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Aging und Caring

Aging und Caring

13. Dezember 2025

„Die Forderung, dass Menschen im Alter Menschen bleiben müssen, würde eine radikale Umwälzung implizieren. Aber unmöglich ist dieses Ergebnis durch ein paar begrenzte Reformen zu erreichen, die das System unangetastet lassen: die Ausbeutung der Arbeiter, die Atomisierung der Gesellschaft, das Elend einer Kultur, die einem Mandarinat vorbehalten ist – das alles führt zu diesem entmenschlichten Alter. Und es zeigt, dass alles neu zu regeln ist, von Anfang an. Deshalb wird dieses Problem so beflissentlich mit Schweigen übergangen.“ (Simone de Beauvoir: Das Alter, 1970)1

Auch wir in der linken Szene vermeiden lieber dieses Thema: Altwerden, Altsein und alte Menschen. Ein Thema, das nicht nur sozio-ökonomische, queere und feministische, migrationspolitische und Klassenkampffragen aufwirft, sondern auch ganz persönliche, ja gar intime – und daher zu wichtig ist, um es allein Gesundheits- und Wirtschaftsministerien, Sozialarbeiter:innen und Pflegenden zu überlassen. In diesem Text wollen wir alle diese Aspekte zumindest anreißen und hoffen, damit Diskussionen über Alternativen, wie wir in Würde altern könnten, anzustoßen.

Wir haben uns bei unserer Recherche zunächst weitgehend auf Deutschland oder zumindest reiche Industrieländer beschränkt, sind aber dankbar für alle Ergänzungen.

Alter lässt sich nicht biologisch definieren, sondern nur kulturell und politisch beschreiben. Was als Alter wahrgenommen wird, variiert sowohl historisch als auch geografisch erheblich. Deutsche nehmen im Durchschnitt das Alter von 63 Jahren als sogenannte soziale Altersgrenze wahr.2 Ältere Menschen legen die Altersgrenze höher fest (ebenso Frauen und gesündere, zufriedenere, höher gebildete und verpartnerte Menschen). Ein Viertel der über 70-Jährigen bezeichnen sich selbst als Menschen mittleren Alters und nur ein kleiner Prozentsatz (14 Prozent) von ihnen nennt sich selbst alt.3 Alt sind immer die anderen!

Viele Gesundheitsforscher:innen propagieren das Ideal des „Successful Aging“.4 Zwar erwähnen sie dabei durchaus, das dieses Konzept körperliches und psychisches Wohlbefinden und vor allem soziale Teilhabe voraussetzt, aber nicht, dass sich da die Katze in den Schwanz beißt. So ist es gerade kein Anspruch an die Gesellschaft, diese Voraussetzungen zu schaffen, sondern, im Gegenteil, ein Anspruch an die Alten, ihre Leben bitteschön erfolgreich zu meistern. Wer nicht fit, gepflegt und möglichst paarweise lächelt, wie auf den von Seniorenmarketingfachleuten gephotoshopten Plakaten, hat wohl etwas falsch gemacht im Leben.5 

Der eindeutige Zusammenhang zwischen Gesundheitsproblemen, vorzeitigem Tod, Einsamkeit und den unwürdigen Bedingungen in Pflegeheimen mit den gesellschaftlichen Verhältnissen wird oft ignoriert – obwohl Statistiken, einschließlich solcher aus Regierungsquellen, dies immer wieder bestätigen. Wohlhabende Senior:innen scheinen die einzigen zu sein, die in diesem System noch von Interesse sind: als Konsument:innen. Während die Sorge für Kinder zumindest eine Investition in die Zukunft ist, gelten ärmere ältere Menschen als Belastung.

Demografische Trends: berechtigte Angst oder politische Strategie?

Die alternde Bevölkerung ist in vielen Ländern mit hohem Einkommen ein heiß diskutiertes Thema. Die Regierungen stellen dieses Problem zunehmend als drohende Krise dar: zu viele Rentner:innen, zu wenige Arbeiter:innen und eine zu große Belastung für die Sozialsysteme. Die Tatsache, dass der Anteil der über 65-Jährigen an der deutschen Bevölkerung stetig zunimmt, ist unbestreitbar. In 20 Jahren wird gut jede:r Vierte älter als 65 sein.6 In den letzten 150 Jahren stieg auch die Lebenserwartung in Deutschland drastisch an.7 Allerdings hat sich der Geschlechterunterschied in der Lebenserwartung in diesem Zeitraum fast verzehnfacht.8 Ein weiterer wichtiger Index ist die „gesunde Lebenserwartung“, d.h. die durchschnittliche Anzahl von Jahren, die eine Person voraussichtlich bei guter Gesundheit und ohne erhebliche Einschränkungen ihrer Aktivität leben wird. Da Frauen viel früher altersbedingte Gesundheitsprobleme bekommen, gibt es bei diesem Index kaum ein geschlechtsspezifisches Gefälle.9

Natürlich ist es großartig, dass wir Menschen länger leben und viele früher tödliche Krankheiten besser behandeln können. Noch besser ist es, dass der Zeitraum, in dem wir nicht mehr für unseren Lebensunterhalt arbeiten müssen, immer länger wird. Das darf jedoch nicht dazu führen, dass die Alten gegen die Jungen ausgespielt werden. Schließlich sind die wirtschaftlichen Probleme des sogenannten „Altersbooms“ keine natürlichen, sondern vor allem Ausdruck kapitalistischer Verhältnisse. Anstatt das System zu kritisieren, verfallen viele Deutsche in Katastrophismus und überschätzen die Zahl der Alten sogar erheblich.10

Heute dient die demografische Panik unterschiedlichen politischen Zielen. Sie rechtfertigt Rentenreformen, darunter die Anhebung des Rentenalters und die Kürzung von Leistungen. Frauen, besonders die mit höherer formaler Bildung, sind angehalten, der Nation mehr Kinder zu schenken.11 Und wirtschaftliche Erwägungen bestimmen zunehmend die Einwanderungspolitik: Qualifizierte Migrant:innen sind willkommen, um „die Rentenkassen zu füllen“, während weniger qualifizierte in Pflege- und Dienstleistungsberufe gedrängt werden.

In Das Alter argumentiert Simone de Beauvoir, dass die alarmistische Rhetorik rund um die demografische Alterung zu Spaltungen zwischen Arbeiter:innen und Rentner:innen führe – als gehörten sie nicht derselben Klasse an:

„… das Interesse der Ausbeuter geht dahin, die Solidarität zwischen den Arbeitenden und den Unproduktiven zu brechen, sodass diese von niemand mehr vertreten werden.“12

Die Armen werden mal wieder verarscht

Während einige der derzeitigen deutschen Rentner:innen sogar wohlhabend sind (weil sie viele Jahre lang in wirtschaftlich guten Zeiten mit guten Löhnen gearbeitet haben), steht die nächste Generation vor schwierigeren Zeiten, wie uns selbst die bürgerlichen Parteien voraussagen.13 Immer mehr ältere Menschen haben weder wirtschaftliche Sicherheit noch politischen Einfluss und sind daher auf die minimale staatliche Unterstützung angewiesen – ohne Lobby und kaum politisch organisiert.

In Deutschland hat sich die Zahl der Rentner:innen, die auf Grundsicherung angewiesen sind, in den letzten 20 Jahren auf weit über 700.000 verdreifacht. Senior:innen gehören nun neben Kindern und Alleinerziehenden zu den am stärksten von Armut bedrohten Menschen. Im Jahr 2024 gelten fast 20 Prozent der über 65-Jährigen in Deutschland als armutsgefährdet14 – ein starker Anstieg gegenüber den vergangenen Jahrzehnten. Und es sei daran erinnert, dass weltweit rund 85 Prozent der Menschen keinerlei Rente erhalten.15

Es gibt einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Einkommen und Lebenserwartung: Eine Studie u. a. von Karl Lauterbach16 ergab, dass weniger als 80 Prozent der deutschen Männer, die weniger als 1.500 € pro Monat verdienen, überhaupt das Rentenalter erreichen, verglichen mit über 90 Prozent der Männer, die mehr als das Dreifache verdienen. Wohlhabendere Männer leben also nicht nur länger, sondern beziehen auch länger eine höhere Rente – knapp 70 Prozent länger als ärmere Männer. Das führt letztendlich zu einer Umverteilung von unten nach oben (nämlich der eingezahlten Rentenbeiträge), die für viel zu wenig Empörung sorgt. In den USA leben reiche Männer etwa 10 Jahre länger als arme, in Deutschland neun, in egalitäreren Ländern wie Schweden jedoch nur etwa zwei Jahre.

Auch in Bezug auf die Pflegeabhängigkeit bestehen immense Ungleichheiten: Männer, die weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens verdienen, sind sechs Jahre früher auf irgendeine Form der Pflege angewiesen als ihre besser verdienenden Geschlechtsgenossen. Bei Frauen beträgt der Unterschied drei Jahre.17 Und Arbeiter:innen werden vier Jahre früher pflegebedürftig als Beamt:innen.

Dazu kommt das geschlechtsspezifische Rentengefälle: Frauen verdienen nicht nur während ihres Erwerbslebens weniger, sondern erhalten daher auch deutlich niedrigere Renten. Die geschlechtsspezifische Rentenlücke in Deutschland hat sich in den letzten Jahren deutlich verringert, liegt aber weiterhin über dem EU-Durchschnitt.18 Außerdem beinhalten die Statistiken Hinterbliebenenrenten, und heutzutage sind weit weniger Frauen verheiratet, können also ihre eigene Rente nicht durch eine Witwenrente aufbessern.19

Schließlich arbeiten heutzutage viel mehr ältere Menschen20 – etwa ein Drittel aus finanzieller Not, ein weiteres Drittel wegen persönlicher Zufriedenheit, und der Rest nennt Gründe wie eine:n berufstätige:n Partner:in oder traurigerweise das Bedürfnis nach sozialen Kontakten.21

Die Aktivrente, bei der zumindest Angestellte bis zu 2.000 Euro steuerfrei hinzuverdienen dürfen, wird die Zahl der arbeitenden Rentner:innen vermutlich noch erhöhen. Die Freiberufler:innen und Mini-Jobber:innen brauchen solche Anreize wohl nach Ansicht der Bundesregierung nicht. Viele von ihnen können aus finanziellen Gründen nicht so bald in Rente gehen.

Caring

Care22 als Analysegegenstand ist eine moderne Kategorie. Sie taucht erst auf, als die Kategorie „Frauen“ und die Erwartungen an das, was sie „natürlicherweise“ tun, in Frage gestellt werden. Erst dann wird Care als eine (knappe) Ressource verstanden (als sie noch nicht knapp war, war sie schlicht unsichtbar und wurde daher gar nicht als Ressource begriffen).

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Altenpflege in Deutschland weitgehend innerhalb der Großfamilie organisiert, auch wenn es bereits einige, meist religiöse Einrichtungen (Caritas, Diakonie) dafür gab. Der Staat war kaum beteiligt. Innerhalb der Großfamilie lag die Verantwortung für die Altenpflege bei Frauen unterschiedlichen Alters, darunter Töchter, Schwiegertöchter, unverheiratete Schwestern, Nichten usw. Die Familie war eine wirtschaftliche Einheit, die für ihren Fortbestand mehrere unbezahlte Pflegende benötigte, und die Rollen innerhalb dieser Familieneinheit waren nicht frei wählbar. Von älteren Frauen wurde ebenfalls erwartet, dass sie Pflegeaufgaben übernehmen, insbesondere die Betreuung kleiner Kinder, wobei sich in manchen Fällen Alte um Junge und Junge um Alte kümmerten.

Mit der Entwicklung der Kernfamilie nach dem Zweiten Weltkrieg und dem fortschreitenden Verschwinden des männlichen Ernährermodells23, zeigte sich, wie viel Altenpflege eine Familie realistisch leisten kann und will. In der DDR wurden staatliche Altenpflegeeinrichtungen (zum Beispiel die Volkssolidarität) gegründet, um die Vollbeschäftigung aller Männer unter 65 und aller Frauen unter 60 zu ermöglichen bzw. zu erzwingen. Allerdings wurde die familiäre Pflege weiterhin stark gefördert und Frauen mussten in ihrer zweiten Schicht Care-Arbeit leisten. Pflegeheime waren oft unterfinanziert und unterbesetzt, mit wenig Privatsphäre und Autonomie.24

In der BRD weigerten sich Frauen ab den 1970er-Jahren zunehmend, sich um ihre (Schwieger)eltern zu kümmern und ihre Berufstätigkeit vollständig aufzugeben – schon allein deshalb, weil sie sich das gar nicht leisten konnten. Von Mädchen unter 16 Jahren wurde nicht mehr erwartet, zusätzlich zu ihrem Schulalltag umfangreiche Care-Aufgaben zu übernehmen, und von unverheirateten Frauen, sich um entfernte Familienmitglieder zu kümmern. Im Allgemeinen galt die unentgeltliche Care-Arbeit nicht mehr als „natürliche“ Aufgabe der Frauen, was sowohl auf feministische Kämpfe als auch auf die kapitalistische Umstrukturierung zurückzuführen war.

Der daraus resultierende „Ressourcenverlust“ an unbezahlter Care-Arbeit erfolgte parallel zum wachsenden Pflegebedarf der älteren Bevölkerung.

Altenheime

Heute liegt der Anteil der über 70-Jährigen in deutschen Altenheimen bei etwa sechs Prozent25 und hat sich seit den 1990er-Jahren kaum erhöht.26 Betrachtet man jedoch die Bevölkerung über 85, steigt diese Zahl auf 40 Prozent (immer noch nicht die Mehrheit!).27 Die meisten Menschen in Pflegeheimen (zwischen 70 und 80 Prozent) sind Frauen, zum einen, weil sie tendenziell länger leben, zum anderen, weil in heterosexuellen Paaren Frauen im Durchschnitt jünger sind als ihre Partner, sodass diese wahrscheinlich vor ihnen sterben.28

Dass die meisten Pflegeheime unterbesetzt, unterfinanziert und für ein würdiges Leben ungeeignet sind, ist allgemein bekannt. Die Regierung unternimmt wenig, um diese Situation zu ändern. Vielleicht erhielte dieses Thema größere politische Aufmerksamkeit, wenn Männer – insbesondere Politiker – genauso wahrscheinlich wie Frauen in Pflegeheimen landeten.

In einer Umfrage aus dem Jahr 2022 wünscht sich die überwiegende Mehrheit, im Alter von Angehörigen zu Hause gepflegt zu werden.29 Und wenn man ihnen die Wahl ließe zwischen einem Pflegeheim und Sterbehilfe, gaben fast ein Drittel der Befragten an, Sterbehilfe zu bevorzugen!30

Queere Menschen zögern besonders, in Pflegeheime zu ziehen, da sie dort homophober oder transphober Diskriminierung ausgesetzt sein könnten. Trans*-Personen befürchten, sich im Pflegealltag immer wieder neu erklären zu müssen, da viele Pflegekräfte nur unzureichend auf die Lebensrealitäten von Trans*-Personen sensibilisiert sind.31 Um einen Umzug in eine Einrichtung möglichst lange hinauszuzögern, versuchen ältere queere Menschen oft, ein breiteres Betreuungsnetzwerk in ihren Communitys aufzubauen.32

Allerdings stoßen nicht nur queere Menschen auf die Ablehnung ihrer Bedürfnisse. Insbesondere Sexualität im Alter bleibt ein Tabu, unabhängig von der Orientierung, und wird in vielen Einrichtungen zwischen den Heimbewohner:innen nicht akzeptiert. Pflegepersonal oder Angehörige reagieren oft auf die bloße Existenz eines solchen Begehrens mit Ignoranz oder Herabwürdigung.

Professionelle häusliche Pflege (ambulante Pflege)

Diese weit verbreitete Ablehnung von Pflegeheimen hat – insbesondere seit den 1990er-Jahren – zum Aufbau alternativer Dienstleistungen geführt, die von einigen Stunden professioneller häuslicher Pflege pro Woche bis hin zum vollbetreuten Wohnen reichen.

Die Pflegeversicherung finanziert teilweise die professionelle häusliche Pflege entsprechend den Pflegegraden. Die Beantragung einer solchen Leistung ist jedoch ein sehr komplexer und bürokratischer Vorgang (eine Beurteilung durch medizinische Behörden, die eine Punktzahl vergeben, die fünf verschiedenen Pflegegraden entspricht …). Ein hoher Pflegegrad ermöglicht den Zugang zu Pflegesachleistungen, also das Recht auf professionelle Pflege zu Hause. Selbst wenn es gelingt, einen Pflegegrad zu erhalten, sind die Leistungen bei Weitem nicht ausreichend. Und wie wir bei der Betrachtung der Arbeitsbedingungen in diesem Sektor sehen werden, sind die Leistungen extrem reguliert, kodifiziert und teilweise entmenschlicht.

Die aktuellen politischen Maßnahmen fördern und priorisieren die Pflege durch Angehörige gegenüber der institutionellen Pflege. Kein Wunder, da professionelle Pflege, selbst wenn sie schlecht bezahlt ist, für die meisten Proletarier:innen zu teuer wäre. Und auch wenn sie durch indirekte Löhne (wie Steuern) finanziert würde, wäre sie für eine kapitalistische Wirtschaft nicht tragbar. Doch auch die Finanzierung der Pflege durch Angehörige steht gerade zur Debatte, insbesondere der Pflegegrad 1, obwohl dieser lediglich Beratungen und minimale Zuschüsse vorsieht.33

Who cares?

Professionelle und formelle Pflege

Während die Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen bekanntermaßen besonders schlecht sind, leidet die Altenpflege am meisten unter niedrigen Löhnen, hoher Arbeitsbelastung und geringem gewerkschaftlichen Organisierungsgrad. Die Bedingungen haben sich während der Covid-Pandemie noch weiter verschlechtert, da Pflegekräfte häufiger mit dem Tod der Heimbewohner:innen konfrontiert waren und die fehlende emotionale Unterstützung durch die Familie ausgleichen mussten. Am Ende der Pandemie zeigten Umfragen, dass viele an einen Jobwechsel denken. Aus Angst vor einer Kündigungswelle führte die Regierung einige Lohnerhöhungen und Bonuszahlungen ein. Dennoch sind die Löhne in diesem Sektor nach wie vor niedriger als in anderen Bereichen des Gesundheitswesens. Dies lässt sich teilweise dadurch erklären, dass eine gewerkschaftliche Organisation für Altenpflegende besonders schwierig ist. Während einige Streiks im Gesundheitswesen zu (begrenzten) Verbesserungen geführt haben (z. B. die Streiks bei der Charité und Vivantes in Berlin, die verbindliche Pflegeschlüssel und Ausgleichstage bei Nichteinhaltung sowie eine garantierte Bezahlung sicherten), ist es schwieriger, die gleichen Taktiken in der Altenpflege anzuwenden.34 Dies gilt umso mehr für mobile professionelle Pflegekräfte, die kaum Gelegenheit haben, sich mit Kolleg:innen zu treffen. Allerdings hat sich gerade für diese Arbeiter:innen die Arbeitsbelastung in den letzten 15 Jahren besonders erhöht.35

Diese Zunahme der Arbeitsbelastung und des Arbeitskräftemangels in diesem Sektor haben zu einer „Rationalisierung“ der häuslichen Pflege geführt, die Beatrice Müller in ihrem Buch Wert-Abjektion. Zur Abwertung von Care-Arbeit im patriarchalen Kapitalismus – am Beispiel der ambulanten Pflege (2016) anschaulich beschrieben hat. Sie illustriert eine Pflegeorganisation, die an Fabrikarbeit erinnert, in der alle Aufgaben isoliert und analysiert werden und das Ein- und Ausstempeln durch die Digitalisierung erzwungen wird. Sie beschreibt auch, wie die Arbeitspläne der Pflegekräfte keine emotionale Betreuung zulassen, wie zum Beispiel ein kurzes Gespräch mit einem depressiven älteren Menschen. Diese Aspekte der Care-Arbeit widersetzen sich einer Rationalisierung und kosten den Chefs schlicht zu viel Geld. So versuchen viele die Pflegekräfte diese emotionale Komponente durch nicht berechnete Überstunden oder eine Umgestaltung ihres Arbeitsplans zu leisten, wodurch dieser noch straffer wird – aber zumindest sinnvoller.

Globale Pflegeketten

Vor dem Hintergrund des Arbeitskräftemangels und des Drucks, die Löhne niedrig zu halten, wurden einige Programme eingeführt, um mit Pflegekräften aus dem Ausland die „Pflegelücke“ zu schließen. Eines davon ist das „Triple Win Programm“ (das neue Höhen im schamlosen Diskurs über gegenseitigen Nutzen erreicht), eine Initiative zwischen Deutschland und bestimmten Partnerländern, die ausgebildete Pflegekräfte aus den Philippinen, Bosnien und Herzegowina, Tunesien, Indien und Jordanien rekrutiert, um sie im formellen Pflegesektor in Deutschland arbeiten zu lassen, meist in professionellen Pflegeheimen.

Weitaus mehr migrantische Pflegekräfte sind jedoch informell beschäftigt, ohne ordnungsgemäße Verträge oder rechtlichen Schutz. In Deutschland sind schätzungsweise zwischen 300.000 und 700.000 solcher Pflegekräfte privat beschäftigt, um vor allem ältere Menschen zu Hause zu pflegen. Ein erheblicher Teil – laut einer Studie etwa 200.000 – stammt aus mittel- und osteuropäischen Ländern, am häufigsten aus Polen, gefolgt von Rumänien, der Slowakei, der Ukraine, Serbien und Bulgarien.36 Dies organisieren oft private Vermittlungsagenturen. Eine einfache Internetsuche zeigt Websites, die „qualifiziertes Pflegepersonal aus Polen anbieten, damit ältere Menschen in ihren eigenen Häusern durch private 24-Stunden-Pflege betreut werden können“, und das schon ab 2790 Euro!37

Die amerikanische Feministin Arlie Hochschild entwickelte um das Jahr 2000 das Konzept der Global Care Chains (GCC, auf Deutsch „globale Pflegeketten“), um das Phänomen der migrantischen Live-in-Pflege und seine Auswirkungen auf die Reproduktion der globalen Arbeiterklasse zu beschreiben – insbesondere den Mangel an Pflege, den diese Prozesse im globalen Süden verursachen und der mit massiven sozialen Folgen verbunden ist. Seit dem Jahr 2000 hat sich das GCC-Konzept durch verschiedene Wellen der Kritik weiterentwickelt. Es wurde kritisiert, dass es wichtige Faktoren bei den Entscheidungen von Pflegekräften aus dem Ausland außer Acht lasse und ihre Handlungsfähigkeit und Subjektivität nicht anerkenne oder dass der ursprüngliche GCC-Diskurs sich auf Globalisierung und Neoliberalismus konzentriere – Konzepte, die im globalen Norden verwurzelt sind – und dabei die postkoloniale Geschichte der Pflegearbeit (die Kontinuitäten zwischen kolonialen und postkolonialen Organisationen der Pflegearbeit von Migrant:innen aufzeigt) vernachlässige. In jüngerer Zeit hat die Anthropologin Shalini Groverdarauf hingewiesen, dass die Folgen dieser globalen Pflegearbeit für Migrant:innen nicht hinreichend verstanden werden.38 Dabei spielt vor allem das eigene Altern der Pflegenden eine erhebliche Rolle. Grovers Meinung nach erhalten migrantische Pflegekräfte, wenn sie nach Jahren (manchmal Jahrzehnten) der Pflege im Ausland in ihre Heimat zurückkehren und nicht mehr arbeiten können, weder die finanzielle Unterstützung, die formell beschäftigte Arbeiter:innen im Westen für den Ruhestand erhalten noch die Unterstützung ihrer eigenen Kinder, die zum Teil denken, ihre Mütter hätten sie im Stich gelassen. Obwohl sie sich weigert, Wanderarbeiter:innen als reine Opfer darzustellen, und ihre Eigenverantwortung bei der Entscheidung zur Migration anerkennt, verschließt diese Position nicht die Augen vor den harten Realitäten der Migrant:innen, wenn sie im Alter in ihre Herkunftsländer zurückkehren.

Unbezahlte Pflegekräfte

In Deutschland unterstützten, pflegten oder betreuten im Jahr 2023 fast ein Viertel der Menschen im Alter von 43 bis 65 Jahren regelmäßig mindestens eine Person aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustands.39 Fast drei Viertel dieser Pflegepersonen sind Frauen.40 1995 wurde mit dem Pflegeversicherungsgesetz das Pflegegeld eingeführt, also Geld für nicht professionelle Pflegekräfte. Die Höhe der Zahlung reicht von 347 Euro für Pflegegrad 2 bis zu 990 Euro für Pflegegrad 5. Angesichts der Tatsache, dass ein Pflegegrad 5 oft eine 24-Stunden-Betreuung erfordert, wird deutlich, wie hier auf wessen Kosten gespart wird. Selbst unter Bedingungen extremer Ausbeutung kostet die professionelle häusliche Pflege in Deutschland in der Regel mehrere Tausend Euro pro Monat.

Zu berücksichtigen ist der sogenannte Generationsabstand. Da Menschen tendenziell später Kinder bekommen, sind ihre Kinder jünger, wenn sie selbst langfristig pflegebedürftig werden. Dies sowie die Verschiebung des Renteneintrittsalters erhöht die Anzahl der Jahre, während derer sich berufstätige Kinder um ihre pflegebedürftigen Eltern kümmern, sodass sie möglicherweise ihre Arbeitszeit reduzieren müssen, was wiederum Konsequenzen für ihre wirtschaftliche Situation hat: Wie die Feministin Michaela Moser in dem Text „Achtung Sorgearbeit!“ im Rahmen der Armutskonferenz „ACHTUNG. Abwertung hat System“ (2018) betonte: „Sorgen macht arm“.41

Um zu verhindern, dass Menschen ihre Arbeit aufgeben, wurden in Deutschland Pflegeansprüche für Arbeiter:innen (häusliche Pflege) eingeführt. Diese gewähren einen teilweise bezahlten Notfallurlaub von zehn Tagen, um nahe Verwandte in Notsituationen zu pflegen, sowie ein Recht auf unbezahlten Urlaub (bis zu sechs Monate) und eine unbezahlte Arbeitszeitverkürzung (bis zu 24 Monate). Familien mit geringem Einkommen können diesen Verdienstausfall jedoch in der Regel finanziell nicht stemmen. Eine Studie42 aus dem Jahr 2019 zeigt die Auswirkungen der Pflege auf das Leben und die Gesundheit der Pflegenden: Zwei Drittel der Pflegenden berichten von hohem emotionalen Stress. Rund die Hälfte leiden unter körperlicher Belastung. Über 70 Prozent fühlen sich emotional stark belastet.

Ein weiterer Bericht43 ergab, dass Pflegende deutlich häufiger unter Rückenschmerzen, Depressionen, Schlafstörungen und Burnout leiden als andere. Je mehr man pflegt, desto höher das Risiko, selbst krank zu werden – und desto wahrscheinlicher, später selbst auf Pflege angewiesen zu sein.

Das Altern der Frauen

Frauen decken einen Großteil der Pflegearbeit ab und sind vom Elend des Alters nicht nur beruflich mehr betroffen, sondern auch privat. In einem Text aus dem Jahr 1972 spricht Susan Sontag von einem „doppelten Maßstab beim Älterwerden“.44

„… Frauen sind von der trostlosen Panik der Männer mittleren Alters befreit, deren ‚Leistungen‘ gering erscheinen, die sich auf der Karriereleiter festgefahren fühlen oder befürchten, von jemandem, der jünger ist, verdrängt zu werden. Aber ihnen bleiben auch die meisten der wirklichen Befriedigungen vorenthalten, die Männer aus ihrer Arbeit ziehen – Befriedigungen, die oft mit dem Alter zunehmen.“45

Zwar deuten Studien darauf hin, dass Männer nach ihrer Pensionierung, nachdem sie sich jahrzehntelang mit ihrem Beruf identifiziert haben, häufig in ein Loch fallen, jedoch auch, dass sie schnell wieder aus diesem Loch herausfinden. Frauen sind im Alter von 60 Jahren zufriedener als Männer, aber ihre Zufriedenheit nimmt im Alter rapide ab, während die der Männer wieder zunimmt.46

Sontag zeigt zudem, dass Frauen im Alterungsprozess weit mehr zu verlieren haben – nicht zuletzt wegen der gesellschaftlichen Erwartung, körperlich attraktiv zu bleiben:

„Der Grund dafür, dass Frauen das Älterwerden schmerzhafter erleben als Männer, liegt also nicht einfach darin, dass sie sich mehr als Männer um ihr Aussehen sorgen. Auch Männer sorgen sich um ihr Aussehen und möchten attraktiv sein, aber da es Männern in erster Linie darum geht, zu sein und zu tun, anstatt zu erscheinen, sind die Standards für das Aussehen viel weniger streng. Die Standards für Männer sind großzügig; sie entsprechen dem, was möglich oder‚natürlich' ist … Zumindest stehen [die Frauen] unter starkem gesellschaftlichem Druck, nicht hässlich zu sein. Das Schicksal einer Frau hängt weit mehr als das eines Mannes davon ab, zumindest ‚akzeptabel' auszusehen. Männer unterliegen diesem Druck nicht. Gutes Aussehen ist für einen Mann ein Bonus, keine psychologische Notwendigkeit, um ein normales Selbstwertgefühl aufrechtzuerhalten.“

Im Alter werden Frauen professionell kaum noch ernst genommen – verantwortungsvolle Positionen gehen selten an sie, sondern meist an Männer. Auch als potentielle Sexualpartnerinnen gelten sie nur noch selten. Vielmehr ist ihr Los die Unsichtbarkeit.

Neben diesen eher soziokulturellen Unterschieden zwischen weiblichem und männlichem Altern bestehen auch deutliche ökonomische Unterschiede. Nicht nur die geringeren Löhne und Vermögen, sondern vor allem die häufig von Frauen geleistete Teilzeitarbeit – sei sie erzwungen, weil neben der Lohnarbeit Angehörige (Kinder, Alte, Kranke) gepflegt werden müssen, oder motiviert durch die in vielen Ländern existierenden steuerlichen Begünstigungen des Familenernährermodells (Ehegattensplitting) – führt entweder zu einer finanziellen Abhängigkeit vom Ehemann oder direkt in die Altersarmut. Gerade die Personen, die einen Großteil ihres Lebens damit verbracht haben, andere zu pflegen, sind spätestens im Alter selbst auf Pflege angewiesen – eine Pflege, die sie sich jedoch oft nicht leisten können, jedenfalls nicht, ohne wiederum andere Frauen in diesen Teufelskreis hineinzuziehen.

Um das Elend alternder Frauen zusammenzufassen: Frauen sind hier vierfach gefickt: 1. Sie leisten den größten Teil der Pflegearbeit; 2. Sie leiden heftiger unter dem Älterwerden (gesundheitliche und finanzielle Probleme); 3. Sie werden weitaus krasser beurteilt als Männer, auch von ihren Geschlechtsgenossinnen;47 und 4. da Männer in der Regel früher sterben und Frauen meist Beziehungen mit älteren Partnern eingehen, werden Männer nicht mehr da sein, um ihre Partnerinnen zu pflegen.48

Was tun?

 

Ältere Menschen haben in der Regel keine Lobby. Es gibt nur wenige Organisationen, die ältere Menschen selbst leiten, um ihre Rechte zu verteidigen. Es gibt einige berühmte Beispiele wie die Grey Panthers in den USA in den 1970er-Jahren, die ursprünglich von Maggie Kuhn gegründet wurden, um sich gegen die Zwangsversetzung in den Ruhestand (!49) zu wehren, die sich aber auch mit Themen wie Kranken- und Sozialversicherung und altersdiskriminierende Stereotypen befassten.

Doch es gab auch in jüngster Zeit Proteste, die sich um die Frage der Pensionierung und der Lebensbedingungen im Alter drehten.

Die Bewegung gegen die französische Rentenreform 2023

Bei den Protesten in Frankreich gegen die Anhebung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre ging es nicht nur um das Gesetz selbst. Sie entwickelten sich zu einem Kampf, in dessen Mittelpunkt die Frage des Alterns und die Lebensweise standen, die sich Arbeiter:innen nach vielen Jahren der Erwerbstätigkeit wünschen. Während die Regierung darauf bestand, dass die Reform aufgrund der steigenden Lebenserwartung notwendig sei, stand die Frage der gesunden Lebenserwartung im Fokus der Debatten. In Frankreich liegt die durchschnittliche gesunde Lebenserwartung bei etwa 63 Jahren. Hinter diesem Durchschnitt verbirgt sich jedoch ein massiver Unterschied zwischen den verschiedenen Berufsgruppen. Ein Drittel der Arbeiter:innen ist innerhalb des ersten Jahres nach Eintritt in den Ruhestand arbeitsunfähig, während dies nur bei einem Viertel der Angestellten der Fall ist.50

Wenn Arbeiter:innen später in Rente gehen, verbringen sie ihre letzten gesunden Jahre mit Arbeit und gehen erst dann in Ruhestand, wenn sie bereits zu krank sind, um ihr neues Leben nach der Lohnarbeit in vollen Zügen genießen zu können. Im Mittelpunkt der Proteste stand daher die Weigerung, sich die gesamte Lebensenergie vom Kapital absaugen zu lassen.
Obwohl der Kampf vorbei ist, bleibt die Rentenreform ein zentrales Thema der politischen Debatten in Frankreich.  Premierminister Sébastien Lecornu kündigte im Oktober 2025 an, die Reform bis Januar 2028 auszusetzen, weil er nur so hoffen konnte, politisch zu überleben und einem Misstrauensvotum der Nationalversammlung zu entgehen.

Deutschlands stille Akzeptanz der Rentenreform

Im Vergleich zum massiven Widerstand in Frankreich waren die Proteste gegen die letzte große Rentenreform in Deutschland verhalten – obwohl laut Gewerkschaften rund 80 Prozent der Bevölkerung dagegen waren. Im Jahr 2007 verabschiedete die Bundesregierung ein höchst umstrittenes Gesetz zur schrittweisen Anhebung des Rentenalters von 65 auf 67 Jahre. Zu diesem Zeitpunkt gingen die meisten Menschen bereits mit etwa 62 Jahren in Rente, sodass diese Maßnahme weithin als Schritt in Richtung einer zunehmenden Altersarmut angesehen wurde – insbesondere für Menschen in körperlich anstrengenden Berufen. Auch wenn sich die Gewerkschaftsfunktionäre der IG Metall gerne damit brüsteten, eine Viertelmillion mobilisiert zu haben, gab es keine große Bewegung, die der geplanten Reform einen Strich durch die Rechnung hätte machen können. Die Reform wurde verabschiedet und das Rentenalter angehoben.

Wir sind alle Rentner – Es ist nur eine Frage der Zeit!“

Ganz anders verliefen die Dinge in Argentinien, wo es den Rentner:innen gelungen ist, den trägen Gewerkschaftsapparat aufzurütteln und ihn zum Handeln gegen die brutale Sparpolitik von Präsident Milei zu bewegen. Zu den davon am stärksten betroffenen Menschen zählen Ältere. Nach Angaben des IWF haben Rentner:innen in Argentinien während Mileis erstem Amtsjahr mehr als ein Drittel ihrer Kaufkraft verloren. Die Mindestrente beträgt derzeit nur 290 Euro – während die Lebenshaltungskosten, insbesondere für Grundbedarfsgüter, oft mit den Preisen in Europa vergleichbar sind. Obwohl sie monatelang nur wenige waren, gingen sie Woche für Woche auf die Straße – trotz Polizeirepressionen, Tränengas und Einschüchterungen. Sie protestierten nicht nur für ihre eigenen Rechte, sondern auch für die künftiger Generationen. „Wir sind alle Rentner – es ist nur eine Frage der Zeit!“ lautete einer ihrer Slogans.

Im März 2025 gewann die Bewegung neuen Schwung, als ein Foto eines weinenden Rentners im Trikot des Fußballclubs Chacarita Juniors viral ging und eine Welle der Solidarität auslöste. Fußballfans und Vereine begannen, die Rentner:innen in ihrem Kampf zu unterstützen. Nach fast einem Jahr des Schweigens reagierte die CGT – Argentiniens größter Gewerkschaftsverband – schließlich mit dem Aufruf zu einem landesweiten Generalstreik im April, dem dritten unter Mileis Regierung. Viele sagen, es sei die Beharrlichkeit und der Mut der Rentner:innen gewesen, die sie zum Handeln gezwungen und letztendlich das Land am 10. April zum Stillstand brachten.51

Senior:innen im Kampfmodus“

Zurück zu unserem Umfeld in Berlin: Besonders beeindruckend ist sicherlich der Kampfgeist der Senior:innen in Pankow, die schon 2012 ihre Freizeitstätte kurzerhand besetzt hatten, nachdem der Bezirk das Geld für den weiteren Erhalt nicht mehr bereitstellen wollte. Mit Unterstützung von Student:innen, Nachbar:innen und Passant:innen gelang es ihnen nach fast viermonatiger Besetzung, die Schließung zu verhindern und damit international für Schlagzeilen zu sorgen. Der Bezirk hat dem Förderverein das Haus zur Nutzung weiterhin zur Verfügung gestellt, allerdings unter der Bedingung, sich nicht an den Kosten zu beteiligen. In den folgenden Jahren begannen die rüstigen Senior:innen sogar, wichtige Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten auf eigene Initiative zu organisieren.52

Nun (2025) ist der langfristige Fortbestand ihres Freizeittreffs erneut gefährdet. Aufgrund von Sparmaßnahmen des Senats stellt die Volkssolidarität zum Endes des Jahres die Förderung der Begegnungsstätte ein. Auch davon lassen sich die Nutzer:innen nicht abschrecken, sondern planen bereits, die Begegnungsstätte mit ihrem Förderverein Stille Straße 10 e.V in Eigenregie weiterzuführen. Ein Konzept für eine offene, interkulturelle Begegnungsstätte hätten sie bereits erarbeitet.

  • 1. Simone de Beauvoir, Das Alter, Rowohlt, Hamburg 1972 [1970], S. 10.
  • 2. antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/Expertisen/altersbilder_lang.html
  • 3. In Ländern mit höherem Bildungsniveau oder größerer sozialer Ungleichheit wird ebenfalls eine höhere Altersgrenze gezogen. Die Forscher:innen weisen ausdrücklich darauf hin, dass diese soziale Altersgrenze nichts mit dem geltendem Rentenalter zu tun hat.
  • 4. bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Abschlussberichte/Abschlussbericht_Erfolgreiches_Altern_bf.pdf
  • 5. www.focusplus.de/magazin/focus/2025-46
  • 6. Er stieg von 18% vor 20 Jahren auf 22,5% im Jahr 2023 und wird in 20 Jahren voraussichtlich 27% betragen. bbsr.bund.de/BBSR/DE/presse/presseinformationen/2024/bevoelkerungsprognose-2045
  • 7. Von 1871 bis 2022 stieg die Lebenserwartung von 65-Jährigen in Deutschland von unter 10 Jahren auf etwa 17,5 weitere Jahre für Männer und fast 21 Jahre für Frauen. destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Sterbefaelle-Lebenserwartung/sterbetafel
  • 8. Eine viel zitierte „Klosterstudie“ aus den 1990er-Jahren, in der die Lebenserwartung von Mönchen und Nonnen unter ähnlichen Bedingungen analysiert wurde, ergab nur minimale geschlechtsspezifische Unterschiede in der Lebenserwartung – was darauf hindeutet, dass biologische Faktoren allein die größere geschlechtsspezifische Kluft nicht erklären können. Stattdessen hängt die Diskrepanz mit sozialen und verhaltensbezogenen Faktoren zusammen, wie z. B.: höhere Raucherquoten bei Männern; berufliche Gefahren und Stress; Unterschiede in den familiären Verantwortlichkeiten und im Status; Alkoholmissbrauch; schlechte Ernährung, insbesondere mit rotem Fleisch (vielleicht weil es als „männlicher“ gilt als Salat und Gemüse). Die Studie offenbarte auch einige andere Auffälligkeiten: Nonnen und Frauen in der Allgemeinbevölkerung leben am längsten. Mönche leben etwas kürzer als Nonnen, aber immer noch länger als durchschnittliche Männer. Westdeutsche Hausfrauen haben die niedrigsten Sterblichkeitsraten. Berufstätige, kinderlose Frauen haben die niedrigste Lebenserwartung unter den Frauen – etwa 80 Jahre und damit vier Jahre weniger als Hausfrauen. www.cloisterstudy.eu
  • 9. In Deutschland lag die gesunde Lebenserwartung bei der Geburt im Jahr 2022 bei 61,2 Jahren für Frauen und 60,9 Jahren für Männer. ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=Healthy_life_years_statistics&action=statexp-seat&lang=de
  • 10. „Die Mehrheit der Befragten (74 Prozent) überschätzte den Anteil an Menschen über 70 Jahre [zum Zeitpunkt der Umfrage: 18,23%] in der deutschen Gesellschaft, zum Teil deutlich mit Angaben zwischen 22 und 90 Prozent. Am häufigsten wurde der Anteil auf 30 Prozent geschätzt.“ antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/Expertisen/altersbilder_lang.html
  • 11. 2,07 Kinder pro Frau müssen es schon sein, um die Nation auch ohne Zuwanderung zu erhalten.
  • 12. Beauvoir, Das Alter, a.a.O., S. 7.
  • 13. Das für einen angemessenen Lebensstandard erforderliche Rentenniveau liegt bei etwa 53% des letzten Nettoeinkommens. Nach Prognosen der Regierung könnte dieser Wert in den kommenden Jahren jedoch auf nur noch 44% sinken. sozialpolitik-aktuell.de/files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Alter-Rente/Datensammlung/PDF-Dateien/abbVIII37_Grafik_Monat_07_2017.pdf
  • 14. de.statista.com/statistik/daten/studie/785537/umfrage/armutsgefaehrdungsquote-von-senioren-in-deutschland
  • 15. wsws.org/de/articles/2001/07/rent-j20.html
  • 16. sozialpolitik-aktuell.de/files/sozialpolitik-aktuell/_Kontrovers/Rente67/Zusammenhang-Einkommen-Lebenserwartung.pdf
  • 17. tagesspiegel.de/wirtschaft/je-armer-desto-fruher-pflegebedurftig-6181771.html?icid=in-text-link_9425228
  • 18. 2013 betrug sie noch mehr als 45%, derzeit knapp 26%.
  • 19. de.statista.com/statistik/daten/studie/1453064/umfrage/gender-pension-gap-in-deutschland
  • 20. Im Jahr 2013 waren nur 13% der 65- bis 69-Jährigen noch berufstätig – bis 2023 stieg dieser Anteil auf 20%. 13% der über 65-Jährigen in Deutschland arbeiten noch bis zum stolzen Alter von 74 Jahren. destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Demografischer-Wandel/Aeltere-Menschen/erwerbstaetigkeit.html
  • 21. destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/10/PD24_N050_12_13.html
  • 22. Wir verwenden an dieser Stelle das englische Wort, da es u. a. als feministischer Kampfbegriff mehr umfasst als der deutsche Begriff der Pflege.
  • 23. In der DDR geschah das bereits seit Kriegsende, während dieser Prozess in der BRD langsamer war, aber sich durch die feministischen Kämpfe der 1970er-Jahre beschleunigte.
  • 24. Siehe Petra Tschörtner (Regie), Unsere alten Tage, Dokumentarfilm, DDR/DEFA-Studio für Dokumentarfilme, 1989: https://www.defa-stiftung.de/filme/filme-suchen/unsere-alten-tage
  • 25. https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Ster…
  • 26. antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/Expertisen/altersbilder_lang.html
  • 27. Wenn man bedenkt, dass „18,1 % der Ab-80-Jährigen […] als demenzerkrankt eingestuft“ werden, muss man sich nicht wundern, dass es ständig Suchmeldungen nach Senior:innen gibt. library.oapen.org/handle/20.500.12657/63907
  • 28. Die Pflege zwischen Partner:innen – wenn einer von ihnen pflegebedürftig ist oder beide aufeinander angewiesen sind – macht einen erheblichen Teil der Unterstützung aus, die es gebrechlichen älteren Menschen ermöglicht, ohne professionelle Pflegekräfte oder ihre Kinder zu leben. Die Scheidungs- und Trennungsrate hat daher einen direkten Einfluss darauf, wie viel Pflege der Rest der Familie leisten muss, wenn die pflegebedürftige Person kein anderes Unterstützungsnetzwerk (Freunde, Nachbarn) hat.
  • 29. www.aerztezeitung.de/Politik/Umfrage-Grosse-Mehrheit-will-zu-Hause-gepf…
  • 30. Diese Zahl wäre sicherlich geringer, wenn diese Frage zu dem Zeitpunkt gestellt würde, zu dem eine solche konkrete Entscheidung getroffen werden muss, aber dieser Prozentsatz ist dennoch sehr aussagekräftig.
  • 31. https://www.transinterqueer.org/wp-content/uploads/2021/11/TrIQstudie-t…. Siehe auch Tamara-Louise Zeyen, Ralf Lottmann, Regina Brunnett, Mechthild Kiegelmann (Hg): LSBTIQ* und Alter(n). Ein Lehrbuch für Pflege und Soziale Arbeit, Vandenhoeck & Ruprecht, 2020
  • 32. Siehe Ralf Lottmann, Rüdiger Lautmann, Maria do Mar Castro Varela (Hg): Homosexualität_en und Alter(n), Ergebnisse aus Forschung und Praxis, Springer VS, Berlin 2016.
  • 33. Entlastungsbetrag für z. B. eine Haushaltshilfe von max. 131 Euro, für Pflegemittel max. 42 Euro und für den Hausnotruf max. 25,50 Euro im Monat und einmalig 4.180 Euro für sog. Wohnraumanpassungen. pflege.de/pflegekasse-pflegerecht/pflegegrade/pflegegrad-1/#:~:text=Welche%20Leistungen%20bekommt%20man%20bei,sowie%20der%20Zuschuss%20zur%20Wohnraumanpassung und tagesschau.de/inland/innenpolitik/pflegegrad-koalition-100.html
  • 34. sueddeutsche.de/politik/pflege-streiks-pflegenotstand-1.5643218
  • 35. Zwischen 2011 und 2021 stieg die Zahl der in der professionellen häuslichen Pflege Beschäftigten um 52%, während gleichzeitig die Zahl der Menschen, die diese Art von Pflege benötigen, um 82% zunahm (der Anstieg in Pflegeheimen ist weitaus geringer). bgw-online.de/resource/blob/110064/d5cdd6b8c2d43d222c96c75331ab5dc9/bgw-trendbericht-ambulante-pflege-2024-data.pdf
  • 36. press.uni-mainz.de/old-age-care-crisis-in-germany-are-migrant-care-workers-a-suitable-solution-for-state-and-families
  • 37. deutsche-seniorenbetreuung.de/pflegekraefte/pflegekraefte-aus-polen Diese Phänomen der Live-in-Pflege wurde von Bridget Anderson in ihrem Buch Doing the Dirty Work? The Global Politics of Domestic Labour, ‎ Zed Books, London 2000, beleuchtet.
  • 38. https://www.youtube.com/watch?v=e0YeE5SMtuk
  • 39. dza.de/fileadmin/dza/Dokumente/DZA_Aktuell/DZA-Aktuell_03_2024_Vereinbarkeit_fin.pdf
  • 40. vdk.de/themen/frauen/frauen-und-pflege
  • 41. www.armutskonferenz.at/media/moser_sorge-_bzw._care-arbeit_und_armutsbe…
  • 42. rvr.ruhr/news/startseite-news/news/wittener-studie-belegt-hohe-belastung-von-pflegenden-angehoerigen-1
  • 43. barmer.de/resource/blob/1143786/1b8d8606f75a5778f8c7ccfef93d6e59/pflegestudie-coronabezogene-ressourcen-und-belastungsanalyse-bei-pflegekraeften-data.pdf
  • 44. archive.org/details/the-double-standard-of-aging/page/n27/mode/1up
  • 45. Nun gut, sie scheint sich hierbei auf Männer der Mittelschicht zu beziehen. Stellt sich die Frage, inwieweit diese Beobachtung auch auf die Arbeiterklasse zutrifft, wo Männer mit zunehmendem Alter zwar ebenfalls ihre Fähigkeiten verbessern können, aber natürlich auch unter einer größeren Erschöpfung durch ihre körperlich anstrengenden Tätigkeiten leiden.
  • 46. bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/frauen-und-maenner-in-der-zweiten- lebenshaelfte-aelterwerden-im-sozialen-wandel-135042
  • 47. Oder noch prägnanter: „Hässlichkeit bei einer Frau wird von allen, Männern wie Frauen, als leicht peinlich empfunden.“ Und: „Es sind vor allem Frauen, die das Älterwerden (alles, was davor liegt, bevor man tatsächlich alt ist) mit solcher Abneigung und sogar Scham erleben.“ (Susan Sontag, „The Double Standard of Aging“, a.a.O.).
  • 48. Siehe die Kommentare des französischen Soziologen Jean-François Mignot (der übrigens weder Marxist noch Feminist ist): „Da Männer Frauen einerseits besonders für ihre körperliche Schönheit sowie für ihre aktuelle Fruchtbarkeit und die verbleibende Dauer ihrer fruchtbaren Phase schätzen, wird der Höhepunkt der weiblichen Attraktivität in den Augen der Männer in relativ jungem Alter erreicht – und von Männern wahrgenommen. Da andererseits Frauen Männer besonders für den Umfang und die Vorhersehbarkeit der sozioökonomischen Ressourcen schätzen, die sie einmal besitzen werden, wird der Höhepunkt der Attraktivität von Männern in den Augen der Frauen erst in einem relativ späten Alter erreicht – und von den Frauen erlebt – (in agrarischen Gesellschaften erst, wenn sie genügend Kapital angesammelt haben, um Land kaufen können, und in Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften erst, wenn sie ihr Studium abgeschlossen haben und/oder in den Arbeitsmarkt eingetreten sind oder dort sogar befördert wurden). Folglich haben Frauen, die wissen, dass sie in relativ jungen Jahren besonders geschätzt werden, großes Interesse daran, ihre Heirat nicht zu lange aufzuschieben, während Männer, die ebenfalls wissen, dass sie in relativ hohem Alter besonders geschätzt werden, ein Interesse daran haben, ihre Heirat aufzuschieben, um eine Frau zu finden, die in ihren Augen begehrenswerter ist als die, die sie in jungen Jahren heiraten könnten. Da viele Männer später als Frauen eine Beziehung eingehen, sehen wir tatsächlich einen durchschnittlichen Altersunterschied zwischen Ehepartner:innen zugunsten des Mannes.“ Jean-Franҫois Mignot, „L'écart d'âge entre conjoints“, Revue franҫaise de sociologie, 51/2010, https://shs.cairn.info/revue-francaise-de-sociologie-1-2010-2-page-281?… (Aufruf 27.11.2025). Übersetzung aus dem Französischen von den Autor:innen.
  • 49. Dabei sollte man nicht vergessen, dass damals eine hohe Arbeitslosigkeit herrschte, also Jobs Mangelwaren darstellten, um die es sich zu kämpfen lohnte.
  • 50. lemonde.fr/en/les-decodeurs/article/2023/01/06/pension-reform-how-long-and-in-what-health-do-the-french-live-after-65_6010557_8.html#
  • 51. sozonline.de/2025/05/argentinien-rentnerinnen-in-der-ersten-reihe
  • 52. youtube.com/watch?v=Cm7gGp_Lp0A