung in der Warenproduktion allgemein auf sich? Bockelmann schreibt dazu:

Die Option, Geld einfach zu vermehren […] besteht nicht. Natürlich lässt sich gerade Geld, ein Quantum nichts, ohne weiteres zu einem größeren solchen Quantum aufstocken. […] Doch dies kann nicht jene Vermehrung leisten, zu der das Geld gezwungen ist: Es muss zu mehr Wert werden, d.h. es muss sich in eine entsprechend wachsende Menge Waren tauschen lassen. […] Die Ausweitung der Geldmenge allein ergibt kein Mehr an Wert, wie es das Geld benötigt, sondern würde seinen Wert im Gegenteil nur mindern.“ (S. 276)

Ach was! Möchte man mit Loriot ausrufen! Offenbar muss es da ein Mehr an Waren geben, damit dieses Mehr an Geld nun doch „gedeckt“ ist. Hier dementiert Bockelmann seine eigene Geldtheorie. Der Autor wurde ja nicht müde folgendes zu betonen:

Geld kann nicht in Gold und in nichts sonst bestehen und kann nicht durch irgendetwas gedeckt sein. Damit es besteht, damit es sich erhält und also seinen Wert ‚behält‘, muss es sich jeweils wieder als Wert bewähren. Allein darin, wie es dies tut, besteht sein Wert.“ (S. 259)

Die Bewährung als Wert aber – so wissen wir jetzt – gelingt nur dann, wenn einer bestimmten Geldmenge eine bestimmte Menge an Waren gegenübersteht, die mit dem Geld gekauft werden kann. Das kann man auch so ausdrücken, dass das Geld „gedeckt“ sein muss. Wenn es das nicht ist, dann ist es in der Tat ein „Nichts“ und kein Geld!

Ergänzend sei noch erwähnt: Damit der Tausch auf gesellschaftlicher Stufenleiter funktioniert, reicht es nicht aus, dass einer bestimmten Geldmenge eine bestimmte Warenmenge gegenübersteht, durch die das Geld gedeckt ist. Es muss in der Vielzahl der Tauschaktionen Geld gegen Ware und Ware gegen Geld eine Wertäquivalenz hergestellt werden zwischen dem Geld insgesamt und den Waren insgesamt. Inwieweit das mit dem Äquivalententausch klappt, hängt nicht zuletzt von der Kaufkraft des Geldes ab, die den Wert des Geldes mit dem der Waren ins Verhältnis bringt. Inflation und Deflation zeigen jeweils, dass der Tausch von Wertäquivalenten gestört ist – mit mehr oder weniger drastischen Auswirkungen auf die materielle Reproduktion in einer Waren produzierenden Gesellschaft. Dies gilt unabhängig davon, ob das Geld selbst durch Arbeit geschaffenen Wert hat („Materialwert“) oder nur als Zeichen Wert repräsentiert. In jedem Fall muss eine Wertäquivalenz zwischen Geld und Waren in der Vielzahl der Tauschakte hergestellt werden, soll es nicht zu Störungen in der materiellen Reproduktion der Gesellschaft kommen; sei es durch Disproportionalität in der Verteilung der Arbeit (Strukturkrisen), sei es durch Inflation. Wie diese Wertäquivalenz sich durchsetzt, das unterschiedet die metallische Zirkulation von der „reflektierteren“ Art und Weise durch das von Notenbanken in Umlauf gebrachte Kreditgeld.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Bockelmann löst – wie alle bürgerlichen Ökonomen – den realen Zusammenhang zwischen Geld und Ware auf – Geld als verselbständigter Tauschwert der Waren – und stellt das Geld der realen Warenproduktion als äußerliches Tauschmittel gegenüber. Seine Geldtheorie ist durch und durch idealistisch und dementiert sich obendrein selbst, wenn er darauf verweist, dass eine Mehrung des Geldes auf eine entsprechend „wachsende Menge Waren“ treffen muss. Wenn es keinen vermehrten Wert in Form von mehr Geld ohne vermehrte Waren gibt, dann ist das ein Dementi der These, dass Geld durch nichts gedeckt sein müsse.

 

Korrigendum (27.8.2021): In einer ersten Version wurde Bockelmann als Anhänger der MMT bezeichnet, das ist falsch und wurde korrigiert.

 

Robert Schlosser lebt in Bochum. Er arbeitete viele Jahre – immer wieder unterbrochen durch Pleiten und Arbeitslosigkeit – als Angelernter, Maschinenschlosser und Technischer Redakteur in verschiedenen Industriebetrieben (Stahlwerk, Autofabrik, Flanschenfabrik, Maschinenbaubetrieb, Anlagenbau) und ist heute Rentner. Politische Stellungnahmen und theoretische Artikel finden Interessierte auf seiner Homepage: www.rs002.de/Soziale_Emanzipation/Start.htm

  • 1. Richard Gaettens hat die großen Inflationen in seinem Buch „Geschichte der Inflationen – Vom Altertum bis zur Gegenwart“ (Ernst Battenberg Verlag 1982) eindrücklich beschrieben. Das beginnt schon mit dem Zusammenbruch des römischen Münzwesens im 3. Jahrhundert. Das 15. Jahrhundert ist die Zeit der „Schinderlinge“, das 17. die der „Kipper und Wipper“ usw. Das Buch endet mit der deutschen Inflation von 1936 bis 1948. Wer sich etwas mit Geldtheorie beschäftigt hat, dem dürfte sofort das Gemeinsame all dieser Inflationen deutlich werden – trotz der gewaltigen Unterschiede zwischen der metallischen Münze, die über Jahrhunderte das „Geldwesen“ prägte und dem modernen Kreditgeld.