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Eine Welt zu verlieren

Eine Welt zu verlieren

13. September 2025

Antimilitarismus war lange nicht mehr so bitter nötig wie heute – und gerade da tuten auch viele Linke ins Horn des deutschen Staates, den sie neben Putin & Co. dann eigentlich doch ganz schön human finden. Einen Kontrapunkt setzte das Protestcamp „Rheinmetall Entwaffnen“, das Ende August in Köln stattfand. Ein Bericht über den Stand der Bewegung.

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Da sich die Weltlage „zum Negativen verändert habe“, sei mit einer „gesteigerten Gewaltbereitschaft“ der Teilnehmenden zu rechnen, auch die Parole „Krieg dem Krieg“ lasse militante Aktionen erwarten: Mit dieser abenteuerlichen Begründung versuchte die Polizei das dritte Camp des antimilitaristischen Bündnisses „Rheinmetall Entwaffnen“ im Kölner Grüngürtel zu verbieten. Das Oberlandesgericht Münster hob das Verbot zwar wieder auf, sodass das Camp Ende August wie geplant stattfinden konnte, doch da hatte der Repressionsversuch der Polizei bereits erheblich zur Mobilisierung beigetragen. Es war aber vor allem die schrankenlose Aufrüstung und Kriegsvorbereitung durch die Merz-Regierung, die den Antimilitarismus spätestens seit diesem Jahr ins Zentrum der linken Debatte gerückt hat. Seit ihrem Machtantritt lässt die Regierung keine Möglichkeit ungenutzt, den Bürger:innen zu erklären, dass sie länger, härter und billiger arbeiten müssen, was ihnen das Vaterland bald mit zusätzlichen Schichten an der Ostfront vergelten werde

Nachdem ich in den letzten drei Jahren vor allem theoretisch an einer antimilitaristischen Position auf der Höhe der Zeit gearbeitet hatte, zog mich die Hoffnung an, auf dem Camp zumindest die Keime einer neuen antimilitaristischen und antikapitalistischen Bewegung gegen die „Zeitenwende“ vorzufinden, an der ich mich beteiligen könnte. Vor allem waren es jedoch zahlreiche Fragen, die mich nach Köln trieben: Findet um Militarisierung und Krieg gegenwärtig eine Neuordnung der außerparlamentarischen Linken statt? Wer sind hier die treibenden Kräfte, wo liegen die Konflikte und was sind die theoretischen Referenzen? Was ist nach den Schocks der letzten fünf Jahre – Covid, Ukraine, Gaza – von einer antagonistischen linken Bewegung übriggeblieben, wo doch jede dieser Krisen einen schmerzhaften Aderlass zur Folge hatte?

Politische Lagerbildung

Das Camp fand auf einer Wiese des Kölner Grüngürtels statt – im Schatten des Fernsehturms Colonius und des Telekom-Hochhauses, die als Kolosse deutscher Nachkriegsarchitektur die Teilnehmenden daran erinnerten, dass sie sich in der zwar in die Jahre gekommenen, aber nach wie vor mächtigen BRD befinden. Auf den ersten Blick fiel auf, dass sich das Camp sichtbar in zwei politische Lager teilte: in ein anarchistisches und ein revolutionäres Barrio. Das anarchistische Barrio fand in diesem Jahr zum ersten Mal statt und war offenbar eine Reaktion auf die Dominanz kommunistischer Gruppen in den letzten Jahren. Der Aufruf ließ jedoch Ungutes erahnen: Wie im gegenwärtigen Anarchismus weit verbreitet, verzichtete man auf eine materialistische Analyse der Zeitenwende und beließ es bei recht konfusen Phrasen, aus denen vor allem ein wütender Individualismus spricht. Das weitaus größere Barrio, organisiert von kommunistischen Gruppen wie „Perspektive Kommunismus“, „Räteaufbau“ und der „Roten Jugend“, machte dagegen einen vergleichsweise guten Eindruck, wobei der hohe Anteil junger Genoss:innen sofort auffiel. Diese momentan wohl dynamischste Strömung innerhalb der deutschen radikalen Linken musste in den letzten Jahren als Prügelknabe für Teile des antinationalen und antiautoritären Milieus herhalten, die sich an der antifaschistischen Brandmauer mit dem deutschen Imperialismus als „kleinerem Übel“ versöhnt haben und den Hauptfeind nun stattdessen in einer sogenannten „autoritären Linken“ ausmachen – ein Red Scare der besonders bizarren Art. So versprach das Camp auch Aufschluss darüber, ob die neue kommunistische Linke tatsächlich Teil des globalen Autoritarismus oder nicht doch eher Bündnispartner im Kampf gegen Krieg und Aufrüstung ist. Abseits ihres Barrios waren wie zu erwarten auch stalinistische Sekten wie die Blauhemden der FDJ oder „Young Struggle“, die in der Tat autoritär sind, mit Ständen vertreten.

Ein neuer Internationalismus?

Zweitens fiel die starke Bezugnahme auf Palästina auf. In dieser drückt sich erfahrungsgemäß nicht nur die Solidarität mit den Menschen in Gaza aus, die seit fast zwei Jahren unvorstellbares Leid ertragen müssen, sondern auch ein neuer Hass auf den deutschen Imperialismus, seinen Militarismus, seine Medien und sein heuchlerisches Establishment. Dieser wiedergefundene Internationalismus, dessen Aufstieg bereits seit einigen Jahren zu beobachten ist, erscheint auch deshalb begrüßenswert, weil mit ihm die ideologische Hegemonie der pseudokritischen Antideutschen, unter der meine Generation noch politisch sozialisiert wurde, zumindest unter jüngeren Linken endlich zerbrochen scheint. Inwiefern er in einem neuen Antiimperialismus mündet, der die Fehler des Alten wiederholt, also auf die Staatseroberung im Klassenbündnis mit der eigenen Bourgeoisie zielt oder gar die neuen imperialistischen Player der multipolaren Welt bejubelt, und sich in spalterischer Identitätspolitik oder sogar Ethnonationalismus ergeht, war auf dem Camp zu überprüfen. Zunächst schien sich jedoch meine Vermutung zu bestätigen, dass vor allem der Gaza-Krieg eine neue Generation radikalisiert und politisiert hat.

Und schließlich fiel auf, dass das Camp unglaublich gut organisiert war: Es gab für alle drei Tage ein breites inhaltliches Programm, mehrere Workshop-Zelte und eine großartig funktionierende Küchenstruktur, die zu großen Teilen durch die Teilnehmenden selbst getragen wurde. Das Campgelände blieb sauber und nachts leise – wer in der autonomen Linken groß geworden ist, weiß, dass das keine Selbstverständlichkeit ist. 

Dazu trug wohl auch bei, dass auf dem Camp kein Alkohol verkauft wurde, vor allem aber die politische Disziplin der oft sehr jungen Teilnehmenden.

Sabotage statt Strategie

Der erste Abend bot unverhofft tiefe Einblicke in den Stand der Bewegung. Die Eröffnungsdiskussion mit dem Titel „Krieg dem Krieg“ wagte das Experiment einer Art Generaldebatte über Probleme und Perspektiven der antimilitaristischen Bewegung und die Gründe für die Teilnahme am Camp. Was vielversprechend begann, wurde schnell zu einem wilden Durcheinander von individuellen und Gruppenstandpunkten. Man ging kaum aufeinander ein, die drängenden Probleme der Bewegung kamen nicht zur Sprache. Der Abend erinnerte ein wenig an die langen Tage bei den Platzbesetzungen des letzten Jahrzehnts von der Occupy-Bewegung bis zu Nuit Debout, wo ein basisdemokratischer Dogmatismus schnell jede Positionsbildung verunmöglichte.

Zugleich traten Probleme zutage, mit denen man sich in Zukunft dringend beschäftigen muss. Am überraschendsten war der Insurrektionalismus vieler junger Kommunist:innen, die in aller Öffentlichkeit klarstellten, dass sie vom Pazifismus nichts halten und stattdessen zur sofortigen Sabotage der Kriegsmaschinerie übergehen wollen – am liebsten zum revolutionären Bürgerkrieg, und zwar hier und jetzt. Die sicherlich anwesenden Staatsschutzmitarbeiter:innen dürften ihre Freude gehabt haben. So nachvollziehbar solche militante Ungeduld ist: Der sozialistische Kampf gegen den Militarismus darf sich nicht durch Gewalt und den Ruf zu den Waffen auszeichnen. Das wäre absurd! Er muss vielmehr dem immer antagonistischer werdenden menschlichen Bedürfnis nach Frieden

einen politischen Ausdruck geben. Gewalt darf stets nur die ultima ratio sein; die Wut über die zunehmende Gewalt der Herrschenden muss stattdessen sublimiert, in eine politische Strategie und sozialistische Kultur verwandelt werden. Nicht zuletzt auch deshalb, um sinnlose Repression zu vermeiden, die schnell Gefahr läuft, die Bewegung zu zerschlagen bevor sie sich überhaupt wirklich konstituieren kann. Substanziellen Widerspruch gegen die propagierten Strategien von Sabotage und Bürgerkrieg gab es jedoch kaum.

Abgesehen von dieser sehr deutlichen Tendenz blieb die Diskussion recht zerfasert. Erfreulicherweise meldete sich ein junger Palästinenser zu Wort, der in einer eindringlichen Rede an die deutsche Komplizenschaft am Genozid in Gaza erinnerte, woraufhin ein älterer iranischer Genosse darauf hinwies, dass man es gegenwärtig mit mehreren Imperialismen zu tun hat, die allesamt abzulehnen seien. Dafür bekam er nicht nur von dem palästinensischen Genossen großen Zuspruch.

Auf der Suche nach Einigkeit

Die Frage, warum Leute an dem Camp teilnehmen, wurde in der Diskussion schnell beantwortet: Es herrschte Einigkeit darüber, dass eine drängende Notwendigkeit besteht, gegen den grassierenden Aufrüstungswahn eine antimilitaristische Linke aufzubauen. Auf die Probleme und Perspektiven der Bewegung, die Rolle von Geopolitik, den autoritären Staat oder einen linken Militarismus wurde jedoch kaum eingegangen, geschweige denn eine produktive Diskussion darüber geführt. Vielmehr schien die Debatte selbst Ausdruck eines Problems zu sein: des Mangels an Strategie. Wie soll die extrem schwache außerparlamentarische Linke auf ein so erdrückendes Problem wie die Aufrüstung reagieren, die die Macht der herrschenden Klasse momentan massiv erweitert? Als Zusammenschluss von Kleingruppen ohne Rückhalt in den Gewerkschaften oder eigenen Klassenorganisationen wird man ihr kaum etwas entgegensetzen können. Dass diese Situation viele zur direkten Aktion und einer Politik des Unmittelbaren treibt, ist nur zu verständlich, wird aber ohne Aufbau von breiten Organisationen in eine Sackgasse führen. Doch das ist selbstverständlich leichter gesagt als getan.

In den folgenden vier Tagen fanden auf dem Camp zahlreiche Workshops statt, gleichzeitig diente die Wiese unter dem Colonius auch als Organisierungsplattform für Aktionen. Während ich mir Vorträge über die Militarisierung in der BRD, kapitalistischer Krise und Zeitenwende der Gruppe „Perspektive Kommunismus“, die Selbstauflösung der PKK und die Militarisierung im Gesundheitswesen anhörte oder junge Genoss:innen während der Arbeit in der Küche nach ihrer politischen Perspektive und Arbeit fragte (was immer wieder zu Misstrauen führte), sah ich zahlreiche kleine Demonstrationen kommen und gehen. Mal wurde die SPD-Zentrale besetzt, mal gab es eine Aktion gegen das Unternehmen Deutz AG; die einen machten eine kleine Kiezdemonstration gegen die geplante „sanfte Wehrpflicht“, die anderen blockierten ein Rekrutierungsbüro der Bundeswehr. Im Verlauf der Tage verflüchtigten sich meine anfänglichen Vorbehalte gegen das aktivistische Milieu, das ich in den letzten Jahren kaum noch ertragen konnte, da politische Diskussionen zumeist von bizarrer Sprachpolitik, Befindlichkeiten und einem anarcho-sektiererischen Individualismus vereitelt wurden. Mein Eindruck verfestigte sich, dass trotz aller strategischer Unklarheit doch eine gewisse Einigkeit und Kompromissbereitschaft besteht, was die Notwendigkeit einer linken Antwort auf die Militarisierung und Faschisierung der herrschenden Klasse betrifft. Zugleich stand, anders als noch vor einigen Jahren, die Notwendigkeit des Klassenkampfes stärker im Zentrum der Debatte und weniger eine diffuse Zivilgesellschaft oder die Politik in der ersten Person.

Das Camp als Erscheinungsraum

Das Camp wuchs über die Tage stark an, am Ende waren rund 1.400 Leute da – doppelt so viele wie im Vorjahr. Allein die Tatsache, nach Jahren gesellschaftlicher Katastrophen, die immer auch Zerwürfnisse in meinem politischen und persönlichen Umfeld zur Folge hatten, wieder mit unterschiedlichsten und mir bis dato unbekannten Genoss:innen zusammenzukommen, zu debattieren und ein Lüftchen linker Einigung und Disziplin zu spüren, war sicherlich nicht nur für mich Balsam für die geschundene kommunistische Seele. Eine Genossin, im Jahr 1977 politisiert und spürbar frustriert vom grassierenden Individualismus, sprach sich in einer Debatte für die Schaffung von „Erscheinungsräumen“ aus. Ein Erscheinungsraum bestehe nach Hannah Arendt dort, wo Menschen öffentlich zusammenkommen und „handelnd und sprechend miteinander umgehen“. Er erfordere das Ernstnehmen des Gegenübers, den man nicht nur als Objekt und Instrument eigener Interessen, sondern als Möglichkeit der Realisierung des eigenen Menschseins wahrnimmt und sich ihm seinerseits als ein ebensolcher Mensch zeigt. Erst in diesem Miteinander, so die Genossin mit Arendt, stelle sich eine gemeinsame Welt oder auch eine politische Bewegung her.

Von einem derartigen Raum war das Camp, wie die Eingangsdebatte zeigte, noch weit entfernt, zu unverbunden standen individuelle oder Parteipositionen nebeneinander, doch immerhin schien sich überhaupt mal wieder ein Raum zu öffnen, der, wenn auch von bescheidener Größe, von Genoss:innen ernsthaft genutzt wurde, um sich auf ein gemeinsames Ziel und Strategien zu verständigen – und nicht wie so oft nur zu dem Zweck, den Anderen niederzumachen oder das eigene akademische Ego marxistisch aufzupolieren.

Internationale Kämpfe

Der letzte Tag war stark international ausgerichtet und bot die Möglichkeit, sich mit Genoss:innen aus anderen europäischen Ländern zu vernetzen. Auf der Veranstaltung „Organising Transnationally against the War“ diskutierten Leute von der IL Bielefeld, der polnischen Gewerkschaft Inicjatywa Pracownicza (IP), der Initiative „Transnational Social Strike“ aus Italien sowie eine Kölner Genossin über die Schwierigkeiten einer transnationalen Vernetzung gegen den Krieg. Erfreulich dabei war die Diskussionskultur und die Konkretheit der Debatte. Die jungen IP-Genossinnen stellten die riesenhaften Probleme einer antimilitaristischen Position in ihrem Land dar und sezierten die polnische Gesellschaft mit bewundernswerter Klarheit. Sie schilderten den polnischen Nationalismus, der es bislang schafft, den Menschen Verzicht und Aufrüstung als notwendiges nationales Projekt gegen die russische Bedrohung zu verkaufen, und der bis weit hinein in die Linke reicht, ihre Probleme mit diesem Nationalismus in der Gewerkschaftsarbeit und die leider kümmerlichen Perspektiven einer polnischen sozialistischen Linken. Der Vertreter der IL ging selbstkritisch mit seiner Organisation ins Gericht und stellte die Fixierung auf die Zivilgesellschaft in Frage, an die sich ihre Kampagnen richteten. Und die italienischen Genoss:innen kritisierten die italienische antiimperialistische Linke für ihre Parteinahme für die Hamas und die daraus entstehenden Probleme antimilitaristischer Allianzen.

Endlich hatte man den Eindruck, dass hier nicht geschlossene Parteipositionen aufeinander prallen oder egozentrische Individuen über sich berichten, sondern Genoss:innen miteinander sprechen, die das Interesse an einem Wiederaufbau der Linken vereint. Auf die transnationale Vernetzung kann man sicherlich gespannt sein. Anders dagegen eine Veranstaltung am Vortag: Zwei kurdische Genossinnen versuchten sich einen Reim auf die Selbstauflösung der PKK zu machen, sprachen jedoch zugleich als Vertreterinnen der Bewegung und mussten, so schien es zumindest, den von oben verkündeten Schritt daher rechtfertigen. Man sah ihnen förmlich an, wie Parteikritik und Linientreue in ihnen miteinander rangen und sie die vorgetragenen Gründe für die angekündigte Niederlegung der Waffen in Nordkurdistan selbst kaum glaubten.

Probleme des Antiimperialismus

Ebenfalls weniger klar, doch möglicherweise symptomatisch für Teile des neuen Antiimperialismus, war die Veranstaltung mit dem französischen Bündnis „Guerre à la guerre“. Ein Pariser Genosse stellte das Bündnis vor, das aus der Palästina-Bewegung entstanden ist und sich zu einer breiten antimilitaristischen Allianz entwickelt hat. Das Bündnis schaffte es zum ersten Mal, mehrere tausend Menschen gegen den Salon du Bourget – ein als Luftfahrtschau getarnter Treffpunkt der Rüstungsindustrie – in Paris zu mobilisieren. Zwar benannte der Genosse zahlreiche Probleme der bellizistischen Linken und versuchte sich auch an einer kurzen Analyse der geopolitischen Situation, doch sein Versuch der Bestimmung des neuen Antiimperialismus blieb undeutlich. Vor allem seine Bezugnahme auf den „palästinensischen Widerstand“, den er völlig abstrakt als „Avantgarde des antiimperialistischen Kampfes“ feierte, blieb hinter einer marxistischen Position zurück. Angesichts der politischen Ausrichtung des palästinensischen Widerstands, der zwar fraglos in einem existenziellen Kampf gegen den israelischen Kolonialismus steht, spätestens seit den 1990er Jahren aber von ultra-reaktionären und konterrevolutionären Kräften angeführt wird, ist es sehr fraglich, ob der antimilitaristischen Bewegung in den westlichen Ländern mit derartig abstrakten Formeln geholfen ist. Stattdessen wäre eine politische Avantgarde, falls man sie denn braucht, in konkreten Auseinandersetzungen gegenwärtig erst noch aufzubauen – auch in Opposition zu identitätspolitischen Standpunkten, die in den letzten Jahren immer wieder linke Positionen sabotiert haben und in Zeiten zugespitzter zwischenimperialistischer Konflikte die Form eines manichäischen Antiimperialismus annehmen. Sei es im Fall des Ukrainekriegs, vor dessen Hintergrund sogenannte „ukrainische Stimmen“ die Politik der Zeitenwende und die Aufrüstung der NATO rechtfertigen, sei es im Falle des palästinensischen Widerstandes, wo linke Kritik an dessen Inhalten schnell als westlicher Imperialismus delegitimiert wird. Fraglos kommt eine deutsche Linke nach zwei Jahren Genozid und Massenrepression an palästinensischen Positionen nicht mehr vorbei, doch die Solidarität muss konkret, also auch kritisch, sein. Und fraglos steht, da ist dem französischen Genossen zuzustimmen, der Hauptfeind im eigenen Land und es stellen ein linker Sozialpatriotismus und Prozionismus in Deutschland weitaus größere Hürden dar als ein manichäischer Antiimperialismus. Dennoch gilt: Ein Lager, das den notwendigen Kampf führen könnte, müssen wir erst noch gemeinsam aufbauen, wir finden es nicht einfach dort fertig vor, wo die Unterdrückung am größten ist.

Was tun gegen den Staat?

Am Samstag, dem letzten Tag des Camps, zeigte die Polizei schließlich, was sie von praktiziertem Antimilitarismus hält, und nahm offensichtlich Rache für die zahlreichen gelungenen kleineren und größeren Aktionen, die im Laufe der Woche vom Camp ausgingen. Nach nur wenigen Metern wurde die Abschlussdemonstration gestoppt und der revolutionäre Block brutal angegriffen und eingekesselt. Es gab zahlreiche Schwerverletzte und die Eingekesselten mussten bis 5 Uhr morgens ohne sanitäre Einrichtungen ausharren. Während des Kessels wie auch des gesamten Camps zeigten die vornehmlich jungen Genoss:innen des revolutionären Barrios bewundernswerten Aktivismus und große Disziplin, weshalb es sicherlich kein Zufall war, dass die Polizei ihren Block angriff. Es ist zu hoffen, dass dieses rebellische Potential in den kommenden Jahren nicht der aufständischen Ungeduld zum Opfer fällt, im schlimmsten Fall durch die staatliche Repression zerrieben wird oder – wie in den K-Gruppen der 1970er Jahre – in verknöchert-stalinistischen Apparaten verkümmert, sondern im besten Falle eine noch stärker praktisch-marxistische Ausrichtung bekommt und größere Organisationen aufgebaut werden, die das unübersichtliche Kleingruppenwesen überwinden. Ebenso ist hoffen, dass die vielen anwesenden selbstkritischen Genoss:innen der IL in der Lage sind, ihr Bündnis an die veränderten Bedingungen anzupassen und seine zweifellosen Potentiale den hoffentlich kommenden Klassenkämpfen gegen Aufrüstung und Austerität zur Verfügung zu stellen.

Weniger Positives kann nach knapp einer Woche auf dem Camp leider über den anwesenden Anarchismus gesagt werden. Das dort anwesende Lager bot kaum mehr als orientierungsloses und beleidigtes Sektierertum, das eher gegen das Camp als mit ihm arbeitete. Ein wesentlich stärker materialistisch und politisch orientierter Anarchismus würde die antimilitaristischen Kämpfe jedoch sicherlich stärken. Er wäre auch als Gegengewicht gegen die Sowjetnostalgie und den Befreiungsnationalismus, die aus dem kommunistischen Lager immer wieder zu vernehmen sind, nötig. Das Bewusstsein der Notwendigkeit, lagerübergreifend wieder eine internationalistische Linke aufzubauen, zeigte sich in den wenigen Tages des Camps nur gelegentlich, doch es war erfreulich, dass überhaupt ein politischer Raum geteilt wurde.

Linker Wiederaufbau

Der Wiederaufbau einer solchen Linken ist dringender denn je. Die gegenwärtige Barbarisierung der herrschenden Klasse, ihres repressiven Staates und ihrer loyalen Medien, die seit geraumer Zeit Stück für Stück ihre demokratisch-humanistischen Hüllen fallenlassen, jede Woche die Lohnabhängigen mit neuen, angeblich unumgänglichen Frechheiten malträtieren, geschieht schließlich nicht zufällig gerade jetzt: Sie ist Ausdruck des historischen Verschwindens der politischen Linken, von der nach über 40 Jahren gesellschaftlichem Rollback nur noch wenig übrig ist. Fehlt der organisierte Widerspruch von unten, sei es durch eine starke Arbeiter:innenbewegung, linke Parteien oder außerparlamentarische Bewegungen, die wiederum die Sozialdemokratie und den linken Reformismus unter Druck setzen, damit sie sich nicht vollständig der herrschenden Politik unterwerfen, kann die herrschende Klasse schrankenlos agieren. Die gesellschaftliche Wut richtet sich jetzt gegen Schwache und Minderheiten, während die gestärkten Herrschenden leichtes Spiel haben, die Ausbeutung zu verschärfen und ihre Ziele auf immer aggressivere Art zu verfolgen.

Die beinahe vollständige Absenz der Linken droht angesichts der Kriegsvorbereitung gegenwärtig zu einer Tragödie von menschheitsgeschichtlichem Ausmaß zu werden. Kommt es zu einem Krieg zwischen dem Westen und Russland oder China, wird er angesichts der in beiden Lagern angehäuften Zerstörungsmittel wohl zur Vernichtung großer Teile der menschlichen Zivilisation führen. Vor dieser Aufgabe nicht zu verzweifeln, sondern sich konsequent und zugleich kompromissbereit am Wiederaufbau der Linken zu beteiligen, ist daher von größter Bedeutung. Ob das Camp in Köln einen Anfang dazu darstellte, wird sich fraglos erst noch zeigen müssen. Doch es erscheint möglich.