Von Tanger bis Genua: Hafenarbeiter:innen treten in den Ausstand
José hat 17 Jahre lang in italienischen Häfen gearbeitet und ist nun hauptberuflich als Gewerkschafter für die Unione Sindacale di Base (USB) tätig. Die italienischen Hafenarbeiter:innen waren maßgeblich daran beteiligt, antimilitaristische Aktionen bezüglich des Nahostkrieges umzusetzen.
So wurde im Herbst 2025 etwa eine Flottille mit Hilfsgütern nach Gaza geschickt. Die Globale Sumud-Flottille, bestehend aus über 40 Schiffen, 500 Aktivist:innen und circa 300 Tonnen Lebensmitteln1, war der größte zivil organisierte Konvoi in der Geschichte2. Die gesamte Flottille wurde schließlich vor dem Gazastreifen gestoppt und die Aktivist:innen – darunter José und seine Genoss:innen – vom israelischen Militär inhaftiert. Zuvor hatten die Hafenarbeiter:innen gedroht, sollte die Flottille von Israel gestoppt werden, würde es zu einem europaweiten Ausstand der Häfen kommen. Dies wurde unter dem Motto „Blocchiamo tutto” (Wir blockieren alles) bekannt. Die Palästina-Frage und die Ansage „Blocchiamo tutto” brachten weltweit, aber vor allem in Italien, Millionen Menschen auf die Straße.
Zum anderen konnten sie einige Waffenlieferungen blockieren, die über europäische Häfen abgewickelt werden sollten. Seither wurde die internationale Vernetzung der Arbeiter:innen weiter ausgebaut. Wir haben José zu seinen Organisierungserfahrungen befragt.
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Im Herbst unterstütztet ihr die Vorbereitung und die Fahrt der Global Sumud-Flotille. Wie habt ihr in den Häfen mitarbeiten können?
José: Im Juli 2025 wurden wir kontaktiert und gefragt, ob wir uns an der Organisation in Genua beteiligen und Teil der Flottille sein wollen. Natürlich haben wir sofort zugesagt, denn wir engagieren uns seit 2021 mithilfe von Blockaden für die Palästinenser:innen.
Unsere Arbeit bestand darin, die Boote in einen optimalen Zustand für die Seefahrt zu versetzen, und dazu kam noch, dass wir als Matrosen an Bord direkt an dieser Mission teilnahmen. Ich habe mich auch um den Transport von Containern mit etwa 45 Tonnen Hilfsgütern von Genua nach Augusta gekümmert.
Die allgemeine Interpretation der Aktion war zunächst, dass der weiße, westliche Mann ein Paket Nudeln bringt. Unsere Aktion „Blocchiamo tutto“ hatte jedoch zwei Dimensionen: Einerseits handelte es sich um eine Art Wirtschaftsembargo, das tatsächlich Wirkung zeigte, und andererseits wollten wir die Belagerung Palästinas durchbrechen, dem palästinensischen Volk seine Würde zurückgeben und die Verhältnisse vor Ort in das öffentliche Bewusstsein rücken.
Wie habt ihr euer Netzwerk in Italien aufgebaut? Und was kann die Koordinierung der Häfen leisten?
Die Idee dieser Koordinierung der Hafenarbeiter:innen hatten wir eigentlich schon immer im Kopf. In den Häfen gibt es seit jeher diese Überlegung unter Kolleg:innen: Wenn ich ein Schiff in Genua blockiere, wird eben dieses Schiff nach Livorno gebracht und dann dort entladen. Wir haben nichts Neues erfunden, indem wir uns diesbezüglich verständigten.
Möglich wurde das alles letztlich durch viele Anstrengungen und Reisen. Ich habe vor allem politische Einladungen genutzt, um Beziehungen aufzubauen, die nicht nur aus gelegentlichen Treffen in einem Hafen bestanden, sondern dazu dienten, auch unter den Genoss:innen eine politische Debatte anzustoßen. Wir haben versucht, eine gemeinsame politische Linie auch mit den anderen zu entwickeln. Die nationale Koordinierung umfasst heute viele Häfen: Genua, Triest, Livorno, Ravenna, Ancona und seit kurzem auch Civitavecchia und Bari.
Mit einigen Hafenarbeiter:innen in Salerno und Neapel sowie in Palermo und dann in Gioia Tauro hat die Arbeit sehr gut funktioniert, kann aber noch perfektioniert werden. Wenn heute ein Schiff von Genua nach Livorno fährt, reicht eine Nachricht und es wird auch in Livorno blockiert. Oder wenn ein:e Hafenarbeiter:in in Livorno ein Schiff mit einer Ladung Waffen bemerkt, das beispielsweise den Hafen von Reggio Calabria passiert, sendet sie eine Nachricht im Chat, und die dort ansässigen Hafenarbeiter:innen blockieren es.
Als unser Genosse Riccardo die Botschaft „Blocchiamo tutto” von der Bühne aus verkündete, haben wir uns sofort am Nachmittag mit ihm in Verbindung gesetzt. Ich war auf dem Weg nach Catania zur Flottille, mitten in all dem Chaos. Wir haben uns ausgetauscht und überlegt, wie wir anfangen und auf welche Bereiche wir uns konzentrieren sollten. Die Hafenarbeiter:innen waren einverstanden damit aktiv zu werden, denn wir hatten bereits über die große Bedeutung dieser politischen Aktion gesprochen. Wir beschlossen, abzuwarten, was auch außerhalb des Hafens passieren könnte.
Um eure politische Arbeit auszuweiten und effektiver zu gestalten, begannt ihr mit anderen Hafenarbeiter:innen zusammenzuarbeiten. Wie war diese internationale Koordinierung möglich?
Wir Arbeiter:innen konnten uns darauf verständigen, dass wir über eine mächtige Waffe verfügen – die Möglichkeit, die Wirtschaft ihres Staates durch Streiks lahmzulegen. Diese Einsicht hat dazu geführt, dass wir auf internationaler Ebene eine politische Position eingenommen haben. Unter uns bestand ein echter Wille, das Militärsystem, mit dem wir täglich konfrontiert sind, tatsächlich zu blockieren. Das setzte eine Umsetzung auf europäischer Ebene voraus, wobei wir uns vor allem auf den Mittelmeerraum konzentriert haben. Das Mittelmeer ist heute im wahrsten Sinne des Wortes das Zentrum von Kriegen und Tod. Man denke nur an die Tausenden von Leichen, die wegen der Kriege, die wir selbst verursachen, auf dem Grund des Mittelmeers liegen, zusätzlich zu den Hunderttausenden von Toten in den Konflikten, die wir schüren.
Zu Beginn ähnelten unsere Aktionen einem Schachbrett und waren nicht abgesprochen. Blockaden von Zügen, Häfen und Flughäfen waren nicht gemeinsam koordiniert. Dann begannen wir langsam, auch mit den Französ:innen zu diskutieren. Es lief so ab: Man fuhr nach Marseille, traf sich mit Hafenarbeiter:innen in einer Bar, unterhielt sich ein wenig und kehrte dann später auf einem offizielleren Weg zurück. Wir machten permanent kleine Schritte und wollten auf eine strukturiertere Ebene gelangen.
Zunächst bauten wir ein informelles Netzwerk auf. Anschließend planten wir im Rahmen der Federazione Sindacale Mondiale (FSM), unserer internationalen Gewerkschaft, weitere, besser organisierte Aktivitäten. Wir organisierten immer mehr Treffen, in denen wir viel diskutierten. Wir fuhren zum Beispiel nach Slowenien, wo uns die Slowen:innen in ihren Räumlichkeiten empfingen: Wir unterhielten uns unter Hafenarbeiter:innen und versuchten, die Dynamik jedes Hafens zu verstehen. Dann luden wir vielleicht die Griech:innen nach Italien ein, zeigten ihnen unsere Häfen und erklärten ihnen, wie das italienische Hafenmodell funktioniert, das sich von dem griechischen, slowenischen, spanischen oder französischen unterscheidet.
Mittlerweile muss ich unzählige Anfragen zur Teilnahme an dieser politischen Koordinierung der Häfen bearbeiten.
Internationale Aufmerksamkeit erlangte die Blockade von Containern in Fos-sur-Mer. Diese Aktion war aber nur durch die Mitarbeit verschiedener Häfen möglich. Wie konntet ihr verhindern, das nicht doch Waffen in irgendwelchen Containern über Italien oder andere Länder nach Israel verschifft wurden?
Marseille ist eher touristisch geprägt, während sich etwa zwanzig Kilometer entfernt dieser riesige Logistik-Hub von Fos-sur-Mer befindet. Eine Journalistin des Investigativmagazins Disclose wies uns auf drei Container hin, die Teile von Maschinengewehren für die israelische Armee enthielten.
Von da an begannen wir, uns zu koordinieren, denn das Schiff, das diese Container nach Fos-sur-Mer laden sollte, sollte anschließend Genua und Salerno anlaufen. Den Hafenarbeiter:innen von Fos gelang es, diese Container tatsächlich zu blockieren, aber es blieb die Sorge, dass sie auf Lastwagen verladen und auf dem Landweg nach Genua transportiert werden könnten. Aus diesem Grund wurde sofort eine Reihe von Mitteilungen und Warnungen zwischen den Häfen ausgelöst.
Wir starteten eine Mobilisierung in Genua, während das Schiff leer ankam. Wir blockierten die Einfahrt der Lastwagen und führten Kontrollen durch, um zu verhindern, dass Waffen an Bord gebracht werden konnten, sobald das Schiff angekommen war. Natürlich benachrichtigen wir sofort die Genoss:innen in Salerno und sagten ihnen: „Achtet darauf, dass das Schiff aus Genua, sobald es leer wieder ablegt, in Salerno nicht beladen wird.“ Tatsächlich gab es in Salerno dann zwei wichtige Momente:
Erstens natürlich die Blockade, aber wichtiger noch, dass eine Delegation von Arbeiter:innen an Bord des Schiffes ging, um zu kontrollieren, dass keine Waffen an Bord waren. Dies wurde in der Öffentlichkeit kaum erwähnt, hat aber einen enormen politischen Wert: Eine Gruppe von Arbeiter:innen wird zu einem Garant und sagt: „Keine Sorge, es ist nichts an Bord.“ Das war ein sehr wichtiger Schritt, auch wenn darüber wenig berichtet wurde.
Der zweite Moment, der meiner Meinung nach der wichtigste von allen war, war die Zusammenarbeit mit den Hafenarbeiter:innen von Piräus. Dort sollten drei weitere Container mit israelischen Waffen entladen werden und auf ein Feederschiff, also ein kleineres Schiff, verladen werden. Das Hauptschiff transportierte etwa 20.000 Container, war also sehr groß und langsam; die Feederschiffe hingegen haben eine Kapazität von etwa 2.000 Containern und sind viel schneller. Dieses Schiff hätte dann Kurs auf La Spezia und Genua nehmen sollen. Die Hafenarbeiter:innen von Piräus, die die Routen kannten und die Instrumente zur Überwachung des Seeverkehrs nutzten, warnten uns: „Seht mal, das Schiff fährt in Richtung La Spezia und Genua.“ Daraufhin riefen wir auch zum Streik auf und machten deutlich, dass es zu einer totalen Blockade kommen würde, sollte das Schiff in einem dieser Häfen anlegen und versuchen, die Ware zu entladen.
Es war eine chaotische Situation. Wir bereiteten uns darauf vor zu streiken: in den Hafen einzudringen, alles zu blockieren, das Be- und Entladen mit allen Mitteln zu verhindern. Da überraschte uns das Unternehmen COSCO3 mit der Mitteilung, die Schiffe würden nach Singapur zurückgebracht, also zum Abfahrtshafen, wo sie beladen worden waren.
Der Grund dafür ist die besondere politische Lage: Taiwan unterhält sehr enge Beziehungen zum Westen, und die Firma, der die Container mit der Ware gehörten, war Evergreen, ein taiwanesisches Unternehmen. Um das politische Problem zu vermeiden, zugeben zu müssen, dass China Waffen mit Israel handelte, schoben sie die Verantwortung formal auf ein taiwanesisches Unternehmen. Sie ließen die ganze Ladung lieber zurückbringen, bevor es noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zog.
In La Spezia musste das Schiff wegen unseren Aktionen nämlich vier Tage lang warten, was die Betriebskosten erheblich erhöhte. Und genau das ist eine der Hauptfolgen des Streiks: Je länger die Liegezeit, desto mehr verliert die Ladung an Wert, da die Versicherungskosten, die Treibstoffkosten, die Heuer der Seeleute und eine ganze Reihe von Nebenkosten steigen. All diese Faktoren führten dazu, dass das Schiff mit der Militärware an Bord buchstäblich bis nach Singapur zurückfuhr, wo die Container schließlich entladen wurden. Für uns war das fast surreal. Je länger wir streikten, desto größer war unser Erfolg.
Was hat euch politisch vereint? Wie konntet ihr politisch eine gemeinsame Perspektive erarbeiten?
Was uns letztendlich wirklich vereint hat, waren die politischen Entscheidungen unserer jeweiligen nationalen Regierungen, die fast identisch waren. Man kann sich Frankreich, Deutschland, Italien oder Slowenien nennen, doch die Entscheidungen bezüglich der Häfen fallen überall gleich aus: die Verhandlungsmacht der Hafenarbeiter:innen zu zerstören und die Häfen zunehmend schlechteren Tarifverträgen zu unterwerfen. Im Wesentlichen handelt es sich um einen direkten Angriff auf die Arbeitswelt und gleichzeitig um einen Prozess, der die Häfen in militärische Logistikzentren verwandelt.
Ein weiteres Element, das uns sehr verbunden hat, ist das Thema Privatisierung. Die Geschehnisse in Griechenland sind das offensichtlichste Beispiel dafür: Unter der Regierung Tsipras wurden die Häfen an die konkurrierenden Nationen China und Deutschland verkauft. Mit dieser Privatisierung übernehmen die Chines:innen, also COSCO, die vollständige Kontrolle über den Hafen von Piräus. Das bedeutet, dass alte Tarifverträge gekündigt und neue auferlegt werden, dass die Kontrolle über staatliche Gebiete vom Staat auf ein privates Unternehmen übertragen wird und dass man wieder von vorne anfangen muss, um angemessene Löhne und Grundrechte zurückzugewinnen.
In einigen Ländern ist man an einem Punkt angelangt, an dem von Dreizehn-Stunden-Arbeitstagen die Rede ist. Auf vielleicht subtilere Weise geschieht dies ebenfalls in Italien: Die Häfen werden privatisiert, während die Löhne auf einem niedrigen Niveau gehalten werden. In Frankreich passiert etwas Ähnliches.
Darüber hinaus kaufen die Giganten der Seefahrt die gesamte Gütertransportkette auf: MSC kontrolliert Lkw, Eisenbahnen, Schlepper, Schiffe, Lagerhäuser und die Sortierung. Sie bringen Ihnen die Waren buchstäblich nach Hause. So bekommt ein privates Kapital eine Rolle, die eigentlich dem Staat zukommen sollte, und das ist keineswegs eine Lappalie.
Natürlich ist auch die Inflation ein großes Thema für uns. Heute verlagern alle Regierungen enorme Ressourcen in die europäische Aufrüstung. Deutschland beispielsweise hat erklärt, dass für die Aufrüstung etwa 830 Milliarden Euro bereitgestellt werden müssen, was jeden Staat dazu zwingt, in den nächsten Jahren seine Militärausgaben drastisch zu erhöhen. Im Falle Italiens steigt der Anteil von bereits absurden 2 auf 5 Prozent.
Das bedeutet, dass Ressourcen aus anderen öffentlichen Bereichen abgezogen werden: Bildung, Gesundheit, Renten. Das ist alles, was indirekt die Lebensbedingungen eines:einer Arbeiter:in bestimmt und den Krieg in Form von Inflation und Verarmung ins eigene Haus bringt. Einerseits sind die Hafenarbeiter:innen die letzte Bastion vor den Kriegsschauplätzen, andererseits kehrt derselbe Krieg zurück und trifft die Arbeiter:innen durch Preissteigerungen. Es ist wie ein Hund, der sich in den Schwanz beißt.
Wieso ist bei euch gerade das Thema Krieg so zentral? Wieso Antimilitarismus?
Krieg verändert ja, wie bereits gesagt, unser Leben als Arbeiter:innen. Die Tatsache, dass diese Schiffe Sprengstoff transportieren, gefährdet nicht nur die Arbeiter:innen, sondern auch die Bürger:innen. Hinzu kommt, dass diese Waffen aus Chemiefabriken stammen: Es handelt sich um Stoffe, die man einatmet, die man berührt, die in den Körper gelangen. Vielleicht hat man in zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahren einen Tumor, Leukämie, ich weiß es nicht. Es gibt eine ganze Reihe von Folgen, die man nicht einfach ignorieren kann.
In jeder Branche gibt es den Faktor Krieg. Trotzdem warfen uns zu Beginn unserer antimilitaristischen Aktionen andere Gewerkschaften vor, „keine Gewerkschaftsarbeit zu leisten“. In Wirklichkeit haben wir Gewerkschaftsarbeit im tiefsten Sinne des Wortes geleistet. Historisch gesehen hat sich die Arbeiter:innenbewegung immer gegen Kriege gewandt, weil sie weiß, dass sie es ist, die direkt oder indirekt die Folgen zu tragen hat.
Das Interview wurde von labournet.tv und AngryWorkers geführt. Teile dieses Interviews könnt ihr auch als Video ansehen.
- 1. https://www.dw.com/en/gaza-bound-flotillas-all-you-need-to-know/a-73923…
- 2. https://en.wikipedia.org/wiki/Global_Sumud_Flotilla#Attacks_on_vessels
- 3. COSCO Shipping Ports Limited ist ein börsennotierter Hafenbetreiber mit Sitz in Hongkong: https://ports.coscoshipping.com/en/#latest-news/2