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„Die Klimakrise wird auf dem Rücken der Schwächsten der Gesellschaft ausgetragen“

„Die Klimakrise wird auf dem Rücken der Schwächsten der Gesellschaft ausgetragen“

30. November 2025

Während die Welt durch multiple Krisen und Kriege im Chaos versinkt, rückt der Klimawandel immer mehr in den Hintergrund: Doch die katastrophalen Folgen durch die Erderwärmung nehmen weiter zu. 2024 wurde so viel CO₂ in die Atmosphäre geblasen wie noch nie zuvor und die ersten Kipppunkte werden überschritten. Doch wie Guy Debord es schon in Der kranke Planet angemerkt hat: „Dem alten Ozean an sich ist die Umweltverschmutzung gleichgültig, der Geschichte aber ist sie es nicht. Und sie kann nur gerettet werden durch die Abschaffung der Ware Arbeit“. Der Frage, wie der Klimawandel und die Warenproduktion zusammenhängen, gehen Katja Wagner, Maria Neuhauss und Maximilian Hauer in ihrem lesenswerten Buch Klima und Kapitalismus. Plädoyer für einen ökologischen Sozialismus (Schmetterling Verlag) nach. Es dient sowohl als Einführung in die Marx’sche Stoffwechseltheorie als auch als Beitrag zu aktuellen Debatten um Ökosozialismus. Wir haben mit den Autor:innen über ihre zentralen Thesen diskutiert.

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Communaut: Ihr schreibt in der Einleitung: „Das Buch ist parallel zum Abschwung des letzten großen Zyklus der Klimaproteste entstanden.“ Gleichzeitig lassen sich mittlerweile ganze Bibliotheken zum Thema Klimawandel füllen. Die Idee zum Buch entstand, als ihr 2019 bei einem großen Klimastreik mit einem Flugblatt zur Radikalisierung der Klimabewegung beitragen wolltet. Wart ihr damit erfolgreich?

Max: Es wäre vermessen anzunehmen, dass ein einzelnes Flugblatt die politische Linie einer Massenbewegung ändern kann. Die Resonanz war allerdings relativ groß. Das Flugblatt wurde online viel geteilt, auch in anderen Städten auf Demos unter die Leute gebracht und ins Englische übersetzt. Außerdem hatte es ein Zeitungsinterview zur Folge, aus dem dann das Angebot des Schmetterling Verlags für unser Einführungsbuch entstand.

Der Grund für diese Aufmerksamkeit lag sicher darin, dass in der Klimabewegung und der weiteren linken Öffentlichkeit eine Ahnung ihrer analytischen und politischen Grenzen bestand, sodass ein Bedürfnis nach neuen Orientierungen existierte. Wir haben in der Folgezeit gesehen, dass in einigen Ecken der Klimabewegung ganz unterschiedliche Radikalisierungsprozesse stattfanden.

Erfreulich ist in unseren Augen eine verstärkte Auseinandersetzung mit ökologischem Marxismus und Ansätze für einen „Labour turn“ der Klimabewegung, etwa in den Kampagnen „Wir fahren zusammen“ oder dem Kampf für eine ökologische Konversion bei dem besetzten Autozulieferer GKN in Florenz.

Allerdings gibt es auch andere Fluchtlinien, etwa den Rückzug in autonome Politikformen wie die Besetzungen temporärer autonomer Zonen in von Zerstörung bedrohten Wäldern und Dörfern oder das „solidarische Preppen“ (Tadzio Müller). Wie der „Labour turn“ verstehen sich auch diese Vorschläge als Antworten auf das Scheitern der appellativen Politik der Klimabewegung. Aufgegeben wird hierbei allerdings die politische Perspektive einer gesamtgesellschaftlichen Eindämmung des Klimawandels, die im letzten Bewegungszyklus rund um Fridays for Future Ende der 2010er Jahre noch zentral war. In den Vordergrund tritt damit die Anpassung an den Klimawandel, wie sie vermeintlich realistische Mitte-rechts-Kräfte schon lange propagieren – mit dem Unterschied, dass die nun beschworene „Kollapsbewegung“ Anpassung nicht technokratisch, sondern szenepolitisch denkt.

Doch nicht alles, was sich einen radikalen Anschein gibt, ist es auch. „Radikal“ im Sinne von Marx wäre ein Fokus auf die gesellschaftlichen Wurzeln der ökologischen Katastrophe – die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse. Mit unserem Buch wollen wir zu einer Radikalisierung in diesem Sinne beitragen. Denn die Enttäuschung mit der bürgerlichen Politik hat leider bisher nicht dazu geführt, dass sozialistische Perspektiven in der Klimabewegung vorherrschend geworden wären.

Im ersten Kapitel des Buches arbeitet ihr euch durch naturwissenschaftliche Daten und Fakten zum Klimawandel  im Zeitalter des Anthropozäns. Im zweiten Kapitel setzt eure materialistische Kritik ein – samt einer Kritik an einer rein naturwissenschaftlichen Lösung sowie am Konzept des anthropogenen Klimawandels. Euer Anliegen ist das einer „gesellschaftspolitischen Erweiterung“ der Debatte. Dabei kommt ihr dann schnell zu Karl Marx und der ökologischen Aktualität des historischen Materialismus. Warum? 

Max: Genau genommen verstehen wir schon das erste Kapitel als Beitrag zu einem materialistischen Verständnis des Klimawandels. In der Linken wird ja viel mit dem Attribut „materialistisch“ hantiert, aber merkwürdigerweise spielt die Materie (oder die Natur) dabei in der Regel keine Rolle. Wir wollen wieder ein Verständnis von Materialismus stärken, das nach den Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlicher Praxis und stofflicher Welt fragt und dabei auch Ergebnisse der Naturwissenschaften berücksichtigt. Hier orientieren wir uns methodisch an Marx, der wesentliche naturwissenschaftliche Debatten seiner Zeit verfolgte und in seine Theoriebildung einfließen ließ – von Charles Darwins Lehre Über die Entstehung der Arten bis zu den agrarchemischen Studien Justus von Liebigs, die für eine kritisch-ökologische Lesart von Marx entscheidend sind.

Marx wendet sich schon in seinen frühen Texten gegen eine idealistische Auffassung des Menschen als vereinzeltes, primär geistiges Wesen. Er unterstreicht stattdessen erstens die leibliche Bedürftigkeit des Menschen sowie die damit einhergehende Angewiesenheit auf die materielle Welt und zweitens die gesellschaftliche Arbeit als besondere Form zur Befriedigung dieser Bedürfnisse, wodurch von Anfang an eine historische Dimension in seine Anthropologie hineinkommt. Dieses Denken erfasst den Menschen sowohl als Naturwesen als auch als gesellschaftliches Wesen mit einer außerordentlich wandelbaren Geschichte sozialer, politischer, ökonomischer und kultureller Formen.

Angesichts der ökologischen Krisen ist es entscheidend, beide Momente im Blick zu behalten, was vielen anderen Denkschulen nicht gelingt. So hat ein in den Sozialwissenschaften lange dominanter Konstruktivismus versucht, die natürliche Dimension als Effekt gesellschaftlicher Diskurse zu beschreiben. Zur ökologischen Krise hat diese Strömung nun nicht viel beizutragen. Umgekehrt gibt es in der ökologischen Tradition Ansätze, die keinen Blick für die gesellschaftlich-historische Dimension haben, zum Beispiel die sogenannte Tiefenökologie. Dies führt zu der pessimistischen Annahme, dass der Mensch von Haus aus – unabhängig von seinen gesellschaftlichen Beziehungen – eine zerstörerische Spezies ist. Das verstellt den Blick darauf, dass Menschen immer in historisch spezifischen gesellschaftlichen Verhältnissen leben, arbeiten und konsumieren, die jeweils mit spezifischen Beziehungen zur natürlichen Umwelt einhergehen.

Für uns im 21. Jahrhundert ist es zentral, den Kapitalismus zu verstehen, der heute die Beziehungen der Menschen zur Erde strukturiert. Und in dieser Frage führt kein Weg an Marx vorbei, der im Kapital die spezifischen „Bewegungsgesetze“ der kapitalistischen Produktionsweise aufgeschlüsselt hat. Sein Werk wird seit dem 19. Jahrhundert dafür geschätzt, dass es die Funktionsweise von Herrschaft und Ausbeutung in der kapitalistischen Klassengesellschaft offenlegt. Die Frage der kapitalistischen Naturzerstörung stand dabei lange Zeit nicht im Zentrum des theoretischen und praktischen Interesses. Das hat sich seit den 1970er Jahren jedoch allmählich verändert und es haben sich verschiedene Spielarten eines ökologischen Marxismus herausgebildet, die zeigen, dass Marx´ Analyse des Kapitalismus eine ökologische Dimension besitzt. Insbesondere das Theorem von einem „unheilbaren Riss im gesellschaftlichen Stoffwechsel mit der Natur“, das Marx bei seiner Untersuchung der kapitalistischen Agrarindustrie geprägt hat, wurde dafür fruchtbar gemacht und als Modell verstanden, mit dem sich auch der Klimawandel gesellschaftstheoretisch in den Blick nehmen lässt.

Ihr argumentiert, dass das Bestehen der Wertform und die Vorherrschaft des Tauschwerts im Kapitalismus bereits ein Potenzial für ökologische Krisen in sich tragen. Könnt ihr das noch einmal genauer erklären?

Max: In unserem Buch beziehen wir uns unter anderem auf den marxistischen Ökonomen Paul Burkett, der 1999 das wegweisende Buch Marx and Nature. A Red and Green Perspective veröffentlicht hat – aus diesem Werk stammt der Gedanke, den ihr in eurer Frage ansprecht. Marx untersucht im Kapital die Ware als Elementarform des kapitalistischen Reichtums und stellt dabei fest, dass jede Ware einen Doppelcharakter hat: Sie hat einen besonderen Gebrauchswert, der ein spezifisches Bedürfnis befriedigt, und sie hat gleichzeitig einen Tauschwert, der sich in einer bestimmten Geldsumme ausdrücken lässt. Schon sehr früh in der Darstellung zeichnet sich ab, dass der Tauschwert – besonders in seiner verselbständigten Gestalt als Geld – gegenüber dem Gebrauchswert ein Übergewicht erhält, da Geld sich in alle Gebrauchswerte verwandeln lässt, sobald alle Produkte Warenform annehmen. Die Gebrauchswerte dienen lediglich als „Träger“ von Tauschwert.

Diese Tendenz wird dann mit der Einführung der Kategorie des Kapitals in die Darstellung immer deutlicher: Der innere Antrieb der Kapitalakkumulation ist es, aus Geld mehr Geld zu machen. Alle Gebrauchswerte sind dabei nur Mittel zu diesem Zweck. Burkett weist darauf hin, dass die abstrakte Wertform Eigenschaften besitzt, die für den stofflichen Reichtum nicht zutreffen, der dennoch als Träger der Wertform herhalten muss. Beispielsweise sind Bewegungen von Geld reversibel: Eine Summe davon kann erst ausgegeben und anschließend wieder eingenommen werden, wobei Anfang und Ende des Prozesses auf der Wertebene identisch sind. Die zugrundeliegenden stofflichen Prozesse – die biophysikalische Verausgabung von Energie, die Umwandlung von Materie – sind jedoch unumkehrbar. Dass diese Bewegungen von Wert mit stofflichen Umwälzungen von Ökosystemen verbunden sind, in deren Zuge etwa biologische Arten ausgelöscht werden, taucht in der Wertlogik nicht auf. Eine Gleichgültigkeit gegenüber den natürlichen Lebensgrundlagen ist also ein grundlegender Wesenszug des Kapitalismus.

Gleichzeitig ist es uns wichtig zu betonen, dass eine „logische“ Analyse von Kategorien nicht ausreicht, sondern man sich mit der konkreten Geschichte des Kapitalismus beschäftigen muss, um die Entstehung konkreter ökologischer Krisen nachzuvollziehen. Und wir verstehen Marx auch nicht als einen düsteren Guru des Unheils, sondern als Revolutionär, der sich immer wieder politisch organisiert hat, um praktisch für einen Ausweg aus den Verhältnissen zu kämpfen, die er in seiner Theorie analysiert hat.

Über Marx’ Ökonomiekritik hinaus bezieht ihr euch auf die marxistische Geschichtswissenschaft zum Kapitalozän, deren bekannteste Vertreter der schwedische Humanökologe Andreas Malm und der amerikanische Geograf Jason Moore sind. Diese haben in Antwort auf die erdwissenschaftliche These vom Anthropozän (ánthropos, deutsch ‚Mensch‘ und kainós, deutsch ‚neu‘), die v.a. vom Atmosphärenchemiker Paul Crutzen im Jahr 2001 aufgestellt wurde, die Kapitalozäntheorie entwickelt, der zufolge die Ursprungsgeschichte der gegenwärtigen geologischen Revolution auf die Anfänge des Handelskapitals (Moore) bzw. des fossilen Kapitals (Malm) verweisen. Warum sind fossile Brennstoffe derart funktional für die kapitalistische Produktionsweise?

Katja: Fossile Brennstoffe haben einige Charakteristika, die sie für die kapitalistische Produktionsweise besonders geeignet machen. Andreas Malm nennt in seiner sehr beeindruckenden Studie über die Entstehung des fossilen Kapitalismus (Fossil Capital) vier wesentliche Aspekte, die der Kohle zu ihrem Durchbruch verholfen haben. Gegenüber den erneuerbaren Energien Wasser und Wind ist die Kohle erstens von den räumlichen Gegebenheiten unabhängig. Von Wasserkraft betriebene Fabriken mussten etwa an geeigneten Flussläufe gebaut werden. Dagegen konnte man die Kohle mit dem neu entstehenden Schienensystem in die dichter besiedelten Städte transportieren, wo man Zugang zu weiterer Infrastruktur und insbesondere Arbeitskräften hatte. Zu dieser räumlichen Flexibilität kommt die zeitliche Ungebundenheit: Die Kohle garantierte einen kontinuierlichen Energiefluss, unabhängig von den Jahreszeiten und klimatischen Bedingungen. Schließlich entspricht Kohle besser den Erfordernissen des Privateigentums. Sie ist messbar, zerteilbar und unbeweglich, dadurch konnte man sie der Natur besser entwenden, sich privat aneignen und damit kontrollieren und zentralisieren. Hinzu kommt die nahezu beliebige Skalierbarkeit der Produktion durch die Kohleverbrennung.

Ihr zeichnet ein sehr dialektisches Bild der (fossilen) Entwicklung, in der Klassenkämpfe die maschinelle Entwicklung vorantreiben. Ihr schreibt, dass technische Innovationen – so auch die Dampfmaschine – als Antwort auf Klassenkämpfe zu verstehen seien. Was meint ihr damit genau?

Katja: Normalerweise sagt uns unser bürgerlich geprägter Verstand, dass die Kohle sich vermutlich einfach mit dem technischen Fortschritt gegenüber der Wasserkraft durchsetzte. Tatsächlich aber zeigt Malm, dass der Siegeszug der Kohle nicht allein durch den technologischen Fortschritt, sondern vor allem auch vor dem Hintergrund der Klassenverhältnisse verstanden werden muss, bzw. dass beides sich gegenseitig bedingt.

In der frühen Industrialisierung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in England war die Wasserkraft die dominierende Energie, die die Getreidemühlen und die entstehenden Manufakturen antrieb, obwohl die Entwicklung der durch Kohle angetriebenen Dampfmaschine mit dem vierten Patent von James Watt im Jahr 1784 schon weit gediehen war.

Bis sich die Dampfmaschine durchgesetzt hatte, dauerte es ungefähr weitere 70 Jahre. Während dieser Zeit wurden Englands Kapitalist:innen – insbesondere in der Textilindustrie – von mehreren Wellen heftiger Klassenkämpfe geplagt. Dabei verfügten manche Berufsgruppen, wie z. B. die Spinner:innen, über eine große Produktionsmacht, die sie zu militanten Anführer:innen in den Streikwellen machte. Der Umstieg auf die Dampfmaschine ermöglichte es den Kapitalist:innen schließlich, diese Produktionsmacht zu brechen. Mit der Dampfmaschine konnte die Produktion auf einem ganz neuen Niveau automatisiert und in mehrere Teilschritte zerlegt werden, was die Arbeiter:innen mehr und mehr zum Anhängsel der Maschinerie degradierte. Das fossile Energiesystem ermöglichte im Verbund mit den urbanen Fabriken neue Methoden der Disziplinierung und Kontrolle der Lohnarbeiter:innen. Ähnliches lässt sich auch für die spätere Entwicklung der Öl- und Gasförderung feststellen. Dies heißt aber keineswegs, dass die Arbeiter:innenklasse sich von da an ihrem Schicksal ergab. Im Gegenteil schuf das Kapital mit den Fabriken auch ein neues Industrieproletariat, das sich unter den veränderten Bedingungen zu einer mächtigen Arbeiter:innenbewegung entwickelte.

Es gibt ja auch eine linke Strömung, die vor allem ihre Hoffnung auf technologische Innovationen setzt. Ihr hingegen warnt vor der Borniertheit der kapitalistischen Produktivkraftentwicklung und auch vor einer „Verselbstständigung der Wissenschaft“ im Kapitalismus. Was meint ihr damit genau?

Max: Wahrscheinlich spielt ihr hier auf den sogenannten „Ökomodernismus“ an, den es in verschiedenen Spielarten im liberalen Zentrum aber auch in der Linken und sogar in bestimmten linksradikalen Strömungen gibt, Stichwort „vollautomatisierter Luxuskommunismus“. Ein optimistischer Blick auf die gesellschaftliche Rolle von Technik und Wissenschaft reicht in der westlichen Geistesgeschichte mindestens bis ins 17. Jahrhundert zurück. Zunächst erhofften sich liberale Denker:innen von der Produktivkraftentwicklung Glück durch materiellen Überfluss, die Zurückdrängung von Krankheiten etc. Nun hofft man darauf, dass derselbe Innovationsprozess, der beispielsweise das fossile Energiesystem hervorgebracht hat, neue technische Innovationen hervorbringt, die die entstandenen Schäden auswetzen sollen.

Technik und Wissenschaft spielen eine enorm wichtige Rolle, um die Klimakrise einzudämmen. Denn das neue, postfossile Energiesystem, das wir brauchen, wird nicht einfach durch eine Änderung der politischen Macht- oder der ökonomischen Eigentumsverhältnisse vom Himmel fallen. Neben den wissenschaftlich-technologischen Grundlagen einer möglichen postfossilen Zukunft liefern sie damit auch wesentliche Voraussetzungen für eine Transparentmachung des ökonomischen Prozesses von seiner stofflichen Seite betrachtet, was für jede sozialistische Gesellschaft enorm wichtig wäre, um „ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell [zu] regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle [zu] bringen“ (Marx).

Das Problem ist aber umgekehrt auch, dass die bestehenden Eigentumsverhältnisse die Entwicklung und breite Implementierung von Technik nach wie vor in bestimmte kapitalkonforme Bahnen lenken. Darauf haben verschiedene linke Denkschulen von der Kritischen Theorie bis hin zum italienischen Operaismus bereits Mitte des 20. Jahrhunderts hingewiesen und diese Einsichten bleiben aktuell.

Auch „die Wissenschaft“, die unter dem Slogan „Follow the Science!“ von Teilen der Klimabewegung als weltanschauliche und moralische Autorität angerufen wurde, ist bei näherem Hinsehen ein komplexes Phänomen mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Funktionen. Wir können „die Wissenschaft“ nicht einfach abstrakt als Gegenmacht zum Klimawandel ins Feld führen. Seit den industriellen Revolutionen des 19. und mehr noch des 20. Jahrhunderts sind die angewandten Naturwissenschaften zu einem zentralen Element des Produktionsprozesses geworden und haben in dieser Funktion die ökologische Zerstörung mitverursacht. Gleichzeitig kommt es im Zuge der Industrialisierung und Verwissenschaftlichung zu einer vertieften Spaltung von Hand- und Kopfarbeit. Es bildet sich eine neue, akademisch gebildete Schicht der technisch-wissenschaftlichen Intelligenz aus, die im Arbeitsprozess Leitungsfunktionen gegenüber der zunehmend dequalifizierten Handarbeit übernimmt – das meint die Rede von der „Verselbständigung der Wissenschaft“. Die Anrufung „der Wissenschaft“ geht über diese Klassenaspekte hinweg, die aber wichtig sind, wenn man bestimmte Vorbehalte gegenüber „der Wissenschaft“ unter Handarbeiter:innen verstehen will, die sich auch als Grenze für die Klimabewegung herausgestellt haben.

Der klassische Autor des Ökomarxismus, James O’Connor, sprach einmal vom kapitalistischen Staat als „Interface zwischen Kapital und Natur“. Gegen die selbstzerstörerischen Tendenzen des Kapitals werde der Staat durch den fundamentalen Klassenantagonismus zur Intervention gegen die unmittelbaren Profitinteressen der Einzelkapitale gezwungen: Klassenkämpfe im Kontext der Einführung eines Normalarbeitstages im 19. Jahrhundert hätten dazu geführt, dass „das Kapital endlich an die Kette gesetzlicher Regulation gelegt“ werde, wie Marx im Kapital schreibt. Nun stellt sich die Frage, ob der kapitalistische Staat ebenso gegen die naturzerstörerischen Tendenzen des Kapitals interveniert und in welcher Form. Ihr zeigt, dass der kapitalistische Staat in einer ersten Phase der grünen Kapitalisierung regulatorisch eingreift und seit dem Kyoto-Protokoll die öffentlichen Rahmenbedingungen für die Bepreisung von CO₂ geschaffen hat. Könnt ihr erklären, weshalb die marktvermittelten Lösungsansätze der Klimakatastrophe – wie cap-and-trade-Systeme und andere Formen des Emissionshandels – auf europäischer und deutscher Ebene gescheitert sind?

Maria: Für den Staat sind die naturzerstörerischen Tendenzen des Kapitals schon lange ein Thema. Der bürgerliche Staat hat zur Aufgabe, die Verwertungsbedingungen des Kapitals sicherzustellen, also auch die kapitalgetriebene Umweltzerstörung nicht eskalieren zu lassen. Dazu muss die unternehmerische Freiheit der Einzelkapitale immer wieder eingeschränkt werden. Mit Durchsetzung des Kapitalismus wurden zunächst die Wasser- und Luftreinhaltung zu einem Feld staatlicher Politik. Industrielle Schadstoffeinträge und massenhaft menschliche Exkremente in den Städten führten zu Epidemien oder beeinträchtigten die Produktion, die selbst auf sauberes Wasser angewiesen war. Land- und Forstwirtschaft beschwerten sich über Industriestäube und Asche, die aus den Schornsteinen der Fabriken qualmten. Mit Entwicklung der Produktivkräfte und der Ausdehnung des Kapitalismus wurden die entstehenden Umweltprobleme immer komplexer und weltumspannender. Der Klimawandel erfordert nun aus verschiedenen Gründen eine internationale Kooperation: Fossile Energien werden weltweit genutzt, gleichzeitig sind die Auswirkungen des Klimawandels räumlich diffus und global. Dazu kommt der internationale Wettbewerbsdruck, der dazu führt, dass kein Staat seine heimische Industrie mit Klimaschutzvorgaben belasten will, wenn nicht zugleich alle anderen mitziehen.

Auf der UN-Klimakonferenz in Kyoto 1997 wurden zum ersten Mal verbindliche Reduktionsziele bei den Treibhausgasemissionen beschlossen und die Weichen für die weitere internationale Klimapolitik gestellt. Dazu wurde entschieden, das Problem der CO₂-Emissionen mit ihrer Bepreisung anzugehen. Die Verbrennung fossiler Brennstoffe rentiere sich nicht länger – so die Annahme –, wenn die Umweltschäden eingepreist würden. Es handelt sich somit um einen neoliberalen Politikansatz, der die Aufgabe des Staates eher darin sieht, einen optimierten Markt zu schaffen, als durch Verbote oder eigene Investitionen direkten Einfluss auf die Energieproduktion zu nehmen.

Treibhausgasemissionen sind weiterhin möglich, müssen nun aber mit entsprechenden „Emissionszertifikaten“ legitimiert werden. Diese haben – zumindest dem Prinzip nach – einen Preis, der sich am Markt bildet, sind absolut gedeckelt (cap) und werden mit der Zeit reduziert. Denn auch die Emissionen sollen ja immer weiter sinken. Gleichzeitig kann mit den Zertifikaten gehandelt werden (trade), um einen möglichst kosteneffizienten Klimaschutz zu gewährleisten. Nach 1997 sind zunächst der internationale Emissionshandel nach dem Kyoto-Protokoll und anschließend viele weitere Emissionshandelssysteme entstanden, u. a. auch das europäische. Die mit dem Emissionshandel zusammenhängenden Probleme sind allerdings mannigfaltig: Vor allem irritieren die großzügig verteilten kostenlosen Zertifikate gerade an die energieintensive Industrie, um sie von der Abwanderung in Länder ohne entsprechende Umweltauflagen abzuhalten . Zu Beginn des europäischen Emissionshandels wurden auch mehr Emissionszertifikate ausgegeben, als überhaupt Treibhausgase ausgestoßen wurden. Darin drückt sich der Widerspruch aus, in dem sich die Staaten befinden: Einerseits wollen sie klimapolitisch Handlungsbereitschaft zeigen, andererseits möchten sie ihr heimisches Kapital schützen. Die Preisschwelle, ab wann teure Änderungen in grüne Produktionsverfahren usw. wirklich unumgänglich werden, ist zwar schwer vorauszusagen, liegt aber wohl um einiges höher als der jetzige Zertifikatspreis – und schon jetzt bemüht sich die Regierung darum, der energieintensiven Industrie beim Strompreis unter die Arme zu greifen.

Verlässliche Studien zur Wirksamkeit des Emissionshandels gibt es nicht. Die für einen wirksamen Klimaschutz benötigte „tiefe Dekarbonisierung“ der gesamten Wirtschaft ist von einer Politik der indirekten Preisanreize allerdings auch nicht zu erwarten. Was wirklich nötig wäre, ist ein fossiler „phase-out“, d. h. ein gezielter und koordinierter Ausstieg aus den fossilen Energien. Von dieser Aufgabe lenkt der Emissionshandel eher ab. Umso kritischer sind die derzeitigen Verhandlungen über eine Neuauflage des internationalen Emissionshandels unter dem Pariser Klimaabkommen zu bewerten.

Es scheint nun aber, als wäre die herrschende Klasse mittlerweile selbst zu eurer Diagnose gelangt: Marktinstrumente und Preissignale sind zu graduell, um eine schnelle und umfassende Dekarbonisierung zu ermöglichen. Daher setzen kapitalistische Staaten – von den Bidenomics über den europäischen Green Deal bis hin zu den chinesischen Planungszielen einer „ökologischen Zivilisation“ – nicht mehr nur auf horizontale Marktinstrumente, sondern auf neue Instrumente eines grünen Kapitalismus: vertikale Staatsinterventionen in Schlüsselsektoren der Wirtschaft (erneuerbare Energien, grüner Stahl, Automobilindustrie etc.). Dabei geht es natürlich oft um geostrategische Vorherrschaft, insbesondere um die amerikanische Gegnerschaft zu China. Wie schätzt ihr diese globale Welle kapitalistischer, staatlich koordinierter grüner Industriepolitik ein?

Maria: Auf nationaler Ebene wurden die marktbasierten Instrumente schon früh von anderen Klimaschutzbemühungen begleitet. Nur auf internationaler Ebene scheint man sich bislang auf kein anderes Mittel als die Bepreisung von Emissionen einigen zu können, da die zur Verfügung stehenden Ressourcen, die gewachsenen Modelle der Energieproduktion und damit auch die Interessen der Staaten zu weit auseinandergehen. Schließlich nimmt der Emissionshandel nur die Treibhausgasemissionen in den Blick, nicht aber deren Quelle.

Für Deutschland ist v. a. das Erneuerbare-Energien-Gesetz relevant, das seit den 2000er Jahren den Ausbau der erneuerbaren Energien fördert. Auch hier wird letztlich eine Politik der Preisanreize verfolgt, indem der Staat seine Rolle darauf beschränkt, die Profitabilität der Stromerzeugung mit erneuerbaren Energien abzusichern, um so Investitionen durch Dritte anzuziehen. Doch nimmt der Staat damit sehr viel deutlicher die konkrete Form der Energieproduktion in den Fokus als im Falle des Emissionshandels. Der Ausstieg aus der Kohle bis zum Jahr 2038 stellt ebenfalls eine gezielte Steuerung der Energieversorgung dar. Trotzdem haben beide Ansätze ihre Grenzen: Die staatlicherseits garantierten Profite der Erneuerbaren sind zu niedrig, um den benötigten massiven Ausbau anzutreiben. Und der Kohleausstieg 2038 kommt im Verhältnis zum 1,5-Grad-Ziel deutlich zu spät.

Die von euch angesprochenen Bidenomics oder der europäische Green Deal sind etwas anders gelagert. Hier geht es zwar auch um das Vorantreiben der Energiewende, dies aber gepaart mit der forcierten Entwicklung „grüner“ Technologien, um im globalen Wettstreit aufzuschließen, Marktanteile zurückzuerobern und kritische Abhängigkeiten zu reduzieren. Zentraler Konkurrent ist dabei China. Denn der hiesige Ausbau der erneuerbaren Energien, die Förderung der E-Mobilität usw. haben aktuell zum Problem, dass die Windturbinen, Solarpaneele und inzwischen auch die E-Autos samt Batteriezellen größtenteils aus chinesischer Produktion stammen. Auch bei zahlreichen Rohstoffen, die für grüne Technologien wichtig sind, sind die USA und Europa auf China angewiesen. Das ist aus Perspektive deutscher und US-amerikanischer Standortpolitik ein Problem. Die Industriepolitik der Bidenomics oder des Green Deal sind somit als Versuch zu verstehen, die derzeit hauptsächlich in China angesiedelten Wertschöpfungsketten zurück in die USA und nach Europa zu holen. Mit Klimaschutz hat das alles nur sekundär zu tun. Denn aus Perspektive des Klimaschutzes wären günstige chinesische Solarpaneele zu begrüßen. Umgekehrt führen eine aus Wettbewerbsgründen vorangetriebene E-Auto-Produktion, grüner Stahl usw. die kapitalistische Umweltzerstörung nur fort. Anstatt eine wirkliche Mobilitätswende anzustreben, wird der Irrsinn des motorisierten Individualverkehrs einfach mit E-Autos fortgeführt, die zwar weniger Treibhausgase emittieren, aber in ihrer Masse den Energie- und Stoffdurchsatz trotzdem weiter erhöhen. Angesichts des Klimawandels und auch der anderen ökologischen Krisen müsste sowohl weniger, als auch gezielter produziert werden. Die Bidenomics und der Green Deal weisen nicht in diese Richtung. Übrigens setzt der europäische Green Deal bei der eigentlichen Frage der Reduzierung von Treibhausgasemissionen weiterhin zentral auf den Emissionshandel.

Um zuletzt noch einmal auf China zu sprechen zu kommen: Zwar stellt das Land aktuell beim Ausbau der erneuerbaren Energien alle anderen in den Schatten. Doch gleichzeitig investiert China weiterhin stark in den Ausbau der Kohleenergie. Die Erneuerbaren fungieren hier eher als weitere Energiequelle in einer diversifizierten Energieversorgung statt als Ersatz der fossilen Energien. Das zugrundeliegende Problem bleibt der steigende Energiebedarf – nicht nur in China. Diesen infrage zu stellen, rührt an ein gesellschaftliches Tabu, nämlich die fehlende ökologische Tragfähigkeit der kapitalistischen Produktionsweise und den davon geformten Lebensstilen.

Neben der Klimabewegung skizziert ihr auch die beiden derzeit am häufigsten diskutierten linken Mainstream-Ansätze zur Bekämpfung der Klimakrise: den Green New Deal und verschiedene Degrowth-Ansätze. Obwohl ihr beiden Richtungen auch Positives abgewinnen könnt, fällt eure Kritik daran grundsätzlich aus. Wo liegen eure zentralen Kritikpunkte?

Katja: Der linke Green New Deal (GND) à la Bernie Sanders ist ein sehr umfassendes Reformprojekt im Geiste der klassischen Sozialdemokratie. Darin liegt sowohl sein Reiz als auch seine Schwäche. Reiz, weil es als linkes Regierungsprojekt den Klimawandel in seinem Ausmaß ernst nimmt und zugleich bestrebt ist, die ökologische Frage im Verbund mit der sozialen Frage anzugehen. Der GND will nicht nur ein paar Anreize zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen schaffen, sondern die gesamte Produktion, den Verkehr und das Wohnen dekarbonisieren,.  aber nicht auf Kosten der Arbeiter:innenklasse. Er predigt keinen Verzicht, sondern unter anderem einen Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge, die Schaffung sinnvoller, grüner Jobs, die Konversion der Produktion und die Verstaatlichung von industriellen Schlüsselsektoren.

Viele dieser angestrebten Reformen sind durchaus vernünftig. Der GND formuliert aber lediglich eine parlamentarische Reformperspektive und verlässt nicht den Rahmen des kapitalistischen Privateigentums, den Zwang zum Wachstum und damit den steigenden Ressourcenverbrauch.  

Der GND geht davon aus, dass eine sozialdemokratische Regierung weitreichende Reformen durchsetzen kann, ohne die herrschende Klasse zu entmachten. Die Geschichte zeigt aber, dass linke Regierungen immer wieder relativ schnell unter dem Druck der herrschenden Klasse zusammengebrochen sind. Entweder wurden sie gestürzt oder sie haben sich den kapitalistischen Zwängen gefügt. Weitreichende sozial-ökologische Veränderungen werden nicht auf dem parlamentarischen Weg, sondern nur durch Druck einer Mehrheit der Bevölkerung möglich sein. Warum sollte man also nicht gleich für ein sozialistisches Projekt einstehen? Umgekehrt ließe sich auch fragen, ob sich eine solche Massenbewegung mit der notwendigen Widerstandskraft überhaupt ohne den Fluchtpunkt einer grundsätzlichen gesellschaftlichen Alternative bilden kann.

Zuletzt verdrängt und reproduziert der GND globale imperiale Verhältnisse. Ein Projekt wie der GND ist – wenn überhaupt – nur in wirtschaftsstarken Zentren wie den USA oder der EU möglich. Denn das Finanzierungsmodell des GND basiert letztlich auf Kreditaufnahmen und Verschuldung. Eine Verkehrswende bedarf etwa einer enormen Anschubinvestition, da ein Großteil des Verkehrs auf die Schiene umgeleitet werden müsste. Zudem benötigt die Energie- und Verkehrswende auf dem aktuellen Niveau des Verbrauchs enorme Mengen an besonderen Metallen und seltenen Erden, wie etwa Silicium für die Produktion von Batterien. Schon jetzt basiert deren Abbau auf einer krassen Ausbeutung von Lohnarbeiter:innen in Ländern des Globalen Südens, wobei die Profite zum Großteil an Konzerne der kapitalistischen Zentren fließen.

Der Wind hat sich zuletzt selbst in der Mainstream-Politik zwischen Trump, Merz und Meloni nicht zugunsten des Klimas gedreht. Wäre ein linker Green New Deal à la Bernie Sanders dann nicht trotzdem wenigstens ein Anfang/besser als nichts?

Katja: Dessen grobe Zielrichtung einer sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft teilen wir und wir wären die letzten, die sich dagegenstellen, wenn eine reale Machtalternative zu Trump & Co in Erscheinung tritt. Wir bezweifeln allerdings, dass ein sozialdemokratisches Reformprojekt, das vor allem auf das Parlament als Hebel der Veränderung setzt, erfolgreich sein kann. Es ist natürlich eine taktische Frage, ob man angesichts der geringen gesellschaftlichen Mobilisierung für ein solches Projekt zunächst an konkreten und kleineren Reformvorhaben ansetzt. Das Problem daran ist, dass sich letztlich aus Reformen nicht automatisch eine radikalere Perspektive entwickelt und wir diese deshalb immer schon mitformulieren müssen. Auch ist die Enttäuschung vorprogrammiert, wenn man den Leuten ständig weismacht, dass man diese Reformen ohne große Widerstände umsetzen könnte, wenn sie einen nur wählen.

Selbst Martin Wolf, Chefökonom der Financial Times, ist mittlerweile zur Erkenntnis gelangt, dass angesichts des knappen Zeitfensters zur Verhinderung einer irreversiblen, nicht-linearen Klimakatastrophe marktvermittelte Lösungen nicht funktionieren können. Einige Ökomarxisten setzen daher auf die Strategie einer ökoleninistischen Übernahme der Staatsmacht (Andreas Malm), um die Stilllegung fossiler Vermögenswerte mit Zwang durchzusetzen, oder auf die Wiederbelebung des Kriegskommunismus (Kohei Saito), wobei dem Staat besondere Planungsbefugnisse zur Abwicklung des fossilen Kapitals und zum Aufbau einer Low-Carbon-Infrastruktur zukommen. Wie steht ihr zu diesen Ansätzen?

Max: Beide haben seit Mitte der 2010er Jahren hervorragende und publikumswirksame theoretische Analysen vorgelegt: Fossil Capital und Der Fortschritt dieses Sturms von Andreas Malm oder Natur gegen Kapital von Kohei Saito sind wegweisende Texte des ökologischen Marxismus. Mit ihren politischen Utopien und Strategievorschläge können die beiden Autoren uns jedoch nicht überzeugen.

Die Rede von einem „Kriegskommunismus“, die sich sehr prominent auch bei Malm findet, ist bei näherem Hinsehen eine Nebelkerze. Der historische Kriegskommunismus beschreibt eine Phase, in der die sozialistische Revolution im russischen Reich den Charakter eines sozialen Bürgerkriegs angenommen hat, der im Sieg der Bolschewiki über ihre politischen Rival:innen und Feind:innen und 1922 in der Gründung der Sowjetunion mündet. Unabhängig davon, wie man Lenin und seine Genoss:innen beurteilt, handelt es sich hier um ein Ereignis, dem der jahrzehntelange Aufbau einer revolutionären Arbeiter:innenbewegung, massive Klassenkämpfe, ein Weltkrieg und der Sturz von Aristokratie und Bürgertum vorangegangen waren.

Malm entwickelt seine Ideen zum Kriegskommunismus 2020 in seinem Buch Klima|x ausgehend vom entschlossenen Krisenmanagement bürgerlicher Regierungen in der Covid-19-Pandemie. Dieses Handeln schließt er – ohne plausiblen Grund – mit dem Kriegskommunismus der Bolschewiki kurz. Durch diese irreführende Verkehrung verwischt er den Klasseninhalt des bürgerlichen Staates und verleiht dessen Notstandspolitik – die während der Pandemie mit einer politischen Demobilisierung der Linken einherging – einen „revolutionären“ Nimbus. Dabei geht Malm am Problem der demokratischen Legitimität ebenso vorbei wie an der Frage, wie breitere Teile der Klasse der Lohnabhängigen für Kämpfe um den Erhalt ihrer natürlichen Lebensbedingungen gewonnen werden könnten.

Malm setzt seine Hoffnungen nicht nur in die bürgerliche Staatsbürokratie, sondern auch auf eine radikalisierte Klimabewegung, die er in seinem Buch Wie man eine Pipeline in die Luft jagt im Geist der Direkten Aktion von den strategischen Vorteilen der Ökosabotage überzeugen will. Auch aus seiner Begeisterung für bewaffnete Milizen aus dem Trikont – darunter die Hamas – macht er kein Geheimnis. Wie diese Stränge seines politischen Denkens zusammenpassen, bleibt letztlich unklar.

Obwohl Malm gerne die Tradition der sozialistischen Arbeiter:innenbewegung aufruft – Lenin, Trotzki, die Oktoberrevolution, der Kriegskommunismus – zeugen seine Begeisterung für Neue Soziale Bewegungen, autonome Minderheiten, technokratische Modernisierungsprojekte und nationale Bewegungen im Trikont eher von dem „Abschied vom Proletariat“, den weite Teile der Linken in den Metropolen seit den 1970er Jahren vollzogen haben.

Ähnliches gilt für das Werk von Kohei Saito. In seinem Bestseller Systemsturz spart Saito das Klassenverhältnis weitgehend aus und nimmt ihm jede theoretische oder strategische Bedeutung. Bei seiner Suche nach politischen Alternativen orientiert er sich jedoch an anderen Strömungen und schlägt einen weniger martialischen Ton an als Malm: Saito setzt auf ein Potpourri aus Bürgerversammlungen, Massendemonstrationen, genossenschaftlichen Non-Profit-Unternehmen und auf eine Konsumkritik, die an das Alternativmilieu der 1980er Jahre erinnert. Mit Kommunismus im Sinne einer Abschaffung der kapitalistischen Eigentums-, Klassen- und Produktionsverhältnisse hat dies alles recht wenig zu tun.

Ihr warnt auch davor, darauf zu hoffen, dass eine verschärfte ökologische Krise automatisch eine für den Kapitalismus existenzielle ökonomische Krise auslösen würde. Euch treibt vielmehr die Sorge vor einem möglichen Desasterkapitalismus um. Was genau versteht ihr unter diesem Szenario?

Maria: Die Zukunft eines erhitzten Planeten unter kapitalistischen Bedingungen ist alles andere als rosig. Bekanntlich führt der Klimawandel zu einer Zunahme an Sturm- und Flutkatastrophen sowie Hitze- und Dürreperioden, zu einem Rückgang der Nahrungsmittelproduktion und zur Zerstörung von Süßwasserressourcen. Unter kapitalistischen Bedingungen ist ein solidarischer Umgang mit diesen sich verschlechternden Lebensumständen ein sehr schwieriges Unterfangen. Vielmehr sehen wir schon jetzt, dass verwundbare Bevölkerungsteile mit den Folgen den Klimawandels alleine gelassen werden, während den Reichen Mittel und Wege offenstehen, sich von diesen abzuschirmen.

Zu erwarten ist auch, dass international politische Spannungen zunehmen werden, die sich um Rohstoffe, Wasser, den Umgang mit Migrationsbewegungen oder auch die Anwendung von Geoengineering-Technologien drehen. Zudem könnten ganze Regionen im Globalen Süden durch den Klimawandel weiter destabilisiert werden. Christian Parenti spricht in diesem Zusammenhang von „katastrophalen Konvergenzen“, bei denen sich politische, ökonomische und umweltbezogene Probleme miteinander verbinden und gegenseitig verstärken. Dieses Zusammenspiel verschiedener Krisenfaktoren beobachtet er v. a. bei einigen postkolonialen Staaten, die nicht nur als erstes vom Klimawandel getroffen werden, sondern aufgrund ihrer Wirtschaftsstruktur besonders empfindlich auf klimatische Veränderungen reagieren. Dabei sind die betreffenden Regionen durch Kolonialismus, den Kalten Krieg und die neoliberale ökonomische Umstrukturierung tief zerrüttet. Gemeinhin wird deshalb erwartet, dass mit dem Klimawandel umweltbedingte Fluchtbewegungen stark zunehmen werden. So geht die Weltbank davon aus, dass der Klimawandel in den nächsten 30 Jahren mehr als 200 Millionen Menschen zum Verlassen ihrer Heimat zwingen könnte. Im Globalen Norden wird das in erster Linie als ein sicherheitspolitisches Problem diskutiert und schon jetzt greifen die Industriestaaten zu immer brutalen Mitteln, um Fluchtmigration zu verhindern. Das ist nicht nur für jene Menschen verheerend, die in ihren Ländern kein Auskommen mehr finden, sondern schlägt auch auf die sich abschottenden Länder selbst zurück: Der Autoritarismus macht an der Grenze nicht halt, sondern macht sich im Inneren als antidemokratische Tendenz geltend, die auch von der politischen „Mitte“ getragen wird. Große Teile der Bevölkerungen, die sich aufgrund ihrer privilegierten Stellung erhoffen, noch ein paar Krümel vom Reichtum zu ergattern, reagieren autoritär auf die Krisen der Zeit und verarbeiten ihre Ohnmacht rassistisch und nationalistisch. Währenddessen verschlechtern sich auch hier die Arbeits- und Lebensbedingungen: Arbeiten auf dem Bau bei 40 Grad, aufgeheizte Mietwohnungen in den Städten, steigende Lebensmittelpreise – am Ende wird die Klimakrise hier wie dort auf dem Rücken der Lohnabhängigen und der Schwächsten der Gesellschaft ausgetragen.

Während die Temperaturen kontinuierlich steigen und voraussichtlich alle Ziele des Pariser Abkommens verfehlt werden, kommen weltweit immer mehr Regierungen an die Macht, die regelrecht eine Antiklimapolitik verfolgen. Wie steht es um eure Hoffnungen, dass der ökologischen Katastrophe noch rechtzeitig begegnet werden kann?

Maria: Sicherlich ist die Wahl von regelrechten Klimawandelleugnern wie Donald Trump in den USA oder Javier Milei in Argentinien erschütternd. Trump erklärte bereits am Tag seiner Amtseinführung den Austritt der USA aus dem Pariser Klimaabkommen, was nur der sinnfälligste Ausdruck seiner gegen Umwelt- und Klimaschutz gerichteten Politik ist. Viele Umwelt- und Klimagesetze werden rückgängig gemacht und Wissenschaftler:innen entlassen, die bspw. wichtige Daten über Klimaveränderungen sammeln. Die Regierung Milei hat das argentinische Umweltministerium gleich ganz aufgelöst und forciert erneut – wie die USA – die Förderung fossiler Energieträger. Auch das Erstarken der Rechten in Europa ist ein Problem für eine ambitioniertere Klimapolitik. Beispielsweise wird das 2023 beschlossene Aus für Verbrennermotoren von Konservativen und Rechten erneut zur Debatte gestellt. Diesen Entwicklungen muss sich die Klimabewegung natürlich entgegenstellen, wo es geht.

Gleichzeitig ist angesichts dieses fossilen Wahnsinns das Scheitern der liberalen Klimapolitik nicht aus dem Blick zu verlieren. Im Unterschied zu Klimawandelleugner:innen erkennen Liberale zwar an, dass der Klimawandel eingedämmt werden muss. Aber die von ihnen verfolgte Politik wird dem Problem nicht einmal ansatzweise gerecht. Das zeigen die vom UN-Klimasekretariat vorgelegten Auswertungen der internationalen Klimaschutzbemühungen nach dem Pariser Klimaabkommen, die eine massive Lücke zum 2-Grad-Ziel und noch mehr zum 1,5-Grad-Ziel feststellen. Das ließe sich durchaus auch als eine Form der Klimawandelleugnung kritisieren.

Dabei machen sich objektive Sachzwänge geltend, die aus den herrschenden Produktionsverhältnissen erwachsen. Das zentrale Argument gegen Klimaschutz lautet, dass er zulasten des Profits geht, was letztendlich auch stimmt. Während Liberale versuchen, kapitalistische Ökonomie und Ökologie in Einklang miteinander zu bringen (und daran scheitern), betreiben Rechte Widerspruchsbereinigung, indem sie die Seite der Ökologie einfach ignorieren. Dieses Vorgehen hat natürlich seine Grenzen: Der Klimawandel wird sich mit immer größerer Vehemenz in unseren Alltag drängen, vielfältige Krisen auslösen und auch zunehmend die Reproduktionsbedingungen des Kapitalismus gefährden. Man denke nur daran, wie viele Wirtschaftszentren sich in Küstennähe befinden und damit durch den Meeresspiegelanstieg empfindlich getroffen werden. Die Auswirkungen des Klimawandels müssen nicht zwangsläufig in progressive Kämpfe münden, aber die zu erwartenden Auseinandersetzungen über die sich verschlechternden Lebensbedingungen werden immer wieder auch Ansatzpunkte für Aufklärung, Kritik und Organisation bieten.

Auf die liberale Klimapolitik setzen wir angesichts der vergangenen 30 Jahre und der systemischen Schranken ökologischer Politik wenig Hoffnung, auch wenn bestimmte Reformen zweifelsohne zu unterstützen sind. Eher hoffen wir auf die Entstehung einer zentral von der Arbeiter:innenklasse getragenen Bewegung, die – nicht nur aus Klimaschutzgründen – die Eigentumsverhältnisse überwindet und somit die Steuerung der Produktion und die Gestaltung aller anderen Aspekte des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu möglichen Gegenständen einer demokratischen Aushandlung macht. Eine solche Bewegung ist derzeit nicht in Sicht. Trotzdem bleibt uns nichts anderes übrig, als die Entstehung einer solchen Bewegung zu unterstützen. Letztlich ist die Zukunft immer ungewiss und der Kampf um eine lebenswerte(re) Zukunft nie verloren: Ob sich die Welt um 2 oder 3 Grad erhitzt ist immer noch ein Unterschied ums Ganze. Außerdem geht es nicht nur um eine Eindämmung des Klimawandels, sondern auch um einen möglichst solidarischen Umgang mit dessen Folgen.

Um der ökologischen Krise Einhalt zu gebieten, bleibt für euch der Klassenkampf zentral. Worauf gründet eure Hoffnung, dass die Lohnabhängigen am Ende die Misere namens Klimawandel beseitigen können? Wie schätzt ihr die Bedingungen für den von euch beschworenen doppelten „Climate Turn“ der Arbeiter:innenbewegung und den „Labor Turn“ der Klimabewegung ein?

Katja: Wir sehen weiterhin die lohnabhängige Klasse als zentralen Akteur, weil sie die große gesellschaftliche Mehrheit ist, die potenziell ein kollektives Interesse an der Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise entwickeln kann. Und das nicht, weil sie eine homogene Gruppe ist – im Gegenteil ist die lohnabhängige Klasse sehr divers und in sich gespalten. Aber auf einer allgemeinen Ebene verbindet ihre Mitglieder, dass sie in der Lohnarbeit ausgebeutet werden, sich etlichen Hierarchien unterwerfen müssen, immer mit der Bedrohung konfrontiert sind, ihren Lebensunterhalt nicht würdig bestreiten zu können, und ihre Kreativität, Beziehungen und Interessen nur in Ansätzen entfalten können. Daraus folgt leider nicht, dass die Lohnabhängigen automatisch ein Bewusstsein von ihrer Lage entwickeln und kollektiv im Sinne ihrer Klasseninteressen kämpfen. Im Gegenteil haben die schweren Niederlagen der Arbeiter:innenbewegung im 20. Jahrhundert dazu geführt, dass das Klassenbewusstsein gegenwärtig auf einem sehr niedrigen Niveau verharrt und Lohnabhängige eher individualistische Strategien verfolgen oder sich pseudorebellischen, menschenfeindlichen Ideologien anschließen, die oft mit der Vorstellung einer national geschlossenen Leistungs- und Solidargemeinschaft einhergehen.

Dennoch glauben wir, dass auch heute kein Weg daran vorbeiführt, dass sich die Klasse der Lohnabhängigen zu einem kollektiven Akteur bildet. Dafür sollten Linke sich an den Kämpfen von Lohnabhängigen beteiligen und sich auch in nicht-akademischen Milieus verankern. Die Idee des Labour turns in der Klimabewegung ist genau ein solcher Versuch. Teile der Klimabewegung haben argumentiert, dass man mit einer Appellpolitik an die bürgerlichen Regierungen nicht weiterkommt und man stattdessen Bündnisse mit den aktiven Teilen der Arbeiter:innenbewegung schließen müsse. Dabei betonen sie, dass die im Hier und Jetzt gegensätzlichen Interessen von Klimaaktivist:innen und Lohnabhängigen in einer weitergehenden Perspektive überwunden werden können. Natürlich haben etwa Lohnarbeiter:innen in der Automobilindustrie unmittelbar ein Interesse am Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Dagegen ist sie der Klimabewegung natürlich ein Dorn im Auge. Schaut man aber auf die allgemeineren Interessen der Arbeiter:innenklasse, so liegen diese nicht unbedingt in einem Arbeitsplatz bei BMW oder VW, sondern darin, ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können, ihre Gesundheit zu erhalten und allgemein ein gutes und sicheres Leben zu haben. Der Job im Automobilwerk ist letztlich nur ein Mittel, um diese Bedürfnisse zu erfüllen. In aktuellen Studien zeigt sich, dass viele Arbeiter:innen dort prinzipiell offen dafür wären, Schienenfahrzeuge oder andere nützliche Dinge zu produzieren. Das Problem ist, dass sie darüber in diesem System nicht zu entscheiden haben. Und sie haben erst mal das Nachsehen, wenn der Verbrenner an sein Ende kommt und tausende Arbeitsplätze flöten gehen, weil die hiesige E-Auto-Produktion nicht konkurrenzfähig ist.

Obwohl Kämpfe in fossilen Industrien wie etwa der Automobilindustrie daher in Zukunft eher einen defensiven Charakter annehmen werden, könnten sie als ein Forum zur Diskussion genutzt werden – über Konversion, Verkehrswende, Bedürfnisse und Demokratie. Möglicherweise entwickeln sich dabei gemeinsame Vorstellungen von einem guten Leben und die kollektiven Interessen der verschiedenen Akteur:innen rücken in den Vordergrund. So gesehen würde ein Climate Labour Turn in der Arbeiter:innenbewegung dann auch in der Radikalisierung gewerkschaftlicher Forderungen bestehen, die meist im Rahmen der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse verbleiben. Darin könnten Klimaaktivist:innen sowie Sozialist:innen aufzeigen, dass ein Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen und eine Überwindung des ausbeuterischen Lohnsystems zusammengehören und nur durch eine systematische Kritik des Privateigentums und dessen Abschaffung erreicht werden können.