Die Krise der Automobilindustrie und die ökosozialistische Produktionskonversion
Amici della Conricerca: Matthias, Du arbeitest bei VW in Chemnitz. Führe uns doch zunächst mal ein in das Chemnitzer Werk. Was wird produziert? Wie viele Menschen arbeiten dort? Welche Stellung nimmt der Standort im VW-Konzern-Netzwerk ein?
Chemnitz ist mit ungefähr 1.850 Mitarbeitern aktuell ein vergleichsweise kleiner Standort. Wir sind gleichzeitig einer der effizientesten Standorte im Konzern. Im Vergleich mit anderen Standorten im Fahrzeugbau haben wir eine wahnsinnig hohe Rendite von knapp 17 Prozent. Bei Gesprächen zu Standortschließungen werden wir also erstmal rausgelassen, da wir den Job soweit ganz gut erledigen, zumindest aus kapitalistischer Sicht.
Wir bauen normale Verbrennungsmotoren, also reine Benzinmotoren. Wir bauen auch ein paar Komponenten, die zum Motor gehören, wie Kurbelwellen und Nockenwellen. Und wir machen relativ viel selbst am Standort, also von den einzelnen Komponenten bis zum fertigen Motor.
Aktuell gehören wir noch zur VW Sachsen GmbH, was bedeutet, dass wir ausgesondert sind. Ab 2027 sind wir dann, mit dem Überleitungstarifvertrag, Teil der VW AG. Gott sei Dank endlich! Wir übernehmen den Haustarifvertrag der VW AG. Das heißt, dass das Gefälle, was man gerade noch zwischen VW Sachsen und der VW AG hat, dann erstmal weg ist, und dass eine Gleichheit zwischen Ost und West besteht, was bisher nicht der Fall war.
communaut: Bevor wir tiefer in das Thema der VW-Krise einsteigen, würde uns die Stellung der IG Metall im Motorenwerk interessieren?
Das ist sehr VW-typisch. Ich führe das mal ein bisschen aus. Wir haben einen gewerkschaftlichen Organisationsgrad von über 90 Prozent. Also die Mitgliederzahlen stimmen auf alle Fälle. Man merkt aber trotzdem in den letzten Jahren, was gesellschaftlich abgeht. Die IG Metall wird immer häufiger kritisch betrachtet wird und vielen Mitarbeitern fehlt so ein bisschen der Draht zur Eigenbeteiligung. Es wird sich immer viel auf Ehrenamtliche oder Hauptamtliche verlassen. Die sollen den Laden schaukeln. Das ist jetzt aber nicht nur bei uns so, das gibt es in anderen Buden genauso. Wir versuchen das gerade zu ändern und haben zuletzt viele jüngere Vertrauensleute, so im Alter zwischen Ende 20 und Anfang 30, gefunden. Das bringt einen neuen Drive. Aber wenn du jetzt sagst, wir starten von heute auf morgen eine Revolution, dann wird die wahrscheinlich schlecht für uns ausgehen (lachend).
Du hattest bereits erwähnt, dass in Chemnitz vor allem Teile für Verbrenner-Autos produziert werden. Ab 2035 kommt aber das Verkaufsverbot für Verbrennungsmotoren. Wie wirkt sich das auf die Stimmung der Belegschaft aus? Wie blicken die Kolleg:innen in die Zukunft?
Das ist eine interessante Sache. Grundsätzlich würde man denken, als reines Motorenwerk bist du ja völlig darauf ausgelegt. Achsen oder so kannst du auch in ein E-Auto reinknallen, aber bei einem Verbrennungsmotor ist das halt doof (lachend). Vor ein, zwei Jahren war die Sorge da noch richtig groß. Da hatte unsere IG Metall-Betriebsratsfraktion Türklinken geputzt, auch bei den Vorstandsetagen: „Hey, wir brauchen Zukunftsprodukte. Wir müssen den Standort sichern.“ Die Belegschaft hat eigene Ideen miteingebracht. Wir haben dafür die Betriebsversammlungen genutzt. Also der Wille zur Veränderung und der Drang zum Erhalt ist auf alle Fälle da. Klar, es ist nur ein Arbeitsplatz, es ist aber auch ein Stück Heimatgefühl. Das ist jetzt doof ausgedrückt, aber viele Kollegen haben das natürlich, wenn du ein Leben lang hier arbeitest. Es gibt aber auch Kollegen, die sagen: „Was ist das denn für ein Scheiß!? Wir haben schon immer Verbrenner gebaut. Das funktioniert doch eh nicht mit den E-Autos. Lass uns weiter Verbrenner bauen.“ Diese Stimmen gibt es. Sie machen jetzt aber nicht einen Großteil der Belegschaft aus.
Das Management ließ verlauten, dass man vielleicht Komponenten für E-Fahrzeuge mit bauen könnte. Was genau, wurde noch nicht konkretisiert. Es geht wohl darum, dass man Komponenten weiter herstellt, ohne dass die Verbrennungsmotoren mit vom Band laufen. Zukunft ja, aber es gibt noch keine Konkretisierung oder sonst irgendwas, wie das jetzt zum Beispiel in Braunschweig oder Salzgitter ist, die schon die Batteriezellenfertigung haben, oder eben in Zwickau, wo sie komplett auf E-Mobilität umgerüstet wurden. Das ist bei uns noch lange nicht so. Bis jetzt ist die Produktion mit Verbrennungsmotoren immer ausgelastet und es wird sich, denke ich mal, bis 2030 oder 2035 nicht groß ändern.
Würdest du sagen, dass heute schon Maschinen und das Wissen der Beschäftigten für die Umstellung auf Komponenten da sind? Was müsste noch dafür getan werden, dass andere Zukunftsprodukte gebaut werden können?
Wir sind völlig ausgerichtet auf die Herstellung von Verbrennungsmotoren. Da müsste man sich komplett neu orientieren, Maschinen neu anschaffen, mit allem Drum und Dran. Was das angeht, müsste man halt den Laden noch mal ein bisschen umkrempeln. Und natürlich besteht auch Schulungsbedarf für Mitarbeiter. Die Montage im Allgemeinen, die ist relativ flexibel. Also die kann von Motoren-Typ zu Motoren-Typ umgebaut werden. Das dauert ein bisschen, aber was die Montage betrifft, ist es eigentlich relativ entspannt. Die ist eben auch so konzipiert und aufgebaut, dass man sie auf viele ähnliche Produkte in kurzer Zeit umrüsten kann. Aber neben der Montage gibt es eben auch den eigentlichen Fertigungsprozess.
Wir kommen auf das Thema noch mal zurück. Wie ist denn deine Sicht auf die “Krise” bei VW? Wo siehst du die Probleme im Konzern?
Es fing im September an, als die Tarifverträge gekündigt wurden. Da wurde unter anderem in die Beschäftigungssicherung eingegriffen, obwohl alle davon ausgegangen waren, dass es eine normale Entgelttarifrunde wird. Dass dann solche Karten gezogen wurden, war erstmal ein Schock für alle. Bei VW verlässt man sich immer auf die andere Seite: „Wir sind ja Sozialpartner…blabla.“ Dass das eben nicht so ist, das wird in solchen Situationen dann immer deutlich.
Der Konzern macht Planungsrunden, wo er sich ausrechnet, wie viele Verbrenner und E-Fahrzeuge er im nächsten Geschäftsjahr herstellen will, damit man die Fahrweisen und die Ausrüstung der Werke planen kann. Da wurde mit deutlich mehr Fahrzeugen gerechnet als letztendlich hergestellt oder vom Markt abgenommen werden konnten. Und die so ausgerechnete Gewinnspanne ist dann natürlich geschrumpft. Also es ist jetzt nicht so, dass VW rote Zahlen geschrieben hat oder dass es dem Konzern im Allgemeinen schlecht geht. Das ist ja nicht der Fall. Der errechnete Gewinn, der am Ende rauskommen sollte, ist halt kleiner geworden. Das Management hat dann die Karte gezogen: „Okay, wir müssen Werke schließen, wir müssen Beschäftigung abbauen. Wir stellen jetzt unsere kompletten Grundsätze unserer Zusammenarbeit mit der Belegschaft überhaupt infrage.“
Eigentlich würde ich es gar nicht als Krise bezeichnen, weil eine Krise ist für mich, wenn ein Unternehmen vor der Insolvenz steht: wenn es Probleme und Schwierigkeiten hat, überhaupt zu überleben. Davon kann man weder von der Marke noch vom Konzern sprechen. Selbst wenn ich eine Marke im Konzern habe, der es schlecht geht, die aber ein Grundbestandteil davon ist, dann bin ich mir auch mit meinem Laienwissen ziemlich sicher, dass dort irgendwo Gelder aufgetrieben werden können, um solche Sachen anders und besser zu lösen als die Kollegen rauszuhauen, die letztendlich für Reichtum und Wohlstand der Bourgeoisie verantwortlich sind.
Man muss auch nur mal auf die Kennzahlen schauen. Was ja eigentlich gespart werden sollte, waren ein paar Milliarden, aber die Rücklagen sind Hunderte von Milliarden. Da werde ich schon stutzig. Wenn man sich da ein bisschen reinfuchst, dann wird die Perversität dessen einfach klar und es wird auch klar, was das eigentlich für eine Verarsche mit den Beschäftigten ist.
Es scheint ja so, als wäre es dem VW-Management mit dem Krisen-Diskurs um eine Einschüchterung der Gewerkschaft gegangen?
Definitiv! Wenn ich eine einfache Forderung wie sieben Prozent mehr Entgelt habe und dann kommen die mit sowas um die Ecke, dann verschieben sich die Prioritäten auf Arbeitnehmerseite auch wahnsinnig schnell. Der Unterschied von “Ich-will-mehr-Kohle” zu “Wir-müssen-Arbeitsplätze-sichern” ist enorm. Politisch gesehen war es ein Machtkampf, der ja auch gerade bei anderen Firmen mitläuft. Man sieht das bei Ford und bei Tesla, wo das schon eine Weile länger läuft. Auch ZF und Thyssenkrupp haben Stellenabbau angekündigt. Also es ist schon ein Machtspiel, was da gefahren wurde.
Am Ende dieses Machtkampfes stand dann ein Tarifabschluss, dem bundesweite Warnstreiks und Protestaktionen vorausgingen. Wie beurteilst du diesen?
Ein Tarifabschluss ist, ein besseres Wort dafür fällt mir nicht ein, ein Kompromiss. Und wenn in der Verhandlung vor ein paar Stunden noch vier Werke zur Disposition standen, wo 10.000 Arbeitsplätze dranhängen, und am Ende kommt raus, alle Werke können sicher bleiben und kriegen Zukunftsprodukte, dann ist das erstmal ein gutes Signal, denn so können die Leute ihren Arbeitsplatz behalten. Du hast eine Region gesichert. Du hast Familien gesichert. Du hast erstmal wieder ein bisschen Stabilität reingebracht. Und du hast eine neue Beschäftigungssicherung bis 2030, die auch vorher nicht gekündigt werden kann. Also da muss man schon sagen, es ist schon besser ausgehandelt als vorher, geht ein Jahr länger und es kann jetzt kein Mist getrieben werden auf Arbeitgeberseite, die einfach sagt, wir kündigen das Ding nächstes Jahr wieder. Das funktioniert so einfach nicht.
Ich finde auch, dass man das mit dem Zukunftsfonds machen kann. Ich frage mich nur, ob die paar Prozente von der Entgelterhöhung der Belegschaft wirklich die Töpfe füllen werden.1
Ganz bitter ist aber die Reduzierung der Ausbildungsplätze.
Grundsätzlich möchte ich nicht sagen, dass der Abschluss schlecht ist. Wir haben Stärke gezeigt. Wir haben auch unsere Macht gezeigt. Gäbe es keine IG Metall, dann hätten wir keine Warnstreiks gefahren, wären die Beschäftigten nicht auf die Straße gegangen, dann sähe es jetzt anders aus. Aber es ist auch kein Tarifabschluss, wo man jetzt sagt: „Das ist super. Da klatschten jetzt alle in die Hände.“
Wie kam der Tarifabschluss in der Belegschaft an? Gab es da Unterschiede?
Also bei den Auszubildenden ist er erstmal positiv aufgenommen worden, da diese, als einzige Belegschaftsgruppe, eine Erhöhung bekommen. Die Vergütungen steigen ab März 2025 um 140 Euro. Das ist auf alle Fälle schon mal ein gutes Signal. Die, die am wenigsten haben, bekommen nochmal ein bisschen was drauf. Was natürlich bitter ist, ist der Abbau der Ausbildungsplätze. Die Mitarbeiter, die aktuell an Bord sind, betrifft das natürlich nicht.
Ansonsten ist die Wahrnehmung in der Belegschaft gemischt. Die einen sagen: „Das ist super. Wir können die Arbeitsplätze behalten und die Werke bleiben erstmal. Der Zukunftsfond ist eingerichtet. Wir müssen nicht auf Entgelt verzichten. Die Haltelinien konnten wir definitiv einhalten.“ Es gibt aber auch Leute, die sagen: „Es ist eine absolute Katastrophe. Wie konnten wir uns das gefallen lassen? Der Fond, der bringt doch eh nichts. Die Werke hätten sie sowieso aufgelassen. Was soll das jetzt hier?“ Das Diskussionspotenzial ist da. Die Diskussionen werden wir führen müssen. Aber durchweg ist erstmal eine gewisse Erleichterung da. Und es ist jetzt nicht so, dass alle sagen: „Es ist Scheiße.“
Ein paar Sachen sind mir noch unklar. Also nehmen wir mal diese 35.000 Jobs, die abgebaut werden sollen. Da weiß man ja auch nicht so richtig, wo die herkommen sollen, wenn es doch Beschäftigungssicherung gibt?
Die Beschäftigungssicherung bezieht sich darauf, dass keine betriebsbedingten Kündigungen möglich sind. Also VW kann jetzt nicht sagen: „Wir brauchen die Leute nicht und entlassen hier jetzt mal 1000 Leute.” Was aber geht, ist, dass gewisse Stellen einfach nicht nachbesetzt werden. Das betrifft vor allem die indirekten Bereiche. Du hast Büroflächen, die schon jetzt unterbesetzt sind mit Leuten. Wenn in der IT jemand in Altersteilzeit oder in Rente geht, dann wird die Stelle nicht nachbesetzt. Mit dieser Nichtnachbesetzung sollen 35.000 Arbeitsplätze eingespart werden. Die Arbeit bleibt natürlich trotzdem und muss gemacht werden.
Wir haben nun schon mehrmals über den langfristigen Stellenabbau in der Region Südwestsachsen, also Chemnitz und Zwickau, gesprochen. Auch wenn an deinem Standort die Krise nicht so durchschlägt, aus Zwickau gab es zuletzt verunsichernde Nachrichten, nachdem mehrere Modelle aus dem Werk abgezogen wurden.2 Was würde ein Abbau der Autoindustrie politisch für die Region Südwestsachsen bedeuten?
Die Region ist wahnsinnig automobilastig. Du hast haufenweise Zuliefererbuden. Du hast die OEMs3 mit dabei. Das Motorenwerk ist beispielsweise in Chemnitz der größte Arbeitgeber. Ein Haufen Zuliefererbuden hängen noch mit dran. Was die Logistik angeht, die Instandhaltung und so weiter und sofort, da haben wir viele Werkverträge bei uns mit drin. Es hängen in ganz Chemnitz knapp 8.000 Arbeitsplätze an dem Werk. Wenn die Stellen nicht nachbesetzt werden, wird das zum Problem. Es kommen ja wieder Leute nach, die irgendwo einen Ausbildungsplatz oder Arbeit finden müssen.
Es brechen nicht nur Arbeitsplätze im Allgemeinen weg, sondern qualitativ hochwertige Arbeitsplätze, die eben durch Mitbestimmung geprägt sind. Wo du sagen kannst: „Hier kriege ich ein Entgelt für die Arbeit, wo ich eben auch was mit anfangen kann und dümpel halt nicht mit 2.000 Euro brutto irgendwo rum und muss mir jeden Monat Gedanken machen, wie ich mit einer 40-Stunden-Woche überleben kann.“ Viele sagen auch: „Es macht Sinn, dass ich in der Region bleibe. Ich habe einen Arbeitsplatz, der mir gefällt. “ Wenn die Jobs in der Fahrzeugfertigung aber irgendwann nicht mehr sind, dann werden die Zulieferer genauso anfangen, Arbeitsplätze abzubauen, weil die Massen einfach zurückgehen und nicht mehr gebraucht werden. Die Region ist ja sowieso schon dünn, was die Infrastruktur angeht.
Und wenn man politisch mal drauf schaut… Es wird ja auch nicht gefragt: „Woran liegt denn das überhaupt?“ Und dann geantwortet: „Na ja, Scheiß Kapitalismus.“ Sondern populistische Parteien wie AfD und Co nutzen sowas dann natürlich für sich und der Rechtsruck, den man hier ja schon ein bisschen stärker hat als in den westlichen Bundesländern, geht weiter. Also es ist pures Gift. Was die Region eigentlich am wenigsten gebrauchen kann.
Hast du das Gefühl, dass die Rechte, also die AfD und ihre Betriebsorganisation Zentrum, im Motorenwerk die Krise schon nutzen können?
Die sind seit der Betriebsratswahl vor zwei Jahren mit ihrer Liste unterwegs. Ich bin da mal ganz ehrlich, um mit Hand und Fuß und einer Strategie zu arbeiten, dafür sind sie aktuell zu doof. Ich will jetzt niemanden unterschätzen, aber das, was die Rechten mit ihrer Betriebsratsliste seit zwei Jahren abliefern, kann man das dann relativ gut einfangen (lachend).
Aber klar, da hast du den Redebeitrag bei der Betriebsversammlung: „Scheiß Politik, Scheiß Regierung. E-Autos, das macht doch keinen Sinn. Wir können Verbrenner bauen, lasst uns das einfach weitermachen.“ Also diese Töne und die Stimmung, die fruchtet zwar nicht bei allen, aber bei vielen macht das was, wenn jemand so was reinrülpst. Man muss halt nicht viel darüber nachdenken. Das ist halt erstmal eine einfache Antwort auf eine wahnsinnig komplizierte Frage und das zieht natürlich. Dass es viel komplizierter ist, einen sinnvollen Lösungsweg zu zeigen und dass der Weg zurück zum Verbrenner nicht stattfinden wird, daran müssen viele eben auch noch kauen und das erstmal für sich begreifen und verstehen. Die Tarifrunde haben sie auch genutzt, um gegen die IG Metall Stimmung zu machen: „Ihr sitzt noch mit in den Aufsichtsräten! Ihr habt doch den Umstieg auf E-Mobilität mitbeschlossen.“ Das wird eins a populistisch genutzt.
Es verwirrt und spaltet halt auch wahnsinnig in der Belegschaft. Das kriegt man schon mit. Es ist jetzt kein kleines Licht, wo man sagt, das kriegt man morgen weggebügelt, sondern es ist schon eine Menge Arbeit, die da dranhängt.
Hast du den Eindruck, dass sich die AfD-Leute im Betrieb noch weiter professionalisieren könnten? Durch eine Vertiefung der Verbindungen von Partei und Gewerkschaft beispielsweise?
Auf alle Fälle. In Zwickau sind die Rechten im Betriebsrat deutlich besser vernetzt und besser organisiert. Wir merken in Chemnitz erste Ansätze davon, dass sie Hilfe von außen bekommen. Die haben neulich hier einen JAVler4 verklagt. Da merkst du schon, da kommst du alleine nicht drauf.
Mit ihrer Störerei erreichen sie hier auf alle Fälle viele Kollegen. Es braucht nicht viel Arbeit und du kriegst viele Leute damit rüber gezogen. Aber es sieht für mich nicht so aus, dass dahinter beispielsweise ein Schulungskonzept steht oder irgendjemand sich hier was aufbauen will. Also ich will die Situation nicht schönreden oder runterspielen, das ist sie definitiv nicht. Sie ist brandgefährlich nach wie vor. Aber ich glaube jetzt nicht, dass hier ein Bundeskader von Zentrum oder der AfD dahintersteht und die Leute angeleitet werden, das kann ich mir nicht vorstellen, und wenn es so ist, dann machen sie einen schlechten Job.
Lass uns nochmal zum Thema Konversion zurückkommen. Du hast ja vorhin schon berichtet, dass es bei euch durchaus Diskussionen darüber gibt, möglicherweise Komponenten zu bauen, die man auch für E-Autos braucht. Aber kannst du uns erzählen, was die IG Metall und die Vertrauensleute konkret unternommen haben, um die Konversion voranzutreiben?
Also gerade die Betriebsratsfraktion der IG Metall hat versucht, mit ihren Mitteln und Möglichkeiten auf Vorstands- und auf Geschäftsführungsebene solche Sachen präsent zu halten und gemeinsam eine Lösung zu finden, was Zukunftsprodukte angeht. Die IG Metall stößt gegenüber dem Management immer wieder das Thema an, wie der Standort zukunftsfit gemacht werden kann. Die Vertrauensleute sensibilisieren die Belegschaft dafür, dass Transformation nichts ist, was einfach irgendwann mal passiert, sondern dass Leute mit dazugehören, dass es ein Prozess ist, der alle betrifft. Umso mehr Meinungen man dazu hat, umso mehr Idee man sammelt, umso mehr Leute mit anpacken und das als ihr eigenes Thema begreifen, umso besser kann bei dem ganzen Thema auch mitbestimmt werden.
Vor ungefähr einem Jahr fand eine Betriebsversammlung statt, da war der Konzernvorstand, der für die Komponentenwerke wie Chemnitz zuständig ist, anwesend. Dort haben Vertrauensleute so eine Mauer aus Pappsteinen vor der Bühne aufgebaut und auf jedem Stein stand „Wasserstoff“, „Komponente für Elektroautos“ und so weiter mit drauf, also konkrete Ideen, die dem Vorstand noch in die Hand gedrückt wurden. Unser ehemaliger Betriebsratsvorsitzender hat dann dem Vorstand noch eine Held-der-Arbeit Urkunde (lachend) überreicht. Es geht darum, dass das Thema platziert wird. Und gezeigt wird, die Belegschaft interessiert sich dafür. Das sind die Sachen, die wir aktuell nutzen und machen können.
Ist das lokale Management bei Fragen der Transformation für euch ein Bündnispartner?
Würde ich so nicht unterstreichen. Also wir haben eine neue Werkleiterin, die auch von außerhalb kommt, die war in den USA bei Daimler und Tesla tätig, hat in der Automobilzulieferindustrie viel gemacht. Mitbestimmung hat da nicht den höchsten Stellenwert. Und da sie eben extern ist und die VW-Welt so an sich nicht kennt, verhält sie sich dann natürlich auch exakt nach den Vorgaben, die sie von ihren Chefs bekommt. Ich glaube, sie wird ein Teufel tun, um sich dafür intern stark zu machen. Der Werkleiter davor, der hat das aktiv gemacht, der hat das selber mit vorangetrieben. Es hängt stark davon ab, wer gerade auf dem Stuhl sitzt. Aber selbst wenn, entschieden wird das woanders, nicht in Chemnitz. Ich glaube, egal welcher Vogel hier vom Management irgendwas pfeift, die Leute sind da schlichtweg doof gesagt vielleicht einfach zu unwichtig.
Der Braunschweiger VW-Betriebsrat Lars Hirsekorn und andere haben zuletzt stark gemacht, dass es, wenn man sich das ganze ökologische Schlamassel anschaut, eigentlich mehr als eine Wende zur Produktion von E-Autos braucht. Er vertritt die These, dass es eine sinnvolle Forderung für die VW-Arbeiter wäre, würden sie für den Ausbau des Nahverkehrs und die Ausrichtung der Produktion auf diesen eintreten. Hierfür braucht es aber gesellschaftliche Bündnispartner. Das können die VW-Arbeiter nicht stemmen, wenn die Gesellschaft nicht mitzieht. Habt ihr Verbindungen zur Klimabewegung, die sich ja leider in ihrer Breite nicht für Arbeiter:inneninteressen interessiert, wie sie es sollten?
Also ich glaube nicht, dass hier jemand Stress hätte, Straßenbahnen oder E-Busse zu bauen. Überhaupt nicht! Wenn es gebraucht wird, dann wird es gebraucht, dann sichert es Arbeitsplätze und ist ein Weg in eine nachhaltigere Zukunft. Das ist von der Realität leider sehr, sehr weit weg. Ich kenne zumindest bei uns im Standort niemanden, der sich damit auseinandersetzt oder solche Vorschläge reinbringt. Ich glaube, das liegt an dem Konzern, am Kapitalismus selber, und dass dort weniger nach Konsens entschieden wird, was braucht eine Gesellschaft, sondern wie können wir unsere Profite weiter steigern. Und ich finde es schade, aber ich denke nicht, dass so eine Idee hochkommen wird.
Was müssten dementsprechend die Klimagerechtigkeitsbewegung und Ökosozialist*innen tun, um euch bei der Konversion unterstützen?
Zum einen brauchst du erstmal den Rückhalt in der Belegschaft. Wenn du halt Leute einfach catchst mit: „Das haben wir schon immer so gemacht!“, und dann kommt einer und hat für deren Weltbild einen schon viel zu progressiven Standard, mit dem er rangeht, sehe ich es als schwierig an, dass du dort alle Leute mitnehmen kannst. Du musst da geschickt rangehen, dass du die Leute halt mitnimmst und dass du die auch auf deiner Seite hast. Das sehe ich so als einen ersten Knackpunkt und zweitens die Systematik ineinander, die ist so verstrickt, also der Konzern, die Marke, mit allem Drum und Dran.
Ich kann jetzt für dich falsch liegen, und ich bin ja kein Fan davon sowas zu sagen: „braucht man nicht, geht nicht“, aber ich sehe keinen konkreten Ansatzpunkt, wo ich sage, da macht es Sinn und dass sie uns da unterstützen können. Klar unterstützt uns immer! Aber du musst es halt auch an der richtigen Stelle irgendwo anknüpfen können und die, finde ich, fehlt bei uns einfach.
Kürzlich gab es im Norden Frankreichs einen Konflikt in der Total-Raffinerie in Grandpuits. Diese soll bis 2024 auf Biokraftstoffproduktion umgestellt werden, doch dabei würden nur 250 von 400 Arbeitsplätzen erhalten bleiben. In Reaktion darauf haben sich Attac und verschiedene Umweltorganisationen mit der CGT verbündet – manche Kommentatoren bezeichneten dies als eine Allianz der Grünen und Roten. Im Kampf für eine gerechte Transformation wurden Beschäftigungsgarantien durchgesetzt. Die CGT hat inzwischen in ihr Programm eine „ökologische Sozialversicherung“ aufgenommen, die bei jeder sozial-ökologischen Umstellung Beschäftigungsgarantien vorsieht.5 Denkst du, es wäre sinnvoll, wenn sich die Klimabewegung öffentlich für eine sozial-ökologische Aneignung und Umgestaltung der Produktion einsetzen würde? Würde ein solcher Ansatz Unterstützung in der Belegschaft finden?
Das wäre wahnsinnig stark. Man muss halt gucken, wie man es transportiert und wie man es rüberbringt, weil Sinn machen würde es auf alle Fälle, aber es muss geguckt werden, wie transportiere ich und wie kommuniziere ich das Thema und wie nehme ich die Leute trotzdem noch mit, weil ich sehe dann schon viele die Hände hochnehmen: „Wir machen das doch schon immer so. Wir haben die Ahnung. Die kennen sich doch damit gar nicht aus.“ Du musst erstmal eine Plattform dafür schaffen, sich frei und offen über solche Themen auszutauschen, und das ist mit einer 2000-Mann-Belegschaft gar nicht mal so einfach. Aber das wirst du irgendwie herstellen müssen, dass du die Leute mitnimmst. Egal wie du es machst, aber das ist das A und O. Wenn du das nicht packst, dann hast du verloren. Das ist halt die Sache, wenn du dort einmal verkackst, dann ist das Ding meistens zu. Also das muss vorne laufen. Möglich ist es auf alle Fälle, aber das ist eine langwierige, schwierige Situation. Da muss man geschickt rangehen.
Die IG Metall hat ein eigenes Konzept für die Transformation vorgeschlagen. Wie wird das 11-Punkte-Programm6 in der Belegschaft wahrgenommen? Also ist das etwas, was diskutiert wird und wo wird es deiner Wahrnehmung nach diskutiert?
Also es hängt am schwarzen Brett dran (amüsiert). Theoretisch müsstest du halt mal ein paar Vertrauensleute losschicken, dass sie das an den Teamtischen mal verteilen, dass jeder mal drüber lesen kann. Wenn man das richtig krass aufziehen will, dann machst du eine Betriebsversammlung. Du sprichst ein paar Sachen mit an und hast dort einen Raum, dich über ein paar Sachen auszutauschen. Aber es ist nicht so leicht, das Ding in so einer großen Belegschaft breit zu diskutieren. Das kannst du auch im 1-zu-1-Gespräch machen, aber du musst es eben erstmal an die Leute bringen. Nur weil das Programm am schwarzen Brett hängt, heißt das noch lange nicht, dass es sich jeder durchliest. Du musst halt proaktiv auf die Leute zugehen. Bei den Ausschusssitzungen im Betriebsrat ist die Zeit immer ein bisschen knapp. Also es müsste dort aktiv hineingetragen werden, sonst ist es Quark. Da quatschen ein paar Funktionäre drüber, aber die Leute, die es halt eigentlich betrifft, die kriegen es nicht mit. Es muss halt mehr gepusht werden. Bei Betriebsräten und Vertrauensleuten ist es ein Thema, aber die Belegschaft kennt es nicht.
- 1. „Zukunftsfonds“ waren im November 2024 ein Vorschlag von IG Metall und Gesamtbetriebsrat, um durch Lohnzurückhaltung Stellenstreichungen zu verhindern (siehe: https://www.igm-bei-vw.de/meldung/gesamtbetriebsrat-und-ig-metall-legen…). Am Ende wurde die Lohnzurückhaltung im Tarifvertrag fixiert, wobei der Begriff nicht mehr auftaucht. Letztlich kam die IG Metall, so der Vorwurf von einigen IG Metallern bei VW, dem Management bei der Forderung nach der Senkung der Personalkosten entgegen (Für eine Kritik am Tarifabschluss aus den Reihen der IG Metall: Lars Hirsekorn, Thorsten Donnermeier und Tobi Rosswe (2025): Weihnachts- oder blaues Wunder? Eine erste Einschätzung und Schlussfolgerung zum VW Tarifergebnis, in Express. Zeitschrift für sozialistische Betriebsarbeit 1/2025, S. 3.).
- 2. Im Januar war in Zeitungen häufiger von einer drohenden Werkschließung in Zwickau in den 2030ern zu lesen, weil Modelle an das VW Werk in Wolfsburg und, auch im Zuge der neuen Zollpolitik der Trump-Regierung, den US-Standort Chattanooga in Tennessee abgegeben wurden (siehe: https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/chemnitz/zwickau/volkswagen-vw-w…). Eine schleichende Standortschließung wurde ausgeschlossen. Auf der Betriebsversammlung in Zwickau Mitte Januar 2025 ließ das Management verlauten, dass dem Werk in Zwickau beim Recyceln von Autos eine wichtige Rolle zukommen soll (siehe: https://www.waz-online.de/lokales/wolfsburg/vw-betriebsversammlung-so-g… )
- 3. OEM steht für „Original Equipment Manufacturer” und bezeichnet in der Automobilindustrie den Hersteller eines Produktes, das aus vielen einzelnen Bestandteilen zusammengebaut und unter eigenem Namen auf den Markt gebracht wird.
- 4. Die Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) vertritt die Interessen der Jugendlichen in einem Betrieb, in denen ein Betriebsrat besteht.
- 5. https://basta.media/Fin-de-la-greve-des-raffineurs-de-Grandpuits-mais-p…
- 6. https://www.igmetall.de/politik-und-gesellschaft/wirtschaftspolitik/fue…