Ein neuer Stern am Demokratenhimmel
Jung, smart und immer gut drauf: Zohran Mamdani hat die Herzen der New Yorker:innen im Sturm erobert und darf nun als Sozialist den Bürgermeister geben. Die antikommunistische Angstkampagne der Rechten war ein Flop. Ein Grund zur Freude für die Linke? Gespräch mit einem Genossen vor Ort.
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Communaut: Die Bilder aus New York wirken wie aus der Zeit gefallen: Ein linker Superstar, der auf den Straßen gefeiert wird. Wie ist die Stimmung nach der Wahl?
Direkt nach der Bekanntgabe der Ergebnisse kam es zu euphorischem hooting and hollering an einschlägigen Orten, es gab viele Wahlpartys. Nach wie vor wird Mamdanis Wahlsieg von Unterstützer:innen als wichtiger politischer Sieg empfunden. Die Laune ist nun – vorsichtig – optimistisch, wenn es um die kommende Legislaturperiode und mögliche Reformen geht.
Mamdani hat es vom Underdog zum veritablen Kandidaten geschafft. Eine sehr ausdauernde Kampagne mit über 100.000 emsigen Freiwilligen, die schnell den Charakter einer Bewegung gewann. Sicherlich dürften auch Mamdanis Ausdauer, was öffentliche Auftritte angeht, und Charisma, seine ausgeprägte Redekunst und virale Social-Media-Präsenz geholfen haben. Eine historisch hohe Wahlbeteiligung, die höchste seit 1969, spricht für ihn. Aber es macht sich auch eine gewisse Verunsicherung breit, wie Trump reagieren wird.
Der hat ja bereits angekündigt, den „Kommunisten“ Mamdani hart anzugehen. Wie ernst ist das zu nehmen?
Das Drehbuch dürfte mittlerweile sattsam bekannt sein, wie über das gesamte Jahr 2025 ersichtlich wurde. Es wird ständige persönliche Attacken gegen Mamdani geben. Verbal, in den sozialen Medien, wahrscheinlich auch „law fare“ vor den Gerichten, so wie aktuell gegen den ehemaligen FBI-Direktor James Comey und Leticia James, die Generalstaatsanwältin in New York State.
Trump verachtet Mamdani, er wird weitere Zahlungen und Zuschüsse des Bundes an NYC, die für den Ausbau von Infrastruktur vorgesehen sind, wie bereits in der Vergangenheit einstellen und damit versuchen, die Modernisierung des öffentlichen Nahverkehrs (MTA) und Kulturförderungen, die die Stadt attraktiv für Geschäfte und Tourismus machen, zu torpedieren. Die ausbleibende Entwicklung und sich verschärfenden Missstände kann Trump dann Mamdani in die Schuhe schieben und erklären, dass Sozialismus nicht funktioniert.
Aller Wahrscheinlichkeit nach wird Trump in naher Zukunft auch versuchen, die Nationalgarde zu entsenden. Als Vorlage dürften die Einsätze in Los Angeles und Washington dienen. Die Begründung wären dann aus der Luft gegriffene Kriminalstatistiken – Recht und Ordnung müssen wiederhergestellt werden. Falls die Gerichte das verhindern sollten, kann Trump als Ersatz ICE-Personal in großer Zahl schicken, das ihm praktisch persönlich untersteht. So soll das soziale Klima innerhalb der Stadt angeheizt werden. Das rabiate und brutale Vorgehen von ICE bei Verhaftungen auf offener Straße wird Proteste zur Folge haben, diese Eskalation dient dann wiederum als weiterer Vorwand: Die Stadt sei unsicher und müsse befriedet werden.
Ebenso wird Trump weiterhin Mamdanis Herkunft und Aussagen zum Vorwand nehmen, um zu versuchen, die New Yorker Bevölkerung zu spalten und ein Klima des Verdachts und der Verachtung zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu schüren. Außerhalb der Stadt will er damit Abscheu gegen die elitären, aufmüpfigen New Yorker erzeugen.
Umgekehrt gilt Mamdani auf der Linken als enormer Hoffnungsträger, verbunden mit der Wiederentdeckung eines pragmatischen kommunalen Sozialismus. Wie siehst du solche Erwartungen?
Linke generell, vor allem Sozialrevolutionäre, sollten tunlichst vom Konzept Hoffnung Abstand nehmen, wenn es an die Wahlurnen geht. Der letzte amerikanische Politiker, der explizit mit dem Slogan hope antrat, war Barack Obama. Er hat eine gesamte Generation desillusioniert zurückgelassen.
Insgesamt zeigen etliche jüngere Beispiele, dass jeder Versuch, die Verheerungen des Kapitals durch Wahlgänge zu lindern und so die sozialen Forderungen aus den Straßenprotesten zu erfüllen, gescheitert ist – egal ob an der Urne erfolgreich oder nicht. Das zeigt Syriza, das zeigen Corbyn und Sanders. Dass Mamdani auch Berater aus der Obama-Kampagne ins Boot geholt hat, kann man als notwendigen Pragmatismus abtun, es könnte aber auch ein erstes Anzeichen von Opportunismus sein.
Das heißt nicht unbedingt, dass sich materiell in naher Zukunft nicht auch etwas zum Besseren wenden könnte und die Lage vor allem für Lohnabhängigen mit geringerem Einkommen etwas einfacher wird. Immerhin hat Mamdani von Beginn an konsequent ein Programm der affordability (Erschwinglichkeit) gefahren. Wenn Reformen wie kostenlose Kinderbetreuung bis fünf Jahre, eine Anhebung des Mindestlohns von 16,50 auf 30 Dollar bis 2030, Mietendeckel für bestehende Sozialwohnungen und neuer Sozialwohnungsbau kommen, wenn die Busse umsonst fahren und Lebensmittel durch städtische Supermärkte mit Preisdeckelung günstiger werden, dann dürfte sich das positiv auf Geldbeutel, Rücklagen und Lebenserwartung der Proletarisierten auswirken. Und wenn es Schwungmasse braucht, um das alles durchzusetzen, könnte sich Mamdani vermutlich auf einen Stamm von Unterstützer:innen verlassen.
Die Aufgaben sind enorm, wie die exorbitanten Mieten (im Durchschnitt 3230 Dollar im Monat für eine Einzimmerwohnung), hohen Lebenshaltungskosten und hohe Steuerlast bis zu mittleren Einkommen zeigen. Dass Vermieter bei Leerstand ihrer Immobilien Steuern sparen können und die Privatinvestitionen in Wohnungsneubau für einfache Lohnabhängige extrem gering sind, verleiht der Krise drastische Ausmaße. Außerdem werden im kommenden Fiskaljahr 2026 hohe Zinsen auf Anleihen fällig, mit denen die Stadt ihre diversen Budgets für Erziehung, Straßenbau etc. finanziert.1
Sehr wahrscheinlich wird sich Mamdani an einem oder mehreren seiner Vorhaben die Finger verbrennen und einen Teil seiner Unterstützer:innen verlieren, weil er eben auch die Bedürfnisse des Kapitals befriedigen muss. Mittlerweile greift auch das Zentrum der Demokraten den Sprech von affordability auf, so etwa die Gouverneurin von New York State, Kathi Hochul, und selbst Donald Trump hat inkonsistent auf die Notwendigkeit verwiesen, dass sich der Pöbel auch weiterhin die lebensnotwendigen Dinge leisten kann.2
Mittlerweile haben Lobbygruppen das Geschäft mit sogenannten Anti-Elite Kandidaten für sich entdeckt, rühren die Spendentrommel für progressive Kandidaten der Demokraten und melken dabei vornehmlich Geringverdienende, die an die Versprechen solcher Kandidaten glauben – beziehungsweise auf sie hereinfallen, wie man wohl eher sagen muss. Mit dieser Masche wird ein bestimmter linker Populismus von den Experten übernommen und die Elite kann sich reproduzieren.3
Sozialrevolutionäre Linke sind daher besser beraten, Möglichkeiten auszuloten, wie sie ihre eigenen Organisationen und die der Arbeiter:innenklasse generell stärken können. Sie sollten die Chancen, dass Reformvorhaben durchgesetzt werden, realistisch sehen und sich nicht an parlamentarische Kampagnen dranhängen. Scheitert deren Umsetzung, machen sie sich mitverantwortlich.
In der Geschichte der USA lassen sich die politischen Erfolge linker Kandidaten wie Eugene W. Debbs, der Sewer socialists in Milwaukee, aber auch des liberal-autoritären Roosevelt daran festmachen, dass sie sich auf eine organisierte Klasse stützen konnten, die bereit war, für die Umsetzung solcher Programme einzustehen. Damit konnte die Arbeiter:innenklasse auch materielle Interessen durchsetzen. Diese organisierte Klasse gibt es in der Form heute nicht mehr; vierzig Jahre lang wurden die Gewerkschaften und sozialistische Organisationen durch eine anhaltende Red Scare (Kommunist:innenverfolgung) und neoliberale Politik geschliffen. Mamdani könnte es vor dem Hintergrund dieser Vergangenheit schwer haben, auch wenn ihm gutes Gelingen bei seinen Reformvorhaben zu wünschen ist.
Letztlich wird sich der Erfolg seiner Politik stark daran entscheiden, wie sich das wirtschaftliche Umfeld entwickelt. Fangen wir mal mit der Unterstützung an: Welche Wirtschaftsinteressen können sich mit einem sozialdemokratischen Bürgermeister arrangieren?
Sogenannte small businesses (Bodegas, Gastroservices etc.), kleinere private Unternehmen wie im Baugewerbe, Selbständige wie Taxifahrer und auch die großen, städtischen Gewerkschaften könnten von Mamdanis Vorhaben profitieren, sollte mehr gebaut werden und sich der Wohlstand der unteren 80 Prozent halten oder leicht vergrößern. Die Grenzen zwischen Proletariat und Kleinbürgertum dürften hier fließend sein.4
Die Mehrzahl der Leute beugt sich dem Erfordernis, die Marktideologie anzunehmen und in gegenseitiger Konkurrenz das eigene Interesse zu verfolgen. Entsprechend bestehen hier Schnittmengen zwischen Kapitalinteressen und dem Interesse der Lohnabhängigen, auch wenn es zum Beispiel um Investitionen an den Finanzmärkten für die private Altersvorsorge geht. Selbst die Klasse der Milliardäre kann sich nach der Wahlniederlage von ihrer pragmatischen Seite zeigen. So hat immerhin schon der steinreiche ehemalige Bürgermeister Michael Bloomberg die Hand ausgestreckt.5 Auch das Versprechen, den Mindestlohn zu erhöhen, könnte manche Besitzer auf die Seite des neuen Bürgermeisters ziehen, wenn Mamdani mit geteiltem Wohlstand wirbt und ein höherer Lohnanteil zurück in die städtische Ökonomie fließt, weil den Prolls das Geld lockerer in der Tasche sitzt.
Auf der anderen Seite gab es ja schon im Wahlkampf eine aggressive Kampagne der Reichen nach dem Motto: Wenn dieser Typ Bürgermeister wird, wandern wir ab, und natürlich nehmen wir unser ganzes schönes Geld mit, dann guckt er in die Röhre. Ist das nur Angstmache? Oder nicht eine Drohung, die ernstzunehmen ist? Ohne Steuereinnahmen keine Sozialreformen, so viel ist ja richtig.
Wahrscheinlich wird sich das Ach und Weh der Millionäre und Milliardäre bald legen, sobald sich zeigt, dass auch höhere Spitzensteuersätze in New York ihnen nicht die Luft zum Atmen nehmen. Denn New York ist noch immer das mit Abstand machtvollste Finanzzentrum der USA, nicht Miami oder Austin. Auch für politische Einflussnahme aufs globale Finanzgeschehen und lukrative Geschäfte zahlt sich ein Wohnsitz in der Stadt aus. Außerdem scheinen sich auch die Superreichen an Orten mit funktionierender Infrastruktur und prestigeträchtigen Kulturangeboten wohlzufühlen, die die öffentliche Hand aus den Steuereinnahmen fördert – also an Orten wie New York und Kalifornien.
In Amerika ist der Antikommunismus traditionell sehr stark, du hast ja bereits die Red Scare angesprochen. Gegen Mamdani hat er aber offenbar nicht funktioniert. Zeugt das von einer nachlassenden Kraft des Antikommunismus, was ja ein gutes Zeichen wäre?
Die Red Sare hat tatsächlich eine lange und sehr erfolgreiche Tradition in den USA. Aber die Ideologie des Kapitals war in der Vergangenheit sicherlich auch deshalb so stark in der Mittelschicht, weil der American Dream sich in realem Wohlstand manifestiert hat. Und der Glaube an eben dieses Glücksversprechen ist seit einer Weile am Erodieren, weil ihm die materielle Basis abhanden gekommen ist.
Wohneigentum an attraktiven Orten ist für viele seit dem großen Crash von 2008 unerschwinglich geworden. Spätestens seit der Corona-Krise ist auch der tägliche Konsum wesentlich teurer geworden, und die Aussichten auf einen gut bezahlten, sicheren Job mit garantierter Altersvorsorge sind trüber denn je. Jüngere Menschen tendieren zu ähnlichen Anteilen stärker nach rechts oder nach links, während das liberale Zentrum der Demokraten kaum noch Anziehungskraft für sie hat. Und es wächst die Skepsis gegenüber der militärisch abgesicherten US-Hegemonie im Angesicht der sich verstetigenden Krise zu Hause.
In dem Maße, wie das gesellschaftliche Fundament der Vergangenheit – eine starke Konsumtion der Middle Class, garantiert durch die dominante Rolle des Dollar auf dem Weltmarkt – deutliche Risse bekommt, werden die Bezichtigungen an Reformer, sie seien in Wirklichkeit Kommunisten, immer schriller und unglaubwürdiger. Mittlerweile ist der Wahn so weit gediehen, dass selbst eine vollkommen harmlose Politik, die öffentliche Infrastruktur wie Straßenbau fördert, Lohnarbeitsangebote durch Subventionen schafft und soziale Mobilität etwa durch Bildungszuschüsse fördert, als Sozialismus verteufelt wird. Das durchschauen auch manche Rechte und finden darauf ihre eigenen Antworten – Protektionismus und bislang vage Versprechen, die USA zu reindustrialisieren.
Ich denke nicht, dass das Gros der Trump-Gegner:innen stärker für sozialistische Ideen empfänglich ist. Es geht da wahrscheinlich eher um eine freundlichere Variante des American Dream und US-Patriotismus, zumindest war das mein Eindruck bei den No-Kings-Protesten. Ein Sozialdemokrat wie Mamdani bietet konkrete Lösungen für konkrete Probleme: Das Geld ist da, es muss nur richtig verteilt werden. Die Steuerlast sollte mehr auf den Reichen liegen, um zumindest ein Minimum an sozialer Verteilung von oben nach unten zu gewährleisten, um der Stagnation Einhalt zu gebieten. Für mich bedeutet das die Rückkehr des linken Populismus – in einer Stadt. Gespannt sein darf man trotzdem.
Peter Grün ist Mitglied des Independent Labour Club New York City, einer freien Assoziation von Arbeiter:innen