Rückblick zur Vortragsreihe „Mehr Plan wagen“
Die Vortragsreihe „Mehr Plan wagen“ hatte sich den thematischen Schwerpunkt gesetzt, das Modell einer demokratischen Planwirtschaft in der Klimakatastrophe zu beleuchten und zu diskutieren. Unsere Überlegungen waren davon geleitet, dass bisherige Vorstellungen vom Sozialismus oder Kommunismus angesichts der Auswirkungen des Klimawandels einer gewissen Revision unterzogen werden müssen. Da wir selbst dabei sind, einen Text zu diesem Thema zu verfassen, organisierten wir diese Vortragsreihe. Der Text wird in Kürze veröffentlicht.
1. Vortrag von La Banda Vaga:
Fossiler Kapitalismus und die Folgen für die Vorstellungen des Kommunismus
Um diese These direkt zur Diskussion zu stellen, hielten wir den ersten Vortrag selbst. Ziel war, einerseits die Unmöglichkeit einer marktbasierten Bewältigung der Klimakrise zu verdeutlichen und andererseits Konturen einer Alternative aufzuzeigen. Wie bereits angedeutet müssen historische Vorstellungen über den Kommunismus revidiert werden. Beispielsweise ist die Idee einer Gesellschaft, in der jeder Mensch nur noch wenige Stunden arbeiten müsse, angesichts der notwendigen Abkehr von fossilen Energieträgern passé. Das hat weitreichende Konsequenzen für das, was wir eine befreite Gesellschaft nennen. Mehr Arbeit und weniger Ressourcen sowie weitreichendere ökologische Verwüstungen als bisher angenommen bedeuten ein geringeres Maß an Genuss und Freiheit als in den linken Utopien vor der Klimakrise. Dennoch ist der einzig wünschenswerte Weg durch die Krise eine demokratische Planwirtschaft. Was diese unserer Ansicht nach ausmacht, haben wir skizzenhaft dargelegt. Da es sich um einen Work-in-progress handelt und hier nicht der Ort wäre, dies darzulegen, werden ein paar Schlagworte reichen müssen:
Mit dem Begriff „demokratisch“ beziehen wir uns keinesfalls auf die bürgerliche Gesellschaft, sondern vielmehr auf die Überzeugung, dass die Klimakatastrophe nur kollektiv bearbeitet werden kann. Das heißt, dass möglichst alle Menschen in sie betreffende Entscheidungen einbezogen werden – eine höchst komplexe Aufgabe. Planwirtschaft bedeutet eine Überwindung des Marktes als Vermittlungsinstanz zwischen der Produktion und Reproduktion durch dezentrale Absprachen sowie die Aufhebung des Geldes durch allgemeine Erfassung von Arbeitszeit und Ressourcen. An die Stelle von Markt- und Geldwirtschaft träte dann eine Ökonomie, in der Güter und Dienstleistungen anhand von individuell berechneter Arbeitszeit konsumiert und ferner anhand von Plänen produziert werden. Die bedingungslose Deckung der Grundbedürfnisse aller Menschen ist dabei allerdings vorausgesetzt und von der individuellen Arbeitszeit unabhängig.
In der anschließenden Diskussion wurden vor allem der Begriff des Verzichts und die Frage nach einem revolutionären Subjekt diskutiert. Dem Schlagwort „Mangelverwaltung“ für eine auf den fossilen Kapitalismus folgende demokratische Planwirtschaft hielten wir entgegen, dass letztere einen deutlichen Zuwachs an anderen Formen des Reichtums darstellen würde. Bezüglich eines revolutionären Subjekts wurde eingewendet, wir setzten zu stark auf die Klimabewegung. Dies stellt ein Missverständnis dar: Auf die Folgen der Klimakrise einzugehen bedeutet keineswegs, dass wir uns von den Lohnabhängigen als revolutionärem Subjekt verabschieden würden – ganz im Gegenteil. Nur durch das (Re-)Produktionswissen und die entsprechende Macht der Lohnabhängigen kann eine revolutionäre Umwälzung des Kapitalismus gelingen.
Um unsere Skizzen zu vervollständigen, ungeklärte Fragen zu diskutieren und auch neue aufzuwerfen, haben wir uns Unterstützung geholt: Samia Mohammed, Heide Lutosch, Walther Zeug und Jan Groos haben ihre jeweiligen Schwerpunkte zu diesem Themenkomplex dargelegt und sind mit dem Publikum und uns in die Diskussion gegangen.
2. Samia Mohammed:
Keine Fehler aus dem kapitalistischen Herrschaftsverhältnis übernehmen
Nach unserem Einstieg in das Thema ging Samia Mohammed auf das Verhältnis zwischen Kultur, Klimakrise, Reproduktionsarbeit und einer demokratischen Planwirtschaft ein. Sie stellte knapp die historischen Thesen der Planungsdebatte von der sozialistischen Kalkulationsdebatte bis heute dar und formulierte eine solidarische Kritik an gegenwärtigen Ansätzen. Eine ihrer Hauptthesen betraf die gesellschaftliche Aneignung von Natur als einem bloßen Gegenstand. Unter dem Begriff des „prometheischen Paradigmas“ zielte ihre solidarische Kritik auf die Reproduktion eines Herrschaftsverhältnisses der Gesellschaft über die Natur. Damit soll gesagt werden, dass auch in der Debatte zur demokratischen Planwirtschaft Muster kapitalistischer Aneignung reproduziert würden, wodurch gerade jene Praxis wiederholt werde, die die Klimakrise mitverursache. Natur als einem autonomen System, deren Teil Gesellschaft sei und daher mit ihr in einem allgemeinen ökologischen Zusammenhang stehe, müsse Mohammed zufolge Rechnung getragen werden. Ähnliches gelte auch für den Stellenwert der Reproduktionsarbeit. Diese müsse einen zentralen Platz in einer demokratischen Planwirtschaft einnehmen – anders als in vielen produktionsorientierten Ansätzen dargestellt.
3. Heide Lutosch:
Demokratische Planwirtschaft aus feministischer Perspektive
Im darauffolgenden Vortrag von Heide Lutosch wurde eben jener zentrale Stellenwert der Reproduktionsarbeit genauer und konkreter präsentiert. Lutosch wagte den Versuch einer konkreten Darstellung einer demokratischen Planwirtschaft aus feministischer Perspektive. Bei ihrem vorgestellten Modell wurde beispielhaft auf lokaler Ebene gezeigt, wie eine auf Reproduktionsarbeit fokussierte Planwirtschaft aussehen könnte. Nachbarschaften, lokale Betriebe sowie kommunale Räte stünden in einem engen Austausch über die Erfassung der Bedürfnisse und ihrer Verwirklichung. Ein neuer Impuls für uns war dabei, dass Bedürfnisse wie beispielsweise Risikoschwangerschaften, Geburten und Drehbücher für Jugendfilme Erwähnung fanden. Die Ermittlung der Bedürfnisse könne Lutosch zufolge zwar durchaus durch digitale Tools und Erfahrungswissen erfasst werden, es brauche aber unbedingt eine politische Debatte darüber, welche Bedürfnisse die Menschen hätten. Fragen der kollektiven Elternschaft, der Gewalt bei der Geburtshilfe oder der Notwendigkeit neuer Kindergärten sollten demnach öffentlich diskutiert und die Ergebnisse an einen Bezirksrat weitergegeben werden. Dieser könne dann im Verbund mit verschiedenen Planungsräten (z. B. Bau, Gesundheit, Kinder) die notwendigen Projekte umsetzen. Von besonderer Bedeutung bei Lutoschs Modell ist die Forderung Reproduktionsarbeit konkret zu erfassen. In anschaulichen Beispielen zeigte sie, wie dies möglich sei. Pauschalen von zwölf Stunden (am Tag) beziehungsweise sechs Stunden (in der Nacht) stellten dann die Arbeitssumme der Betreuung von Säuglingen dar. Diskutiert wurde unter anderem, wo die Grenze der Sorgearbeit zu unbezahlter freundschaftlicher Beziehung liege. Lutosch unterschied die beiden Sphären mit dem Begriff der Gegenseitigkeit. Freundschaftliche Beziehungen fänden im wechselseitigen Miteinander statt, während die Sorge beispielsweise für Menschen mit Behinderung oder Kinder und Jugendliche insofern als Arbeit bezeichnet werden könne, als dass diese auf verschiedene Art auf Unterstützung angewiesen seien.
4. Walther Zeug:
Ein Werkzeug für eine demokratische Planwirtschaft
Walther Zeug nahm diesen Ansatz in seiner Darstellung der Cybernetic Democratic Economic Planning (CDEP) auf. Die von ihm und Jakob Heyer entwickelte CDEP versteht sich als Werkzeug für eine demokratische Planwirtschaft. Im Wesentlichen basiert sie auf der Erfassung der zentralen Inputs der Ökonomie: Arbeit, Ressourcen und CO₂-Ausstoß. Durch ein Tool sei bereits heutzutage möglich, die Arbeitsstunden, die notwendigen Ressourcen und den CO₂-Ausstoß von Gütern genau zu bestimmen. Die gesellschaftliche Planung von Produktion und Konsumtion spiele sich demnach auf Grundlage dieser Kategorien ab. Zunächst finde eine Ermittlung des Produktionsbedarfs an Arbeit, Ressourcen und CO₂‑Ausstoß statt, der mit den gewünschten planetaren Grenzen ausgehandelt werde. Die Konsumtion wiederum werde durch ein egalitäres Tokensystem vermittelt, wodurch alle Menschen die gleiche Summe an Arbeits-, Ressourcen- und CO₂‑Ausstoß-Tokens bekämen. Tokens seien hier nichtzirkulierende Recheneinheiten, die Informationen über ganzheitliche Kosten, Knappheit sowie Nutzen von Produkten und Dienstleistungen widerspiegeln. Der Vorteil der Token-Rechnung bestehe Zeug zufolge darin, dass sie sich automatisch in Echtzeit an die jeweilige Produktivkraftentwicklung, festgesetzte planetare Grenzen und Ressourcenvorkommen anpassen könne – daher handle es sich hier um ein kybernetisches Modell. Kybernetik bedeute, dass digitale Rückkopplung von Informationen stattfinde. Die Menge an Informationen, welche hier über einzelne Güter und Dienstleistungen vorhanden seien, lasse herkömmliche Preisbildung alt aussehen. Tokens würden allerdings nicht allein von einzelnen Konsument:innen für den Konsum verwendet – ähnlich wie man im Kapitalismus einkaufe –, sondern auch von den einzelnen (Re-)Produktionseinheiten. Eine Bäckerei erwerbe über die ihr von der Planungsstelle zur Verfügung gestellten Tokens ebenso ihr Mehl, Wasser und die benötigte Arbeitszeit wie ein Mensch, der sich dann sein Brot „kaufe“. Da das Modell sehr elaboriert ist, kann hier nicht der Ort sein, es weiter auszuführen. Zeug betonte jedenfalls in der Diskussion, dass es sich hierbei um ein Werkzeug handle, dessen politische Implikationen durchaus zur Disposition stünden. D. h., es sei nicht ausgemacht, wer wie viele Tokens erhalte oder wie planetare Grenzen ausgehandelt würden.
5. Jan Groos:
Ungeklärte Fragen und die Lösung als Prozess
Im letzten Vortrag stellte Jan Groos die aktuelle Debatte dar und ging auf seinen Ansatz einer demokratischen Planwirtschaft als „kreative Schöpfung“ ein. Im ersten Teil seines Vortrags zeigte er, welche zentralen und kontrovers diskutierten Fragen sich aktuell in der Planungsdebatte stellen.
Wie schon von Mohammed und Lutosch ausgeführt, unterschlügen einige Ansätze den zentralen Stellenwert von Reproduktionsarbeit. Neben diesem blinden Fleck ergäben sich allerdings auch Kontroversen darüber, wie Reproduktionsarbeit erhoben werden könne und inwieweit eine Sphärentrennung zwischen Produktion und Reproduktion sinnvoll oder überhaupt wünschenswert sei.
Ferner prägten sich Konfliktlinien in der aktuellen Debatte über das Thema Märkte aus. Inwiefern Märkte eine Rolle spielen sollten, sei umstritten, d.h. ob es in einem gewissen Rahmen geregelte Märkte (Marktsozialismus) oder eben keinerlei marktförmige Strukturen geben solle.
Ein Gesichtspunkt, der uns besonders wichtig erscheint, ist die Frage der Vermittlung von Entscheidungen. Klar ist, dass weder rein zentrale noch rein dezentrale Ansätze allein ausreichend für eine freie und funktionierende Planwirtschaft wären. Fakt ist, dass demokratische Planung Koordination auf mehreren Ebenen erfordert: lokal, regional und global.
Ferner bleibt die Frage, wie Menschen zu bestimmten Arbeiten motiviert werden. Auch hier polarisiert sich die Debatte: Von Standpunkten, die von völliger Freiwilligkeit ausgehen, bis hin zu Vertreter:innen eines Arbeitsanreizes durch Opportunitätskosten findet sich eine ganze Reihe unterschiedlicher Ansätze. Es zeige sich, so Groos, die Notwendigkeit, neue „prozessuale Perspektiven“ zu finden.
Der Ansatz, für den Jan Groos den Begriff der „kreativen Schöpfung“ verwendet, geht von diesen letztlich nicht am Schreibtisch lösbaren Fragen aus. Ausgehend von einem Zitat Stafford Beers, dass bei der Planung nicht das Produkt, sondern vielmehr der Prozess das Entscheidende sei, beschreibt Groos eine Herangehensweise, in der schematische, statische Modelle in Zeiten der Klimakrise nicht adäquat seien. Das bedeute, dass die oben genannten Fragen sich im Hier und Jetzt nicht auflösen ließen. Vielmehr gehe es um eine Art des „Managing Decline“, d. h., es brauche fluide Modelle, welche sich an schwerwiegenden ökologischen und sozialen Folgen der Klimakrise ausrichteten. Außerdem sollten sich solche Modelle an den oben genannten Fragen ausrichten, um sie aus einem Prozess heraus zu bearbeiten.
Ausblick
Schlussendlich war die Vortragsreihe für uns sehr gewinnbringend. Zum einen trugen die Vortragenden wichtige Inputs bezüglich Naturverhältnissen, Reproduktionsarbeit, kybernetischer Planwirtschaft und prozessualem Modellieren zu unserer eigenen Debatte bei. Zum anderen konnten wir die Planungsdebatte auch in Freiburg bekannt machen und kamen mit verschiedenen Menschen darüber ins Gespräch: Was macht Markt aus? Wie können die Folgen der Klimakrise bewältigt werden? Welche Chancen hat ein solches Projekt heute? Und wie kann man Reproduktionsarbeit sichtbar und der Produktionsarbeit mindestens gleichgestellt machen? In unserem Text werden wir versuchen, auf diese Fragen einzugehen und ein Modell vorzustellen, für das es sich zu kämpfen lohnt.
Wir danken an dieser Stelle den Vortragenden für ihre Inputs und hoffen auf eine weitere fruchtbare Debatte!